Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 30.04.2004; Aktenzeichen 6 W 18/04) |
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 06.01.2004; Aktenzeichen 3/8 O 233/95) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Festsetzung eines Ordnungsgeldes im Zwangsvollstreckungsverfahren.
1. Die Beschwerdeführerin gibt zusammen mit Telefonbuchverlagen, mit denen sie sich jeweils zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammenschließt, in ganz Deutschland Fernmeldeteilnehmerverzeichnisse heraus. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Firma WSG Werbe- und Sparberatungsgesellschaft mbH (im Folgenden: WSG), bietet Anzeigenkunden, die bereits in den Telefonbüchern inserieren, eine “Optimierung” ihrer Anzeigen unter Aufrechterhaltung des Werbeeffekts an. Diese Anzeigen schaltet die WSG in den Telefonbüchern.
Auf eine Klage der WSG wurde es der Beschwerdeführerin mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. April 1996 (3/8 O 233/95) – sinngemäß – untersagt, in werblichen Aussagen zu äußern, die von der WSG angeratenen Maßnahmen beschränkten sich auf die Reduzierung des Anzeigenumfangs. Mit Schreiben vom 29. November 2001 informierte die Beschwerdeführerin die mit ihr zusammen arbeitenden Verlage hierüber und forderte sie auf, derartige Äußerungen zu unterlassen. Sie wies darauf hin, dass sie “gezwungen sein” könnte, die gegen sie verhängten “Ordnungsgelder im Rahmen des Gesellschaftsvertrages von Ihnen einzufordern”.
In den Jahren 2002 und 2003 verbreiteten mehrere der Verlage einen Zeitungsartikel, in dem die Tätigkeit der “Sparberater” dahin beschrieben wird, dass diese den Anzeigenkunden empfehlen, Geld zu sparen, “indem man einfach weniger kauft”, etwa durch Verzicht auf Farbe oder Umrahmungen. In einem weiteren durch einen der Mitgesellschafter verteilten Werbetext heißt es u. a.: “Das ‘Geheimrezept’ heißt: Anzeige verkleinern …”.
Auf Antrag der WSG setzte das Landgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 6. Januar 2004 ein Ordnungsgeld in Höhe von 60.000 EUR fest. Die sofortige Beschwerde dagegen war beim Oberlandesgericht erfolglos.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
a) Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ordnungsgeldfestsetzung nach § 890 ZPO Stellung genommen (BVerfGE 20, 323 ≪332≫; 58, 159 ≪161 ff.≫; 84, 82 ≪87≫).
b) Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
aa) Die Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Zwar greifen sie in dieses Recht ein, indem sie das Verhalten der Beschwerdeführerin durch Festsetzung eines Ordnungsgelds sanktionieren. Der Eingriff ist aber auf der Grundlage von § 890 ZPO gerechtfertigt.
(1) Bei der Anwendung dieser Vorschrift auf den Einzelfall handelt es sich um die Anwendung einfachen Rechts, die vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zu überprüfen ist. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist lediglich zu fragen, ob die Entscheidungen der Gerichte Auslegungsfehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 42, 143 ≪148 f.≫; 67, 213 ≪223≫; 68, 361 ≪372≫; stRspr). Die Vorschrift des § 890 ZPO enthält strafrechtliche Elemente, da die verhängte Strafe nicht nur Zwangsmittel, sondern auch Sühne für eine begangene Zuwiderhandlung ist (vgl. BVerfGE 20, 323 ≪332≫). Daher setzt die Festsetzung von Ordnungsmitteln ein Verschulden voraus (vgl. BVerfGE 20, 323 ≪332≫; 58, 159 ≪161 ff.≫; 84, 82 ≪87≫). Bei juristischen Personen ist dabei das Verschulden der für sie verantwortlich handelnden Personen im Sinne des § 31 BGB maßgebend. Das Verschulden Dritter muss sich die juristische Person, die die Unterlassungspflicht trifft, grundsätzlich nicht zurechnen lassen (vgl. BVerfGE 20, 323 ≪336≫).
