Entscheidungsstichwort (Thema)
Wettbewerbsmäßige Zulässigkeit von Werbung
Beteiligte
Rechtsanwalt Dr. Eisenhart v. Loeper |
Rechtsanwälte Norbert Knebl und Koll. |
Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 19.09.1996; Aktenzeichen I ZR 12/96) |
OLG München (Urteil vom 05.07.1990; Aktenzeichen 6 U 1623/90) |
LG Kempten (Urteil vom 30.11.1989; Aktenzeichen HKO 1932/89) |
Tenor
1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Das Urteil des Landgerichts Kempten vom 30. November 1989 – HKO 1932/89 – und das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 5. Juli 1990 – 6 U 1623/90 – verletzen den Beschwerdeführer zu 1 in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Das Urteil des Oberlandesgerichts München wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer zu 1 die notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19. September 1996 – I ZR 12/96 – verletzt die Beschwerdeführerin zu 2 in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin zu 2 die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Werbung.
I.
Verfahren 1 BvR 952/90
Der Beschwerdeführer zu 1 vertrieb seit den 60er Jahren in einem Einzelhandelsgeschäft Bekleidung aus synthetischem Pelzmaterial. In seiner Kollektion führte er keine Stücke, die aus Naturpelzen oder -fellen hergestellt waren. Seine Firma signierte mit dem Zusatz „Tierfreundliche Mode”.
Vor seinen Geschäftsräumen legte er Prospekte aus, mit denen er die von ihm angebotenen Produkte bewarb. In diesen Prospekten sowie in einem beigefügten Flugblatt sprach er seine Kunden als Tierliebhaber an. Er bezeichnete die Käufer synthetischer Pelze als Menschen mit Verstand, Herzensbildung und Moral. In mehrfachem Zusammenhang und unter Beifügung von Kundenzuschriften ging er auf die Tötung und die Leiden von Tieren in der Intensivzucht sowie in der Forschung und in der Herstellung von Bekleidungsartikeln ein.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens sah hierin einen Verstoß gegen § 1 UWG und nahm den Beschwerdeführer zu 1 auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht gab der Klage auf der Grundlage des § 1 UWG im Wesentlichen statt. Das Oberlandesgericht München wies die Berufung zurück. Es sah die Voraussetzungen einer sittenwidrigen gefühlsbetonten Werbung und eines das Sachlichkeitsgebot missachtenden Warenartenvergleichs als gegeben an.
Mit der fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer zu 1 eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Bundesgerichtshof, das Bundeskartellamt, das Bayerische Staatsministerium der Justiz, der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels und der Kläger des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
II.
Verfahren 1 BvR 2151/96
Die Beschwerdeführerin zu 2 ist ein Augenoptik-Filialunternehmen. Ihr Vorstand ist Vorstandsmitglied der „Aktionsgemeinschaft A… e.V.” (A…). In der „S. Zeitung” vom 3. Juni 1994 ließ die Beschwerdeführerin zu 2 eine 23 × 23 cm große Anzeige veröffentlichen, in der sie für Sonnenschutzgläser warb. Auf der linken Seite zeigt die Anzeige das Bild eines Papageien. Im unteren Teil der Abbildung ist das Emblem der A… aufgebracht. Das Innere des Emblems gibt die Umrisse einer Meeresschildkröte, die Worte „Aktionsgemeinschaft A…” und die in Zierbuchstaben geformte Abkürzung „A…” wieder. Am äußeren Rand des Emblems befindet sich der umlaufende Text: „B… unterstützt die Aktionsgemeinschaft A… e.V.”.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens verlangte von der Beschwerdeführerin zu 2, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in zu Wettbewerbszwecken aufgegebenen Zeitungsanzeigen und/oder sonstigen Werbeträgern das Emblem der A… mit der Aufschrift „B… unterstützt die Aktionsgemeinschaft A… e.V.” anzubringen. Die hierauf gerichtete Klage hatte vor dem Landgericht Erfolg. Das Oberlandesgericht wies die Berufung zurück. Es sah die Voraussetzungen einer sittenwidrigen gefühlsbetonten Werbung als gegeben an.
Der Bundesgerichtshof hat gemäß Beschluss vom 19. September 1996 die Revision der Beschwerdeführerin zu 2 nicht angenommen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung und die Revision im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg habe.
Mit der fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin zu 2 eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, die Verbraucherzentrale Bundesverband, die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs und das Bundeskartellamt Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerden haben Erfolg.
