Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 25.01.2002; Aktenzeichen 10 U 143/01) |
Tenor
1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 25. Januar 2002 – 10 U 143/01 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
2. Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 EUR (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten, in der neben dem Honorar die Zahlung von Spesen vereinbart wurde.
1. Im Ausgangsverfahren verlangte die Beschwerdeführerin, eine Anwaltskanzlei, aus einer Honorarvereinbarung restliche Zahlung. Nach der Vereinbarung waren ein Pauschalhonorar von 60.000 DM sowie zusätzlich ein Stundenhonorar von 800 DM zuzüglich etwaiger Kopierkosten und Spesen sowie Mehrwertsteuer geschuldet. Die Hälfte des Pauschalhonorars einschließlich Mehrwertsteuer bezahlte der Beklagte des Ausgangsverfahrens unmittelbar nach Abschluss des Vertrags. Mit weiteren Rechnungen verlangte die Beschwerdeführerin die Zahlung der anderen Hälfte des Pauschalhonorars, des Zeithonorars für insgesamt 44,25 Stunden sowie Fotokopierkosten und Mehrwertsteuer. Insgesamt belief sich der Betrag der Rechnungen auf 75.921,88 DM.
Im Klageverfahren holte das Landgericht zur Angemessenheit der vereinbarten Vergütung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (im Folgenden: BRAGO) ein Gebührengutachten bei der Rechtsanwaltskammer K. ein. Nach dem Ergebnis des Gutachtens ist das Stundenhonorar von 800 DM wegen der Schwierigkeit der Angelegenheit angemessen. Daneben dürfe aber nicht das Pauschalhonorar verlangt werden, da die besondere Sachkunde bereits bei der Bemessung des Stundensatzes Berücksichtigung finde. Auf der Grundlage dieses Gutachtens hat das Landgericht den Mandanten zur Zahlung weiterer 6.357,96 DM zuzüglich Zinsen verurteilt.
Durch das angegriffene Urteil des Oberlandesgerichts wurden die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Honorarvereinbarung keine Zahlung verlangen könne, da diese Vereinbarung mangels hinreichender Bestimmtheit der Leistungspflicht des Mandanten unwirksam sei. Bei einer von der gesetzlichen Vergütung abweichenden Honorarvereinbarung müsse aber die Vergütung der Höhe nach bestimmbar sein. Der Auftraggeber müsse erkennen können, welche Zahlungspflichten auf ihn zukämen, und er müsse in der Lage sein, diese zu berechnen. Hinsichtlich des Pauschal- und des Zeithonorars seien diese Voraussetzungen zwar erfüllt, nicht jedoch bezüglich der zusätzlich geschuldeten Spesen. Hierbei handele es sich um Auslagen, die bei der Ausführung des Auftrags anfielen, ohne dass im Einzelnen eingegrenzt werde, welche Auslagen erfasst seien. Darin liege ein Kostenrisiko in nicht abschätzbarer Höhe, welches durch die Vereinbarung in keiner Weise bestimmt und begrenzt werde. Auch wenn eine Aufzählung der einzelnen möglichen Kostenpositionen nicht möglich gewesen sei, hätte doch eine Obergrenze vereinbart werden müssen. Unerheblich sei, dass tatsächlich keine Spesen entstanden und geltend gemacht worden seien, weil die Wirksamkeit einer von der gesetzlichen Vergütung abweichenden Honorarvereinbarung nicht davon abhängen könne, welche Beträge letztlich angefallen seien.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Das angegriffene Urteil sei willkürlich. Gemäß § 3 Abs. 1 BRAGO sei eine Honorarvereinbarung über eine höhere als die gesetzliche Vergütung zulässig, soweit die Erklärung schriftlich abgegeben werde und nicht in einer Vollmacht oder in einem Vordruck enthalten sei, der auch andere Erklärungen umfasse. Diese gesetzlichen Anforderungen verschärfe das Oberlandesgericht grundlos. Wenn es richtig wäre, dass die im gewöhnlichen Anwaltsmandat unbedeutende – und auch im Streitfall bedeutungslos gebliebene – Spesenregelung eine ansonsten nicht zu beanstandende Honorarvereinbarung unwirksam mache, betreffe dies die Beschwerdeführerin existentiell. Sie erziele den überwiegenden Teil ihrer Umsätze auf der Grundlage von Honorarvereinbarungen, die üblicherweise eine Erstattungsfähigkeit von Spesen ohne nähere Spezifizierung vorsähen. Der Spesenanspruch sei nur ein Annex zur vereinbarten Vergütung und umfasse im Interesse des Mandanten für notwendig erachtete, gerichtlich jederzeit auf die Erforderlichkeit überprüfbare, Auslagen. Die vereinbarte Vergütung solle nicht durch Auslagen geschmälert werden. Auch § 25 Abs. 3 in Verbindung mit den §§ 26 bis 28 BRAGO liege dieser Gedanke zugrunde. Der Begriff Spesen sei ebenso bestimmt wie der Begriff Auslagen in § 25 Abs. 3 BRAGO. Zudem werde in dem angegriffenen Urteil unverständlicherweise nicht erörtert, weshalb ein nicht relevant gewordener Teil der Vereinbarung die Nichtigkeit des ganzen Vertrages zur Folge habe.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Bundesgerichtshof, die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche AnwaltVerein Stellung genommen. Der Bundesgerichtshof hat mitgeteilt, dass er noch nicht mit den in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen befasst gewesen sei. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleiteten Willkürverbots für begründet. Der Deutsche AnwaltVerein ist der Auffassung, dass zusätzlich ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vorliege.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG liegen vor. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
1. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen zur Berufsausübungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 101, 331 ≪347≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt.
