Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsrechtliche Anforderung an eine Verordnungsermächtigung zur Gebührenerhebung. Berlinvorbehalt
Leitsatz (amtlich)
Der in Nr. 4 des Genehmigungsschreibens der Militärgouverneure zum Grundgesetz vom 12. Mai 1949 enthaltene Vorbehalt in bezug auf Berlin steht einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dann nicht entgegen, wenn Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ein in Berlin ergangener Verwaltungsakt des Bundes ist, der nur nach Bundesrecht beurteilt wird und der auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz geprüft werden soll. Dies trifft auch dann zu, wenn das nach Bundesrecht zuständige Kammergericht angerufen worden ist und den Verwaltungsakt des Bundes ganz oder teilweise bestätigt hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Gebühren gehören zu den öffentlichen Abgaben. Sie sind gesetzlich – oder aufgrund eines Gesetzes – festgelegte Entgelte für die Inanspruchnahme der öffentlichen Verwaltung. Dadurch unterscheiden sie sich von den Steuern und Sonderabgaben, die in erster Linie dem Finanzbedarf des Staates (oder der Gemeinden) dienen und die nicht in einem Zusammenhang mit einer konkreten Gegenleistung an den Abgabeschuldner stehen. Für die Gebühren gilt außerdem – anders als für Steuern – das Äquivalenzprinzip.
2. Da Gebühren öffentliche Abgaben sind, gilt für ihre Regelung der Vorbehalt des Gesetzes. Jedoch kann auch eine Rechtsverordnung eine Gebührenregelung schaffen, sofern sie auf einer verfassungsrechtlich einwandfreien Ermächtigung durch förmliches Gesetz beruht.
3. Wenn der Gesetzgeber die Ausgestaltung einer Gebührenordnung delegieren will, muß er die Tendenz und das Ausmaß der zu treffenden Regelung so weit selbst bestimmen, daß der mögliche Inhalt der zu erlassenden Verordnung voraussehbar ist. Er muß dem Verordnunggeber die Grenzen zeigen, die er einzuhalten hat. Demnach muß er über den zu regelnden Gegenstand selbst etwas zum Ausdruck gebracht haben. Die Gestaltung des „Näheren” in vollem Umfang dem Verordnunggeber zu überlassen genügt nicht den Bestimmtheitsanforderungen.
Normenkette
GG Art. 80 Abs. 1 S. 2; MilGovGGSchr Nr. 4; WettbewG §§ 16, 80 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 20.06.1964; Aktenzeichen KVZ 1/64) |
BGH (Beschluss vom 23.01.1964; Aktenzeichen KVZ 1/63) |
KG Berlin (Beschluss vom 10.01.1964; Aktenzeichen E 1 - 18/63) |
KG Berlin (Beschluss vom 05.11.1963; Aktenzeichen E 1 - 102/62) |
KG Berlin (Beschluss vom 16.07.1963; Aktenzeichen E 1 - 10 - 60/62) |
Gründe
A. – I.
§ 80 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1081) – GWB – ermächtigt die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung die Gebühren im Verfahren vor den Kartellbehörden zu regeln.
Die Bestimmung lautet:
Im Verfahren vor der Kartellbehörde werden Gebühren zur Deckung der Verwaltungskosten erhoben. Das Nähere über die Gebühren sowie über die Kosten der in §§ 10, 32 und 58 bezeichneten Bekanntmachungen wird durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geregelt, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Aufgrund dieser Ermächtigung erging die Verordnung über die Gebühren der Kartellbehörden und die Erstattung der durch das Verfahren vor den Kartellbehörden entstandenen Kosten vom 23. Januar 1958 (BGBl. I S. 61) – Kartellgebühren-VO – sowie die Verordnung vom 14. Oktober 1960 (BGBl. I S. 830), die eine sachliche Ergänzung dazu brachte.
II.