I.
Die Voraussetzungen einer stattgebenden Kammerentscheidung sind gegeben (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 12. Dezember 2000 (BVerfGE 102, 347 – Benetton-Werbung) eine Grundsatzentscheidung zur Bedeutung des Grundrechts auf Meinungs- und Pressefreiheit im Wettbewerbsrecht getroffen. Damit sind die vorliegend maßgeblichen Fragen im Wesentlichen geklärt. Nach den in dieser Entscheidung niedergelegten Grundsätzen sind die Verfassungsbeschwerden offensichtlich begründet.
II.
Die angegriffenen Urteile verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. In dem Urteil vom 12. Dezember 2000 und dem darauf aufbauenden Beschluss der Kammer vom 1. August 2001 (NJW 2001, S. 3403, „Therapeutische Äquivalenz”) ist zur Bedeutung der Tragweite dieses Grundrechts für den Inhalt von Werbeaussagen eingehend Stellung genommen worden. Diese Erwägungen sind auch für die hier ergehende Entscheidung maßgeblich, so dass auf sie Bezug genommen wird. Für die nunmehr zu beurteilenden Fälle gilt ergänzend Folgendes.
1. Die Ausgangsgerichte haben Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt.
a) Die in der Werbung der Beschwerdeführer enthaltenen Äußerungen sind im Rechtssinne Meinungen und fallen daher in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 1 BvR 952/90 behandelt in seinen Werbematerialien Fragen des ihm besonders angelegenen Tierschutzes und wirbt für seine Grundüberzeugung zu diesem Fragenkreis. Auch soweit die streitgegenständlichen Werbematerialien sich unter Berufung auf ethische Anschauungen gegen Naturpelzbekleidung und für synthetische Pelze aussprechen, leisten sie einen meinungsbildenden Beitrag. Die im Zusammenhang hiermit veröffentlichten Kundenzuschriften erscheinen im Kontext ebenfalls als eine Bestätigung der vom Beschwerdeführer vertretenen wertenden Auffassung.
In dem Verfahren 1 BvR 2151/96 thematisiert die Beschwerdeführerin im Zusammenhang der Werbung für Brillen mit dem Emblem der A… und dem im umlaufenden Text enthaltenen Hinweis auf deren Unterstützung den ihr angelegenen Artenschutz. Sie nimmt wertend Stellung und gibt zugleich ihr Engagement in diesem Bereich kund.
b) Die Freiheit der Meinungsäußerung ist durch die allgemeinen Gesetze beschränkt (Art. 5 Abs. 2 GG). Zu diesen zählt auch § 1 UWG. Bei seiner Auslegung und Anwendung haben die Gerichte die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht hinreichend beachtet.
aa) Schutzgut des § 1 UWG ist nach der fachrichterlichen Rechtsprechung insbesondere der Leistungswettbewerb. Missbilligt werden durch die Norm im Interesse des Schutzes der Wettbewerber und der sonstigen Marktbeteiligten, allen voran der Verbraucher, Verhaltensweisen, welche die Funktionsfähigkeit des an der Leistung orientierten Wettbewerbs im wettbewerblichen Handeln einzelner Unternehmen oder als Institution stören, so zum Beispiel unlautere Einflussnahmen auf die freie Entschließung der Kunden (vgl. BGHZ 51, 236 ≪242 f.≫; 81, 291 ≪295≫; 82, 375 ≪395 ff.≫; 140, 134 ≪138 f.≫; 144, 255 ≪265≫; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., München 2001, Einl UWG, Rn. 100 ff.). Diese Schutzgutbestimmung durch die Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
bb) Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Interesse des Schutzguts setzt allerdings die Feststellung einer Gefährdung des an der Leistung orientierten Wettbewerbs voraus. Zur Konkretisierung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung Fallgruppen gebildet. Deren Heranziehung ist dann nicht zu beanstanden, wenn gesichert ist, dass Meinungsäußerungen nur auf Grund einer Gefährdung des Leistungswettbewerbs unterbunden werden.
