Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft im Rahmen einer Rüge der Entziehung des gesetzlichen Richters eine unionsrechtlich geprägte Fragestellung aus dem Urheberrecht und die Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs.
I.
Nach Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABlEG Nr. L 167 S. 10; im Folgenden: Urheberrechtsrichtlinie oder Richtlinie), die bis zum 22. Dezember 2002 in nationales Recht umzusetzen war (Art. 13 Abs. 1), sehen die Mitgliedstaaten für bestimmte „Personen” das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten. Nach Buchstabe e) gilt dies für Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden. Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten Ausnahmen und Beschränkungen dieses Vervielfältigungsrechts vorsehen, so nach Buchstabe b) in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten.
Nach deutschem Recht sind nach näherer Maßgabe des § 53 Urheberrechtsgesetz (UrhG) einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen, zulässig. Ist nach Art des Werkes zu erwarten, dass es nach § 53 Abs. 1 bis 3 UrhG vervielfältigt wird, hat der Urheber des Werkes nach § 54 Abs. 1 UrhG gegen den Hersteller von Geräten und von Speichermedien, deren Typ zur Vornahme solcher Vervielfältigungen benutzt wird, Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung. Dieser Anspruch kommt Sendeunternehmen nach § 87 Abs. 4 UrhG nicht zu.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft zur Verwertung der Urheber- und Leistungsschutzrechte von Medienunternehmen, klagte in Wahrnehmung der Rechte von privaten Hörfunk- und Fernsehunternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz wegen fehlerhafter beziehungsweise unvollständiger Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie. Nach ihrer Auffassung ist die Regelung in § 87 Abs. 4 UrhG, nach der Sendeunternehmen – anders als Inhaber anderer Leistungsschutzrechte – nicht an der Geräte- und Speichermedienabgabe nach § 54 Abs. 1 UrhG beteiligt werden, nicht mit Art. 5 Abs. 2 lit. b) der Urheberrechtsrichtlinie vereinbar.
Das Landgericht und das Kammergericht wiesen die zuletzt auf Schadensersatz in Höhe von 87.640.000 EUR nebst Zinsen für die Jahre 2003 bis 2005 und auf Feststellung der Ersatzpflicht wegen der seit dem Jahr 2006 entstandenen und künftig entstehenden Schäden gerichtete Klage ab.
2. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit dem angegriffenen Beschluss die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nicht vorlägen (§ 543 Abs. 2 ZPO), auch nicht mit dem Ziel der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) nach Art. 267 AEUV.
Die Beschwerde werfe zwar Fragen nach der Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie auf, die abschließend und verbindlich nur durch den Gerichtshof beantwortet werden könnten. Eine Zulassung der Revision sei gleichwohl nicht geboten, weil das Berufungsgericht zu Recht angenommen habe, dass ein denkbarer Verstoß des nationalen Gesetzgebers gegen Art. 5 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie für einen Staatshaftungsanspruch jedenfalls nicht hinreichend qualifiziert sei.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei ein Verstoß gegen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnisse die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten habe. Nur wenn der Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfüge, könne schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen. Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliege, seien alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, die für den dem nationalen Gericht vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend seien. Zu diesen Gesichtspunkten gehörten insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen beziehungsweise zugefügt worden sei oder nicht, die Frage, ob ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldbar sei oder nicht, und die Frage, ob möglicherweise das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen habe, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt oder aufrechterhalten worden seien.
Der Bundesgerichtshof fährt fort, im Hinblick auf das Maß an Klarheit und Genauigkeit der Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 lit. b) der Urheberrechtsrichtlinie habe das Berufungsgericht zutreffend auf Gesichtspunkte hingewiesen, die sich für einen erheblichen Ermessensspielraum des nationalen Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des „gerechten Ausgleichs” anführen ließen.
Dem Einwand der Beschwerdeführerin, diese Regelung lasse den Mitgliedstaaten keinerlei Ermessensspielraum, ob sie bei Ausnahmen oder Beschränkungen des Vervielfältigungsrechts einen gerechten Ausgleich gewähren wollten, gibt der Bundesgerichtshof zu, dass auch die Generalanwältin in der Sache „Padawan” (Schlussanträge vom 11. Mai 2010 – C-467/08 –, Nr. 83) vertrete, dass die Urheberrechtsrichtlinie die Sicherstellung eines finanziellen Ausgleichs zwischen den Urhebern und Nutzern als Ergebnis vorgebe, wenn der Mitgliedstaat Ausnahmen oder Beschränkungen des Vervielfältigungsrechts nach Art. 5 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie vorsehen möchte. Dennoch bleibe, so der Bundesgerichtshof, nach dem Erwägungsgrund 35 weitgehend offen, in welcher Weise die besonderen Umstände eines jeden Falls bei der Festlegung der Form und der etwaigen Höhe eines gerechten Ausgleichs berücksichtigt werden sollten, und ob der nationale Gesetzgeber nicht zu der Einschätzung habe gelangen dürfen, die nicht kommerzielle Vervielfältigung zum privaten Gebrauch bewirke für die Sendeunternehmen – anders als bei ausübenden Künstlern und anderen Leistungsschutzberechtigten – nur einen geringfügigen Nachteil, der keine Zahlungsverpflichtungen auslöse.
