Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheit von Verfassungsrichtern. § 1 Abs. 3 und 5, § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 Satz 1 des baden-württembergischen Gesetzes über öffentliche Spielbanken (Spielbankengesetz – SpBG) vom 23. Februar 1995 (GBl S. 271). Art. 1 des baden-württembergischen Gesetzes zur Änderung des Spielbankengesetzes vom 12. Februar 1996 (GBl S. 127). Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung,Selbstablehnung des Vizepräsidenten Papier
Normenkette
BVerfGG § 19 Abs. 3, § 18 Abs. 3; SpielbkG BW; SpielbkGÄndG BW
Beteiligte
Rechtsanwälte Professor Dr. Rüdiger Zuck und Koll. |
Tenor
Die Selbstablehnung des Vizepräsidenten Papier wird für begründet erklärt.
Tatbestand
I.
1. Die Beschwerdeführerinnen zu 1 und 2 betreiben auf der Grundlage entsprechender Erlaubnisse, die bis 31. Dezember 2000 befristet sind, Spielbanken in B. und K. Die Beschwerdeführer zu 3 bis 11 sind mit Ausnahme des Beschwerdeführers zu 4, dessen Anteile inzwischen vom Beschwerdeführer zu 9 übernommen worden sind, Kommanditisten der Beschwerdeführerinnen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen die im Rubrum genannten Vorschriften des baden-württembergischen Spielbankenrechts, die den Betrieb von Spielbanken in Baden-Württemberg durch Private nach Ablauf der derzeitigen Geltungsdauer der für die Spielbanken B. und K. erteilten Spielbankerlaubnisse ganz oder teilweise ausschließen. Sie rügen die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 sowie Art. 14 Abs. 1 und 3 GG.
2. Vizepräsident Papier hat den Senat gebeten, ihn gemäß § 19 Abs. 3 BVerfGG von einer Mitwirkung an der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zu entbinden.
Die Beschwerdeführer stützten ihre Argumentation zur Begründung der Verfassungsbeschwerde maßgeblich auf ein von ihm im Dezember 1995 vorgelegtes Rechtsgutachten mit dem Titel „Staatliche Monopole und Konkurrenzwirtschaft im Spielbankenwesen – Verfassungsrechtliche Beurteilung”. Dieses Gutachten, das in wesentlichen Teilen unter dem Titel „Staatliche Monopole und Berufsfreiheit – dargestellt am Beispiel der Spielbanken” als Beitrag in der Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag (Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, herausgegeben von Joachim Burmeister, 1997, S. 543 ff.) erschienen sei, sei im Auftrag der Beschwerdeführerin zu 1 erstattet worden. Auch wenn der Auftrag für das Rechtsgutachten ergebnisoffen übernommen worden sei und die Erstattung des Gutachtens zeitlich vor der Einleitung des jetzt anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens gelegen habe, sei festzustellen, dass die Beschwerdeführer sich bei der Geltendmachung von Verletzungen ihrer Grundrechte im Wesentlichen auf sein Rechtsgutachten stützten. Dieses Gutachten bilde mithin die zentrale Grundlage der Argumentation der Verfassungsbeschwerdeführer.
Obgleich er mit der Erstattung des Rechtsgutachtens in erster Linie eine wissenschaftliche Stellungnahme zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit staatlicher Monopole auf bestimmten Sektoren abgegeben habe, was im Übrigen auch in der kurze Zeit später erfolgten Veröffentlichung wesentlicher Teile des Gutachtens in einer wissenschaftlichen Festschrift deutlich werde, sei die Nähe seiner Rechtsauffassung und seiner verfassungsrechtlichen Beurteilung zu den von den Beschwerdeführern vertretenen Standpunkten unverkennbar. Er halte es daher für denkbar und nahe liegend, dass von dritter Seite seine Unbefangenheit angezweifelt werde. Um auch nur einem Anschein fehlender Unbefangenheit entgegenzuwirken, würde er seinen Ausschluss von diesem Verfahren befürworten.