(1) Die Orientierung an Fallgruppen und damit an typischen Situationen der Gefährdung des Schutzguts ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die betreffenden Fallgruppen den miteinander kollidierenden grundrechtlichen Positionen hinreichend Rechnung tragen. Dies kann in abstrakter Weise geschehen. Soweit die Fallgruppe aber auf Prognosen angewiesen ist und auf die Anwendung unbestimmter, insbesondere wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe verweist, ist die Rechtsanwendung nicht eindeutig vorgegeben. Dann sind Feststellungen im konkreten Fall und bei Kollisionen unterschiedlicher Rechtsgüter eine die betroffenen Interessen erfassende Abwägung erforderlich. Dementsprechend ist das Bundesverfassungsgericht im Benetton-Urteil nicht von den Tatbestandselementen der Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung ausgegangen, sondern hat das angegriffene Unterlassungsgebot eigenständig am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bewertet (BVerfGE 102, 347 ≪364 ff.≫).
Wird ein möglicherweise wettbewerbswidriges Verhalten im Sinne von § 1 UWG in einer Meinungsäußerung gesehen, ist die Meinungsfreiheit bei der Prüfung des Verstoßes gegen die guten Sitten im geschäftlichen Verkehr und der sich daraus ergebenden Gefährdung des Leistungswettbewerbs zu berücksichtigen. Von den Tatbestandselementen der von der Rechtsprechung zu § 1 UWG entwickelten Fallgruppen kann eine aus praktischer Erfahrung gewonnene Indizwirkung für die Sittenwidrigkeit und die Gefährdung des Leistungswettbewerbs ausgehen. Allerdings müssen die Fachgerichte prüfen, ob die Indizwirkung im konkreten Fall auch angesichts der sich daran anschließenden Rechtsfolge, der Einschränkung der Meinungsfreiheit, gegeben ist. Die angegriffene Äußerung muss nach den Umständen des Einzelfalls so schwerwiegend sein, dass eine Gefährdung des Leistungswettbewerbs besteht.
Für Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit der zur Durchsetzung des § 1 UWG dienenden beschränkenden Maßnahme, das heißt hier zur Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit des Unterlassungsgebots, ist erst nach Feststellung der Gefährdung des Schutzgutes Raum. Dafür bieten die vorliegenden Fälle nach dem von den Gerichten ermittelten Sachstand keinen Anlass.
(2) Die Gerichte haben sich auf die Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung und das Oberlandesgericht München in dem Verfahren 1 BvR 952/90 zusätzlich auf die des Warenartenvergleichs bezogen. Ergänzende konkrete Feststellungen zur Gefährdung des Schutzguts sind bei diesen Fallgruppen nicht entbehrlich.
Die Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung beruht auf dem Gedanken, dass Gefühle des Kunden wie Mitleid, Hilfsbereitschaft oder soziale Verantwortung nicht in einer dem Leitbild des Leistungswettbewerbs widersprechenden Weise ausgenutzt werden sollen, die geeignet ist, den Kunden irrezuführen oder unsachlich zu beeinflussen (vgl. Baumbach/Hefermehl, UWG § 1, Rn. 185 ff.). Diese Fallgruppe ist nicht eindeutig eingegrenzt, sondern bei der konkreten Rechtsanwendung in hohem Maße auf wertende Einschätzungen und Prognosen der Folgen einer solchen Werbung angewiesen.
Auch die Anwendung der Rechtsfigur des Warenartenvergleichs setzt Wertungen und Prognosen voraus. Die Bejahung ihrer Voraussetzungen führt nach der Rechtsprechung zwar nicht unmittelbar zu einem Sittenwidrigkeitsurteil, wohl aber, wenn das Gebot sachlicher Auseinandersetzung verletzt ist (vgl. Baumbach/Hefermehl, UWG § 1, Rn. 350, 393 ff.). Insbesondere soll gewährleistet werden, dass der Verbraucher durch sachbezogene Werbung wahrheitsgemäß aufgeklärt und bei ihm kein unrichtiger Gesamteindruck hervorgerufen wird (vgl. BGH, GRUR 1969, S. 283 ≪285≫; NJW-RR 1986, S. 841).
cc) Die Bewertung des von den Klägern jeweils zum Gegenstand der Unterlassungsklage gemachten Verhaltens als Verstoß gegen die guten Sitten im geschäftlichen Verkehr setzt die Deutung des Inhalts der streitigen Werbeaussagen voraus. Diese ist im vorliegenden Fall verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das gilt im Verfahren 1 BvR 952/90 namentlich für die Annahme, die Werbung des Beschwerdeführers appelliere an das Mitgefühl als Kaufmotivation, sie solle dem angesprochenen Tierfreund ein Gefühl moralischer Überlegenheit vermitteln und sei gleichzeitig darauf angelegt, beim Träger echter Pelze Schuldgefühle hervorzurufen.