Der Bundesgerichtshof zitiert sodann aus den Materialien des Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 2007 (BGBl I S. 2513). Der Gesetzgeber habe sich mit einer Beteiligung der Sendeunternehmen an der Geräte- und Leerträgervergütung eingehend beschäftigt und insoweit auch die Anforderungen der Richtlinie im Auge gehabt (Hinweis auf BTDrucks 16/1828, S. 16 ff.). Insbesondere habe der Gesetzgeber auch darauf geachtet, dass zwischen den verschiedenen Rechtsinhabern ein ausgewogenes Verhältnis bestehen bleibe. Die Überlegungen des Gesetzgebers, die jedenfalls dem im Erwägungsgrund 31 formulierten Grundsatz eines angemessenen Rechts- und Interessenausgleichs zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern gerecht werden wollten, entfernten sich auch nicht so weit von den in den Sätzen 2, 4 und 6 des Erwägungsgrunds 35 formulierten Leitlinien für einen gerechten Ausgleich im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie, dass man davon sprechen könnte, die Bundesrepublik habe die Grenzen, die der Ausübung ihrer Befugnisse gesetzt seien, offenkundig und erheblich überschritten.
Es sei schließlich auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht das Verhalten der Europäischen Kommission, die gegen die Bundesrepublik kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet habe, und den Umstand, dass die überwiegende Mehrzahl der europäischen Nachbarländer sich gegen eine finanzielle Entschädigung der Sendeunternehmen bei einer entsprechenden Beschränkung ihres Vervielfältigungsrechts entschieden habe, unterstützend dafür anführe, dass die Bundesrepublik – wenn man überhaupt einen Richtlinienverstoß annehmen wollte – einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen wäre.
Diese Beurteilung könne der Senat treffen, ohne zu einer Vorlage nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof verpflichtet zu sein. Denn es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts sei, anhand der vom Gerichtshof genannten Kriterien die erforderlichen Feststellungen zu treffen und damit darüber zu befinden, ob ein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union hinreichend qualifiziert sei.
III.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Nach ihrer Auffassung hätte der Bundesgerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Vorabentscheidung insbesondere die Vorlagefragen unterbreiten müssen, ob es den Mitgliedstaaten möglich sei, einer bestimmten Kategorie von Rechtsinhabern (Sendeunternehmen), die nach Art. 2 lit. e) der Urheberrechtsrichtlinie das Recht der Vervielfältigung genießen, unter anderen Erwägungen als der in Erwägungsgrund 35 S. 6 genannten Situation einen gerechten Ausgleich gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. b) vollständig zu versagen; und ob nach der Urheberrechtsrichtlinie hinsichtlich des Ob der Gewährung eines „gerechten Ausgleichs” ein irgendwie gearteter Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bestehe.
Sendeunternehmen würden durch die Regelung in § 87 Abs. 4 UrhG (ebenso durch dessen Vorgängerregelungen) von der Geräte- und Leermedienabgabe ausgeschlossen, obwohl ihr Verbotsrecht hinsichtlich der Aufzeichnung und Vervielfältigung von Hörfunk- und Fernsehsendungen nach § 53 Abs. 1, 2 i.V.m. § 87 Abs. 4 UrhG eingeschränkt sei. Die Vermarktung von Werbezeiten sei die Primärverwertung von Sendungen der ihr angeschlossenen Sendeunternehmen. Die damit erzielten Umsätze stellten zudem die maßgebliche Grundlage für die Berechnung der gemäß § 20, § 78 Abs. 2 Nr. 1, § 86 UrhG von den Sendeunternehmen an die ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller zu zahlenden Vergütung dar. Die Beschwerdeführerin beziffert die Verluste der Sendeunternehmen aufgrund privater Vervielfältigung auf 9 bis 12 % der Werbeeinnahmen und damit auf bis zu 360 Mio. EUR pro Jahr.