(2) Hieran gemessen sind die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Gerichte gehen in Einklang mit den genannten Grundsätzen davon aus, dass eine Haftung für fremdes Verschulden nicht in Betracht kommt. Bei dem Organisationsverschulden, das die Gerichte darin sehen, dass die Beschwerdeführerin gegenüber den Fachverlagen nicht das zur Unterbindung von Verstößen gegen das Unterlassungsgebot Mögliche und Zumutbare unternommen habe, handelt es sich nicht um die Zurechnung fremden Verschuldens, sondern um eigenes Verschulden im Sinne des § 31 BGB.
Die einfachrechtlich begründete Bejahung eines solchen Organisationsverschuldens ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die von der Beschwerdeführerin verlangte Differenzierung, nach der ein Eigenverschulden nur in dem Verhalten der von dem Schuldner “abhängigen” Dritten – etwa Mitarbeitern oder Tochtergesellschaften – gesehen werden kann, nicht aber in dem Verhalten Außenstehender – etwa Mitgesellschaftern –, ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Eigenverschulden kann auch darin gesehen werden, dass im Hinblick auf Dritte – hier die in einer GbR mit der Beschwerdeführerin zusammengeschlossenen Verlage – zumutbare Einwirkungen unterblieben sind. Insbesondere führt der Umstand, dass die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten gegenüber einem Mitgesellschafter andere sind als gegenüber “Abhängigen”, nicht dazu, dass eine Organisationspflicht, die sich auf solche außenstehenden Dritten bezieht, von Verfassungs wegen stets verneint werden müsste.
Die Gerichte haben vorliegend ein Verschulden der Beschwerdeführerin darin gesehen, dass sie nach dem Schreiben vom 29. November 2001 keine weiteren Kontroll- oder Überwachungsmaßnahmen ergriffen hat. Es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass die Gerichte davon ausgehen, die Beschwerdeführerin hätte spätestens nach dem erneuten Ordnungsmittelantrag vom 21. August 2002 erkennen müssen, dass ihre bisherige Maßnahme unzureichend war. Deshalb hätte sie sich mit dem erforderlichen Nachdruck nochmals an die Verlage wenden müssen, anstatt deren Verhalten einfach hinzunehmen. Die Beschwerdeführerin hätte etwa weitere Anschreiben mit konkreten Hinweisen und Aufforderungen an die Verlage richten oder die im Schreiben vom 29. November 2001 angedeutete Möglichkeit eines Rückgriffs – mit der entsprechenden abschreckenden Wirkung – in Betracht ziehen können. Dass diese Einschätzung der Gerichte grundrechtlich geschützte Positionen der Beschwerdeführerin verkennen würde, ist nicht ersichtlich. Die weite Bemessung der Pflichten des Unterlassungsschuldners dient der effektiven Durchsetzung der Ansprüche des Gläubigers. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte dieses Interesse schwerer gewichten als das des Schuldners, der das ihm Zumutbare nicht unternommen hat. Dem Umstand, dass die WSG auch die Verlage selbst auf Unterlassung hätte verklagen können, mussten die Gerichte angesichts des Aufwandes und der Risiken, die damit für die WSG verbunden gewesen wären, keine zu Gunsten der Beschwerdeführerin durchschlagende Bedeutung beimessen.
bb) Die Entscheidungen tragen auch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend Rechnung, so dass die Frage, ob Art. 103 Abs. 2 GG im Rahmen des § 890 ZPO überhaupt anwendbar oder ob insoweit lediglich das vollstreckungsrechtliche Bestimmtheitsgebot einschlägig ist, keiner Klärung bedarf.