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Deutung der Werbung im Verfahren 1 BvR 2151/96. Das Oberlandesgericht Stuttgart sieht in dem Gesamtzusammenhang der Darstellung des Emblems, der umlaufenden Schrift und dem Kontext mit der Werbeanzeige eine Anregung, die Aktionsgemeinschaft durch Einkauf bei der Beschwerdeführerin zu unterstützen. Diese Deutung beruht nicht auf einer Verkennung verfassungsrechtlicher Vorgaben. Insbesondere ist die Alternative, dass ohne Bezug zum Warenangebot der Beschwerdeführerin ausschließlich für die Aktionsgemeinschaft geworben werde, erwogen und nachvollziehbar verworfen worden.
dd) Demgegenüber ist Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bei der anschließenden Subsumtion unter § 1 UWG nicht in hinreichender Weise beachtet worden. Die erforderlichen konkreten Feststellungen zur Sittenwidrigkeit und zur Gefährdung des Wettbewerbs fehlen.
(1) Das Oberlandesgericht München subsumiert im Verfahren 1 BvR 952/90 den Sachverhalt unter die Merkmale der genannten Fallgruppen und legt dar, es gebe keinen zwingenden Grund, bei der Bewerbung von Textilien aus synthetischen Fasern auf die Tötung von Tieren und weitere damit einhergehende Umstände hinzuweisen. Damit aber kommt das Gericht zu einer Bewertung der streitigen Werbung als zum Zwecke des Wettbewerbs nicht erforderlich, ohne zuvor eine Beeinträchtigung des gesetzlichen Schutzguts unter Berücksichtigung auch des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dargelegt zu haben.
In ähnlicher Weise geht das Oberlandesgericht Stuttgart im Verfahren 1 BvR 2151/96 vor, indem es ausführt, die Nutzung sozialen Engagements für die Verfolgung geschäftlicher Interessen der Beschwerdeführerin sei für eine Fortführung der Unterstützung der A… nicht notwendig und auch sonst nicht sachlich veranlasst.
(2) In beiden Verfahren unterbleibt die vorrangige, auf den konkreten Fall bezogene Feststellung der Sittenwidrigkeit und einer darauf aufbauenden Gefährdung des Wettbewerbs. So wird nicht deutlich gemacht, auf welche Weise und in welchem Maße die für sittenwidrig erachtete Werbung Gefährdungen für den an der Leistung orientierten Wettbewerb auslöst, obwohl die Marktteilnehmer üblicherweise einer Vielzahl von suggestiven Werbeeinflüssen ausgesetzt sind, ohne dass in diesen eine entsprechende Gefährdung gesehen wird. Ein Großteil heutiger Werbung ist durch das Bestreben gekennzeichnet, durch gefühlsbetonte Motive Aufmerksamkeit zu erregen und Sympathie zu gewinnen (vgl. BVerfGE 102, 347 ≪364≫). Insbesondere in der Imagewerbung, aber auch in der Produktwerbung, ist dies eine weithin geübte Praxis.
Es ist nicht nachvollziehbar dargelegt, warum es im Leistungswettbewerb als unbedenklich gilt, etwa den Glanz gesellschaftlicher Prominenz oder das Versprechen sportlicher Anerkennung als Kaufanreiz für bestimmte Produkte zu nutzen, dass andererseits aber der von dem Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 952/90 angesprochene Appell an das Mitgefühl mit Tieren die Grenzen des Zulässigen überschreitet. Insbesondere ist nicht ausgeführt worden, wodurch der Leistungswettbewerb beeinträchtigt wird, wenn ohne irreführende Angaben für ein Pelzersatzprodukt mit der Aussage geworben wird, der Kauf ermögliche es, auf natürliche Pelze zu verzichten und auf diese Weise die Tötung von Tieren für die Pelzherstellung zu vermeiden, selbst wenn mit der Werbung versucht wird, den Käufern ein Gefühl moralischer Überlegenheit zu vermitteln und bei den Käufern natürlicher Pelze Schuldgefühle entstehen zu lassen.