1. Die Beschwerdeführerin zu 1), eine Kommanditgesellschaft, betreibt Strickwarenfabriken und hat ihren Geschäftssitz in Stuttgart. Auch ihre persönlich haftenden Gesellschafter wohnen in Stuttgart. In den Jahren 1958 bis 1962 meldete sie beim Bundeskartellamt in Berlin von ihr hergestellte Markenartikel zur Preisbindung und Preisempfehlung nach § 16 GWB an. Das Bundeskartellamt bestätigte den Eingang der Anmeldungen und setzte hierfür mit den Bescheiden vom 15. Dezember 1960, 16. Mai 1962 und 27. Februar 1963 aufgrund der Kartellgebühren-VO in der Fassung vom 14. Oktober 1960 Gebühren fest. Auf die gegen die Gebührenfestsetzung erhobenen Einsprüche der Beschwerdeführerin ermäßigte es die festgesetzten Gebühren teilweise, gab den Einsprüchen aber im übrigen nicht statt. Das Kammergericht Berlin – Kartellsenat – wies die gegen die Einspruchsbescheide des Bundeskartellamts eingelegten Beschwerden mit den Beschlüssen vom 16. Juli 1963
– 5 Kart. V 8/62, 14-18/62, 24/62 –
E 1 – 10 – 15/61 und 60/62
und vom 10. Januar 1964
5 Kart. V 16/63 –
E 1 – 18/63
als unbegründet zurück und ließ die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidungen nicht zu (§ 73 Abs. 1 GWB). Die hiergegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden verwarf der Bundesgerichtshof – Kartellsenat – durch die Beschlüsse vom 23. Januar 1964 – KVZ 1/63 – und 20. Juni 1964 – KVZ 2/64 – als unzulässig. Der Bundesgerichtshof verwies dabei auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach gemäß § 73 Abs. 1 GWB in Gebührensachen die Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte deshalb unzulässig sei, weil solche Beschlüsse nicht als „in der Hauptsache erlassen” betrachtet werden könnten.
2. Die Beschwerdeführerin zu 2) betreibt Schuhfabriken. Ihr Geschäftssitz ist in Kornwestheim (Württ.). Von 1958 bis 1961 meldete sie von ihr serienmäßig hergestellte Markenschuhwaren zur Preisbindung nach § 16 GWB beim Bundeskartellamt in Berlin an. Das Bundeskartellamt bestätigte den Eingang der Anmeldung und setzte hierfür nach der Kartellgebühren-VO in der Fassung vom 14. Oktober 1960 mit Kostenbescheid vom 15. November 1962 Gebühren fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde durch das Bundeskartellamt zurückgewiesen. Die Beschwerde zum Kammergericht Berlin blieb ebenfalls erfolglos. Mit Beschluß vom 5. November 1963
– 5 Kart. V 10/63 –
E 1 – 102/62
wurde sie als unbegründet zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen (§ 73 Abs. 1 GWB). Die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der Bundesgerichtshof – Kartellsenat – durch Beschluß vom 20. Juni 1964 – KVZ 1/64 – wegen Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde (§ 73 GWB) zurück.
3. Mit den Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführerinnen gegen die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs und des Kammergerichts Berlin sowie die vorangegangenen Kosten- und Einspruchsbescheide des Bundeskartellamts. Sie rügen Verletzung der Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
a) Die Beschwerdeführerinnen halten die Verfassungsbeschwerden für rechtzeitig erhoben. Die Nichtzulassungsbeschwerden seien zur Erschöpfung des Rechtswegs erforderlich gewesen, da sie nicht von vornherein als aussichtslos hätten betrachtet werden können. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerden sei die Frage gewesen, ob isolierte Entscheidungen in Gebührensachen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden könnten; es habe sich in den vorliegenden Fällen, in denen das Bundeskartellamt als einzigen Hoheitsakt Gebühren festgesetzt habe, um Entscheidungen in der Hauptsache gehandelt, die das Grundgesetz verletzten. Im Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerden habe eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Begriff „der Hauptsache” nach § 73 Abs. 1 GWB noch nicht bestanden. Der Bundesgerichtshof habe daher auch die Nichtzulassungsbeschwerden mit einer ausführlichen Begründung zurückgewiesen. Vom Standpunkt der Beschwerdeführerin sei mit der Entscheidung des Kammergerichts Berlin der Rechtsweg noch nicht erschöpft gewesen.
b) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden stehe auch nicht entgegen, daß die angefochtenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs Nichtzulassungsbeschwerden zum Gegenstand hätten, die sich gegen Entscheidungen des Kammergerichts Berlin richteten; denn es handle sich nicht um „Berliner Sachen”. Bei der Kontrolle von Verwaltungsakten des Bundeskartellamts werde das Kammergericht nicht in Ausübung Berliner Staatsgewalt, sondern im Wege der Organleihe treuhänderisch für den Bund tätig, jedenfalls dann, wenn der beteiligte Staatsbürger seinen Wohnsitz oder Geschäftsbetrieb nicht in Berlin, sondern außerhalb Berlins im unbeschränkten Geltungsbereich des Grundgesetzes habe. Der Umstand, daß sich der Sitz des Bundeskartellamts in Berlin befinde und als örtlich zuständiges Oberlandesgericht das Kammergericht kraft Bundesrechts mit der Rechtskontrolle betraut sei, mache das Verfahren nicht zu einer „Berliner Sache”. Entscheidend sei, daß das Bundeskartellamt und das Kammergericht Bundesrecht anwendeten und unmittelbar oder mittelbar Bundesgewalt ausübten. Durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Januar 1966 (BVerfGE 19, 377) sei entschieden, daß die vom Land Berlin übernommenen Bundesgesetze auch in Berlin als Bundesrecht gelten und daß der Gerichtsbarkeit des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls dann nichts entgegenstehe, wenn es sich in einem Verfahren vor einer Berliner Behörde allein um die Prüfung von Akten der öffentlichen Gewalt des Bundes handle.
c) Die Beschwerdeführerinnen halten die vom Bundeskartellamt und dem Kammergericht Berlin – Kartellsenat – für die Gebührenfestsetzung angewandte Verordnung über die Gebühren der Kartellbehörden und die Erstattung der durch das Verfahren vor den Kartellbehörden entstandenen Kosten vom 23. Januar 1958 in der Fassung der Verordnung vom 14. Oktober 1960 für nichtig, weil die Ermächtigungsnorm des § 80 Abs. 2 GWB, auf der sie beruhe, mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar sei. Die Ermächtigung sei weder nach Zweck noch nach Ausmaß hinreichend bestimmt. Die Festsetzung von Gebühren, die auf einer nichtigen Verordnung beruhten, verletze deshalb das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und das allgemeine Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Erhebung von Gebühren ohne gesetzliche Grundlage sei zudem Willkür im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Verordnunggeber habe außerdem bei der Ausgestaltung des Gebührentarifs die Grenzen der ihm erteilten Ermächtigung überschritten. Die Anmeldung einer Preisbindung und Preisempfehlung beim Bundeskartellamt und die Bestätigung des Eingangs der Anmeldung (§ 16 GWB) sei kein „Verfahren vor dem Bundeskartellamt”. § 80 GWB enthalte deshalb keine Ermächtigung, durch Verordnung für diesen Vorgang Gebühren vorzuschreiben.
Die Beschwerdeführerinnen sind schließlich der Auffassung, daß die Kartellgebühren-VO, soweit sie Eingangsbestätigungen für die Anmeldung von Preisbindungen und Preisempfehlungen betreffe, gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Übermaßverbot verstoße. Sie regle insoweit nicht Gebühren, sondern eine unzulässige Sondersteuer, da die Höhe der in der Verordnung vorgeschriebenen Gebühren in keinem Verhältnis zur Tätigkeit des Bundeskartellamts bei der Bestätigung des Eingangs einer Preisbindung oder Preisempfehlung gemäß § 16 GWB stünde. Damit werde auch das für das Gebührenrecht maßgebende Äquivalenzprinzip verletzt und auch gegen das Kostendeckungsprinzip verstoßen.
Die Festsetzung von unverhältnismäßig hohen Gebühren im Bereich der Mißbrauchsaufsicht nach § 17 GWB verletze endlich den Gleichheitsgrundsatz und sei willkürlich (Art. 3 Abs. 1 GG). Außerdem verstoße die Gebührenfestsetzung durch ihre übermäßige Höhe gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
III.
1. Der Bundesminister für Wirtschaft hält in seiner Äußerung die Verfassungsbeschwerden für zulässig, aber für nicht begründet.
