Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 14.03.2013; Aktenzeichen L 4 KR 555/12 B ER) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 24.01.2013; Aktenzeichen L 4 KR 555/12 B ER) |
SG Bremen (Beschluss vom 16.11.2012; Aktenzeichen S 8 KR 236/12 ER) |
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Prof. Dr. Z. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne Aussicht auf Erfolg ist.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren zur gesetzlichen Krankenversicherung.
I.
1. Der gesetzlich krankenversicherte Beschwerdeführer, der nach eigenen Angaben arbeitsloser Rechtsanwalt ist und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht, begehrte vor dem Sozialgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Verpflichtung seiner Krankenkasse zur Übernahme der Kosten für ein „sequenzielles Gerätetraining”, die ihm im Rahmen der Nutzungsvereinbarung mit einem Fitnessstudio entstehen. Mit Beschluss vom 16. November 2012 lehnte das Sozialgericht sowohl den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – unter Hinweis darauf, dass weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht seien – als auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Die gegen die beiden ablehnenden Entscheidungen eingelegten Beschwerden wies das Landessozialgericht mit zwei Beschlüssen vom 24. Januar 2013 zurück. Darüber hinaus lehnte auch das Landessozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Den Antrag des Beschwerdeführers, ihm „für jeweils beabsichtigte Einlegung und Begründung von Anhörungsrügen und Gegenvorstellungen” gegen die beiden Beschlüsse vom 24. Januar 2013 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, verwarf das Landessozialgericht mit zwei Beschlüssen vom 14. März 2013. Es führte hierzu aus, für den Fall einer beabsichtigten, erst zukünftigen Einlegung von Anhörungsrügen und Gegenvorstellungen dürfe Prozesskostenhilfe bereits deshalb nicht bewilligt werden, weil Prozesskostenhilfe nur für einen bereits eingelegten Rechtsbehelf bewilligt werden könne, nicht aber für beabsichtigte zukünftige Rechtshandlungen. Sofern die Einlegung bereits erfolgt sei, jedoch unter die Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt werden solle, wäre der Rechtsbehelf nur bedingt eingelegt und damit als Prozesshandlung grundsätzlich unwirksam.
2. Der Beschwerdeführer rügt unter anderem eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Er trägt vor, Sozialgericht und Landessozialgericht hätten durch unterbliebene Beiordnung eines Prozessvertreters und gleichzeitige Entscheidung in der Sache gehörswidrig und verfahrensunfair eine weitere Begründung vereitelt. Mit Blick auf die Beschlüsse vom 14. März 2013 sei nicht nachvollziehbar, weshalb für Rechtsbehelfe wie Anhörungsrüge und Gegenvorstellung keine Prozesskostenhilfe solle gewährt werden können, denn die Auslegung und Würdigung seiner Anträge auf Prozesskostenhilfe durch das Landessozialgericht verkehre die ständige Rechtsprechung aller höchsten Fachgerichte in ihr Gegenteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), denn die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen – insbesondere zum Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪356 ff.≫ m.w.N.) – sind bereits geklärt. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 16. November 2012 sowie gegen die beiden Beschlüsse des Landessozialgerichts vom 24. Januar 2013 richtet, denn insoweit ist sie innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG nicht ansatzweise hinreichend begründet worden. Die Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG nicht nur einzulegen, sondern auch in einer § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise zu begründen (vgl. BVerfGE 81, 208 ≪214≫; 99, 84 ≪87≫). Daran fehlt es hier.
Die Begründung erschöpft sich in dem Vorbringen, Sozialgericht und Landessozialgericht hätten durch unterbliebene Beiordnung eines Prozessvertreters und gleichzeitige Entscheidung in der Sache gehörswidrig und verfahrensunfair eine weitere Begründung vereitelt. Mit den angegriffenen Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts setzt sich der Beschwerdeführer dagegen überhaupt nicht auseinander, so dass den Ausführungen auch nicht entnommen werden kann, dass und warum durch diese Entscheidungen spezifisches Verfassungsrecht verletzt worden sein sollte.
Der Vortrag des Beschwerdeführers, dass ihm selbst eine hinreichende Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht möglich sei, diese vielmehr durch den ihm im Wege der Prozesskostenhilfe beizuordnenden Rechtsanwalt erfolgen solle und er vorsorglich Wiedereinsetzung in gegebenenfalls versäumte Fristen beantrage, vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 2 BVerfGG kommt nicht in Betracht. Zwar kann es, soweit ein Beschwerdeführer nicht imstande ist, die erforderlichen Mittel für die Beauftragung eines Rechtsanwalts aufzubringen, der ihn im Verfassungsbeschwerdeverfahren vertreten soll, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen, wenn der in der Mittellosigkeit liegende Hinderungsgrund entfällt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2002 – 2 BvR 578/02 –, juris). Im Falle der Mittellosigkeit kann Wiedereinsetzung nach Gewährung von Prozesskostenhilfe aber nur dann gewährt werden, wenn die mittellose Partei alles Zumutbare getan hat, um das bestehende Hindernis alsbald zu beheben. Die Fristversäumung ist daher grundsätzlich nur dann unverschuldet, wenn der Beschwerdeführer innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG alle für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch wesentlichen Angaben und Unterlagen vorlegt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Februar 2000 – 2 BvR 106/00 –, NJW 2000, S. 3344). Dazu gehört auch, dass er entsprechend § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO wenigstens im Kern deutlich macht, welche verfassungsrechtliche Beanstandung er gegen die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene(n) Entscheidung(en) erheben will (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Oktober 1993 – 1 BvR 1686/93 –, juris). Unverzichtbar ist mithin jedenfalls eine einigermaßen plausible Minimalbegründung (vgl. Heusch/Sennekamp, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 93 Rn. 52). Selbst daran fehlt es vorliegend jedoch.
2. Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde die Beschlüsse des Landessozialgerichts vom 14. März 2013 angreift, genügen diese zum Teil nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Die Verwerfung des Antrags des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die von diesem „beabsichtigte Einlegung und Begründung von Anhörungsrügen und Gegenvorstellungen” ist mit der vom Landessozialgericht gegebenen Begründung nicht mit dem Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar.
Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪356≫). Mit dem Institut der Prozesskostenhilfe ermöglicht der Gesetzgeber auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten. Nach übereinstimmender Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes (stellvertretend: BSG, Urteil vom 23. Januar 1997 – 7 RAr 102/95 –, SozR 3-1500 § 67 Nr. 11; BGH, Beschluss vom 23. Februar 2005 – XII ZB 71/00 –, FamRZ 2005, S. 789; BFH, Beschluss vom 11. Mai 2009 – II S 4/09 (PKH) –, juris; BVerwG, Beschluss vom 26. November 2009 – BVerwG 6 B 33/09 –, Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 169; BAG, Urteil vom 25. April 2013 – 8 AZR 287/08 –, juris) kann ein – potenzieller – Rechtsbehelfsführer Prozesskostenhilfe für den beabsichtigten Rechtsbehelf beantragen, dabei von der Einlegung des Rechtsbehelfs zunächst absehen und nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe den Rechtsbehelf einlegen, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesem Antrag ist zur Vermeidung der Benachteiligung einer mittellosen Partei grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Partei fristgerecht einen vollständigen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hat (vgl. auch BVerfGK 17, 166 ≪170≫). Dies gilt im Übrigen unabhängig von der Frage, ob Gerichtskosten entstehen, das Rechtsmittel einem Anwaltszwang unterliegt oder der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (vgl. BSG, Urteil vom 23. Januar 1997, a.a.O.).
Danach hätte das Landessozialgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Einlegung und Begründung von Anhörungsrügen und Gegenvorstellungen gegen die Beschlüsse vom 24. Januar 2013 nicht mit der Begründung verwerfen dürfen, Prozesskostenhilfe dürfe für beabsichtigte zukünftige Rechtshandlungen nicht bewilligt werden.
3. Trotz dieser mit Verfassungsrecht nicht im Einklang stehenden Verwerfung des Antrages auf Prozesskostenhilfe als unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahme einer Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt, wenn der Beschwerdeführer sein vor den Fachgerichten verfolgtes Begehren nicht erreichen kann (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫; 119, 292 ≪301 f.≫).
Dies ist hier der Fall, weil der Beschwerdeführer mit seinem im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgten Begehren keinen Erfolg haben kann. Würde das Bundesverfassungsgericht die Beschlüsse vom 14. März 2013 und damit die jeweilige Entscheidung des Landessozialgerichts über die Verwerfung des Antrags auf Prozesskostenhilfe für die beabsichtigten Anhörungsrügen und Gegenvorstellungen aufheben und die Sache an das Landessozialgericht zurückverweisen, könnte das Landessozialgericht bei der erneuten Entscheidung letztlich zu keinem anderen Ergebnis kommen. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die beabsichtigten Anhörungsrügen oder Gegenvorstellungen Aussicht auf Erfolg haben könnten.
Der Rechtsbehelf der Anhörungsrüge bezweckt die Heilung von Verletzungen des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 – 1 BvR 644/05 –, NJW 2005, S. 3059). Eine Entscheidung beruht aber nur dann auf einem Gehörsverstoß und verletzt damit Art. 103 Abs. 1 GG, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das betreffende Gericht bei Kenntnisnahme und Berücksichtigung des angeblich übergangenen Vorbringens eine für den Beschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte (vgl. BVerfGE 62, 392 ≪396≫; 89, 381 ≪392 f.≫). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat weder seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe für die beabsichtigten Anhörungsrügen begründet noch im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch nur ansatzweise schlüssig vorgetragen, dass das Landessozialgericht in den Beschlüssen vom 24. Januar 2013 seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt haben könnte. Auch ansonsten ergeben sich hierfür keine Anhaltspunkte.
Eine Gegenvorstellung, die auch nach Einführung der Anhörungsrüge weiter zulässig sein kann (vgl. BVerfGE 122, 190 ≪200≫), setzt schließlich voraus, dass dem Betroffenen grobes prozessuales Unrecht zugefügt worden ist, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 19. Januar 2010 – B 11 AL 13/09 C –, SozR 4-1500 § 60 Nr. 7). Für eine solchermaßen schwerwiegende Rechtsverletzung gibt es vorliegend ebenfalls keine Anhaltspunkte.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes war mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen.
5. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Masing, Baer
Fundstellen
Haufe-Index 6330903 |
NJW 2014, 681 |
NZS 2014, 259 |