Im Verfahren 1 BvR 2151/96 gibt es ebenfalls keine Ausführungen über die konkrete Gefährdung des Schutzguts. Entgegen den Darlegungen des Oberlandesgerichts Stuttgart genügt es zum Beleg einer Gefährdung des Leistungswettbewerbs nicht, dass die Werbung bei Interessenten Motive des sozialen Engagements anspricht, wenn dies ohne Irreführung geschieht, so dass der Kaufinteressent frei entscheiden kann, ob er sich durch dieses Motiv zum Kauf anregen lassen will. Den Bürgern steht es gemäß Art. 2 Abs. 1 GG frei, auf Grund welcher Motive sie am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilhaben. Dementsprechend ist es begründungsbedürftig, Werbung als sittenwidrig einzuordnen, wenn die Anbieter der Leistungen sich nicht nur auf Angaben zu Preis und Qualität beziehen, sondern durch weitere Informationen zum Kauf motivieren wollen. Insofern reicht auch nicht die Feststellung, dass die streitige Werbung vom Verbraucher als anstößig empfunden werde, ohne diese Aussage auf Anhaltspunkte einer dadurch bewirkten tatsächlichen Gefährdung des Leistungswettbewerbs aufzubauen. Die Annahme des Oberlandesgerichts Stuttgart, in der Ansprache der Verbraucher liege eine Ausnutzung des bei einem nicht unerheblichen Teil von ihnen vorhandenen sozialen Engagements oder Gewissens zugunsten der unternehmerischen Interessen der Beschwerdeführerin und es finde eine Umleitung der Unterstützung der A… auf die Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin statt, verweist auf höchstrichterlich entschiedene Anwendungsbeispiele der gefühlsbetonten Werbung, ohne dass ausgeführt wird, worin die Gefährdung des Leistungswettbewerbs konkret liegt.
Da entsprechende Feststellungen zur Gefährdung des Leistungswettbewerbs fehlen, die so gewichtig sind, dass sie eine Einschränkung der Meinungsfreiheit rechtfertigen, wird das Grundrecht von den Ausgangsgerichten nicht in dem gebotenen Maße in die Erwägungen einbezogen.
(3) Auch der Hinweis beider Oberlandesgerichte, die Beschwerdeführer könnten sich außerhalb des Wettbewerbs für ihre Anliegen einsetzen, zeigt, dass die Bedeutung des Grundrechts nicht richtig erfasst worden ist. Da zur Meinungsfreiheit das Recht gehört, den Kontext einer Äußerung frei zu wählen, hätte dargelegt werden müssen, dass dieses Recht bei Wirtschaftswerbung gerade mit Rücksicht auf den hier zu beurteilenden Wettbewerb beschränkt ist.
(4) Auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß des Oberlandesgerichts Stuttgart beruht auch die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Denn es besteht die Möglichkeit, dass der Bundesgerichtshof sich von den gleichen Erwägungen hat leiten lassen wie das Oberlandesgericht, und dass bei Beachtung der dargestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben eine anderweitige Sachentscheidung nicht auszuschließen ist. Zu einer anderweitigen Annahme gibt der nicht mit einer näheren Begründung versehene Nichtannahmebeschluss keinen Anlass.
ee) Mangels einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der von der streitigen Werbung ausgehenden Gefährdung und damit der Beeinträchtigung des Schutzguts von § 1 UWG haben die Ausgangsgerichte Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG für die Lösung der vorliegenden Fälle verkannt. Den Entscheidungsgründen der angegriffenen Urteile ist nicht zu entnehmen, dass die maßgeblichen Überlegungen zum Schutz der Meinungsfreiheit auch nur inzidenter in die Urteilsfindung eingeflossen wären. Daher kann eine Feststellung, derzufolge die Fachgerichte bei Beachtung der dargelegten verfassungsrechtlichen Erwägungen im gleichen Sinne entschieden hätten, nicht getroffen werden.
2. Da eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG festzustellen ist, braucht die Kammer auf die weiteren von den Beschwerdeführern gerügten Grundrechtsverstöße nicht näher einzugehen.
III.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist festzustellen, dass die angegriffenen Urteile die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen.
1. Nach § 95 Abs. 2 BVerfGG ist in der Sache 1 BvR 952/90 die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufzuheben. Die Zurückverweisung an dieses Gericht wird den Erfordernissen des zu beurteilenden Falles gerecht. Er kann in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht umfassend vom Oberlandesgericht geprüft werden.
2. In dem Verfahren 1 BvR 2151/96 wird die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.
IV.
Gemäß § 34 a Abs. 2 BVerfGG sind die notwendigen Auslagen dem Beschwerdeführer zu 1 vom Freistaat Bayern und der Beschwerdeführerin zu 2 von der Bundesrepublik Deutschland zu erstatten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 707091 |
GRUR 2002, 455 |
GuT 2002, 62 |
JURAtelegramm 2002, 153 |