Die Auslegung und Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO in Verbindung mit der Honorarvereinbarung in der angegriffenen Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit.
a) Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ist berührt. Vergütungsregelungen und hierauf gründende Entscheidungen, die auf die Einnahmen, welche durch eine berufliche Tätigkeit erzielt werden können, und damit auch auf die Existenzerhaltung von nicht unerheblichem Einfluss sind, greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein (BVerfGE 101, 331 ≪347≫). Um einen solchen Eingriff handelt es sich bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts, die der Beschwerdeführerin für geleistete Arbeit jedweden Anspruch aus der Honorarvereinbarung aberkennt.
b) Auslegung und Anwendung des Gesetzesrechts sind Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪257 f.≫; 87, 287 ≪323≫).
c) Das angegriffene Urteil hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung anhand dieses Maßstabs nicht stand. Die Tragweite der Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerin wurde nicht hinreichend berücksichtigt. Ersichtlich hat das Oberlandesgericht nicht beachtet, dass Vergütungsregelungen und hierauf gestützte Entscheidungen in die Freiheit der Berufsausübung eingreifen und dass dieser Grundrechtsbezug in die Auslegung der angewandten Vorschriften in zweifacher Weise hätte einfließen müssen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Honorarvereinbarung dürfen nicht unnötig überspannt werden (aa); bei Unwirksamkeit einzelner Abreden sind die Vereinbarungen über Auslagen in Form von Kopierkosten, Entgelten für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen sowie für Reisen zu denjenigen über das Honorar in ein der Bedeutung des Grundrechts gerecht werdendes Verhältnis zu setzen (bb).
aa) Die Annahme des Gerichts, der Begriff „Spesen” sei nicht bestimmbar, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar.
Nach allgemeinem Sprachgebrauch werden als Spesen Auslagen oder Kosten begriffen, die in Verbindung mit der Erledigung eines Geschäfts entstehen (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 20, 1993, S. 643, Stichwort „Spesen”). Soweit in einzelnen gesetzlichen Regelungen dieser Begriff Verwendung findet, wird er in diesem Sinn verstanden (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über den Wertpapierhandel).
Nicht anders hat auch das Oberlandesgericht selbst den Begriff definiert. Es gibt im Urteil keinen Hinweis darauf, welche Bedeutung dem Begriff noch beigelegt werden könnte, um ihm seine Bestimmtheit zu nehmen. Das Oberlandesgericht geht davon aus, dass es sich bei Spesen um Auslagen handelt, die bei Ausführung des Auftrags entstehen. In der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen AnwaltVereins wird in gleicher Weise ausgeführt, dass mit dem Begriff Spesen in der Honorarvereinbarung die in den §§ 26 bis 28 BRAGO genannten Auslagen gemeint waren – mit Ausnahme der vorliegend gesondert erwähnten Kopierkosten. Auch aus den Umständen des Falles ergibt sich kein Anhaltspunkt, dass hier etwas anderes gewollt sein könnte; schließlich sind vorliegend Spesen weder angefallen noch abgerechnet worden.
Die angegriffene Entscheidung wird der verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung auch insoweit nicht gerecht, als sie sich darauf stützt, es sei keine Obergrenze der zulässigen Auslagen vereinbart und auch im Übrigen bei Abschluss der Honorarvereinbarung keine Eingrenzung der abrechnungsfähigen Kosten vorgenommen worden. Damit stellt das Gericht auf eine nicht zu erfüllende Voraussetzung ab. Bei Abschluss einer Honorarvereinbarung vor Beginn des Prozesses lässt sich nicht absehen, wie viele Verhandlungstage bevorstehen, welche Beweisaufnahmen – auch außerhalb des Gerichtsorts – erforderlich werden und ob sich das Verfahren in einer Instanz erledigen wird. Die Obergrenze für Auslagen ergibt sich letztlich daraus, dass nur die erforderlichen Aufwendungen erstattungsfähig sind. Für Kosten, Auslagen oder Spesen gilt nichts anderes als für die Gebührenforderung selbst; erst nach Abschluss der Tätigkeit des Rechtsanwalts steht ihre Höhe endgültig fest. Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Aufwendungen darauf, ob sie erforderlich und angemessen sind, begrenzt das Kostenrisiko des Mandanten hinsichtlich der Auslagen und der Honorare in gleicher Weise.
bb) Der Tragweite der Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerin ist auch insoweit nicht hinreichend Rechnung getragen, als in der Entscheidung nicht auf die Regelung des § 139 BGB (Teilnichtigkeit) eingegangen wird. Diese Prüfung drängt sich im vorliegenden Fall schon deshalb auf, weil gar keine Spesen angefallen sind und geltend gemacht werden. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat zur Folge, dass ein vollständig bedeutungsloser Teil der Gesamtregelung den Honoraranspruch zu Fall bringt. In welchen Fällen die Nichtigkeit einer Regelung über Auslagenerstattung auch die Vereinbarung über das Entgelt für erbrachte Dienstleistungen erfassen kann, bedarf hier keiner abschließenden Erörterung. Jedenfalls können angesichts der Bedeutung, die das Entgelt für die Berufsausübung hat, nichtige Nebenabreden den Entgeltanspruch nur dann in Frage stellen, wenn hierfür gewichtige, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte berücksichtigende Argumente ins Feld geführt werden können. In der angegriffenen Entscheidung fehlt eine solche Abwägung schon im Ansatz.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 841101 |
NJW 2002, 3314 |
NWB 2002, 3686 |
JurBüro 2003, 302 |
ZAP 2002, 1156 |
AnwBl 2002, 612 |
EzFamR aktuell 2003, 52 |
AGS 2002, 266 |
BRAGOreport 2002, 165 |
BRAK-Mitt. 2002, 222 |
KammerForum 2002, 378 |
KammerForum 2003, 60 |