Entscheidungsstichwort (Thema)
Errichtung von Parabolantennen. Wohnungseigentum
Beteiligte
Rechtsanwalt Dr. Othmar Weissgerber |
Verfahrensgang
Tenor
Der Beschluß des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 29. Juni 1992 – 3 W 30/92 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Errichtung mehrerer Parabolantennen durch Wohnungseigentümer.
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie und zwei weitere Wohnungseigentümer, die dem englischen Sprachkreis angehören, brachten auf dem Dach des aus sechs Wohnungen bestehenden Hauses bzw. auf der dahinterliegenden Rasenfläche Parabolantennen an. In einer Wohnungseigentümerversammlung vom 8. November 1990 wurde mit 5 : 1 Stimmen beschlossen, die Anbringung der Parabolantennen nachträglich zu genehmigen. Nach Anfechtung dieses Beschlusses durch die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens beschlossen die Wohnungseigentümer in einer weiteren Versammlung am 9. April 1991 mit gleichem Stimmenverhältnis, den am 8. November 1990 gefaßten Beschluß zu bestätigen und die drei Parabolantennen zu genehmigen.
Auf Antrag der Antragstellerin erklärte das Amtsgericht beide Beschlüsse für ungültig. Das Landgericht gab der von den übrigen Verfahrensbeteiligten, darunter der Beschwerdeführerin, eingelegten sofortigen Beschwerde hinsichtlich des Beschlusses der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 9. April 1991 statt.
Auf sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin hin stellte das Oberlandesgericht mit dem angegriffenen Beschluß die Entscheidung des Amtsgerichts wieder her. Bei der Anbringung der Parabolantennen handele es sich um bauliche Maßnahmen, die nach § 22 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Nr. 1 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) ohne Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer nur dann zulässig seien, wenn sie keinen über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehenden Nachteil bedeuteten. Die Parabolantennen stellten einen solchen Nachteil dar. Zu dessen Duldung sei die Antragstellerin nicht verpflichtet, weil der mittels einer Satellitenantenne mögliche Empfang von Informationen über den allgemein üblichen Wohnkomfort hinausgehe. Zum üblichen Standard gehöre nach wie vor nur der Empfang der gängigen Rundfunk- und Fernsehprogramme mittels herkömmlicher Antennen. Das Grundrecht auf Informationsfreiheit gebiete keine abweichende Beurteilung. Auch das Recht ausländischer Mitbürger, sich durch Programme ihres Sprach- und Kulturkreises zu informieren, finde dort seine Grenze, wo dies nur durch Maßnahmen ermöglicht werde, die Rechte anderer beeinträchtigten.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG. Sie macht dazu geltend: Das Oberlandesgericht habe die Tragweite des gerügten Grundrechts verkannt. Zu einem geordneten Zusammenleben im Sinne des § 14 Nr. 1 und 3 WEG gehöre es, daß die Wohnungseigentümer ihr Grundrecht auf Informationsfreiheit ausüben könnten.
3. Das Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz und die Antragstellerin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil es zur Durchsetzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 90, 27 ≪31 ff.≫).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Der angegriffene Beschluß verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG.
a) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG gewährleistet jedermann das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Zu ihnen gehören auch Hörfunk- und Fernsehsendungen. Der Grundrechtsschutz erstreckt sich auf die Anbringung der zum Empfang notwendigen Anlagen. Das gilt auch für Parabolantennen, die den Empfang von Satellitenprogrammen ermöglichen (vgl. BVerfGE 90, 27 ≪32 f.≫).
b) Die Informationsfreiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören auch die Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes, die die wechselseitigen Rechte und Pflichten von Wohnungseigentümern festlegen und ihre Beschlußfassung regeln. Die Verfassung verlangt aber, daß bei deren Auslegung und namentlich bei der Konkretisierung der Generalklauseln die betroffenen Grundrechte berücksichtigt werden, damit ihr wertsetzender Gehalt für die Rechtsordnung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 ff.≫).
aa) Die Zivilgerichte stützen sich bei der Entscheidung von Konflikten zwischen Wohnungseigentümern über die Errichtung von Satellitenempfangsanlagen auf die Regelung des § 22 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Nr. 1 WEG. Unter § 22 Abs. 1 WEG fallende Maßnahmen können nach Satz 2 der Vorschrift in Verbindung mit § 14 Nr. 1 WEG gegen den Willen anderer Wohnungseigentümer nur verwirklicht werden, soweit diesen kein über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehender Nachteil erwächst. Diese Generalklausel gibt Raum für eine die betroffenen Grundrechte berücksichtigende Auslegung und Konkretisierung. Dabei ist auf seiten des Wohnungseigentümers, der einen Anspruch auf Errichtung einer Satellitenempfangsanlage geltend macht, neben seinem Eigentumsrecht vor allem sein Grundrecht auf Informationsfreiheit bzw. dasjenige seines Mieters, auf seiten der widersprechenden Wohnungseigentümer deren durch die Duldung einer solchen Anlage berührtes Eigentumsrecht zu berücksichtigen. Das erfordert eine fallbezogene Abwägung der beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen.
