Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 01.08.2008; Aktenzeichen 31 AR 115/08) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.
I.
1. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens erwarb von einer in München ansässigen Anbieterin eine Beteiligung an einem Medienfonds. Sie beabsichtigt, die mit dem Vertrieb der Anteile befasste Beschwerdeführerin neben zwei weiteren Antragsgegnern auf Schadensersatz zu verklagen. Gegen die Beschwerdeführerin, eine Bank mit Sitz in F… stützte sie ihre Klage auf eine angeblich fehlerhafte Anlageberatung; gegen die beiden anderen Antragsgegner, ein weiteres Kreditinstitut mit Sitz in F… und den Fondsinitiator mit Wohnsitz in G…, will sie vornehmlich deliktische und Prospekthaftungsansprüche geltend machen.
Im Ausgangsverfahren begehrte die Antragstellerin, das Landgericht München I gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als gemeinsam zuständiges Gericht zu bestimmen. Diesem Antrag trat die Beschwerdeführerin – anders als die Antragsgegnerin zu 2) – entgegen und beantragte unter anderem hilfsweise, das Landgericht Frankfurt am Main für zuständig zu erklären.
Mit dem angegriffenen Beschluss bestimmte das angerufene Oberlandesgericht antragsgemäß das Landgericht München I als gemeinsam zuständiges Gericht. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Oberlandesgericht im Wesentlichen aus, die Antragsgegner, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand hätten, sollten als Streitgenossen gemeinsam in Anspruch genommen werden, ohne dass sich ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtstand sicher feststellen lasse. Zwar ergebe sich für die beiden übrigen Antragsgegner, die unter anderem wegen der Fehlerhaftigkeit des Anlageprospektes in Anspruch genommen würden, aus § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ein gemeinschaftlicher ausschließlicher Gerichtsstand. Dies gelte aber nicht für die Beschwerdeführerin, da die gegen sie zu richtende Klage nur auf eine fehlerhafte Beratung gestützt werden solle.
Aufgrund des zulässigen Antrags sei das Landgericht München I als zuständiges Gericht zu bestimmen. Dies sei möglich, weil jeweils mit Blick auf die beiden anderen Antragsgegner bei diesem Gericht, in dessen Bezirk die Anbieterin der erworbenen Beteiligung ihren Sitz habe, eine ausschließliche Zuständigkeit begründet sei und der Umstand, dass keiner der zu verklagenden Streitgenossen in München seinen allgemeinen Gerichtsstand habe, die Bestimmung dieses Gerichts nicht hindere. Die Wahl sei zudem zweckmäßig, da der Sinn der ausschließlichen Zuständigkeit in derartigen Fällen darin liege, eine Vielzahl von Verfahren bei demselben Gericht zu bündeln und bei dem Landgericht München I zahlreiche Verfahren, die ebenfalls den hier in Rede stehenden Medienfonds beträfen, bereits anhängig seien. Hiergegen könne nicht erfolgreich eingewendet werden, dass die getroffene Wahl für die Beschwerdeführerin zu einem Gerichtsstand führe, zu dem sie keinen örtlichen Bezug habe. Dieses Problem sei der Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes immanent, weswegen es auf eine Gesamtbetrachtung ankomme, bei der der gemeinsame Schwerpunkt aller gehäuften Klagen zu ermitteln sei.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG durch den Beschluss des Oberlandesgerichts.
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Gerichtsstandbestimmung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Insoweit berücksichtigt sie nicht hinreichend, dass Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1 ≪12≫; 87, 1 ≪33≫) und jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 22, 267 ≪274≫; 96, 205 ≪217≫). Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Deshalb setzt die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG besondere Umstände voraus, die verdeutlichen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 79, 51 ≪61≫). Überzeugende Anhaltspunkte dafür, das Oberlandesgericht könnte das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Durchführung eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger – Musterverfahrensgesetz und der damit nach Ansicht der Beschwerdeführerin verbundenen Verlagerung des räumlichen Schwerpunktes des Verfahrens von München nach Frankfurt übergangen haben, sind nicht ersichtlich. Im Übrigen wäre der von der Beschwerdeführerin gerügte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Rahmen des im Anschluss an die angegriffene Entscheidung durchgeführten Anhörungsrügeverfahrens ohnehin geheilt worden.
