Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahren zur Abwicklung der Bodenreform in der früheren sowjetischen Besatzungszone
Verfahrensgang
LG Leipzig (Entscheidung vom 07.11.2000; Aktenzeichen 4 O 2189/00) |
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Tatbestand
Die Richtervorlage betrifft die Frage, ob Art. 233 § 11 Abs. 3 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und § 16 Abs. 2 Satz 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. In diesen Vorschriften ist das Verfahren zur Abwicklung der Bodenreform in der früheren sowjetischen Besatzungszone geregelt.
I.
Im Ausgangsverfahren, das beim Landgericht anhängig ist, nimmt das klagende Land die Beklagten auf Herausgabe des hälftigen Veräußerungserlöses aus dem Verkauf von Bodenreformgrundstücken in Anspruch. Diese Grundstücke, bei denen es sich um landwirtschaftlich genutzte Äcker und Waldflächen (Schläge) handelt, wurden 1970 dem Ehemann der Beklagten zu 1 in ehelicher Vermögensgemeinschaft mit dieser Beklagten zugeteilt. Die Eheleute wurden als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, die Grundstücke in der Eintragung als Bodenreformgrundstücke gekennzeichnet. 1988 verstarb der Ehemann, der am 15. März 1990 noch als Eigentümer in ehelicher Vermögensgemeinschaft mit der Beklagten zu 1 im Grundbuch eingetragen war. Für die Grundstücke ist nach dem Verstorbenen keiner Person eine Zuteilung nach den Vorschriften über die Bodenreform oder nach Besitzwechselverordnungen erteilt worden. Eine förmliche Übergabe der Grundstücke hat ebenfalls nicht stattgefunden. Die Beklagten waren weder am 15. März 1990 im Beitrittsgebiet in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft als LPG-Mitglied tätig noch sind sie aus einem dieser Bereiche nach mindestens zehnjähriger Tätigkeit unmittelbar verrentet worden. Die Beklagten haben die Grundstücke zu einem Kaufpreis von 23.161,80 DM verkauft. Die Hälfte dieses Betrages hat der Kläger mit der Klage geltend gemacht.
Das Landgericht hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die eingangs genannte Frage zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt:
Die Anwendung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB im Streitfall begründe die Pflicht zur entschädigungslosen Herausgabe von Eigentum, das nach dem Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl I S. 134) infolge der darin vorgenommenen Aufhebung der Beschränkungen nach dem Bodenreformrecht und den Bestimmungen des Besitzwechselrechts noch vor dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland Volleigentum geworden sei, an den Landesfiskus. Das stelle eine verfassungswidrige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums dar. Mit dem Beitritt sei dieses Volleigentum unter den Schutz des Grundgesetzes gelangt. Eine sachliche Rechtfertigung für den durch Art. 233 § 11 Abs. 3 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB bewirkten Grundrechtseingriff, der zum vollständigen Rechtsverlust ohne entschädigenden Ausgleich führe, gebe es nicht.
Der Bundesgerichtshof halte die genannten Bestimmungen in seiner Entscheidung BGHZ 140, 223 für verfassungsgemäß, weil die Aufhebung der Beschränkungen des Bodenreformeigentums durch das Gesetz vom 6. März 1990 insofern ein gesetzgeberisches Versehen gewesen sei, als die durch Erbfolge in die Eigentümerstellung eingerückten Personen begünstigt worden seien. Die Korrektur dieses Versehens bedeute nach Auffassung des Bundesgerichtshofs eine verfassungsrechtlich zulässige Bestimmung der Grenzen des Eigentums; es sei verfassungsrechtlich anerkannt, dass im Rahmen der Neuordnung eines Rechtsgebiets eine privatnützige Rechtsposition vollständig aufgehoben werden könne, und nicht geboten, dass ein durch die Unvollständigkeit des Gesetzes vom 6. März 1990 erzielter wiedervereinigungsbedingter Zufallsgewinn den Begünstigten verbleibe.
Eingriffe in das Grundeigentum würden durch diese Überlegungen jedoch nicht gerechtfertigt. Abgesehen davon, dass vom Bundesgerichtshof eine restriktive Auslegung des Gesetzes vom 6. März 1990 entsprechend dem Gesetzeszweck nicht in Betracht gezogen worden sei, sei nicht zu erkennen, dass der Volkskammer ein Versehen unterlaufen sei, als sie mit dem genannten Gesetz auch die kraft Erbrechts in die Rechtsstellung des Eigentümers von Bodenreformgrundstücken eingetretenen Personen begünstigt habe.
Eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 233 § 11 Abs. 3, § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c, Abs. 3 und § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB sei nicht möglich.
