Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Zwischenurteil vom 05.05.1997; Aktenzeichen 20 W 146/97) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1997 – 20 W 146/97 – verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des rechtlichen Gehörs in einer Notarkostensache.
I.
1. Der Beschwerdeführer, ein Notar, beurkundete eine letztwillige Verfügung einer Erblasserin, die den Wert des Nachlasses zuletzt mit 1 Mio. DM angab. Nach dem Tod der Erblasserin teilte das Nachlassgericht dem Beschwerdeführer mit, dass der Nachlasswert 9.007.200 DM betrage. Daraufhin forderte der Beschwerdeführer eine Gebührennachzahlung in Höhe von 11.286,74 DM.
Die gegen diese Kostenrechnung von den von der Erblasserin eingesetzten Testamentsvollstreckern erhobene Kostenbeschwerde zum Landgericht Wiesbaden, zu deren Begründung sie sich im Wesentlichen auf Verjährung der (Nach-)Forderung beriefen, war erfolgreich. Das Landgericht ließ die weitere Beschwerde wegen fehlender grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage nicht zu. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Beschluss Gegenvorstellung mit dem Hinweis, sein Schriftsatz, in dem er vorgetragen habe, die Testamentsvollstrecker könnten sich nicht auf Verjährung berufen, sei offensichtlich unberücksichtigt geblieben. Das Landgericht teilte dem Beschwerdeführer daraufhin mit, dass es sein Vorbringen zur Verjährung aufgrund eines Versehens des Berichterstatters tatsächlich nicht berücksichtigt habe. Nach Gewährung rechtlichen Gehörs der Gegenseite entschied das Landgericht über die Gegenvorstellung, die es als zulässig, aber unbegründet zurückwies mit der Maßgabe, dass nunmehr die weitere Beschwerde zugelassen wurde.
Die daraufhin vom Beschwerdeführer eingelegte weitere Beschwerde wurde mit dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main als unzulässig verworfen mit der Begründung, dass eine nachträgliche Zulassung des Rechtsmittels in Notarkostensachen grundsätzlich ausgeschlossen sei. Bei der weiteren Beschwerde handele es sich um ein befristetes Rechtsmittel, so dass das Landgericht zu einer Änderung seiner Entscheidung in der Sache nicht befugt gewesen sei.
2. Mit der fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 und des Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG, da ihm dadurch eine Instanz genommen werde. Durch seine Entscheidung manifestiere das Oberlandesgericht den Verstoß des Landgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
3. Die Hessische Staatskanzlei hat Gelegenheit zur Stellungnahme genommen; sie hält die Verfassungsbeschwerde für begründet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt es bei offenkundiger Verletzung rechtlichen Gehörs durch ein Fachgericht von Verfassungs wegen nahe, die Gegenvorstellung zuzulassen (vgl. schon BVerfGE 9, 89 ≪101, 106 f.≫; 55, 1 ≪5≫; 63, 77 ≪78 f.≫; 69, 233 ≪242 f.≫; 70, 180 ≪188 f.≫; 73, 322 ≪326 ff., 329≫; in jüngerer Zeit etwa Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1995 – 2 BvR 2119/94 –, 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1995 – 1 BvR 1822/94 –, 2. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 1999 – 2 BvR 1897/95, 2 BvR 3000/95 –, 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 – 2 BvR 2332/99, 2376/99 –, 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 2000 – 2 BvR 1245/00 –). Demgemäß vertritt auch der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. BGHZ 130, 97 ≪100≫; BGH NJW 2000, 590; NJW 1998, 82; MDR 1997, 590; NJW 1995, 403) die Auffassung, dass ungeachtet ihrer Unabänderlichkeit nach § 318 ZPO die unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ergangenen Beschlüsse keine Bindungswirkung entfalten und auf die Gegenvorstellung hin abgeändert werden können. Derartige, die ursprünglichen Entscheidungen ändernde, Beschlüsse beenden das instanzgerichtliche Verfahren.
Das hat das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung verkannt. Bei der Prüfung, ob seine Zuständigkeit zur Entscheidung über die weitere Beschwerde gegeben ist, insbesondere ob es an die Zulassung der weiteren Beschwerde durch das Landgericht – ausnahmsweise – nicht gebunden ist, hat das Oberlandesgericht zwar zutreffend darauf abgehoben, dass eine spätere, nach bestandskräftigem Abschluss des Verfahrens erfolgende Nachholung der Zulassung des Rechtsmittels grundsätzlich unzulässig ist (vgl. BGH NJW 1981, 2755; Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, Kostenordnung, Kommentar, 14. Aufl. 1999, § 156 Rn. 80 m.w.N.). Um eine solche isolierte nachträgliche Zulassung des Rechtsmittels handelt es sich hier aber offenkundig nicht. Der Beschluss des Landgerichts, der die Zulassung ausspricht, ist nicht nach Erlass der die Instanz beendenden Beschwerdeentscheidung ergangen, sondern stellt gemeinsam mit dem (nur noch) teilweise aufrechterhaltenen vorangegangenen Beschluss des Landgerichts, der auf der mit der Gegenvorstellung gerügten Gehörsverletzung beruhte, die Beschwerdeentscheidung selbst dar. Nach der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs war das Landgericht auch berechtigt, auf die allein auf einen Gehörsverstoß gestützte Gegenvorstellung hin in eine nochmalige Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung des bisher unberücksichtigt gebliebenen Vorbringens des Beschwerdeführers einzutreten und eine neue Beschwerdeentscheidung zu treffen. Dies hat das Oberlandesgericht nicht beachtet und damit seinerseits die überragende Bedeutung des Art. 103 Abs. 1 GG und seine Einwirkung auf das gerichtliche Verfahren, hier insbesondere im Hinblick auf die Aufgabe der Fachgerichte, Gehörsverstöße nach Möglichkeit selbst, ohne in Anspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts zu beseitigen (vgl. BVerfGE 73, 322 ≪327 ff.≫), verkannt.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht bei Berücksichtigung der Befugnis des Landgerichts, seine mit der Gegenvorstellung angegriffene ursprüngliche Entscheidung zur Heilung des Gehörsverstoßes zu ändern, die nunmehr ausgesprochene Zulassung der weiteren Beschwerde als für sich bindend angesehen hätte.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Papier, Haas, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 565245 |
NJW-RR 2001, 860 |