Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit strafprozessualer Rechtsmittelbeschränkungen.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist mit Urteil des Landgerichts Bamberg vom 23. Januar 2008 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Anstiftung zur vorsätzlichen unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Das Landgericht hat daneben die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass vor Antritt der Maßregel drei Jahre und sechs Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vorweg zu vollziehen seien, wobei es ausweislich der Urteilsgründe davon ausging, dass die Therapie auf bis zu 24 Monate zu veranschlagen sei.
2. Mit seiner auf die Anordnung der Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe beschränkten Revision rügte der Beschwerdeführer die Verletzung materiellen Rechts. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB in der seit 20. Juli 2007 geltenden Fassung solle das Gericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sei. Nach Satz 3 sei dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung bereits nach Erledigung der Hälfte der Strafe möglich sei. Das Landgericht habe sich demgegenüber am Zwei-Drittel-Zeitpunkt orientiert. Richtigerweise habe das Landgericht einen Vorwegvollzug von nur einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe anordnen müssen.
3. Der Generalbundesanwalt schloss sich der Auffassung des Beschwerdeführers an und beantragte unter dem 20. März 2008, das Urteil des Landgerichts gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Reihenfolge der Vollstreckung dahin zu ändern, dass die Vollziehung von einem Jahr und vier Monaten der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Entziehungsanstalt angeordnet werde.
4. Mit Beschluss vom 15. April 2008 hob der Bundesgerichtshof das Urteil im Maßregelausspruch auf und ordnete den Wegfall der Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Entziehungsanstalt an. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs sei unwirksam. Die Frage des Vorwegvollzugs könne nicht losgelöst von der Frage der Anordnung der Maßregel beurteilt werden, da die Dauer des Vollzugs auch von der Einschätzung der Behandlungsbedürftigkeit abhänge. Deswegen erfasse das Rechtsmittel den gesamten Maßregelausspruch. Die Unterbringungsanordnung könne nicht bestehen bleiben. Die sachverständig beratene Strafkammer habe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB in den Urteilsgründen nicht darzulegen vermocht. Der Senat könne ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen könnten.
II.
Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG.
Im Hinblick auf das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 64 StGB habe der Bundesgerichtshof unzulässigerweise die Wertung des Tatgerichts durch eine eigene Wertung ersetzt. Bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Unterbringung wäre in jedem Fall eine Zurückverweisung zur erneuten tatrichterlichen Entscheidung erforderlich gewesen.
Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung über den Vorwegvollzug der Strafe sei zulässig gewesen und habe zur Rechtskraft des Urteils geführt, soweit es nicht angefochten gewesen sei. Wenn der Bundesgerichtshof aber die Rechtsmittelbeschränkung auf die Anordnung der Dauer des Vorwegvollzugs für unwirksam gehalten habe, hätte dies die Verwerfung der Revision als unzulässig zur Folge haben müssen.
Das strafprozessuale Verschlechterungsverbot, welches auch Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips sei, habe dem Wegfall der Unterbringung entgegengestanden. Die Anwendung der Maßregel als solche sei ausdrücklich von dem Rechtsmittelangriff ausgenommen worden. Die durch den Revisionsbeschluss eingetretene Rechtsfolge – also die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Unterbringung in der Entziehungsanstalt – beeinträchtige den Beschwerdeführer in einem höheren Maße als die Anordnung heilender Maßnahmen. Nach Art. 19 Abs. 4 GG solle jedoch der Angeklagte, der lediglich zu seinen Gunsten ein Rechtsmittel einlege, nicht befürchten müssen, dadurch eine Verschlechterung zu erleiden.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der Generalbundesanwalt und der Präsident des Bundesgerichtshofs geäußert; das Bundesministerium der Justiz hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Der Generalbundesanwalt hält die Verfassungsbeschwerde für insgesamt nicht erfolgversprechend. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 3. und des 4. Strafsenats übersandt, die auf Senatsbeschlüsse zur Frage der Rechtsmittelbeschränkung auf den Vorwegvollzug verweisen.
IV.
Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts repliziert und sein Vorbringen vertieft. Im gleichen Schriftsatz hat er beantragt, gemäß § 32 BVerfGG einstweilig anzuordnen, dass der Beschwerdeführer umgehend in den Maßregelvollzug zu verlegen sei.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫; 96, 245 ≪248 ff.≫). Die mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vorgebrachten Rügen sind jedenfalls unbegründet.
I.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verstößt nicht gegen das Verbot willkürlicher Rechtsanwendung nach Art. 3 Abs. 1 GG, auf das sich der Beschwerdeführer in der Sache (auch) beruft.
1. Der Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür ist nicht schon bei fehlerhafter Rechtsanwendung verletzt, sondern erst dann, wenn die Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 75, 329 ≪347≫; 80, 48 ≪51≫; 83, 82 ≪84≫; 86, 59 ≪63≫; 87, 273 ≪278 f.≫; 89, 1 ≪13≫; 96, 189 ≪203≫; stRspr). Es muss sich um eine krasse Fehlentscheidung (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪14≫) beziehungsweise um einen besonders schweren Rechtsanwendungsfehler – wie die Nichtberücksichtigung einer offensichtlich einschlägigen Norm oder die krasse Missdeutung des Inhalts einer Norm (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪279≫) – handeln.
