Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 21.08.1997; Aktenzeichen 2 Ss 235/97 – 48/97 III) |
LG Wuppertal (Urteil vom 25.02.1997; Aktenzeichen 24 Ns 5 Js 342/95 – 22/96 IV) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung eines Beweisantrags auf Anhörung eines Sachverständigen zu den Ergebnissen einer auf seinen Wunsch an ihm vorgenommenen polygraphischen Untersuchung.
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Die hiergegen eingelegte Berufung des Beschwerdeführers wurde vom Landgericht verworfen. Einen Beweisantrag des – die Tatvorwürfe nach wie vor bestreitenden – Beschwerdeführers, die Testergebnisse seiner psycho-physiologischen Begutachtung unter Anwendung eines Polygraphen durch Anhörung des Sachverständigen in die (Berufungs-)Hauptverhandlung einzuführen, lehnte das Landgericht wegen Unzulässigkeit der Beweiserhebung ab. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Verfahrensrüge des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet angesehen und seine Revision mit Beschluß vom 21. August 1997 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
II.
Mit seiner fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 3 GG und seines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf ein faires Verfahren. Er wendet sich gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Fachgerichte zur Verwertbarkeit polygraphischer Gutachten; sie sei im Hinblick auf die seit Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 18. August 1981 – 2 BvR 166/81 – ≪Vorprüfungsausschuß≫ (NJW 1982, S. 375) zu verzeichnende Fortentwicklung der Untersuchungstechnik, der in der Literatur vorgetragenen Einwände und der Rechtsprechung zur Verwertbarkeit von Polygraphen-Tests auf anderen Rechtsgebieten zu überdenken. Das Bundesverfassungsgericht habe in diesem Beschluß zwar von einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gesprochen, die Frage der Dispositionsfreiheit des Betroffenen über dieses Recht offengelassen, in einer früheren Entscheidung indessen bejaht. Soweit das Bundesverfassungsgericht eine Einwilligung für unwirksam halte, weil der Beschuldigte in Ansehung der drohenden Sanktion nicht frei wählen könne, werde in der neueren Literatur reklamiert, daß der Polygraphen-Test zuzulassen sei, sofern der Beschuldigte sich – wie hier – außerhalb staatlicher Kontrolle freiwillig durch einen unabhängigen Sachverständigen polygraphisch untersuchen lasse. Der vom Bundesverfassungsgericht konstatierte Willensmangel werde in der von ihm zitierten Kommentarliteratur nicht ernsthaft problematisiert. Die vom Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß zugrunde gelegte Validitätsrate von 90 % werde zwischenzeitlich nicht unwesentlich höher angesetzt. In besonderer Weise überdenkenswert sei der in den Gründen dieses Beschlusses angeführte Gesichtspunkt, wonach das Ergebnis der Befragung mittels eines Polygraphen nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil erlaube, das Gericht aber vor einer Verurteilung aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu der Gewißheit von der Täterschaft des Angeklagten gelangen müsse.
Die neuere Entwicklung der psycho-physiologischen Begutachtung habe sich wesentlich konzentriert auf Verfahren, die den Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs von Kindern zum Gegenstand hätten. In diesen Verfahren stehe häufig Aussage gegen Aussage. Wegen erhöhter Aufklärungs- und Darlegungspflichten des Tatgerichts werde dann regelmäßig – beim kindlichen Zeugen – ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt. Die Balance zwischen der Belastungsaussage einerseits und der Erklärung des Angeklagten andererseits werde dadurch regelmäßig zuungunsten des Angeklagten verschoben. Es bedürfe – zur Wahrung der Chancengleichheit – seitens des Angeklagten eines Äquivalents zum Glaubwürdigkeitsgutachten. Im vorliegenden Fall hätte die Verwertung des Polygraphen-Tests es dem Beschwerdeführer ermöglichen können, mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % zu beweisen, daß seine Aussage, die ihm zur Last gelegte Straftat nicht begangen zu haben, der Wahrheit entspreche. Dies hätte möglicherweise Zweifel an seiner strafrechtlichen Schuld begründet.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist bereits nicht zulässig erhoben worden.
Die Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der einmonatigen Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG nicht nur einzulegen, sondern auch in einer den §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbs., 92 BVerfGG genügenden Weise zu begründen. Dazu gehört nicht nur, daß das angeblich verletzte Recht bezeichnet, sondern auch der seine Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert dargelegt wird (stRspr; vgl. z.B. BVerfGE 28, 17 ≪19≫; 81, 347 ≪355≫). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht; denn der Beschwerdeführer zeigt die Möglichkeit eines Verfassungsverstoßes nicht hinreichend auf.