Die Beschwerdeführerin sieht einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs als gegeben an, weil Art. 5 Abs. 2 der Urheberrechtsrichtlinie bezwecke, den Sendeunternehmen das Recht auf einen gerechten Ausgleich einzuräumen, wenn der Mitgliedstaat von der Möglichkeit der Beschränkung des Leistungsschutzrechts Gebrauch mache. Gleichwohl habe der deutsche Gesetzgeber die Sendeunternehmen vom entsprechenden Vergütungssystem ausgeschlossen. Dieser Verstoß gegen die Zielvorgabe der Richtlinie sei kausal für den den Sendeunternehmen entstehenden Schaden in Form entgehender Werbeeinnahmen.
Ob der Verstoß hinreichend qualifiziert sei, sei im Streitfall unerheblich. Denn die Mitgliedstaaten hätten aufgrund der Urheberrechtsrichtlinie hinsichtlich des Ob des gerechten Ausgleichs keinen Gestaltungsspielraum; außerdem habe Deutschland es zum Nachteil einer ganz bestimmten Personengruppe unterlassen, sein Recht zu ändern, um es der Richtlinie anzupassen. In solchen Fällen komme es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere der Entscheidung im Fall „Teodoro Wagner Miret” (EuGH, Urteil vom 16. Dezember 1993 – C-334/92 –, Slg. 1993, S. I-06911, Rn. 17, 23), auf die Voraussetzung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes nicht an.
Indem der angegriffene Beschluss einen Staatshaftungsanspruch mit den Vorinstanzen verneine und deswegen die Revision nicht zulasse, entziehe er der Beschwerdeführerin ihren gesetzlichen Richter. Die Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen durch den Bundesgerichtshof sei fehlerhaft; jedenfalls sei sie nicht in einer Weise als klar oder geklärt anzusehen, dass der Bundesgerichtshof – nach Zulassung der Revision – von einer Vorlage an den Gerichtshof hätte absehen dürfen.
Der Bundesgerichtshof sei damit seiner Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof in willkürlicher Weise nicht nachgekommen, und zwar im Hinblick auf alle drei vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 82, 159 ≪195≫) entwickelten Fallgruppen. Insbesondere sei die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung unhaltbar; die Gegenauffassung sei eindeutig vorzuziehen. Denn seine Argumentation widerspreche sowohl der in Art. 288 Abs. 3 AEUV niedergelegten Struktur von Richtlinien als auch der gemeinschaftsrechtlichen Systematik, wonach Erwägungsgründe nicht das Hauptanliegen von Richtlinien umkehren könnten; die Erwägungsgründe 31 und 35 würden zudem krass missdeutet. Ferner missachte die Argumentation die Eigenständigkeit der in Art. 2 der Urheberrechtsrichtlinie aufgezählten Rechtssubjekte, indem sie deren jeweils für sich geschützten Leistungen miteinander verrechnen wolle. Schließlich werde übersehen, dass sich Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung einer mangelhaften Richtlinienumsetzung nicht auf innerstaatliche Gründe berufen könnten.
IV.
Die – zulässige – Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil keine Annahmegründe vorliegen. Sie besitzt keine Erfolgsaussicht in der Sache, denn Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wurde nicht verletzt.
1. Der Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das nationale Gericht ist unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪192 f.≫; stRspr). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Gemeinschaftsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, „dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt” (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs. 283/81 „C.I.L.F.I.T.” –, Slg. 1982, S. 03415, Rn. 21). Die Entscheidungserheblichkeit der europarechtlichen Frage für den Ausgangsrechtsstreit hingegen beurteilt allein das nationale Gericht (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪194≫; EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982, a.a.O., Rn. 10, und vom 27. Juni 1991 – Rs. C-348/89 „Mecanarte” –, Slg. 1991, S. I-03277, Rn. 47).
Das Bundesverfassungsgericht überprüft allerdings nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪194 f.≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 –, Rn. 88 ff., juris). Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird insbesondere in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht), oder in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung; vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 2010, a.a.O., Rn. 90). Dabei kommt es für die Prüfung einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2010 – 1 BvR 230/09 –, NJW 2010, S. 1268 ≪1269≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. August 2010 – 1 BvR 1631/08 –, Rn. 48, juris; der Sache nach ebenso gehandhabt in BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 2010, a.a.O., Rn. 92).