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlage ist unzulässig.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht die in Art. 100 Abs. 1 GG und § 80 BVerfGG geregelte Vorlagepflicht nur dann, wenn das im Einzelfall zuständige Gericht eine entscheidungserhebliche Gesetzesvorschrift für verfassungswidrig hält. Sinn des Art. 100 Abs. 1 GG ist es, die Überprüfung desGesetzgebers beim Bundesverfassungsgericht zu konzentrieren (vgl. BVerfGE 17, 208 ≪210≫). Dagegen dient die Regelung nicht dazu, Meinungsverschiedenheiten zwischenGerichten desselben Rechtszugs zu klären (vgl. BVerfGE 78, 20 ≪24 f.≫; 80, 54 ≪59≫; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NJW-RR 2000, S. 1309). Wie eine Norm des einfachen Rechts auszulegen ist, ist grundsätzlich Sache des dafür allgemein zuständigen Gerichts (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Ist es der Auffassung, die Auslegung einer Vorschrift, die das im Instanzenzug übergeordnete Gericht vorgenommen und selbst für verfassungsgemäß gehalten hat, sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, darf es nicht das Bundesverfassungsgericht anrufen. Denn die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der im Instanzenzug übergeordneten Gerichte muss dem dafür vorgesehenen Verfahren der Verfassungsbeschwerde vorbehalten bleiben (vgl. BVerfGE 22, 373 ≪379≫; 70, 134 ≪137≫; 80, 54 ≪58 f.≫; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.).
2. Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluss des Landgerichts nicht gerecht.
Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs ist die Regelung des Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und Abs. 3 EGBGB, an die die im Ausgangsverfahren einschlägige Bestimmung des Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB anknüpft, verfassungsgemäß und insbesondere mit Art. 14 Abs. 1 GG zu vereinbaren; das Gesetz der Volkskammer vom 6. März 1990 habe hinsichtlich der Alterbfälle, in denen eine Übertragung des Bodenreformeigentums auf einen Erben nach den Vorschriften des Bodenreform- und Besitzwechselrechts vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes nicht mehr erfolgt sei, eine verdeckte Regelungslücke aufgewiesen, die Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB, durch den im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Grenzen des Eigentums bestimmt worden seien, in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geschlossen habe (vgl. BGHZ 140, 223 ≪231 ff.≫). Diese Rechtsprechung ist, wie die beschließende Kammer in mehreren schon vor dem Vorlagebeschluss ergangenen Beschlüssen festgestellt hat, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschlüsse vom 6. Oktober 2000 – 1 BvR 1637/99 –, vom 24. Oktober 2000 – 1 BvR 1643/95 – und vom 25. Oktober 2000 – 1 BvR 2062/99 – ≪ZOV 2000, S. 387≫). Die gegenteilige Auffassung des vorlegenden Gerichts beruht, wie sich auch aus seiner Stellungnahme vom 25. Januar 2001 ergibt, ausschlaggebend darauf, dass es die Annahme des Bundesgerichtshofs nicht teilt, mit dem Gesetz vom 6. März 1990 sei eine verdeckte Regelungslücke entstanden.
Damit befindet sich das Landgericht mit dem Bundesgerichtshof über eine Frage im Streit, über die zu entscheiden nicht in die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts fällt. Bei dem noch von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik beschlossenen Gesetz vom 6. März 1990 handelt es sich um das Gesetz eines im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland anderen Staates. Die Auslegung und Anwendung eines solchen Gesetzes ist wie die Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts eines Rechtsstreits Sache der allgemein zuständigen Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht kann insoweit nur unter besonderen Umständen korrigierend eingreifen. Die Voraussetzungen dafür wären in Fällen der vorliegenden Art nur gegeben, wenn die Würdigung des Rechts der Deutschen Demokratischen Republik hinsichtlich des Vorliegens einer verdeckten Regelungslücke in dem Gesetz vom 6. März 1990 Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot (vgl. BVerfGE 96, 189 ≪203≫) verletzen würde (vgl. BVerfGE 97, 89 ≪99≫; BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 2000 – 1 BvR 1637/99 –, Umdruck S. 8 f.). Das hat die Kammer in den oben genannten Beschlüssen vom 6., 24. und 25. Oktober 2000 verneint.
Vor diesem Hintergrund ist für eine nochmalige Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit der Vorlagefrage kein Raum. Entgegen der in der genannten Stellungnahme vertretenen Auffassung des vorlegenden Gerichts ist es keine verfassungsrechtliche Frage, ob das Volkskammergesetz vom 6. März 1990 eine verdeckte Regelungslücke enthält. Ob ein gesetzliches Regelungswerk lückenhaft ist, ist durch Auslegung des jeweiligen Regelungswerks zu ermitteln. Handelt es sich bei diesem um ein solches eines anderen Staates, gilt die Auslegung einer Rechtsordnung, die nicht den Rang innerstaatlichen Verfassungsrechts haben kann. Auch die Auslegungsfrage selbst hat deshalb nicht verfassungsrechtlichen Charakter. Sie zu entscheiden, obliegt deshalb den jeweils zuständigen allgemeinen Gerichten. Dies gilt auch dann, wenn diese innerhalb desselben Rechtszugs zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen kommen. Insoweit bestehende Meinungsverschiedenheiten sind nach der unter II 1 angeführten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 567584 |
VIZ 2001, 311 |