bb) Im Mietrecht gilt nach der vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Rechtsprechung der Zivilgerichte für den Regelfall, daß der Vermieter die Zustimmung zur Errichtung von Parabolantennen erteilen muß, wenn er keinen Anschluß an das Breitbandkabelnetz zur Verfügung stellt (vgl. BVerfGE 90, 27 ≪35 f.≫ unter Hinweis auf OLG Frankfurt, WuM 1992, S. 458). Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, daß das grundrechtlich geschützte Informationsinteresse des Mieters im Rahmen der Abwägung das Eigentümerinteresse an einem unveränderten Erhalt des Wohnhauses regelmäßig überwiegt. Während die Informationseinbußen bei Beschränkung auf herkömmliche Empfangsanlagen erheblich sind, lassen sich die meist nur ästhetischen Beeinträchtigungen mildern oder durch gemeinschaftliche Empfangsanlagen ganz vermeiden. Die besonderen Informationsinteressen dauerhaft in Deutschland lebender Ausländer erfordern darüber hinaus selbst in Fällen, in denen eine Wohnung an ein Kabelnetz angeschlossen ist, angesichts der kleinen Zahl in die inländischen Kabelnetze eingespeister ausländischer Programme in der Regel die Zustimmung des Vermieters zur Einrichtung einer Parabolantenne (BVerfGE 90, 27 ≪36 ff.≫ mit Hinweisen auf die fachgerichtliche Rechtsprechung).
cc) Im Wohnungseigentumsrecht bietet die Rechtsprechung der Zivilgerichte demgegenüber ein uneinheitliches Bild. Ein Teil der Gerichte hat den baugestalterischen Belangen für den Regelfall ein Übergewicht gegenüber dem Informationsinteresse zugebilligt, weil zum üblichen Wohnkomfort nur der mittels herkömmlicher Empfangsanlagen mögliche Empfang gängiger Rundfunk- und Fernsehprogramme zähle (so neben der angegriffenen Entscheidung auch BayObLGZ 91, S. 297 ≪299≫; OLG Hamm, NJW 1993, S. 1276 ≪1277≫). Neuere Entscheidungen orientieren sich dagegen weitgehend an den in der mietrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl. OLG Celle, NJW-RR 1994, S. 977 ≪978≫; LG Heilbronn, NJW-RR 1993, S. 588 ≪589≫).
Nur diese Sichtweise gewährleistet einen der Tragweite der berührten Grundrechte entsprechenden Interessenausgleich. Die Schutzwürdigkeit des Informationsinteresses eines Wohnungsnutzers hängt nicht wesentlich davon ab, ob er die Wohnung als Mieter oder Wohnungseigentümer nutzt. Ebensowenig kommt es hierfür darauf an, ob eine vermietete Wohnung im Wohnungseigentum steht oder zu einem ungeteilten Eigentumsobjekt gehört. Auf der anderen Seite ist auch die Interessenlage eines Wohnungseigentümers, der zur Abwendung von Verunstaltungen des Gebäudes oder von Schäden an der Bausubstanz die Zustimmung zur Anbringung einer Parabolantenne verweigert, derjenigen eines entsprechend handelnden Vermieters vergleichbar. Daß er nur eines von mehreren Mitgliedern der Eigentümergemeinschaft ist, ändert daran nichts, da es nach der einhelligen Rechtsprechung der Zivilgerichte um Maßnahmen geht, die vorbehaltlich eines Übergewichts der entgegenstehenden Informationsinteressen nach § 22 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 WEG nicht durch Mehrheitsbeschluß bestimmt werden können, sondern der Zustimmung aller betroffenen Wohnungseigentümer bedürfen.
Sind mithin die zum Mietrecht entwickelten Grundsätze für eine verfassungsmäßige Interessenabwägung auf das Wohnungseigentumsrecht übertragbar, so kann auch ein Wohnungseigentümer, der eine Parabolantenne installieren will, im Regelfall zwar auf einen vorhandenen Kabelanschluß, nicht aber auf die Empfangsmöglichkeiten herkömmlicher Antennenanlagen verwiesen werden. Ebenso wie im Mietrecht sind freilich auch im Wohnungseigentumsrecht Fälle denkbar, in denen aufgrund atypischer Umstände das Informationsinteresse hinter dem durch die Anbringung einer Parabolantenne beeinträchtigten Interesse zurücktreten muß oder in denen einem besonderen Informationsinteresse trotz vorhandenen Kabelanschlusses der Vorrang gebührt. Letzteres wird regelmäßig auf Wohnungseigentümer mit ausländischer Staatsangehörigkeit zutreffen, die durch einen Kabelanschluß allenfalls ein Fernsehprogramm ihres Heimatlandes empfangen könnten. Im übrigen läßt auch das Wohnungseigentumsrecht Raum, mancherlei Beeinträchtigungen wie Schäden an der Bausubstanz oder Kostenrisiken durch Zustimmungsvorbehalte Rechnung zu tragen, die selbst durch Mehrheitsbeschlüsse der Eigentümergemeinschaft nicht überspielt werden können (vgl. zum Mietrecht OLG Karlsruhe, WuM 1993, S. 525 ≪527≫). Die Modalitäten hierfür zu entwickeln, wird Sache der Fachgerichte sein.