2. Der angegriffene Beschluss verletzt ferner nicht das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, wobei auch Maßnahmen und Entscheidungen eines Gerichts hiergegen verstoßen können. Allerdings kann nicht jede irrtümliche Verkennung der den Gerichten gezogenen Grenzen als eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewertet werden. Eine Entscheidung eines Gerichts verstößt nur dann gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, wenn sie von objektiv willkürlichen Erwägungen bestimmt ist. Hiervon kann nur die Rede sein, wenn sich das Gericht bei der Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪48 f.≫; 82, 159 ≪194≫; 86, 133 ≪143≫).
b) Gemessen an diesem Maßstab bestehen gegen die angegriffene Gerichtsstandbestimmung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
aa) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin lässt sich den Gründen der Entscheidung entnehmen, nach welchen Kriterien das Oberlandesgericht die Bestimmung des gemeinsam zuständigen Gerichts vorgenommen hat. Das Gericht ist bei seiner Auswahl – der allgemeinen Meinung (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2008 – X ARZ 98/08 –, NZG 2008, S. 553 ≪555≫; BGH, Beschluss vom 14. Juli 1993 – X ARZ 461/93 –, NJW 1993, S. 2752 ≪2753≫; BayObLG, Beschluss vom 22. Dezember 1998 – 1Z AR 126/98 –, DB 1999, S. 523; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Januar 2000 – 1 Sbd 98/99 –, NJW 2000, S. 1347; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 36 Rn. 32; MünchKommZPO/Patzina, 2. Aufl., § 36 Rn. 31; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 36 Rn. 18; Musielak/Heinrich, ZPO, 6. Aufl., § 36 Rn. 24; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 36 Rn. 18; Hk-ZPO/Kayser, 2. Aufl., § 36 Rn. 18; Vossler, NJW 2006, S. 117 ≪120≫) folgend – von dem Kriterium der Zweckmäßigkeit ausgegangen und hat in diesem Zusammenhang die Frage nach dem gemeinsamen Schwerpunkt des Prozesses in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gerückt. Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass für die Prozessbeteiligten nicht zweifelsfrei im Voraus erkennbar war, welches Gericht als gemeinsam zuständig bestimmt werden würde. Aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt nicht, dass der Gesetzgeber den gesetzlichen Richter stets endgültig bestimmen muss (vgl. BVerfGE 20, 336 ≪340≫). Vielmehr schließt die Forderung, der zuständige Richter müsse sich möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergeben, einen begrenzten Spielraum bei der Richterbestimmung für den Einzelfall jedenfalls dann nicht aus, wenn sie – wie hier – in der Hand eines unabhängigen Richters liegt (vgl. BVerfGE 25, 336 ≪346 f.≫). Demgemäß ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass aufgrund des von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dem Oberlandesgericht zugebilligten Auswahlermessens (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 1. Juni 2006 – 28 AR 28/06 –, NJW 2006, S. 2336 ≪2337≫; MünchKommZPO/Patzina, 2. Aufl., § 36 Rn. 31; Musielak/Heinrich, ZPO, 6. Aufl., § 36 Rn. 24; Hk-ZPO/Kayser, 2. Aufl., § 36 Rn. 18; Vossler, NJW 2006, S. 117 ≪120≫) die angefochtene Bestimmung des Landgerichts München I für die Beschwerdeführerin und die übrigen Beteiligten des Ausgangsverfahrens möglicherweise nicht sicher vorhersehbar war.
bb) Die Anwendung der genannten Kriterien bei der Auswahl des gemeinsam zuständigen Gerichts ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Für die vom Oberlandesgericht vorgenommene Bestimmung des Landgerichts München I spricht – neben weiteren Aspekten wie etwa den bereits in München anhängigen Parallelverfahren oder der Kanzleisitz der Bevollmächtigten einiger Prozessbeteiligter – der Umstand, dass dort mit Blick auf die übrigen Antragsgegner ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist und diesem Umstand bei der Gerichtsstandbestimmung besonderes Gewicht zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2008 – X ARZ 98/08 –, NZG 2008, S. 553 ≪555≫). Soweit die Beschwerdeführerin dem entgegenhält, dass das mit Blick auf die übrigen Antragsgegner durchgeführte Musterverfahren nach dem Kapitalanleger – Musterverfahrensgesetz zu einer Verlagerung des Schwerpunktes hin zum Landgericht Frankfurt geführt habe, sind die damit verbundenen, von der Beschwerdeführerin vornehmlich zur Prozesswirtschaftlichkeit angestellten Überlegungen bereits deshalb nicht zwingend, weil sie eine genaue Kenntnis des späteren Prozessverlaufes voraussetzen, der aber von ihr im Rahmen ihrer Verfassungsbeschwerde weder hinreichend dargetan worden ist, noch für das bestimmende Gericht ausreichend sicher prognostizierbar ist.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen