Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 18.11.2004; Aktenzeichen 3 Ws 216/04) |
KG Berlin (Beschluss vom 05.08.2004; Aktenzeichen 3 Ws 216/04) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Klageerzwingungsverfahren.
I.
1. Der Beschwerdeführer stellte unter dem 21. August 2001 Strafantrag wegen Entziehung Minderjähriger (§ 235 Abs. 1 StGB) gegen seine Ehefrau, da diese die beiden gemeinsamen Kinder an einen dem Beschwerdeführer unbekannten Ort verbracht habe. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren mit Bescheid vom 15. Februar 2002 ein, da die Ermittlungen nicht genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage böten. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers hiergegen nahm die Staatsanwaltschaft Berlin die Ermittlungen wieder auf, stellte sie aber mit Bescheid vom 6. Juni 2002 erneut ein, da davon auszugehen sei, dass die Beschuldigte nach § 34 StGB gerechtfertigt sei. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Den vom Beschwerdeführer hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Kammergericht durch Beschluss vom 26. November 2003 nach § 174 Abs. 1 StPO als unbegründet. Zur Begründung hieß es unter anderem, es könne dahinstehen, ob der Beschuldigten tatsächlich der Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB zugestanden habe, da sie jedenfalls in der Annahme gehandelt habe, ihr Verhalten sei gerechtfertigt. Dieser Tatbestandsirrtum schließe eine Bestrafung im vorliegenden Falle aus.
2. a) Unter dem 9. Januar 2004 stellte der Beschwerdeführer erneut “Strafanzeige und Strafantrag” wegen des Verdachts der Entziehung Minderjähriger gegen seine Ehefrau. Darin führte er unter anderem aus, es müsse berücksichtigt werden, dass die rechtswidrige Tat andauere, soweit sie seinen jüngeren Sohn betreffe. § 235 StGB stelle ein Dauerdelikt dar, dessen Beendigung erst mit der Aufhebung des rechtswidrigen Zustandes eintrete. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein, da das “Verfahrenshindernis der Doppelverfolgung” bestehe. Der Beschwerdeführer erhob hiergegen wiederum Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin lehnte die Wiederaufnahme von Ermittlungen ab. Der Beschwerdeführer stellte hiergegen einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
b) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 5. August 2004 verwarf das Kammergericht den Antrag als unzulässig. Der frühere Klageerzwingungsantrag des Beschwerdeführers sei durch Beschluss vom 26. November 2003 als unbegründet verworfen worden. Daher könne die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 174 Abs. 2 StPO nur aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufnehmen. Solche neuen Tatsachen oder Beweismittel lägen hier jedoch nicht vor, da der Beschwerdeführer lediglich vorgetragen habe, dass der seinerzeit von der Beschuldigten geschaffene Zustand hinsichtlich eines Kindes noch andauere. Dieser Umstand sei jedoch weder geeignet, eine von der früheren Entscheidung abweichende rechtliche Beurteilung des Verhaltens der Beschuldigten herbeizuführen, noch erfülle er als solcher eine der Alternativen des Straftatbestandes des § 235 StGB.
c) Hiergegen erhob der Beschwerdeführer eine Gegenvorstellung, die er damit begründete, dass der von ihm dargelegte Sachverhalt eine fortdauernde Straftat darstelle, die von der Rechtskraftwirkung der früheren Entscheidung des Kammergerichts nicht erfasst sei. Eine strafgerichtliche Entscheidung könne naturgemäß immer nur ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten erfassen und beurteilen. Die entgegenstehende Auffassung des Kammergerichts verletze den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG.
d) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 18. November 2004 wies das Kammergericht die Gegenvorstellung zurück. Sie sei zwar zulässig, gebe aber zu einer Abänderung des Beschlusses vom 5. August 2004 keine Veranlassung. Gegenstand des Verfahrens sei kein gänzlich neuer Sachverhalt, der den Strafverfolgungsbehörden erstmalig mit dem Ziel einer Strafverfolgung der Beschuldigten unterbreitet worden sei. Vielmehr werde unter Bezugnahme auf den Sachverhalt, der bereits Gegenstand des früheren Ermittlungsverfahrens gewesen sei, lediglich ergänzend vorgetragen, dass der Straftatbestand der Entziehung Minderjähriger noch andauere, worin nach Ansicht des Beschwerdeführers eine erneute Straftat liege. Es handele sich indessen nicht um eine erneute Strafanzeige, sondern um einen Antrag auf Wiederaufnahme des seinerzeit eingestellten Ermittlungsverfahrens unter Vortrag ergänzender Umstände. Diese Wiederaufnahme komme hier aber nur unter den Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 StPO in Betracht, deren Vorliegen der Beschwerdeführer jedoch nicht vorgetragen habe. Damit stehe die beschränkte Rechtskraftwirkung des § 174 Abs. 2 StPO einer erneuten sachlichen Bescheidung im Klageerzwingungsverfahren entgegen.
II.
Durch diese Entscheidungen sieht sich der Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 3 GG sowie aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Soweit sich das Kammergericht auf die beschränkte Rechtskraftwirkung des § 174 Abs. 2 StPO berufe, verkenne es die Reichweite der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung insgesamt. Diese könne sich – wie sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verbrauch der Strafklage ergebe – nur auf eine vor der gerichtlichen Entscheidung liegende Handlung beziehen. § 174 Abs. 2 StPO könne verfassungskonform nur dahin ausgelegt werden, dass der Fall eines über die gerichtliche Entscheidung zeitlich hinausreichenden Dauerdelikts nicht erfasst sei. Die entgegenstehende Auffassung des Kammergerichts verkürze den Rechtsweg in unzulässiger Weise. Es sei auch nicht auszuschließen, dass das Kammergericht bei einer erneuten Prüfung der Sache zu einem anderen Ergebnis gelange. Das Kammergericht habe außerdem gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, indem es dem Beschwerdeführer eine Entscheidung in der Sache verweigert habe. Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei ferner deswegen verletzt, weil ihm zu keiner Zeit Gelegenheit gegeben worden sei, sich persönlich zur Sache zu äußern.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet.
1. Die angegriffenen Entscheidungen des Kammergerichts verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Diese Bestimmung gewährleistet den Rechtsweg im Rahmen der jeweiligen einfachgesetzlichen Prozessordnungen. Der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274 f.≫; 78, 88 ≪99≫; 88, 118 ≪124≫). Bei der Auflösung des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Widerstreits zwischen dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung einerseits und dem subjektiven Interesse des Einzelnen an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz andererseits hat das Gericht einen angemessenen Ausgleich zu finden (BVerfGE 88, 118 ≪124 f.≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 1999 – 2 BvR 1339/98 –, NJW 2000, S. 1027). Das muss der Richter bei der Auslegung prozessualer Normen beachten (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫).
2. Mit diesen Anforderungen stehen die angegriffenen Entscheidungen des Kammergerichts im Einklang. Das ihnen zugrundeliegende Verständnis des § 174 Abs. 2 StPO erschwert den Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise.
a) Demgegenüber steht die Auffassung des Kammergerichts mit der Garantiefunktion des Art. 103 Abs. 3 GG im Einklang. Art. 103 Abs. 3 GG garantiert dem schon bestraften oder rechtskräftig freigesprochenen Täter Schutz gegen erneute Verfolgung und Bestrafung wegen derselben Tat (BVerfGE 12, 62 ≪66≫). § 174 Abs. 2 StPO sieht dieselbe Sperrwirkung vor wie § 211 StPO für die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch nicht mehr anfechtbaren Beschluss (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 174 Rn. 14). Ebenso wie § 211 StPO soll § 174 Abs. 2 StPO den Angeschuldigten vor einer Klageerhebung wegen derselben Tat schützen; dieser Schutz versagt nur dann, wenn die Klageerhebung in dem Hervortreten neuer Tatsachen oder Beweismittel ihren Grund und ihre Rechtfertigung findet (vgl. zu § 211 StPO BGHSt 18, 225 ≪225 f.≫). Der Sache nach handelt es damit sich in den Fällen, in denen auf der Grundlage von § 174 Abs. 2 oder § 211 StPO eine Klageerhebung zulässig ist, um eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeschuldigten und zu seinen Lasten um eine Einschränkung des Grundsatzes ne bis in idem (vgl. Rieß, in: Löwe/Rosenberg, a.a.O., § 211 Rn. 1).