3. Die Erklärung von Vizepräsident Papier ist den Beschwerdeführern und der Landesregierung Baden-Württemberg zugestellt worden. Die Beschwerdeführer haben sich dazu nicht geäußert. Für die Landesregierung hat das Innenministerium Baden-Württemberg mitgeteilt, dass die in der Erklärung dargelegten Gründe nachvollziehbar erschienen; von einer Stellungnahme im Einzelnen werde abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Bei der Erklärung des Vizepräsidenten Papier handelt es sich um eine Selbstablehnung im Sinne des § 19 Abs. 3 BVerfGG. Diese Regelung setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis seiner Befangenheit zu treffen (vgl. BVerfGE 95, 189 ≪191≫; 98, 134 ≪137≫). Die Erklärung des Richters lässt erkennen, dass er eine Senatsentscheidung über die Besorgnis seiner Befangenheit für erforderlich hält. Die mitgeteilten Umstände geben dazu auch objektiv Anlass.
2. Die Selbstablehnung ist begründet.
a) Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfGE 98, 134 ≪137≫; stRspr). Wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage können für sich genommen kein Befangenheitsgrund sein. Es muss, wenn es um die Beurteilung solcher Äußerungen geht, etwas Zusätzliches hinzutreten, das über die in § 18 Abs. 3 BVerfGG als unbedenklich bezeichneten Tätigkeiten hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann (vgl. BVerfGE 82, 30 ≪38≫). So können rechtlich erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters aufkommen, wenn dessen wissenschaftliche Tätigkeit die Unterstützung eines am Verfahren Beteiligten bezweckte. Die Sorge, dass der Richter die streitige Rechtsfrage nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, ist dann bei lebensnaher Betrachtungsweise verständlich (vgl. BVerfGE 98, 134 ≪137 f.≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 2/98, 3/98, 1/99 und 2/99 –, NJW 1999, S. 2801).
b) Ein solcher Fall ist hier gegeben. Das von Vizepräsident Papier im Dezember 1995 fertig gestellte Rechtsgutachten ist im Auftrag der Beschwerdeführerin zu 1 zwar vor Einleitung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens, aber zu einem Zeitpunkt erstattet worden, als bereits ernsthaft mit der endgültigen Veränderung der Rechtslage zum Nachteil der Beschwerdeführer zu rechnen war. Die Beschwerdeführerin zu 1 konnte das daraus entnehmen, dass sie vom Innenministerium Baden-Württemberg unter dem 8. November 1995 kurzfristig zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Spielbankengesetzes vom Februar 1995 angehört worden war. Aus der Sicht der Beteiligten liegt unter diesen Umständen die Annahme nahe, dass die Beschwerdeführerin zu 1, die in ihrer Stellungnahme vom 22. November 1995 zu dem Gesetzentwurf ihre Absicht angekündigt hatte, nach eingehender rechtlicher Prüfung die hiergegen zu Gebote stehenden Rechtsmittel zu ergreifen, mit dem Gutachten von Vizepräsident Papier ihr Vorgehen gegen die Verstaatlichung ihres Spielbankenbetriebs unterstützen wollte. Dementsprechend haben die Beschwerdeführer ihre Argumentation zur Begründetheit der Verfassungsbeschwerde auch auf das mit der Beschwerdeschrift vorgelegte Rechtsgutachten gestützt und sich dessen Inhalt in vollem Umfang zu Eigen gemacht.
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass der Auftrag für die Erstattung des Gutachtens nach der Erklärung von Vizepräsident Papier ergebnisoffen übernommen worden ist. Denn aus früheren wissenschaftlichen Äußerungen des beauftragten Gutachters (Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 18 Rn. 39, 43) war für die Beschwerdeführerin zu 1 erkennbar, dass dieser neue staatliche Finanzmonopole als mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und Verwaltungsmonopole nur in seltenen Ausnahmefällen als verfassungsgemäß ansah.
Bei dieser Sachlage, die sich im Wege einer Gesamtschau aller geschilderten Umstände ergibt, liegen Gründe vor, die bei lebensnaher Betrachtungsweise geeignet sind, Besorgnis wegen der Unbefangenheit des Vizepräsidenten Papier zu wecken. Auch der Richter selbst hält es für nachvollziehbar, dass Dritte und damit auch Beteiligte des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen könnten.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
BVerfGE, 122 |
NJW 2000, 2808 |
NJW 2000, 2808 (red. Leitsatz und Gründe) |