Verfahrensgang
LG Paderborn (Beschluss vom 16.11.2012; Aktenzeichen 5 T 324/12) |
LG Paderborn (Beschluss vom 29.10.2012; Aktenzeichen 5 T 324/12) |
AG Paderborn (Beschluss vom 24.07.2012; Aktenzeichen 014 K 156/11) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Paderborn vom 29. Oktober 2012 und vom 16. November 2012 – 5 T 324/12 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Paderborn zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer zwei Drittel der notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000,00 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Erteilung des Zuschlags in einem Zwangsversteigerungsverfahren (Ausgangsverfahren). Mit dem Ziel, diese rückgängig zu machen, greift der Beschwerdeführer – bis zur Verkündung des Zuschlagsbeschlusses am 24. Juli 2012 Eigentümer des versteigerten Grundbesitzes – die im Rubrum näher bezeichneten Gerichtsbeschlüsse an.
Entscheidungsgründe
II.
1. Im Ausgangsverfahren erstattete auf (Beweis-)Beschluss des Amtsgerichts vom 30. August 2008 die Amtsärztin und Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. (im Folgenden: Sachverständige) unter dem 18. September 2012 ein nervenfachärztliches Gutachten über den Beschwerdeführer. Darin heißt es unter anderem:
Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer suizidgefährdet ist, wie hoch gegebenenfalls der Grad der Gefährdung ist und woraus diese resultiert: „Im Falle einer Zwangsräumung gehe ich bei Herrn S. tatsächlich von einer Suizidgefährdung aus”.
Auf die Frage, ob die Gefährdung, falls das anhängige Zwangsversteigerungsverfahren und der darin ergangene Zuschlagsbeschluss für eine Suizidalität (mit-)ursächlich sind, darauf beruht, dass der Schuldner durch den Zuschlag das Eigentum an dem Hausgrundstück verloren hat und/oder darauf, dass der neue Eigentümer die Räumungsvollstreckung gegen den Schuldner im Versteigerungsobjekt durchführen könnte: „Das anhängige Zwangsversteigerungsverfahren ist zumindest erheblich mit verursachend für die Suizidalität, ein geringerer Teil liegt in anderen Konflikten und in seiner Persönlichkeit begründet. Eine akute Gefährdung wird erst eintreten, wenn tatsächlich die Zwangsräumung ansteht und wenn alle anderen Möglichkeiten, die Herr S. für sich zumindest theoretisch noch sieht, gescheitert sind. Bis dahin halte ich ihn nicht für suizidgefährdet”.
Auf die Fragen, ob einer Suizidgefahr auch durch andere Maßnahmen als die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens wirksam begegnet werden kann, und – falls einer Suizidgefahr nur auf diese Weise wirksam begegnet werden kann – wie lange ambulante beziehungsweise stationäre Maßnahmen dauern würden, bis eine Abwendung der Suizidgefahr erreicht ist: „Da Herr S. sich noch aktuell in Behandlung befindet, ein Medikamentenwechsel erfolgte und eine gesprächstherapeutische Bearbeitung des Problems zurzeit nicht erfolgt ist, sehe ich hier ärztlicherseits durchaus Handlungsbedarf: Intensivierung der ambulanten Behandlung inklusive der Medikamentenumstellung, gegebenenfalls eine stationäre Therapie, dies sollte vom behandelnden Arzt entschieden werden.
Mit diesen Maßnahmen kann erreicht werden, dass es Herrn S. gelingt, sich mit dem drohenden endgültigen Verlust des Hauses auseinanderzusetzen, und [er] damit nicht mit Suizid reagiert, sondern adäquate Lösungsstrategien entwickelt. Im Moment ist er krankheitsbedingt dazu noch nicht in der Lage. Insofern ist aus ärztlicher Sicht tatsächlich die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses die einzige Möglichkeit, um die erforderliche Zeit zu gewinnen. Ich veranschlage einen Zeitraum von maximal 3 Monaten, weil zurzeit noch davon ausgegangen werden kann, dass es Herrn S. mit entsprechender Hilfe gelingt, die aktuelle Krise zu überwinden und sich der Realität zu stellen. Sollte es nach diesem Zeitraum nicht gelungen sein, müssen andere Optionen geprüft werden”.
