Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenbedarfskündigung. Zulassung eines Räumungsbegehrens trotz Drittvermietung einer Alternativwohnung Verstoß gegen GG Art. 3 Abs. 1
Leitsatz (redaktionell)
Es verstößt gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot, den Einwand des Mieters, dem wegen Eigenbedarfs kündigenden Vermieter habe eine geeignete andere Wohnung zur Verfügung gestanden, allein mit der Begründung zurückzuweisen, die Alternativwohnung sei anderweitig vermietet worden.
Orientierungssatz
1. Bei Eigenbedarfskündigungen besteht einfachrechtlich in manchen Fällen Anlaß zu prüfen, ob der Wunsch des Vermieters, gerade die gekündigte Wohnung in Eigengebrauch zu nehmen, von einem schützenswerten Interesse getragen wird, namentlich dann, wenn im selben Mehrfamilienhaus eine andere im Eigentum des Vermieters stehende Wohnung frei wird und ernsthaft in Betracht kommt, daß die bislang offenbarten Nutzungswünsche dort "ohne wesentliche Abstriche" (vgl BVerfG, 1989-02-14, 1 BvR 308/88, BVerfGE 79, 292 ≪307≫) befriedigt werden können.
2. In der Literatur besteht fast durchgehende Einigkeit darüber, daß das Freiwerden einer Drittwohnung einem Räumungsbegehren grundsätzlich auch dann entgegengehalten werden kann, wenn die Alternativräume dem Vermieter zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung infolge Wiedervermietung nicht mehr zur Verfügung stehen.
3. Im Rahmen der Prüfung der Beachtlichkeit des Räumungsbegehrens kann sich der Vermieter seiner Darlegungslast nicht allein dadurch entledigen, daß er die Alternativwohnung sofort an einen Dritten vermietet und sodann die Unmöglichkeit ihrer Ingebrauchnahme geltend macht. Das folgt nicht nur aus dem Gesetzeszweck, sondern auch aus dem allgemeinen Rechtsgedanken, daß sich nicht auf Eintritt oder Fortfall einer Tatsache berufen kann, wer diese treuwidrig herbeigeführt hat (vgl etwa BGB § 162).
4. Bestehen zwischen der gekündigten Wohnung und der Alternativwohnung keine so gravierenden Unterschiede, daß die Ingebrauchnahme letzterer durch den Vermieter von vornherein außer Betracht bleibt, so sind die widerstreitenden Interessen unter Verletzung des Willkürverbots von GG Art 3 Abs 1 eindeutig zu Lasten des Mieters unangemessen behandelt, wenn das Gericht der Räumungsklage mit der Begründung stattgibt, daß der Kläger zur Wiedervermietung der freigewordenen Alternativwohnung berechtigt gewesen sei, weil - für ihn unzumutbar - die Wohnung andernfalls bis zur Beendigung des Prozesses leer gestanden hätte. Damit unterstellt das Gericht, daß der Kläger die Wohnung weiter vermieten konnte, ohne nachteilige Folgen für sein Räumungsbegehren befürchten zu müssen. Das Grundrecht des Klägers aus GG Art 14 Abs 1 S 1 verpflichtet das Gericht zwar, den Nutzungswunsch grundsätzlich zu respektieren und der Rechtsfindung zugrunde zu legen, was aber nicht bedeutet, daß der Vermieter unter Hinweis auf die Eigentumsgewährleistung die Prüfung verhindern kann, ob sein Festhalten am ursprünglichen Räumungsbegehren vernünftig und nachvollziehbar begründet worden ist (vgl BVerfGE 79, 292 ≪304f≫). Ein verfassungsrechtlich verfestigter Anspruch des Vermieters, durch Drittvermietung des Alternativobjekts vollendete Tatsachen zu schaffen und sich auf diese Weise des Einwandes alternativer Befriedigungsmöglichkeiten zu entledigen, besteht nicht.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1; BGB § 564b Abs. 2 Nr. 2, § 162
Verfahrensgang
Fundstellen
Haufe-Index 543649 |
BVerfGE, 82 |
NJW 1991, 157 |
JuS 1991, 328 |
DVBl. 1991, 223 |