Verfahrensgang
AG Schleswig (Beschluss vom 16.01.2012; Aktenzeichen 21 C 239/11) |
AG Schleswig (Urteil vom 14.11.2011; Aktenzeichen 21 C 239/11) |
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Schleswig vom 14. November 2011 – 21 C 239/11 – und der Beschluss des Amtsgerichts Schleswig vom 16. Januar 2012 – 21 C 239/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben, und die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das rechtliche Gehör in einem Zivilrechtsstreit.
1. Der Beschwerdeführer war im fachgerichtlichen Verfahren auf Zahlung von Entgelt aus einem Stromlieferungsvertrag in Anspruch genommen worden.
Das Amtsgericht beschloss, dass im schriftlichen Verfahren nach billigem Ermessen gemäß § 495a ZPO entschieden werden solle, und verlängerte das Ende der ursprünglich auf zwei Wochen festgesetzten Schriftsatzfrist für den Beschwerdeführer auf den 15. Oktober 2011. Dieses Datum fiel auf einen Sonnabend. Ein Schriftsatz des Beschwerdeführers, in dem er das Bestehen eines Vertragsverhältnisses mit der Klägerin im fraglichen Zeitraum unter Beweisantritt bestritt, ging bei Gericht am Montag, den 17. Oktober 2011 ein.
Mit angegriffenem Urteil vom 14. November 2011 gab das Gericht der Klage überwiegend statt. Zwischen den Parteien bestehe ein Stromlieferungsvertrag. Der entgegenstehende Vortrag des Beschwerdeführers aus seinem Schriftsatz vom 17. Oktober 2011 sei nicht berücksichtigungsfähig, da er nach Ablauf der Schriftsatzfrist erfolgt sei, die am Sonnabend, den 15. Oktober 2011 geendet habe. Zwar bestimme § 222 Abs. 2 ZPO, dass die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages ende, wenn das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend falle. Auf datierte Fristen finde diese Vorschrift jedoch nur dann Anwendung, wenn das datierte Ende der Verlängerungsfrist nach dem Wortlaut der richterlichen Verfügung auf einen Sonn- oder Feiertag falle (unter Verweis auf Stöber, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 222 Rn. 1, „mit Nachweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts”).
2. Mit seiner hiergegen erhobenen Anhörungsrüge trug der Beschwerdeführer vor, sein am 17. Oktober 2011 eingegangener Schriftsatz sei zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. § 222 Abs. 2 ZPO gelte uneingeschränkt auch für datierte Fristen. Nichts anderes ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; entsprechend eindeutig seien die Kommentierungen (mit Belegverweisen).
Mit angegriffenem Beschluss vom 16. Januar 2012 wies das Amtsgericht die Anhörungsrüge als unbegründet zurück. Die Schriftsatzfrist sei abgelaufen gewesen, denn es habe sich bei der gesetzten Frist um eine datierte Frist gehandelt, auf die § 222 Abs. 2 ZPO analog nur anzuwenden sei, wenn der Fristablauf auf einen Sonn- oder Feiertag falle (mit erneutem Verweis auf Stöber, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 222 Rn. 1). Dies sei sachgerecht, da bei datierten Fristen das Fristende aus der richterlichen Verfügung klar ersichtlich sei. Dass § 222 Abs. 2 ZPO auch auf Sonnabende analog anzuwenden sei, habe das Bundesverfassungsgericht in seiner in der zitierten Kommentierung angeführten Entscheidung nicht angenommen.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch Nichtberücksichtigung des am 17. Oktober 2011 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatzes und verweist auf Rechtsprechung und Literatur, aus der sich ergebe, dass entgegen der Annahme des Amtsgerichts § 222 Abs. 2 ZPO uneingeschränkt auch für Fristen mit datiertem Ende gelte.
4. Das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration des Landes Schleswig-Holstein und die Klägerin des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
1. Das Urteil des Amtsgerichts vom 14. November 2011 und der Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Januar 2012 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht verstößt gegen diesen Grundsatz, wenn es einen ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt (vgl. BVerfGE 11, 218 ≪220≫; 62, 347 ≪352≫; 70, 215 ≪218≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. August 1992 – 2 BvR 1129/92 –, NJW 1993, S. 51, und Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Dezember 2012 – 2 BvR 1294/10 –, NJW 2013, S. 925).
b) Danach werden die angegriffenen Entscheidungen dem Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht gerecht. Die Annahme des Amtsgerichts, die Schriftsatzfrist habe am 15. Oktober 2011, einem Sonnabend, geendet, ist nicht nachvollziehbar und konnte daher die Nichtberücksichtigung des am 17. Oktober 2011 eingegangenen Schriftsatzes nicht rechtfertigen.
