Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnung gegen die Vollziehung eines Bescheids des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen
Beteiligte
Rechtsanwälte Professor Dr. Rüdiger Zuck und Koll. |
Verfahrensgang
OVG Berlin (Zwischenurteil vom 21.07.2000; Aktenzeichen OVG 1 SN 23.00) |
VG Berlin (Zwischenurteil vom 06.03.2000; Aktenzeichen VG 25 A 300.98) |
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Vollziehung eines Bescheids des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen (im Folgenden: Bundesaufsichtsamt) vorläufig auszusetzen, mit dem der Beschwerdeführerin das Betreiben des Einlagengeschäfts nach dem Gesetz über das Kreditwesen in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998 (BGBl I S. 2776; im Folgenden: KWG) untersagt worden ist.
I.
1. Gemäß § 32 KWG bedarf das gewerbsmäßige Betreiben von Bankgeschäften, zu denen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG das dort umschriebene Einlagengeschäft gehört, der Erlaubnis des Bundesaufsichtsamts. Nach § 37 KWG kann dieses die sofortige Einstellung des Geschäftsbetriebs und die Rückabwicklung von Bankgeschäften anordnen, wenn die Geschäfte ohne Erlaubnis betrieben werden. Widerspruch und Anfechtungsklage hiergegen haben nach § 49 KWG keine aufschiebende Wirkung.
Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der eine Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften nicht erteilt worden ist, bietet ein Anlagemodell an, bei dem sich die Anleger an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts beteiligen, die ihrerseits als stille Gesellschafterin an der Beschwerdeführerin beteiligt ist. Nach den dabei abzuschließenden Verträgen nimmt ausschließlich der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beschwerdeführerin die Rechte der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegenüber jedem einzelnen Gesellschafter, die Rechte jedes Gesellschafters gegenüber Dritten und die Rechte der Gesellschafter untereinander wahr und haben die an der Gesellschaft bürgerlichen Rechts Beteiligten keinen Anspruch auf Erhalt von Angaben über die übrigen Gesellschafter. Weiter gibt der Alleingesellschafter der Beschwerdeführerin ein „unwiderrufliches Kaufangebot” ab, wonach er sich verpflichtet, die Beteiligung der Anleger an der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erwerben und für die Auszahlung des Kaufpreises persönlich zu haften. Nach dem Zeichnungsprospekt soll der „garantierte Verkaufserlös” bei einem Verkauf nach drei Jahren 25 %, nach fünf Jahren 45 % und nach zehn Jahren 115 % zusätzlich zur Einlage betragen.
2. Das Bundesaufsichtsamt hat der Beschwerdeführerin Ende November 1998 nach § 37 KWG untersagt, das gewerbsmäßige Einlagengeschäft dadurch zu betreiben, dass sie fremde Gelder auf der Grundlage so genannter stiller Gesellschaftsverträge als Einlagen annimmt. Weiter wird ihr die unverzügliche Abwicklung des Einlagengeschäfts bis zur völligen Rückzahlung sämtlicher Einlagen, die Unterrichtung der Einlagengläubiger hierüber sowie die Berichterstattung über die Abwicklung und die Vorlage entsprechender Nachweise gegenüber dem Bundesaufsichtsamt aufgegeben und die Werbung für Einlagen untersagt. Für den Fall, dass die Beschwerdeführerin den genannten Anordnungen nicht nachkommt, wird ihr unter Anordnung des Sofortvollzugs die Festsetzung von Zwangsgeldern in Höhe von jeweils 50.000 DM angedroht. Die Beschwerdeführerin nehme aufgrund so genannter stiller Beteiligungsverträge Einlagen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG entgegen, ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis zu besitzen.
Über die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage der Beschwerdeführerin hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden. Ihren Antrag auf Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat es zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Beschwerde abgelehnt.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den Sofortvollzug des genannten Bescheids des Bundesaufsichtsamts und die ihn bestätigenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte. Sie rügt die Verletzung ihres Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und von Art. 12 Abs. 1 GG.
II.