Zur Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) – 2 BvR 179/64 – führt er aus:
- Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts werde auch durch den sogenannten Berlin-Vorbehalt der ehemaligen Besatzungsmächte bei der Genehmigung des Grundgesetzes nicht berührt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit eines vom Bundeskartellamt erlassenen Verwaltungsakts sei kein dem Besatzungsvorbehalt zuwider laufendes Einwirken des Bundes auf Berliner Landesgewalt. Als Bundesbehörde übe das Bundeskartellamt Bundesgewalt aus. Daran ändere nichts, daß im Hinblick auf das Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs das Kammergericht Berlin als örtlich zuständiges Oberlandesgericht kraft Bundesrechts gegen die Bescheide des Bundeskartellamts angerufen worden sei und dieses den angefochtenen Akt bestätigt habe. Die Verfassungsbeschwerde richte sich materiell gegen den Verwaltungsakt der Bundesgewalt. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde entfalle auch nicht deshalb, weil im Fall ihrer Begründetheit die Entscheidung des Kammergerichts aufgehoben werden müßte (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Ein „Regieren” des Bundes in bezug auf das Land Berlin liege darin nicht. Nicht jede mittelbare Einwirkung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Entscheidungen Berliner Gerichte werde durch den Berlin-Vorbehalt untersagt. Richte sich die Verfassungsbeschwerde materiell gegen den Hoheitsakt einer Bundesbehörde, so beruhe die Entscheidungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts auf der Einheit der Bundesgewalt, die durch den sogenannten Berlin-Vorbehalt insoweit nicht beschränkt sei.
- Die angefochtenen Bescheide und Entscheidungen verstießen nicht gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und Art. 12 Abs. 1 GG. Die vom Bundeskartellamt und vom Kammergericht angewandte Kartellgebühren-VO sei rechtsgültig. Die Ermächtigung des § 80 Abs. 2 Satz 1 GWB sei mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar, da sie nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt sei. Ihr Inhalt sei bereits durch das Wort „Gebühr” genügend umgrenzt; den Zweck der Ermächtigung habe der Gesetzgeber in § 80 Abs. 1 Satz 1 GWB ausdrücklich genannt; die Gebühr solle zur Deckung der Verwaltungskosten der Kartellbehörden erhoben werden. Auch das Ausmaß der Ermächtigung sei durch die beiden für die Bemessung einer Gebühr wesentlichen Prinzipien, nämlich das Äquivalenzprinzip und das Kostendeckungsprinzip, sowie durch den Gleichheitssatz des Art. 3 GG ausreichend bestimmt.
Mit der Rüge, die Gebührenverordnung sei nichtig, weil der Verordnunggeber bei der Ausgestaltung des Gebührentarifs die Grenzen der ihm erteilten Ermächtigung überschritten habe und die Anmeldung einer Preisbindung und Preisempfehlung beim Bundeskartellamt und die Bestätigung des Eingangs der Anmeldung kein „Verfahren” vor dem Bundeskartellamt im Sinne des § 80 GWB sei, könne die Beschwerdeführerin im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht gehört werden. Das Kammergericht stehe in Bestätigung seiner ständigen Rechtsprechung zutreffend auf dem Standpunkt, daß der Ausdruck „Verfahren” im § 80 Abs. 2 GWB sich nicht lediglich auf das im 4. Abschnitt des Ersten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen geregelte Verwaltungsverfahren bezöge, sondern auch die durch eine Anmeldung nach § 16 Abs. 4 GWB ausgelöste Amtstätigkeit des Bundeskartellamts einschlösse. Das Gericht habe damit einfaches Gesetzesrecht ausgelegt. Seine Entscheidung sei insoweit der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen, da verfassungsrechtliche Verstöße nicht erkennbar seien. Auch der Einwand der Beschwerdeführerin, die Verordnung über die Gebühren der Kartellbehörden verletze das Kostendeckungsprinzip, sei im Verfahren der Verfassungsbeschwerde nicht zulässig. Das Kammergericht habe § 80 Abs. 2 GWB ausgelegt und daher einfaches Gesetzesrecht angewandt, wenn es angenommen habe, der Verordnunggeber habe das Kostendeckungsprinzip beachtet. Dem Wesen der Gebühr sei das Kostendeckungsprinzip nicht eigen. Die Entscheidung des Gerichts verletze auch nicht das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG. Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Gebührenverordnung überhaupt um eine an Art. 12 GG meßbare berufsregelnde Norm handle, da sie weder unmittelbar den Zugang zu einem Beruf noch dessen Ausübung regle und auch keine berufsregelnden Zielsetzungen erkennen lasse. Selbst wenn man annehmen könnte, die Verordnung sei an der Vorschrift des Art. 12 GG zu prüfen, so enthielte sie allenfalls eine verfassungsrechtlich zulässige Regelung der Berufsausübung, weil sie von vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls getragen werde und auch nicht unzumutbar oder übermäßig belastend sei.