2. Das Amtsgericht verstand in seinem Beschluss vom 25. September 2012 über die Nichtabhilfe der gegen den Zuschlagsbeschluss gerichteten sofortigen Beschwerde die Ausführungen der Sachverständigen dahingehend, dass eine akute Gefährdung erst dann bestehe, wenn tatsächlich die Zwangsräumung anstehe und alle anderen Möglichkeiten gescheitert seien. Der Eigentumsverlust durch den Zuschlag sei hier nicht maßgeblicher Grund für die Suizidgefahr des Schuldners. Die Frage, ob ihm bei einer eventuellen Zwangsräumung im Rahmen des § 765a ZPO für einen gewissen Zeitraum (zum Beispiel für drei Monate) Räumungsschutz zu gewähren sei, sei für das hiesige Verfahren nicht maßgeblich.
Mit einem an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatz vom 1. Oktober 2012 brachte der Beschwerdeführer zum Ausdruck, dass er es nicht für richtig halte, das Gutachten der Sachverständigen so zu verstehen, wie es das Amtsgericht getan habe. Die Gefährdung werde nicht erst durch die drohende Zwangsräumung hervorgerufen. Zur Begründung seiner Auffassung nahm er im Wesentlichen auf die Ausführungen der Sachverständigen Bezug, nach welchen das anhängige Zwangsversteigerungsverfahren für die Suizidalität zumindest erheblich mitverursachend und die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses die einzige Möglichkeit sei, um die erforderliche Zeit von maximal drei Monaten zu gewinnen, damit mit einer Therapie, wie sie jetzt stattfinde, erreicht werden könne, dass er nicht mit Suizid auf den endgültigen Verlust des Hauses reagiere, sondern adäquate Lösungsstrategien entwickele. Es gelte, durch die Aufhebung des Zuschlags und die Einstellung des Verfahrens die Suizidalität, also die Suizidgefährdung, die zumindest latent vorhanden sei, zu beseitigen. Akut im Sinne von unmittelbar bevorstehend müsse sie nicht sein. Relevant im Sinne des § 765a ZPO sei vielmehr bereits eine Konstellation, in der eine persönliche Disposition des Schuldners bei Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens den Freitod als eine aus sachverständiger Sicht logische Konsequenz erscheinen lasse und sich damit als möglicherweise nicht einzige, aber als wesentliche Mitursache darstelle. Diese Voraussetzungen seien nach dem vorliegenden Gutachten gegeben. Da die Sachverständige dies so sehe, komme sie zu dem Ergebnis, dass Maßnahmen zur Verminderung oder Verhinderung der Suizidgefahr aus ärztlicher Sicht die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses als einzige Möglichkeit voraussetzten, um die erforderliche Zeit zu gewinnen. Vorsorglich stelle er den Antrag, gemäß § 411 Abs. 3 ZPO das Erscheinen der Sachverständigen zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens anzuordnen.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 29. Oktober 2012 bestätigte das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts und begründete die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde gegen die Zuschlagserteilung unter anderem wie folgt: Ein Zuschlagsbeschluss könne im Beschwerdeweg über die in § 100 ZVG aufgeführten Fälle hinaus dann aufgehoben werden, wenn aufgrund des Beschlusses eine konkrete Suizidgefahr beim Schuldner oder einem Angehörigen bestehe. Dies beruhe auf dem grundrechtlich gewährten Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Gehe die Lebensgefahr nicht von dem mit der Zuschlagserteilung verbundenen Eigentumsverlust aus, sondern nur von der nach dem Zuschlag drohenden Zwangsräumung, dürfe der Zuschlag nicht versagt werden. Danach sei der Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts aufrechtzuerhalten. Die Sachverständige habe ausgeführt, dass von einer akuten Suizidgefährdung erst auszugehen sei, wenn eine Zwangsräumung tatsächlich anstehe und alle anderen Möglichkeiten, die der Schuldner für sich theoretisch noch sehe, gescheitert seien. Bis dahin schätze die Sachverständige den Schuldner nicht als suizidgefährdet ein.
