Verfahrensgang
BVerwG (Urteil vom 12.06.2002; Aktenzeichen BVerwG 7 C 2.02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, mit der die Revision des Beschwerdeführers zurückgewiesen wurde. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob die Zulassung des bergrechtlichen Rahmenbetriebsplans “Weiterführung des Tagebaus Jänschwalde 1994 bis Auslauf” eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordert hätte.
Dazu führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, Vorhaben i.S.d. § 52 Abs. 2a BBergG seien nach der ständigen Rechtsprechung das Bergbauvorhaben als Ganzes und nicht gegenständlich oder zeitlich begrenzte Teilabschnitte. Sei ein solches Gesamtvorhaben bei der Einführung der Planfeststellungspflicht bereits teilweise ausgeführt worden, könne es ohne Prüfung seiner Umweltverträglichkeit weitergeführt werden, solange es sich im Rahmen dieses Vorhabens halte. Auch die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. Juni 1985 (85/337/EWG, ABlEG Nr. L 175 vom 5. Juli 1985, S. 40 ≪UVP-RL≫) verlange für bereits begonnene Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung im Nachhinein. Der Europäische Gerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 18. Juni 1998 (EuGHE 1998 I, 3936) klargestellt, dass die UVP-Richtlinie nicht auf solche Projekte anwendbar sei, die vor dem Stichtag bereits begonnen worden seien. Bestätigt werde diese Auffassung durch die UVP-Änderungsrichtlinie vom 3. März 1997 (RL 97/11/EG, AblEG Nr. L 73 vom 14. März 1997, S. 5). Danach werde (nur) die Änderung oder Erweiterung von bereits genehmigten, durchgeführten oder in der Durchführungsphase befindlichen Projekten als Projekt i.S.d. Anhangs II angesehen. Die Fortführung des Tagebaus Jänschwalde sei in dem Umfang, den der streitige Rahmenbetriebsplan abstecke, Teil eines Gesamtvorhabens, das vor dem Beitritt der DDR begonnen worden sei. Die Beigeladene habe keine Genehmigung i.S.d. Art. 1 Abs. 2 UVP-RL beantragt. Mit der Zulassung eines fakultativen Rahmenbetriebsplans werde nicht abschließend und verbindlich über das Vorliegen einzelner oder gar aller Zulassungsvoraussetzungen entschieden. Gegenstand des streitigen Rahmenbetriebsplans sei danach nicht die nachträgliche förmliche Genehmigung eines bereits teilweise durchgeführten Vorhabens, sondern die Klarstellung bereits nach dem Recht der DDR ergangener Entscheidungen auf der Grundlage des Regelungsgefüges des Bundesberggesetzes.
2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gem. Art. 234 EG-Vertrag einzuholen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor.
Die Verfassungsbeschwerde wirft keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen auf (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die für ihre Beurteilung maßgeblichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt gerügten grundrechtsgleichen Rechts angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪366≫). Es stellt einen Entzug des gesetzlichen Richters dar, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG-Vertrag nicht nachkommt. Das Bundesverfassungsgericht prüft allerdings nur, ob diese Zuständigkeitsregel in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt worden ist (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪194≫).
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt. Gleiches gilt, wenn das Gericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und nicht oder nicht neuerlich vorlegt. Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorhandene Rechtsprechung die Frage noch nicht erschöpfend beantwortet, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur verletzt, wenn das Gericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫).
Nach diesen Grundsätzen verstößt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
1. Die angegriffene Entscheidung ist ausführlich und unter Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Regelungsgehalts der UVP-Richtlinie und der UVP-Änderungsrichtlinie begründet. Dass das Gericht einer Pflicht zur Vorlage willkürlich nicht nachgekommen wäre, ist nicht erkennbar.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist die UVP-Richtlinie dahingehend auszulegen, dass nur ein Bergbauvorhaben als Ganzes, nicht aber gegenständlich und zeitlich begrenzte Teilabschnitte des Vorhabens Gegenstand des Verfahrens zur Prüfung der Umweltverträglichkeit sind. Diese Auslegung greift der Beschwerdeführer nicht substantiiert an. Hiervon ausgehend war nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Frage entscheidungserheblich, ob die UVP-Richtlinie eine Umweltverträglichkeitsprüfung auch für ein Vorhaben verlangt, das zwar als Ganzes zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht genehmigt war, das aber bei Betrachtung des Bergvorhabens insgesamt als bereits begonnen anzusehen ist. Diese Frage hat das Gericht unter Auswertung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Juni 1998 und unter Heranziehung der Nr. 13 des Anhangs II der UVP-Änderungsrichtlinie dahingehend beantwortet, dass die UVP-Richtlinie nicht auf solche Projekte anwendbar sei, die vor dem Stichtag bereits begonnen worden seien. Dass das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der richtigen Beantwortung dieser Frage in Zweifel war, kann nicht festgestellt werden. Auch von einem bewussten Abweichen von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ohne Vorlagebereitschaft kann insoweit keine Rede sein. Dass über diese Rechtsprechung hinausgehender Klärungsbedarf bestanden hätte, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Nr. 13 des Anhangs II der UVP-Änderungsrichtlinie ebenfalls nicht erkennbar.