(1) Das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verlangt für strafrechtliche Normen, dass sie das Erlaubte klar vom Verbotenen abgrenzen; Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes müssen für den Betroffenen erkennbar sein, sich zumindest durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 47, 109 ≪120≫, stRspr). Verweist die Norm auf eine andere Maßnahme, die den Inhalt des Gebotenen konkretisiert, so muss auch diese den Bestimmtheitsanforderungen genügen.
(2) Diese Grundsätze sind nicht verletzt.
(a) Die Frage, ob das Urteil vom 17. April 1996 ausreichend bestimmt ist, stellt sich dabei nicht, denn das Urteil ist nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde. Eine gegen die Vollstreckung gerichtete Verfassungsbeschwerde kann nur zur Überprüfung von Grundrechtsverletzungen dienen, die sich auf die Zwangsvollstreckung selbst beziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. Juli 1997 – 1 BvR 730/97 –, JURIS). In Frage steht daher lediglich, ob die Auslegung, die die Gerichte dem Urteil beigemessen haben, den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots entspricht. Die Gerichte dürfen den Tenor des Unterlassungsurteils nicht in einer Weise auslegen, die für den Betroffenen nicht vorhersehbar ist.
Die hier angewandte, im Wettbewerbsrecht entwickelte “Kerntheorie”, wonach der Schutzumfang eines Unterlassungsgebots nicht nur die Verletzungsfälle, die mit der verbotenen Form identisch sind, sondern auch solche gleichwertigen Äußerungen umfasst, die ungeachtet etwaiger Abweichungen im Einzelnen den Äußerungskern unberührt lassen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. Juli 1997 – 1 BvR 730/97 –, JURIS). Sie dient der effektiven Durchsetzung von auf Unterlassung von Äußerungen gerichteten Ansprüchen, die wesentlich erschwert wäre, falls eine Verletzung von Unterlassungstiteln nur in Fällen anzunehmen wäre, in denen die Verletzungshandlung dem Wortlaut des Titels genau entspricht. Dass ein Unterlassungsgebot sich auf den Inhalt der zu unterlassenden Behauptung bezieht und weniger auf ihre konkrete Formulierung im Einzelfall, ist auch für den Unterlassungsschuldner erkennbar. Zudem hat dieser die Möglichkeit, bereits im Erkenntnisverfahren auf eine sachgerechte Formulierung des Titels hinzuwirken und so etwaigen fehlerhaften und ausufernden Deutungen des Entscheidungstenors vorzubeugen.
Bei der Anwendung der Kerntheorie haben die Gerichte die ihnen gesetzten verfassungsrechtlichen Grenzen nicht überschritten. Es wurde nachvollziehbar begründet, dass in den von den Verlagen weiterverbreiteten Artikeln eine Aussage dahin enthalten sei, dass sich die Tätigkeit der “Sparberater”, und damit auch der WSG, im Wesentlichen auf eine Beschränkung des Anzeigenumfangs richte und dass gerade dadurch der Kern des Unterlassungsgebots betroffen sei.
(b) Hinsichtlich der Anforderungen an das Verschulden ist eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots ebenfalls nicht festzustellen. Die Gerichte durften auf den von § 890 ZPO zugrunde gelegten Verschuldensbegriff abstellen. Dessen Reichweite ist hinreichend bestimmt. Die allgemeine Definition des Verschuldens in § 276 BGB sowie die dazu entwickelte zivilrechtliche Dogmatik, auch im Hinblick auf § 31 BGB und die Frage des Organisationsverschuldens, erlauben es dem Unterlassungsschuldner zu erkennen, was von ihm verlangt wird. Dass im Einzelfall Streit bestehen kann hinsichtlich der Frage, welche konkreten Verhaltensweisen geboten sind, nimmt der Norm nicht ihre Bestimmtheit.
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
NJW-RR 2007, 860 |
GRUR 2007, 618 |
AfP 2008, 430 |
InVo 2007, 414 |
MIR 2007, 252 |