Verfahrensgang
LSG Berlin (Beschluss vom 20.11.2003; Aktenzeichen L 9 KR 50/03 NZB) |
SG Berlin (Urteil vom 27.02.2003; Aktenzeichen S 85 KR 1396/02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Krankenversicherungsrecht, speziell die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für Zahnersatz.
I.
1. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Zahnersatz ist noch bis 31. Dezember 2004 in § 30 SGB V geregelt. Nach dessen Absatz 1 besteht grundsätzlich ein Anspruch der Versicherten auf die medizinisch notwendige Versorgung mit Zahnersatz. Nach § 30 Abs. 2 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz – GKV-SolG) vom 19. Dezember 1998 (BGBl I S. 3853) müssen die Versicherten jedoch einen Eigenanteil leisten, der sich grundsätzlich auf 50 vom Hundert der relevanten Kosten beläuft. § 30 Abs. 2 Satz 3 bis 5 SGB V sieht unter bestimmten Voraussetzungen die Minderung dieses Eigenanteils vor „Bonusregelung”):
Für eigene Bemühungen zur Gesunderhaltung der Zähne mindert sich der Anteil um 10 Prozentpunkte. Die Minderung entfällt, wenn der Gebisszustand regelmäßige Zahnpflege nicht erkennen lässt und Versicherte während der letzten fünf Jahre vor Beginn der Behandlung
- die Untersuchung nach § 22 Abs. 1 nicht in jedem Kalenderhalbjahr in Anspruch genommen haben und
- sich nach Vollendung des 18. Lebensjahres nicht wenigstens einmal in jedem Kalenderjahr haben zahnärztlich untersuchen lassen.
Der Anteil mindert sich um weitere fünf Prozentpunkte, wenn Versicherte ihre Zähne regelmäßig gepflegt und in den letzten zehn Kalenderjahren vor Beginn der Behandlung die Untersuchungen nach den Nummern 1 und 2 ohne Unterbrechung in Anspruch genommen haben.
2. Der Beschwerdeführer ist gesetzlich krankenversichert. Für eine zahnprothetische Behandlung setzte seine Krankenkasse einen Zuschuss in Höhe von 50 vom Hundert und einen Eigenanteil des Beschwerdeführers in gleicher Höhe fest. Einen zusätzlichen Bonus verneinte sie, da der Beschwerdeführer die vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen nicht nachgewiesen habe; im Jahr 2000 hatte sich der Beschwerdeführer keiner zahnärztlichen Untersuchung unterzogen. Vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit blieb der Beschwerdeführer mit seinem Begehren, von seiner Krankenkasse einen Zuschuss in Höhe von 65 vom Hundert zu erhalten, erfolglos.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer sinngemäß geltend, es sei mit Art. 3 Abs. 1 GG sowie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren, dass kostenbewusstes Verhalten, das der Beschwerdeführer im Verzicht auf die zahnärztliche Untersuchung erblickt, durch einen höheren Eigenanteil bestraft werde. Bei ihm sei ohnehin – auch ohne die gesetzlich vorgesehenen, regelmäßigen Untersuchungen – ein guter Pflegezustand der Zähne erkennbar. Zudem weist der Beschwerdeführer darauf hin, die bei ihm unterbliebene zahnärztliche Untersuchung habe die Notwendigkeit der zahnprothetischen Behandlung nicht beeinflusst.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist – unbeschadet ihrer Zulässigkeit – nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen von § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Verfassungsbeschwerde gibt keinen Anlass zu entscheiden, ob und inwieweit allgemein der Ausschluss von Leistungen und die Begrenzung auf Teilleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungsrechtlich bedenklich sind. Jedenfalls ist es von Grundgesetz wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Höhe der Leistungen für Zahnersatz das Ziel verfolgt, die Versicherten zu regelmäßigen zahnärztlichen Untersuchungen zu bewegen (vgl. Begründung zum Entwurf des Gesundheits-Reformgesetzes, BTDrucks 11/2237, S. 172). Die gesetzliche Regelung soll dazu beitragen, allgemein den Zahngesundheitszustand der Versichertengemeinschaft zu verbessern und dadurch die Kostenbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz in Grenzen zu halten. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Einsparungen, die eine kontinuierliche zahnärztliche Kontrolle mit sich bringt, die für diese Kontrollmaßnahmen notwendig werdenden zusätzlichen Aufwendungen übersteigen würden. Diese Einschätzung ist unter dem Gesichtspunkt der Eignung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie erscheint zumindest vertretbar. Ob die angestrebten wirtschaftlichen Auswirkungen auch tatsächlich eingetreten sind, hat das Bundesverfassungsgericht nicht im Einzelnen nachzuprüfen. Insoweit kommt dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu (vgl. BVerfGE 50, 290 ≪332 ff.≫; 75, 78 ≪100≫; 104, 337 ≪347 f.≫).
2. Es ist im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass das Unterbleiben von zahnärztlichen Untersuchungen dem Versicherten selbst dann zum Nachteil gereicht, wenn im Einzelfall nicht erwiesen ist, dass dadurch eine zahnprothetische Behandlung erforderlich geworden ist. Der Gesetzgeber kann sich insoweit mit einer typisierenden Betrachtungsweise begnügen. Gleiches gilt, soweit dem Beschwerdeführer die Minderung der Eigenbeteiligung auch dann nicht zugute kommt, wenn bei ihm objektiv ein gepflegter, gesunder Zahnbestand festgestellt werden kann. Nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers trägt die intensive zahnärztliche Kontrolle dazu bei, dass krankhafte Veränderungen am Zahnbestand frühzeitig erkannt und deshalb mit noch relativ geringem Aufwand beseitigt werden können. Er verfolgt auf diese Weise mit verhältnismäßigen Mitteln ein gesundheitspolitisch legitimes Ziel.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1262377 |
KrV 2005, 84 |
NZS 2004, 650 |