2. Gemessen hieran ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Vorwegvollstreckung als unzulässig zu erachten, seine Prüfungsbefugnis auf die Anordnung der Unterbringung dem Grunde nach zu erstrecken, und in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO endgültig über den Wegfall der Maßregel zu entscheiden, nicht zu beanstanden.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die Beschränkung eines Rechtsmittels auf die Frage des Vorwegvollzugs einer Freiheitsstrafe im Falle der gleichzeitigen Verhängung von Maßregeln dann nicht möglich ist, wenn die Maßregel als solche dem Grunde nach keine Aussicht auf Erfolg bietet oder der Erfolg nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zweifelhaft ist, und nach der bei Unwirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung der gesamte Maßregelausspruch als angefochten anzusehen ist (vgl. Beschluss vom 18. Dezember 2007 – 3 StR 516/07 –, Rn. 6 ≪Juris≫), hat die 1. Kammer des Zweiten Senats bereits mit Beschluss vom 31. März 2008 – 2 BvR 590/08 – (NStZ 2008, S. 614) als willkürfrei und verfassungsrechtlich unbedenklich beurteilt. Auch die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist jedenfalls willkürfrei erfolgt; das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB hat der Bundesgerichtshof entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers allein aus rechtlichen Gründen verneint. Ein Verstoß gegen das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius im Revisionsverfahren (vgl. § 344 Abs. 1, § 353 Abs. 1, § 358 Abs. 2 StPO) liegt danach nicht vor.
Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Bundesgerichtshof in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO endgültig durch Beschluss (§ 349 Abs. 2 StPO) über den Wegfall der Maßregel entschieden und das Verfahren nicht an das Landgericht zurückverwiesen hat.
II.
In dem Vorgehen des Bundesgerichtshofs liegt nach alledem auch kein Verstoß gegen das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (vgl. BVerfGK 1, 145 ≪149 f.≫) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG; insbesondere hat der Bundesgerichtshof bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zur Revisionsinstanz nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht, die unerfüllbar oder unzumutbar waren oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen war (vgl. BVerfGE 74, 228 ≪234≫; 77, 275 ≪284≫; 112, 185 ≪208≫).
Fragen ließe sich allenfalls, ob es unter Fairnessgesichtspunkten (vgl. BVerfGE 30, 1 ≪27≫) geboten gewesen wäre, den Beschwerdeführer auf die Rechtsauffassung des Senats vorab hinzuweisen und ihm so die Gelegenheit zu geben, die Aufrechterhaltung seines Rechtsmittels zu überprüfen. Denn nach der Revisionsbegründung war offensichtlich, dass der Beschwerdeführer die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt durch das Landgericht Bamberg als solche als begünstigend empfunden hat und keinesfalls gewillt war, diese mit einem Rechtsmittel zu Fall zu bringen. Das Ziel des Beschwerdeführers bestand nicht in der Vermeidung der Unterbringung, sondern vielmehr darin, so schnell wie möglich aus dem Strafvollzug in die Unterbringung zu wechseln. Die Erreichung dieses Ziels hat der Senat mit seiner Entscheidung, den Maßregelausspruch insgesamt aufzuheben, endgültig vereitelt. Anders als der Revisionsführer des dem Beschluss vom 31. März 2008 (2 BvR 590/08 – NStZ 2008, S. 614) zugrunde liegenden Verfahrens hatte der Beschwerdeführer vorliegend nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht einmal mehr die Chance, sein eigentliches Rechtsschutzziel nach Aufhebung des gesamten Maßregelausspruchs und Zurückverweisung letztlich noch zu verwirklichen. Nachdem auch der Generalbundesanwalt eine Entscheidung im Sinne des Beschwerdeführers beantragt hatte, hätte es danach jedenfalls nicht fern gelegen, dem Revisionsführer durch einen sachdienlichen Hinweis ausdrücklich die Möglichkeit zu eröffnen, seine Revision zurückzunehmen (§ 302 StPO) und so einem von ihm nicht gewollten „Erfolg” seines Rechtsmittels zu entgehen – oder aber die Revision aufrecht zu erhalten und damit bewusst die Verantwortung für die Anfechtung des gesamten Maßregelausspruchs zu übernehmen.
Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Denn wenn und soweit der Beschwerdeführer durch das Unterlassen eines Hinweises in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG verletzt gewesen sein sollte, hätte darin gleichzeitig ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 86, 133 ≪144 f.≫) gelegen. Diesen hätte der Beschwerdeführer mit der Anhörungsrüge nach § 356a StPO – unter den gegebenen Umständen verbunden mit der Rücknahme seines Rechtsmittels – geltend machen können und müssen. Indem er dies unterlassen hat, hat der Beschwerdeführer insoweit den Rechtsweg nicht ordnungsgemäß erschöpft (§ 90 Abs. 2 BVerfGG); er hat auch nicht dargelegt, dass und gegebenenfalls warum ihm ein Vorgehen mit Hilfe der Anhörungsrüge nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
III.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG). Mit der Nichtannahmeentscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
ZAP 2009, 627 |
NJW-Spezial 2009, 120 |