2. Nach diesen Maßstäben ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage der Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie als nicht entscheidungserheblich behandelt hat. Jedenfalls ist seine Handhabung der Vorlagepflicht des Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht als unhaltbar anzusehen.
a) Dass der Bundesgerichtshof kein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet hat, beruht zunächst darauf, dass er die Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie als nicht entscheidungserheblich für die Frage eines unionsrechtlichen Schadensersatzanspruchs angesehen hat, weil ein denkbarer Verstoß des nationalen Gesetzgebers gegen Art. 5 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie jedenfalls nicht hinreichend qualifiziert sei. Da das nationale Gericht die Frage der Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage – als Voraussetzung ihrer Vorlagebedürftigkeit – in eigener Zuständigkeit zu beurteilen hat (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪194≫; EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982, a.a.O., Rn. 10, und vom 27. Juni 1991, a.a.O.), kann ein etwaiger Rechtsanwendungsfehler in diesem Punkt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzen.
b) Darüber hinaus liegt keine unhaltbare Handhabung von Art. 267 Abs. 3 AEUV vor.
aa) Der Bundesgerichtshof stützt sich – neben der fehlenden Entscheidungserheblichkeit – darauf, es sei Sache des nationalen Gerichts, anhand der vom Gerichtshof genannten Kriterien (vgl. EuGH, Urteile vom 5. März 1996 – verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 „Brasserie du Pêcheur” und „Factortame” –, Slg. 1996, S. I-1029, Rn. 51 ff.; vom 8. Oktober 1996 – verb. Rs. C-178/94 u.a. „Dillenkofer” –, Slg. 1996, S. I-4867, Rn. 25; sowie vom 25. Januar 2007 – C-278/05 „Robins” –, Slg. 2007, S. I-1081, Rn. 71) die erforderlichen Feststellungen zu treffen und damit darüber zu befinden, ob ein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union hinreichend qualifiziert sei. Hierzu sieht sich der Bundesgerichtshof ausweislich der von ihm gegebenen Nachweise (EuGH, Urteile vom 30. September 2003 – C-224/01 „Köbler” –, Slg. 2003, S. I-10290, Rn. 54, und vom 25. Januar 2007, a.a.O., Rn. 76) durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs berechtigt. Der Gerichtshof verlangt dort, das nationale Gericht müsse im Hinblick auf die Frage einer offenkundigen und erheblichen Überschreitung des Ermessensspielraums des Mitgliedstaats alle Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen.
Der angegriffene Beschluss benennt keine tatsächlichen, sondern rechtliche Anhaltspunkte für die Vertretbarkeit der vom deutschen Gesetzgeber für richtig gehaltenen Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie, aus der sich ein gewisser Ermessensspielraum bei der Richtlinienumsetzung ergebe. Sollte diese Auslegung der Richtlinie nicht zutreffen, was zu entscheiden in der Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union liegt (vgl. nunmehr EuGH, Urteil vom 21. Oktober 2010 – Rs. C-467/08 „Padawan” –, Rn. 36, abzurufen unter http://curia.europa.eu), so kann immer noch bei einer ex-ante-Betrachtung ein qualifizierter Verstoß gegen die Umsetzungspflicht abzulehnen sein.
bb) Die Argumentation des Bundesgerichtshofs ist jedenfalls nicht unvertretbar. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung genannten exemplarischen Fallgruppen (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195≫).
In der Argumentation liegt zum ersten keine grundlegende Verkennung der Vorlagepflicht. Der Bundesgerichtshof sieht sich durchaus zur Vorlage verpflichtet, wollte er die aufgeworfenen Fragen der Urheberrechtsrichtlinie tatsächlich abschließend und verbindlich beantworten. Er geht jedoch davon aus, dies nicht tun zu müssen, um eine Vorlagepflicht zu verneinen. Damit hat der Bundesgerichtshof seine Vorlagepflicht jedenfalls nicht grundlegend verkannt. Für ein bewusstes Abweichen von der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ebenfalls nichts ersichtlich.
Schließlich ist die Begründung der Nichtvorlage im angegriffenen Beschluss auch dann nicht unvertretbar, wenn von einem Fall der Unvollständigkeit der Rechtsprechung des Gerichtshofs auszugehen sein sollte. Dabei mag mit der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden, dass die Gegenauffassung zur Richtlinienauslegung des Bundesgerichtshofs eindeutig vorzugswürdig ist. Der Bundesgerichtshof argumentiert jedoch in vertretbarer Weise damit, dass sein Beschluss nicht auf einer Festlegung auf eine bestimmte Auslegung der Richtlinie beruhe, sondern darauf, dass ein etwaiger Verstoß des deutschen Gesetzgebers gegen diese Richtlinie nicht hinreichend qualifiziert wäre, um einen Staatshaftungsanspruch zu bejahen, und dass die Beurteilung der hinreichenden Qualifikation des Verstoßes in die Kompetenz des nationalen Gerichts falle.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Paulus
Fundstellen
Haufe-Index 2541985 |
ZUM 2011, 236 |