In den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerin zu 1) – 2 BvR 477/64 – und der Beschwerdeführerin zu 2) – 2 BvR 476/64 – hat der Bundesminister für Wirtschaft auf seine Äußerung zur Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) – 2 BvR 179/64 – Bezug genommen.
2. Die drei Verfassungsbeschwerden haben dieselben Rechtsfragen zum Gegenstand. Sie werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
1. Gegen die Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin zu 2) bestehen keine Bedenken.
2. Auch die Beschwerdeführerin zu 1) ist antragsberechtigt. Zwar besitzt sie als Handelsgesellschaft (KG) keine eigene Rechtspersönlichkeit. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist sie jedoch als parteifähig zu behandeln, da sich der angegriffene staatliche Hoheitsakt auf das gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsvermögen und auch auf das von ihr betriebene Handelsgewerbe bezieht (vgl. BVerfGE 4, 7 [12]).
3. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden steht nicht entgegen, daß sie sich auch gegen Entscheidungen des Kammergerichts in Berlin richten.
In Nr. 4 des Genehmigungsschreibens der Militärgouverneure zum Grundgesetz vom 12. Mai 1949 ist der Vorbehalt enthalten, daß Berlin nicht durch den Bund „regiert” werden dürfe. Dieser Vorbehalt ist auch nach Beendigung des Besatzungsregimes durch den Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vom 26. Mai 1952 / 23. Oktober 1954 aufrechterhalten worden.
Der Vorbehalt geht dem innerstaatlichen Recht vor. Er bindet auch das Bundesverfassungsgericht und beschränkt seine Zuständigkeit (BVerfGE 7, 1 [14]; 7, 192 [193]; 10, 229 ff.).
Er enthält aber kein generelles Verbot jeder Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts in allen Berlin unmittelbar oder mittelbar berührenden Sachen. Es kommt vielmehr auf die Tragweite seiner Entscheidung gegenüber dem Lande Berlin und dessen Staatsgewalt an (BVerfGE 7, 1 [15]; 10, 229 [231]; 19, 377 [384]). Der Vorbehalt enthält, wie das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach ausgesprochen hat, ein kurz formuliertes prinzipielles Verbot politisch bedeutsamer Einwirkung der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland auf die Berliner Landesgewalt (zuletzt BVerfGE 19, 377 [385]). Das ist sicher dann nicht der Fall, wenn Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ein in Berlin vorgenommener Verwaltungsakt des Bundes ist, der nur nach Bundesrecht beurteilt wird, und der auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz geprüft werden soll. So verhält es sich bei den hier zu entscheidenden Verfahren.
a) Das Bundeskartellamt ist eine Bundesoberbehörde mit Sitz in Berlin (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GWB). Es gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft (§ 48 Abs. 1 Satz 2 GWB). Durch seine Tätigkeit übt es gemäß Bundesrecht Bundesgewalt aus.
Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen einen auf Bundesrecht beruhenden Hoheitsakt des Bundeskartellamts in Berlin wäre daher unter den Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG zulässig und könnte nicht gegen den „Berlin-Vorbehalt” verstoßen. Nichts anderes kann aber gelten, wenn im Hinblick auf das Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs zunächst das nach Bundesrecht zuständige Kammergericht angerufen worden ist und dieses den bei ihm angefochtenen Hoheitsakt des Bundeskartellamts ganz oder teilweise bestätigt hat.
Die Verfassungsbeschwerden richten sich sowohl gegen die Bescheide des Bundeskartellamts als auch gegen die Entscheidungen des Kammergerichts. Beide sind „Verfahrensgegenstand” der Verfassungsbeschwerden und müssen einheitlich auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Gemäß § 62 Abs. 4 GWB entscheidet über den Rechtsbehelf der Beschwerde gegen Bescheide des Bundeskartellamts das für seinen Sitz örtlich zuständige Oberlandesgericht; das ist das Kammergericht in Berlin. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und damit auch seine Zuständigkeitsbestimmungen wurden durch das Gesetz vom 5. September 1957 (GVBl. S. 1109) durch das Land Berlin übernommen, ohne daß gegen die Übernahme Einwendungen erhoben wurden. Es gilt auch in Berlin als Bundesrecht (BVerfGE 19, 377 [388]). Das Land Berlin stellt zum Vollzug des Bundesrechts lediglich seine Gerichtsorganisation zur Verfügung, ohne kraft Landeshoheit die Zuständigkeit zu bestimmen.
b) Soweit also das Kammergericht die Entscheidungen des Bundeskartellamts aufgrund des Gesetzes über Wettbewerbsbeschränkungen überprüft, wendet es Bundesrecht an, weil seine Prüfung sich nur mit der Frage befassen kann, ob das Bundeskartellamt als Bundesbehörde Bundesrecht richtig angewandt hat. Eine solche auf Bundesrecht beruhende Funktion des Kammergerichts berührt, auch wenn es als Gericht des Landes Berlin tätig wird und daher Landesgewalt ausübt, nicht in politisch bedeutsamer Weise die Landeshoheit Berlins.
Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden entfällt also nicht deshalb, weil im Fall ihrer Begründetheit nach § 95 Abs. 2 BVerfGG die Entscheidungen des Kammergerichts aufzuheben sind. Ein „Regieren” Berlins im Sinne des noch bestehenden Vorbehalts liegt darin nicht (vgl. auch BVerfGE 19, 377 [392]). Denn hier handelt es sich der Sache nach allein um die Prüfung eines Hoheitsakts des Bundes auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz.
C.
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet.
Die hier angegriffenen Gebührenbescheide des Bundeskartellamts als zuständiger Kartellbehörde sowie die diese Bescheide bestätigenden Entscheidungen des Kammergerichts beruhen auf dem Ersten Abschnitt der Verordnung der Bundesregierung über die Gebühren der Kartellbehörden und die Erstattung der durch das Verfahren vor den Kartellbehörden entstandenen Kosten vom 23. Januar 1958 in der Fassung der Verordnung vom 14. Oktober 1960. Dieser Abschnitt beruht auf der Ermächtigung des § 80 Abs. 2 GWB. Diese Ermächtigung ist aber mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.
I.
§ 80 Abs. 2 GWB erfüllt nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen der Gesetzgeber entsprechen muß, wenn er die Befugnis zur Rechtsetzung gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG delegieren will.
1. Die Vorschrift nennt zwar Inhalt und Zweck der Rechtsverordnung, zu deren Erlaß sie ermächtigt; die Verordnung soll das „Nähere” über die Gebühren regeln, die im Verfahren vor den Kartellbehörden erhoben werden können; diese Gebühren sollen dazu dienen, die Verwaltungskosten zu decken. Der Verordnunggeber soll bestimmen, welche verfahrensmäßigen Vorgänge die Gebührenpflicht auslösen, wie hoch bei bestimmten Gattungen von Tatbeständen die Gebühr sein soll, wer Gebührenschuldner ist, wer die Gebühren festzusetzen hat und welches Verfahren dafür vorgesehen ist. Er soll dabei dafür Sorge tragen, daß die zu erhebenden Gebühren geeignet sind, die Kosten der Kartellbehörden zu decken. Ob damit Inhalt und Zweck hinreichend bestimmt sind, kann indessen dahingestellt bleiben.
2. § 80 Abs. 2 Satz 2 GWB sagt aber nichts darüber aus, welche Grenzen dem Verordnunggeber gesetzt sind. Die Vorschrift ist daher hinsichtlich des Ausmaßes der Ermächtigung unbestimmt. Die mangelnde Bestimmtheit läßt sich auch nicht aus Sinn und Zweck des ermächtigenden Gesetzes ermitteln.
a) Gebühren gehören zu den öffentlichen Abgaben. Sie sind gesetzlich – oder aufgrund eines Gesetzes – festgelegte Entgelte für die Inanspruchnahme der öffentlichen Verwaltung. Dadurch unterscheiden sie sich von den Steuern und Sonderabgaben, die in erster Linie dem Finanzbedarf des Staates (oder der Gemeinden) dienen und die nicht in einem Zusammenhang mit einer konkreten Gegenleistung an den Abgabeschuldner stehen. Für die Gebühren gilt außerdem – anders als für Steuern – das Äquivalenzprinzip.