c) Diesen Grundsätzen wird der angegriffene Beschluß nicht gerecht. Das Oberlandesgericht hat seine Auffassung, die Antragstellerin brauche die mit der Anbringung der drei Parabolantennen verbundene Beeinträchtigung nicht zu dulden, im wesentlichen damit begründet, daß der mittels einer Satellitenantenne ermöglichte Empfang von Informationen nicht zum allgemeinen Wohnkomfort gehöre; zu diesem Standard rechnet es nur den Empfang der öffentlichrechtlichen Programme der ARD und des ZDF und darüber hinaus wohl noch den der Privatsender RTL und SAT 1. Wie die Bezugnahme auf den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12. August 1991 (BayObLGZ 91, 296 ≪299 f.≫) deutlich macht, mißt das Gericht einem darüber hinausgehenden Informationsinteresse, das hier nicht durch einen Kabelanschluß befriedigt werden kann, selbst unter Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG kein wesentliches Gewicht für die Abwägung bei. Damit verkennt es die Bedeutung dieses Grundrechts. Ob die Beschwerdeführerin sich außerdem darauf berufen kann, das Oberlandesgericht habe das Informationsinteresse zweier dem englischen Sprachkreis angehörender Wohnungseigentümer, zu denen sie offenbar selbst nicht gehört, bei seiner Abwägung fehlgewichtet, brauchte deshalb nicht entschieden zu werden.
d) Die Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen das Grundrecht auf Informationsfreiheit. Weitere Gründe, die das Ergebnis selbständig tragen könnten, sind nicht ersichtlich. Dem steht nicht entgegen, daß die Eigentümergemeinschaft nach Angaben der Antragstellerin nicht deren Angebot aufgegriffen hat, eine Gemeinschaftsparabolantenne anzubringen.
Für das Mietrecht ist freilich anerkannt, daß der Vermieter den Mieter auf eine von ihm bereitgestellte Gemeinschaftsempfangsanlage verweisen kann, soweit diese dem Informationsinteresse des Mieters ausreichend entspricht (vgl. BVerfGE 90, 27 ≪36≫; OLG Karlsruhe, WuM 1993, S. 525 ≪526≫). Auf diese Weise steht dem Vermieter ein Mittel zur Verfügung, die störende Häufung von Parabolschüsseln am Mietobjekt immerhin in den Fällen zu verhindern, in denen die Angebotspalette eines Satelliten ausreicht, um dem Informationsbedarf der verschiedenen Mieter im gebotenen Maße zu genügen. Im Wohnungseigentumsrecht hat der einzelne Wohnungseigentümer, der die Installation von Einzelparabolantennen verhindern will, es zwar nicht in der Hand, gegen den Willen der übrigen Eigentümer eine über die ordnungsgemäße Instandsetzung und Instandhaltung hinausgehende Gemeinschaftsanlage durchzusetzen (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1993, S. 2817). Das schließt aber nicht aus, ihm entsprechend den mietrechtlichen Grundsätzen einen Zustimmungsvorbehalt des Inhalts zuzubilligen, daß sich die an einem Satellitenempfang interessierten Wohnungseigentümer mit einer Gemeinschaftsparabolantenne einverstanden erklären. Ob die Eigentümergemeinschaft sich unter diesem Gesichtspunkt über den erklärten Widerspruch der Antragstellerin durch einen ohne die Stimmen der drei Beteiligten, die eine Einzelparabolantenne installiert haben, undenkbaren Mehrheitsbeschluß hinwegsetzen durfte, erscheint nicht unzweifelhaft. Die Frage läßt sich aber nicht beantworten, ohne daß vorher festgestellt wird, ob den berechtigten Interessen aller am Satellitenempfang interessierten Wohnungseigentümer durch eine Gemeinschaftsantenne entsprochen werden kann. Dies zu klären, ist gegebenenfalls Sache des fachgerichtlichen Verfahrens.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Henschel, Grimm, Haas
Fundstellen
Haufe-Index 743202 |
NJW 1995, 1665 |
ZUM 1995, 711 |