1. Zur Begründung ihres weiter gestellten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung trägt die Beschwerdeführerin vor:
Ergehe die Anordnung nicht, werde das Bundesaufsichtsamt seinen Bescheid vollstrecken. Die Beschwerdeführerin würde hierdurch in die Insolvenz getrieben. Bisher seien die Einlagen nur als Betriebsmittel eingesetzt. Die Vollstreckung der Ausgangsverfügung stelle die berufliche Existenz ihres Alleingesellschafters in Frage und träfe nicht zuletzt auch die Anleger hart. Im Hinblick darauf, dass gegenwärtig flüssige Mittel zur Befriedigung der Anleger nicht zur Verfügung stünden, werde durch die Vollstreckung des Ausgangsbescheids erst die Gefahrenlage geschaffen, deren Abwehr dieser angeblich diene. Demgegenüber werde bei Erlass der einstweiligen Anordnung nur der Zustand verlängert, der mit Wissen des Bundesaufsichtsamts seit Anfang 1997 bestehe. Konkrete Nachteile für die Anleger könne man allenfalls annehmen, wenn die Beschwerdeführerin wirklich risikoreiche spekulative Anlagegeschäfte durchführen würde, wovon keine Rede sein könne.
2. Das Bundesaufsichtsamt ist dem Antrag entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
III.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weit tragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei müssen die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Ist dies nicht der Fall, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 94, 334 ≪347 f.≫; 99, 57 ≪66≫; stRspr).
2. Nach diesen Grundsätzen kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben. Die gebotene Folgenabwägung ergibt, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht dringend geboten ist.
a) Allerdings entstehen der Beschwerdeführerin und ihrem Alleingesellschafter beim Unterbleiben einer solchen Anordnung erhebliche Nachteile. Es besteht in diesem Fall die Gefahr, dass durch die zwischenzeitliche Vollziehung des angegriffenen Untersagungsbescheids die wirtschaftliche Existenz der Beschwerdeführerin vernichtet wird. Das betrifft unmittelbar auch deren Alleingesellschafter.
b) Ergeht die einstweilige Anordnung und bleibt die Verfassungsbeschwerde später erfolglos, ergeben sich aber für das gemeine Wohl ebenfalls beträchtliche Nachteile.
Das Bundesaufsichtsamt hat aus der Nichtvorlage der geforderten Jahresabschlüsse vor allem der Jahre 1994 bis 1997 durch die Beschwerdeführerin und aus der Höhe der in Aussicht gestellten Zinsen auf eine Gefährdung der Anleger geschlossen. Es sieht sich in dieser Einschätzung durch die Verwendung der Einlagen als Betriebsmittel und auch dadurch bestätigt, dass nach der vorgelegten Bilanz zum 31. Dezember 1999 ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von über 2,2 Mio DM besteht. Die Beschwerdeführerin hat dem Substantielles nicht entgegengesetzt. Selbst wenn sie wegen des von ihrem Alleingesellschafter namens der Anleger erklärten Rangrücktritts nicht im rechtlichen Sinne als überschuldet anzusehen sein sollte, so hat sie doch gleichwohl nicht behauptet, dass ihr Alleingesellschafter seinen umfangreichen Rückkaufverpflichtungen in Zukunft wird nachkommen können. Damit liegt die Vermögensgefährdung der Anleger auf der Hand. Überdies hat das Bundesaufsichtsamt bei seiner Beurteilung zu Recht auch den Schutz der Anleger bei Neuanlagen in den Blick genommen.
Im Übrigen handelt es sich nach der von den Verwaltungsgerichten im Ausgangsverfahren geteilten Auffassung des Bundesaufsichtsamts bei der Tätigkeit der Beschwerdeführerin um ein erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft. Auf der Grundlage dieser – einer Überprüfung im vorliegenden Eilverfahren nicht zugänglichen – Einschätzung der zuständigen Behörde und der Verwaltungsgerichte spricht einiges dafür, dass die Weiterführung dieses Geschäfts unabhängig von der Untersagungsverfügung den Straftatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG jedenfalls in objektiver Hinsicht erfüllt. Auch unter diesem Gesichtspunkt drohten dem gemeinen Wohl erhebliche Nachteile, wenn die Beschwerdeführerin ihre Geschäfte auf der Grundlage einer einstweiligen Anordnung weiterbetreiben würde.
c) Die Nachteile, mit denen danach bei Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechnen wäre, wiegen schwerer als die Folgen, die eintreten werden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. Dem Antrag kann deshalb nicht stattgegeben werden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565256 |
NJW-RR 2001, 414 |
www.judicialis.de 2000 |