Soweit sachverständigerseits im Rahmen des Gutachtens ausgeführt werde, „aus ärztlicher Sicht” sei „die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses die einzige Möglichkeit, um die erforderliche Zeit”, die sie mit drei Monaten bemesse, zu gewinnen, handele es sich nicht um eine Äußerung im Rahmen einer Diagnose, sondern um eine rechtliche Schlussfolgerung. Die Diagnose dahingehend, dass aufgrund des Zuschlagsbeschlusses keine Suizidgefahr beim Schuldner bestehe, habe die Sachverständige zuvor unmissverständlich getroffen. Wenn sie aus ärztlicher Sicht einen Zeitraum von drei Monaten „Ruhe vor dem Vollstreckungsverfahren” als notwendig erachte und daher – juristisch – rate, den Zuschlagsbeschluss aufzuheben, so überschreite dies ihre Kompetenz. Die Entscheidung sei seitens des Gerichts zu treffen.
Auf den mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2012 gestellten (Hilfs-)Antrag des Beschwerdeführers, zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens das Erscheinen der Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO anzuordnen, ging das Landgericht nicht ein.
4. Mit Gehörsrüge vom 14. November 2012 beanstandete der Beschwerdeführer das Übergehen dieses (Hilfs-)Antrages. Mit angegriffenem Beschluss vom 16. November 2012 wies das Landgericht die Gehörsrüge zurück. Der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sei nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden. Die Sachverständige habe die Diagnose, dass aufgrund des Zuschlagsbeschlusses keine Suizidgefahr bestehe, eindeutig und unmissverständlich getroffen. Eine mündliche Anhörung der Sachverständigen halte die Kammer daher nach wie vor nicht für erforderlich.
III.
1. Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Gerichtsbeschlüsse geltend. Zur Begründung seiner Auffassung bringt er im Wesentlichen vor:
Das Landgericht lege die Äußerungen der Sachverständigen dahingehend aus, dass die Lebensgefahr nicht von dem mit der Zuschlagserteilung einhergehenden Eigentumsverlust ausgehe, sondern nur von der nach dem Zuschlag drohenden Zwangsräumung. Diese Auslegung sei willkürlich. Dies vor allen Dingen deshalb, weil die Sachverständige vorgebe, dass die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses die einzige Möglichkeit sei, im Rahmen einer ambulanten Behandlung inklusive der Medikamentenumstellung zu erreichen, dass es ihm gelinge, sich mit dem drohenden endgültigen Verlust des Hauses auseinanderzusetzen, und er nicht mit Suizid reagiere, sondern adäquate Lösungsstrategien entwickele, wozu er zur Zeit krankheitsbedingt nicht in der Lage sei. Dies werte das Landgericht als eine rechtliche Schlussfolgerung, die seitens des Gerichts nicht zu beachten sei, weil die Sachverständige ihre Kompetenz überschreite. Das Landgericht habe jedoch so nicht entscheiden dürfen, sondern hätte unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dem entscheidungserheblichen Punkt weitere Sachaufklärung betreiben müssen, wobei sich angeboten hätte, die Sachverständige zur Erläuterung ihrer Ausführungen anzuhören. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebiete eine ganz besonders gewissenhafte Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO, wenn nach dem Vortrag des Schuldners eine schwerwiegende Gefährdung seines Lebens oder seiner Gesundheit zu besorgen sei. Dem sei das Landgericht nicht nachgekommen.
Darüber hinaus habe er mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2012 und wiederaufgegriffen im Schriftsatz zur Gehörsrüge den Antrag gestellt, gemäß § 411 Abs. 3 ZPO das Erscheinen der Sachverständigen zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens anzuordnen. Damit sei erneut auf die Aufklärungspflicht des Gerichts hingewiesen worden, ohne dass das Gericht ihr nachgekommen sei. Auch die Gehörsrüge sei lediglich mit einer sehr kurzen Entscheidung zurückgewiesen worden.
2. Die am Verfahren vor dem Landgericht Beteiligten und das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Ministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Der Ersteher des Ausgangsverfahrens hält die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts für verfassungsgemäß. Die das Zwangsversteigerungsverfahren betreibende Gläubigerin hat sich ihnen in vollem Umfang angeschlossen.
3. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts vom 29. Oktober 2012 und 16. November 2012 richtet, und gibt ihr insoweit statt. Die Annahme in diesem Umfang ist zur Durchsetzung des verfassungsmäßigen Rechts des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
Die Verfassungsbeschwerde ist im Umfang ihrer Annahme zulässig und in einer die Zuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Die vorgenannten Beschlüsse des Landgerichts verstoßen in entscheidungserheblicher Weise gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in Verfahren nach der Zivilprozessordnung gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 60, 305 ≪310≫; 74, 228 ≪233≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 – 1 BvR 909/94 –, NJW 1998, S. 2273; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 – 1 BvR 2728/10 –, NJW 2012, S. 1346 ≪1347, Rn. 11≫). Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 60, 1 ≪5≫; 67, 39 ≪41≫).
a) Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl. BVerfGE 60, 305 ≪310 f.≫). Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 305 ≪311≫).
b) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 – 1 BvR 909/94 –, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 – 1 BvR 2728/10 –, a.a.O., Rn. 13).
aa) Nach § 402 in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. BGHZ 6, 398 ≪400 f.≫; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986 – VI ZR 15/85 –, NJW-RR 1987, S. 339 ≪340≫ und vom 17. Dezember 1996 – VI ZR 50/96 –, NJW 1997, S. 802 f.). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde (vgl. BGHZ 35, 370 ≪371≫; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.).
bb) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 – 1 BvR 2728/10 –, a.a.O., Rn. 15; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 – VI ZR 234/90 –, NJW 1992, S. 1459 f.).
2. Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe halten die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts, die in einem Zwangsversteigerungsverfahren ergangen sind, in dem sich die Beweisaufnahme nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung richtet (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. November 2011 – 2 BvR 320/11 –, NJW-RR 2012, S. 393 ≪396, Rn. 57≫), nicht stand.
a) Das Landgericht hätte im Beschluss vom 29. Oktober 2012 auf den (Hilfs-)Antrag des Beschwerdeführers eingehen müssen, was es indes nicht tat. Es würdigte vielmehr lediglich das Sachverständigengutachten vom 18. September 2012 unter Berücksichtigung des hierzu vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2012 gehaltenen Vortrags. Das reicht nicht aus, um das Unterbleiben der mündlichen Anhörung zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O.).
Nach der Begründung seines Beschlusses vom 16. November 2012 kam das Landgericht dem (Hilfs-)Antrag auf mündliche Anhörung der Sachverständigen allein deshalb nicht nach, weil diese ihre Diagnose, dass aufgrund des Zuschlagsbeschlusses keine Suizidgefahr beim Beschwerdeführer bestehe, „eindeutig und unmissverständlich getroffen” und es daher eine mündliche Anhörung nicht für erforderlich gehalten habe. Damit stützte es sich allein darauf, dass ihm das Gutachten überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erschien. Auch das ist nicht genügend (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 – 1 BvR 2728/10 –, a.a.O., Rn. 17).
b) Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts beruhen auf dem Rechtsverstoß, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es dem Beschwerdeführer in einer mündlichen Anhörung gelungen wäre, das Gutachten oder dessen Auslegung durch das Gericht in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung des Landgerichts von dessen Richtigkeit zu erschüttern (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 – 1 BvR 2728/10 –, a.a.O., Rn. 21).
3. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts unterliegen infolgedessen der Aufhebung. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG), ohne dass entschieden zu werden braucht, ob die Beschlüsse den Beschwerdeführer in Grundrechten oder weiteren grundrechtsgleichen Rechten verletzen.
V.
Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen den (Zuschlags-)Beschluss des Amtsgerichts vom 24. Juli 2012 gerichtet wird, ist sie nicht zur Entscheidung anzunehmen. Diesbezüglich genügt sie nicht den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
VI.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt mindestens 4.000,00 EUR und, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000,00 EUR. Hier wird der Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Landgerichts stattgegeben. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen Besonderheiten auf, die zu einer Abweichung Anlass geben.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Landau, Kessal-Wulf
Fundstellen