Nach § 222 Abs. 2 ZPO endet eine Frist, deren Ende auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, mit Ablauf des nächsten Werktags. Die Einbeziehung der Fälle, in denen das Fristende auf einen Sonnabend fällt, in diese Regelung, die ursprünglich nur Fristen betroffen hatte, die auf einen Sonn- oder Feiertag fallen, erfolgte durch Art. 1 Nr. 2b des Gesetzes über den Fristablauf am Sonnabend vom 10. August 1965 (BGBl I S. 753). Die einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass diese Vorschrift, ihrem insoweit nicht unterscheidenden Wortlaut entsprechend, unabhängig davon gilt, ob es sich um sogenannte berechnete Fristen, das heißt um Fristen, deren Ablaufdatum – wie etwa bei der Einräumung einer Wochen- oder Monatsfrist – aus der Angabe eines bestimmten Zeitraums zu errechnen ist, oder um datierte Fristen handelt (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Juni 1978 – VIII ZR 127/76 –, juris, Rn. 6, 7, 9, m.w.N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl. 2013, § 222 Rn. 2; Gehrlein, in: Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 222 Rn. 6; Stadler, in: Musielak, ZPO, 10. Aufl. 2013, § 222 Rn. 1; Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 222 Rn. 14; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 222 Rn. 11; bei den nach der Auflage von 2013 zitierten Kommentaren ebenso jeweils auch bereits die früheren, zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen verfügbaren Auflagen).
Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, auf die das Amtsgericht sich durch Verweis auf eine sie zitierende Kommentarstelle beruft, folgt nichts Gegenteiliges. In dem Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 1982 – 2 BvR 125/82 – ist ausgeführt, dass, wenn eine Frist nach § 128 Abs. 3 Satz 2 ZPO auf einen Sonntag festgesetzt ist, ein Schriftsatz, der am folgenden Werktag und damit gemäß § 222 Abs. 2 ZPO noch rechtzeitig bei Gericht eingeht, zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 61, 119 ≪122≫). Aus dieser Feststellung in einer Entscheidung, die eine an einem Sonntag endende Frist betraf (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 119), ist ein Gegenschluss auf die Behandlung von Fällen, in denen das Fristende auf einen Sonnabend fällt, nicht zu ziehen. Entsprechendes gilt für den Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. April 1992 (- 1 BvR 1293/91 –, juris, Rn. 4, 9). Dass die vom Amtsgericht angeführte Kommentarfundstelle unter Verweis auf den erstgenannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sowie auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die aus der Zeit datiert, als der Sonnabend in die Regelung des § 222 Abs. 2 ZPO noch nicht einbezogen war, ohne Fallbezug angibt, diese Regelung gelte auch „wenn das datierte Ende der Verlängerungsfrist nach dem Wortlaut der richterlichen Verfügung auf einen Sonn- oder Feiertag fällt” (Stöber, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 222 Rn. 1; ebenso die 29. Aufl. 2012, a.a.O.), mag zwar einen Gegenschluss dahin, dass für auf einem Sonnabend endende Fristen etwas anderes gilt, nahelegen und insofern geeignet sein, den Leser irrezuführen. Schon angesichts des Wortlauts der kommentierten Vorschrift, die sich eindeutig auch auf Fristen bezieht, deren Ende auf einen Sonnabend fällt, hätte jedoch Anlass bestanden, der Frage nachzugehen, ob und warum der Fall, in dem das Ende der datierten Frist auf einen Sonnabend fällt, anders zu behandeln sein sollte als der Fall einer datierten Frist, deren Ende auf einen Sonn- oder Feiertag fällt. Erst recht bestand Anlass zur Überprüfung, nachdem der Beschwerdeführer in seinem Anhörungsrügeschriftsatz unter anderem auf Kommentierungen hingewiesen hatte, aus denen die Rechtslage eindeutig hervorgeht.
Die im Beschluss über die Anhörungsrüge angeführte Erwägung, auf datierte Fristen sei § 222 Abs. 2 ZPO nur analog und nur dann anzuwenden, wenn der Fristablauf auf einen Sonn- oder Feiertag falle, und dies sei auch sachgerecht, da bei datierten Fristen das Fristende aus der richterlichen Verfügung klar ersichtlich sei, verhilft der Rechtsauffassung, auf die das Gericht sich gestützt hat, nicht zur Nachvollziehbarkeit. § 222 Abs. 2 ZPO bezieht in seiner geltenden Fassung Sonnabende ein, um den im Rechtsverkehr aufgetretenen Unzuträglichkeiten Rechnung zu tragen, die mit der Einführung der Fünf-Tage-Woche für weite Kreise der arbeitenden Bevölkerung einhergegangen waren (vgl. BTDrucks 4/3394, S. 3). Auch wenn die Vorschrift auf datierte Fristen, weil diese keiner Berechnung bedürfen, nur analog anwendbar sein sollte, erschlösse sich nicht ansatzweise, weshalb der Umstand, dass bei datierten richterlichen Fristen das Fristende aus der jeweilige Verfügung klar ersichtlich ist, geeignet sein sollte, eine unterschiedliche Behandlung von Fristen, die an einem Sonn- oder Feiertag, und solchen, die an einem Sonnabend enden, zu begründen.
2. Das Urteil des Amtsgerichts vom 14. November 2011 beruht auf dem Gehörsverstoß und ist daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre, wenn es dessen Schriftsatz vom 17. Oktober 2011 berücksichtigt hätte. Der den Gehörsverstoß perpetuierende Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Januar 2012 ist ebenfalls aufzuheben (vgl. BVerfGE 4, 412 ≪424≫; BVerfGK 18, 83 ≪89≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. September 2012 – 2 BvR 938/12 –, juris), und die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Landau, Kessal-Wulf
Fundstellen
NJW 2013, 3776 |
FamRZ 2013, 1876 |