Beteiligte
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 16.04.1999; Aktenzeichen 63 S 351/98) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. April 1999 - 63 S 351/98 – verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Eigenbedarfskündigung.
1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines größeren Mietshauses, in dem er und seine Mutter getrennte Wohnungen besitzen. Im April 1997 kündigte der Beschwerdeführer eine Drei-Zimmer-Wohnung mit der Begründung:
„Ich benötige die Wohnung zum eigenen Bedarf. Meine 89jährige Mutter befindet sich nach einem Unfall am 18.3.97 im Krankenhaus. Die ärztlichen Untersuchungen haben das unangenehme Ergebnis erbracht, daß sie in Zukunft ständiger Pflege bedarf. Ich benötige deshalb die Wohnung im Hause für eine Pflegekraft, die Tag und Nacht für die Mutter zur Verfügung stehen muß.”
Im anschließenden Verfahren der Räumungsklage wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Mutter des Beschwerdeführers – wie der häusliche Sturz gezeigt habe – an erheblichen Gehstörungen leide und schwerpflegebedürftig sei. Sie bedürfe einer mehrstündigen täglichen Pflege (Pflegestufe II). Ein Pflegebedarf rund um die Uhr bestehe nicht. Das Amtsgericht hielt den Wunsch des Beschwerdeführers, eine Pflegekraft für seine Mutter einzustellen, für nachvollziehbar und gab der Räumungsklage statt.
2. Das Landgericht hob im Berufungsverfahren die amtsgerichtliche Entscheidung auf und wies die Räumungsklage als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer habe die Kündigung darauf gestützt, dass er die Wohnung für eine Pflegekraft benötige, die Tag und Nacht zur Verfügung stehen müsse. Diesen Pflegebedarf habe das medizinische Sachverständigengutachten nicht bestätigt. Demnach genüge es, wenn die Mutter des Beschwerdeführers täglich mindestens drei Stunden zu verschiedenen Tageszeiten Hilfe erfahre. Damit sei der im Kündigungsschreiben angegebene Grund der Pflegebedürftigkeit rund um die Uhr nicht erwiesen. Zwar stelle auch die im Sachverständigengutachten festgestellte Pflegebedürftigkeit einen nachvollziehbaren Kündigungsgrund dar. Dies gelte umso mehr, als die vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung geschilderte ambulante Pflege mit täglich wechselndem Personal für ihn und seine Mutter unzumutbar sei. Auf diesen besonderen Lebenssachverhalt habe der Beschwerdeführer jedoch die schriftliche Kündigung nicht gestützt, so dass dieser Kündigungsgrund gemäß § 564 b Abs. 3 BGB im vorliegenden Räumungsprozess nicht zu berücksichtigen sei.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, 2, 14 und 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass die angegriffene Entscheidung des Landgerichts durch übertriebene formale Anforderungen das von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht des Beschwerdeführers zur Eigenbedarfskündigung in unzumutbarer Weise erschwert habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 14 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
1. Es ist in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung geklärt, dass die Vorschrift des § 564 b Abs. 3 BGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist und dass der Vermieter bei einer ordentlichen Kündigung zu einer konkreten Darlegung der Kündigungsgründe verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 85, 219 ≪223 ff.≫). Die Zivilgerichte haben allerdings bei der Auslegung des § 564 b Abs. 3 BGB den Einfluss des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und des damit eng verzahnten Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu beachten. Dieser verbietet es, die Ausübung der eigentumsrechtlich geschützten Rechte durch eine übermäßige Verstärkung der formalen Anforderungen und eine restriktive Auslegung und Handhabung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen in unzumutbarer Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 79, 80 ≪84 f.≫; 85, 219 ≪226≫).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen verstößt die angegriffene Entscheidung gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Denn das Landgericht hat dadurch das Recht des Beschwerdeführers auf Eigenbedarfskündigung in unzumutbarer Weise erschwert, dass es bei der Auslegung des § 564 b Abs. 3 BGB den Kenntnis- und Wissensstand des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Kündigung nicht berücksichtigt und eine nachträgliche Präzisierung des Kündigungsgrundes als unzulässig angesehen hat.