2. Die vom Beschwerdeführer formulierten Vorlagefragen stellten sich dem Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nicht.
a) Die Frage, ob eine staatliche Entscheidung auch dann als “Genehmigung” i.S.v. Art. 1 Abs. 2 UVP-RL anzusehen sei, wenn diese einem Vorhabensträger nicht das unmittelbare Recht zur Durchführung eines grundsätzlich uvp-pflichtigen Projekts erteile, sondern dieses lediglich auf der Ebene der Territorialplanung in den Blick nehme und die Entscheidung über dessen tatsächliche Durchführung einer gesonderten Entscheidung überlasse, geht am rechtlichen Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts vorbei. Anders als der Beschwerdeführer geht das Bundesverwaltungsgericht nicht von der der Vorlagefrage zu Grunde liegenden Annahme aus, dass die zu DDR-Zeiten ergangenen Entscheidungen mit raumordnungsrechtlichem Charakter, die auch das jetzt vom fraglichen Rahmenbetriebsplan erfasste Gebiet bereits betreffen, als Genehmigungen nach Art. 1 Abs. 2 UVP-RL anzusehen wären. Es handelt sich nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht um ein im Sinne der Richtlinie schon vor dem Stichtag beantragtes Vorhaben. Das Bundesverwaltungsgericht stellt klar, dass weder das Bundesberggesetz vor der Einführung des § 52 Abs. 2a BBergG noch das Recht der DDR eine Genehmigung des Gesamtvorhabens vorsahen. Auch mit der Zulassung des Rahmenbetriebsplans sei gerade keine das Bergbauvorhaben als Ganzes betreffende Genehmigung im Sinne der Richtlinie beantragt worden.
b) Auch die weitere vom Beschwerdeführer formulierte Vorlagefrage, ob mit der Beantragung einer staatlichen Zulassung der Weiterführung eines Tagebaus in einem räumlichen Bereich, für welchen eine Genehmigung zum Abbau von Bodenschätzen noch nicht erteilt worden sei, ein uvp-pflichtiges Projekt i.S.v. Art. 1 Abs. 2 UVP-RL ausschließlich für den gesamten Tagebau vom Aufschluss bis zur Beendigung begründet werde, selbst wenn eine diesen Bereich betreffende Umweltverträglichkeitsprüfung zum Zeitpunkt des Aufschlusses noch nicht vorgenommen worden sei und die Entscheidung darüber einem weiteren behördlichen Zulassungsverfahren vorbehalten bleibe, war nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Denn der vorliegende Antrag auf Zulassung des Rahmenbetriebsplans stellt nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keinen Genehmigungsantrag im Sinne der Richtlinie dar. Mit der Zulassung des Rahmenbetriebsplans sollte nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht abschließend und verbindlich über das Vorliegen einzelner oder gar aller Zulassungsvoraussetzungen entschieden werden. Gegenstand des streitigen Rahmenbetriebsplans ist danach nicht die nachträgliche förmliche Genehmigung eines bereits teilweise durchgeführten Vorhabens. Vielmehr diente die Aufstellung und Zulassung des Rahmenbetriebsplans lediglich der Klarstellung der Überleitung von bereits nach dem Recht der DDR ergangenen Entscheidungen in bundesdeutsches Recht auf der Grundlage des Regelungswerks des Bundesberggesetzes. Das Bundesverwaltungsgericht stellt hingegen nicht in Frage, dass über einen Antrag auf Genehmigung des Gesamtvorhabens nach der UVP-Richtlinie selbst dann nur nach vorheriger Umweltverträglichkeitsprüfung zu entscheiden wäre, wenn das Projekt nach der früheren Rechtslage ohne Genehmigung habe begonnen werden dürfen und begonnen worden sei. Ein Antrag auf Genehmigung des Gesamtvorhabens lag nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts aber nicht vor.
c) Die Vorlagefrage schließlich, ob Art. 4 Abs. 2 UVP-RL es einem Mitgliedstaat gestatte, ein Projekt der Weiterführung eines Tagebaus von der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung auszunehmen, für welche der Antrag auf Zulassung erst nach Ablauf der in der Richtlinie genannten Frist gestellt worden sei, wenn es sich um die Weiterführung eines bereits vor In-Kraft-Treten der Richtlinie aufgeschlossenen Tagebaus in einem Bereich handele, der zuvor nicht Gegenstand eines Verfahrens zur Erteilung einer Genehmigung i.S.v. Art. 1 Abs. 2 UVP-RL gewesen sei, stellte sich dem Bundesverwaltungsgericht aus den zuvor genannten Gründen ebenfalls nicht.
Nach alledem ist für eine willkürliche Handhabung der Vorlagepflicht durch das Bundesverwaltungsgericht nichts erkennbar.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Haas, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 952190 |
NVwZ 2003, 1111 |
NuR 2003, 743 |
ZfB 2003, 214 |
DVBl. 2003, 1470 |