Der Beschwerdeführer behauptet zwar, in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Dazu genügt jedoch noch nicht die Darlegung, daß der Polygraphen-Test verfassungsrechtlich zulässig ist. Die gegenteilige Auffassung bezweckt gerade den Schutz der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts des Angeklagten. Ginge sie dabei weiter als notwendig, ergäbe sich daraus nicht ohne weiteres eine Grundrechtsverletzung. Eine solche käme erst dann in Betracht, wenn die bezeichneten Grundrechte die Zulassung des Polygraphen-Tests verfassungsrechtlich geböten, der Beschwerdeführer also einen Anspruch auf Zulassung des Tests haben könnte. Dazu fehlt indessen jeder Vortrag.
Auch in bezug auf Art. 103 Abs. 1 GG oder das Recht auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren ist nicht dargetan, daß sich daraus ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Zulassung des Polygraphen-Tests ergeben könne. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Beweismittel (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪274≫; 63, 45 ≪60≫). Der Beschwerdeführer trägt aber auch nicht vor, inwiefern sich ein solcher Anspruch aus dem Gebot rechtsstaatlich fairer Verfahrensgestaltung herleiten lasse. Die Gestaltung des Verfahrens geschieht regelmäßig durch die im Rang unter dem Grundgesetz stehende Verfahrensordnung – hier die Strafprozeßordnung – und in deren Rahmen durch die Fachgerichte. Dabei kann es auch zulässig sein, den Kreis der Beweismittel zu beschränken. Ob ein Beweismittel zulässig ist, ist demnach in erster Linie eine Frage der Auslegung und Anwendung des “einfachen” Verfahrensrechts.
Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, Entscheidungen der Gerichte in jeder Hinsicht auf die Richtigkeit der Interpretation der Gesetze und der Anwendung des Rechts auf den konkreten Fall zu kontrollieren (stRspr; vgl. BVerfGE 11, 343 ≪349≫; 15, 219 ≪221≫; 18, 85 ≪92≫; 19, 166 ≪175≫). Im Verfassungsbeschwerde-Verfahren ist nur zu prüfen, ob das Gericht Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt hat. Ein solcher Verstoß wäre nur dann gegeben, wenn das Gericht durch verfahrensrechtliche Maßnahmen verfassungsmäßige Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt oder bei seiner Entscheidung willkürlich gehandelt oder bei der Auslegung der Gesetze gegen Grundrechtssätze verstoßen oder grundrechtswidrige Gesetze angewandt hätte und die Entscheidung darauf beruhen würde (stRspr; vgl. z.B. BVerfGE 19, 166 ≪175≫). Der Beschwerdeführer hätte deshalb substantiiert vortragen müssen, daß Landgericht und Oberlandesgericht bei der Auslegung und Anwendung des Beweisantragsrechts den Einfluß der Grundrechte gänzlich oder doch grundsätzlich verkannt haben, oder daß die Ablehnung des Beweisantrags und die Zurückweisung der hiergegen gerichteten Verfahrensrüge in der Auslegung und Anwendung des Beweisantragsrechts willkürlich waren.
Der Beschwerdeführer wendet sich im Grunde nur gegen die vom Landgericht in dem Beschluß über die Ablehnung des Beweisantrags und vom Oberlandesgericht in dem Verwerfungsbeschluß zur entsprechenden Verfahrensrüge vertretenen Rechtsauffassung und rügt eine Verletzung des § 136a StPO. Das genügt nicht. Es ist auch nicht erkennbar, daß die angegriffenen Entscheidungen objektiv willkürlich sind oder auf andere Weise spezifisches Verfassungsrecht verletzen. Gegen das Willkürverbot wird nur dann verstoßen, wenn die Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (stRspr; vgl. z.B. BVerfGE 86, 59 ≪63≫). Das ist nach dem eigenen Sachvortrag des Beschwerdeführers nicht der Fall. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, das Landgericht habe den Beweisantrag des Beschwerdeführers wegen Unzulässigkeit der Beweiserhebung (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO) ablehnen dürfen, entspricht danach der Ansicht der Rechtsprechung und verbreiteter Ansicht in der strafprozeßrechtlichen Literatur. Sie ist damit zumindest vertretbar.
Mit der Nichtannahme erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kruis, Winter, Jentsch
Fundstellen
Haufe-Index 1276449 |
NJW 1998, 1938 |
EuGRZ 1998, 351 |
NStZ 1998, 523 |
RDV 1998, 164 |
Streit 1998, 116 |
Kriminalistik 1998, 594 |
Polizei 1998, 239 |