a) Das Landgericht konnte zwar in vertretbarer Weise davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer im Kündigungsschreiben vom April 1997 den Eigenbedarf auf das Erfordernis der Pflege „Tag und Nacht” gestützt hatte. Diese Formulierung war im Wortlaut der Kündigungserklärung enthalten. Ob es nach dem erkennbaren Willen des Beschwerdeführers und den gesamten Umständen näher gelegen hätte, in diesen Worten keine Beschränkung der Kündigung auf den Fall der Tages- und Nachtpflege zu sehen, obliegt nicht der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung. Denn die Auslegung des Kündigungsschreibens im Rahmen des § 564 b Abs. 3 BGB ist eine Frage der Feststellung des Sachverhalts und damit grundsätzlich Aufgabe der dafür allgemein zuständigen Gerichte (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫).
b) Die Schwelle eines Verfassungsverstoßes ist allerdings überschritten, wenn an die Begründung der Eigenbedarfskündigung Anforderungen gestellt werden, die zu einer unzumutbaren Erschwerung der Rechtsverfolgung führen. Zweck der in § 564 b Abs. 3 BGB geforderten Darlegung des Kündigungsgrundes ist es unter anderem, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen, damit er in die Lage versetzt wird, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrnehmung seiner Interessen zu veranlassen (vgl. BTDrucks VI/1549 S. 6 f.). Für dieses Rechtsschutzinteresse des Mieters genügt es, wenn der Vermieter dem Mieter den für die Kündigung wesentlichen Lebenssachverhalt offen legt (vgl. BayObLG, WuM 1981, S. 202 f.).
Von dem Vermieter kann allerdings nur verlangt werden, dass er den Lebenssachverhalt so wiedergibt, wie er sich nach sorgfältiger Prüfung zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung darstellt. Ändert sich der zugrunde liegende Lebenssachverhalt nachträglich geringfügig oder stellt sich eine Tatsachenprognose später in einem für die rechtliche Beurteilung nicht wesentlichen Punkt als unzutreffend heraus, dann führt es zu einer unzumutbaren Erschwerung der Rechtsverfolgung, wenn dem Vermieter allein deswegen die Berufung auf den Kündigungsgrund versagt wird. Denn auf solche nachträglichen Änderungen des Sach- und Erkenntnisstandes hat der Vermieter keinen Einfluss. Umgekehrt besteht der Zweck des § 564 b Abs. 3 BGB auch nicht darin, den Mieter allein deswegen vor einer berechtigten Eigenbedarfskündigung zu bewahren, weil sich die Sachlage in einem für die rechtliche Beurteilung des Eigenbedarfswunsches nicht durchgreifenden Punkt nachträglich anders darstellt.
Demzufolge kann es auch dem Beschwerdeführer nicht zum Nachteil gereichen, wenn er nach dem Unfall seiner Mutter vom 18. März 1997 aufgrund der damals eingeholten ärztlichen Stellungnahmen davon ausgehen durfte, seine Mutter werde künftig einer Betreuung bei Tag und Nacht bedürfen. Ist dies der Fall, dann kann ihm die Berufung auf den pflegebedingten Eigenbedarf nicht allein deswegen versagt werden, weil sich die Betreuungsbedürftigkeit der Mutter nachträglich im Wesentlichen auf die Tagespflege beschränkt. Vielmehr wird ihm die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, auch für diesen Fall den Eigenbedarfswunsch aufrechtzuerhalten. Da auch insofern ein nachvollziehbarer Eigenbedarf bestehen kann, beruht die landgerichtliche Entscheidung auf dem Verfassungsverstoß. Sie ist daher aufzuheben.
3. Da die Berufung auf Art. 14 Abs. 1 GG Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung über die weiteren vom Beschwerdeführer erhobenen Grundrechtsrügen. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 543495 |
NJW-RR 2000, 673 |
NZM 2000, 456 |
WM 2000, 775 |
ZAP 2000, 646 |
ZMR 2000, 434 |
WuM 2000, 232 |
IPuR 2000, 41 |
RdW 2000, 757 |