Da Gebühren öffentliche Abgaben sind, gilt für ihre Regelung der Vorbehalt des Gesetzes. Jedoch kann auch eine Rechtsverordnung eine Gebührenregelung schaffen, sofern sie auf einer verfassungsrechtlich einwandfreien Ermächtigung durch förmliches Gesetz beruht. Auch Gebührenordnungen für bestimmte Verfahren vor Behörden, die Hoheitsgewalt ausüben, sind für den Staatsbürger von einschneidender Bedeutung, weil sie die Geltendmachung und Verfolgung seiner Rechte unter Umständen erheblich erschweren. Darum hat der Gesetzgeber auf fast allen Gebieten die für die Inanspruchnahme der Verwaltung zu entrichtenden Gebühren durch förmliches Gesetz geregelt. Wenn der Gesetzgeber aber die Ausgestaltung einer Gebührenordnung delegieren will, so muß er die Tendenz und das Ausmaß der zu treffenden Regelung so weit selbst bestimmen, daß der mögliche Inhalt der zu erlassenden Verordnung voraussehbar ist (BVerfGE 7, 282 [301]). Er muß dem Verordnunggeber die Grenzen zeigen, die er einzuhalten hat (BVerfGE 2, 307 [334]; 5, 71 [76 f.]; 7, 282 [304]). Demnach muß er über den zu regelnden Gegenstand selbst etwas zum Ausdruck gebracht haben.
b) Im Gegensatz zu den dargelegten Erfordernissen einer Ermächtigung überläßt § 80 Abs. 2 Satz 2 GWB die Gestaltung des „Näheren” in vollem Umfang dem Verordnunggeber. Dieser kann also bestimmen, welche Akte die Gebührenpflicht auslösen oder gebührenfrei sind, wer Gebührenschuldner ist, wann Gebühren fällig werden und wie hoch sie sein dürfen, wer sie festsetzen kann und wem sie zufließen sollen, ob und welcher Ermessensspielraum der festsetzenden Behörde zugestanden wird, wie die Gebühren eingezogen werden, ob und wann sie verjähren und ob sie ermäßigt oder niedergeschlagen werden können. Das in § 80 Abs. 2 Satz 1 GWB ausdrücklich festgelegte Kostendeckungsprinzip bestimmt zwar den Zweck der zu erlassenden Regelung, besagt aber nichts über das Ausmaß der Ermächtigung. Das ihm verwandte Äquivalenzprinzip, das dem Begriff der Gebühr immanent ist, besagt nur, daß die Gebühren in keinem Mißverhältnis zu der von der öffentlichen Gewalt gebotenen Leistung stehen dürfen; es begrenzt aber die Ermächtigung zum Erlaß einer Gebührenordnung nicht hinreichend im Sinn des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Auch wenn die Prinzipien der Kostendeckung und der Äquivalenz beachtet werden, lassen sich Gebührenordnungen denken, die voneinander völlig verschieden sind und den Staatsbürger in verschiedener Weise belasten. Es kann daher der Bundesregierung nicht gefolgt werden, wenn sie meint, diese Prinzipien allein bestimmten in hinreichender Weise das Ausmaß der Ermächtigung. Eine gesetzliche Ermächtigung zur Rechtsetzung muß selbst ein Minimum von materieller Regelung enthalten, die dem Verordnunggeber als „Programm” und als „Rahmen” dienen soll und kann. Sie muß ihm auch Grenzen setzen. Daran fehlt es hier. Der Gesetzgeber hat vielmehr auf wesentliche Entscheidungen verzichtet und sie der Bundesregierung und dem Bundesrat allein überlassen. Die von ihm erteilte Ermächtigung ist so unbestimmt, daß nicht mehr vorausgesehen werden konnte, mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht wird. Sie verstößt daher gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
II.
Die Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsnorm hat zur Folge, daß auch der auf ihr beruhende Erste Abschnitt der Verordnung der Bundesregierung über die Gebühren der Kartellbehörden und die Erstattung der durch das Verfahren vor den Kartellbehörden entstandenen Kosten vom 23. Januar 1958 nichtig ist. Die auf den Bestimmungen dieses Abschnitts beruhenden Verfügungen und Entscheide des Kartellamts sowie die darauf ergangenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen daher gegen Art. 2 Abs. 1 GG und sind aufzuheben (BVerfGE 6, 32 [41 f.]; 9, 3 [11 f.]; 9, 83 [88]; 10, 89 [99]). Dazu gehören nicht die von den Verfassungsbeschwerden mitangegriffenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs; denn sie beruhen nicht auf den Bestimmungen der nichtigen Rechtsverordnung, sondern auf einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des § 73 Abs. 1 GWB.
Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die von den Beschwerdeführerinnen gerügten weiteren Verstöße gegen Grundrechte näher einzugehen.
Die Feststellung der Nichtigkeit von § 80 Abs. 2 Satz 2 GWB beruht auf § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG.
Fundstellen