b) Auf dieser Grundlage stellt die Anwendung des § 174 Abs. 2 StPO durch das Kammergericht im vorliegenden Fall keine gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßende Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten dar, weil sie auf sachlich gerechtfertigte Erwägungen gestützt ist. Sie trägt der dargestellten Schutzfunktion des § 174 Abs. 2 StPO zugunsten der Beschuldigten des hier in Rede stehenden Ermittlungsverfahrens Rechnung. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Antrag die Annahme des Kammergerichts im Beschluss vom 26. November 2003, die Beschuldigte habe sich bei ihrem Auszug mit den Söhnen am 22. Juni 2001 in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befunden, in Frage gestellt und eine erneute Überprüfung der Sache gefordert. Diesbezüglich schützt jedoch die Entscheidung des Kammergerichts die Beschuldigte davor, sich einer erneuten strafrechtlichen Entscheidung aufgrund desselben Lebenssachverhalts ausgesetzt zu sehen. Das Kammergericht hat in seinem Beschluss vom 18. November 2004 ausgeführt, der neuerliche Antrag des Beschwerdeführers ziele auf eine erneute strafrechtliche Würdigung des Verhaltens der Beschuldigten ab, das bereits Gegenstand des vorangegangenen Ermittlungsverfahrens gewesen sei, und sei daher als Antrag auf Wiederaufnahme des seinerzeit eingestellten Ermittlungsverfahrens unter Vortrag ergänzender Umstände zu verstehen, die nach Auffassung des Beschwerdeführers Anlass zu einer von der früheren Entscheidung abweichenden strafrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts böten. Daraus hat das Kammergericht den Schluss gezogen, dass die Erhebung der öffentlichen Klage nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 StPO zulässig sei. Soweit der Beschwerdeführer dagegen das Verhalten der Beschuldigten nach der Entscheidung des Kammergerichts vom 26. November 2003 zum Gegenstand seines Antrags gemacht hat, hat das Kammergericht im Beschluss vom 5. August 2004 außerdem darauf hingewiesen, dass die Fortdauer des von der Beschuldigten geschaffenen Zustands als solche keine der Alternativen des Straftatbestandes des § 235 StGB erfülle. Diese Begründung ist frei von sachfremden Erwägungen.
3. a) Die angegriffenen Entscheidungen verletzen auch nicht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Vortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 96, 205 ≪216≫; stRspr). Ferner verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (BVerfGE 64, 1 ≪12≫). Nach diesen Maßstäben verstoßen die angegriffenen Beschlüsse nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das Kammergericht hat sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer wendet sich in der Sache lediglich gegen die von seiner Rechtsauffassung abweichende, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnende Auslegung des § 174 Abs. 2 StPO durch das Kammergericht.
b) Schließlich folgt eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG auch nicht aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer keine Gelegenheit hatte, sich persönlich zur Sache zu äußern. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich grundsätzlich kein Anspruch auf mündliche Verhandlung oder persönliche Anhörung; es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise das rechtliche Gehör gewährt werden soll. Soweit das Gesetz keine verbindliche Entscheidung trifft, liegt die Form der Anhörung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (BVerfGE 89, 381 ≪391≫). Eine persönliche Anhörung des Antragstellers ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die Ausgestaltung dieses Verfahrens ist in erster Linie Sache der dafür zuständigen Fachgerichte. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen (Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2002 – 2 BvR 2104/01 –, NStZ 2002, S. 606). Anhaltspunkte dafür, dass das Kammergericht sein Ermessen im vorliegenden Fall in verfassungswidriger Weise ausgeübt hätte, liegen nicht vor. Der Beschwerdeführer beanstandet in diesem Zusammenhang, dass seine persönliche Anhörung zur Überprüfung des Wahrheitsgehalts der Angaben der Beschuldigten erforderlich gewesen sei. Unabhängig davon, ob dies in der Sache zutrifft, kam es auf die Glaubwürdigkeit der Beschuldigten für die angegriffenen Entscheidungen aber ohnehin nicht an, sodass kein Anlass für eine persönliche Anhörung des Beschwerdeführers bestand.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen