Verfahrensgang

LG Mainz (Beschluss vom 15.06.1998; Aktenzeichen 3 T 64/98)

AG Bingen am Rhein (Beschluss vom 23.03.1998; Aktenzeichen 1 C 408/97)

 

Tenor

Der Beschluß des Landgerichts Mainz vom 15. Juni 1998 – 3 T 64/98 – und der Kostenfestsetzungsbeschluß des Amtsgerichts Bingen vom 23. März 1998 – 1 C 408/97 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Tragung von Gerichtskosten.

I.

1. Die Beschwerdeführerin verlor als beklagte Partei einen Zivilrechtsprozeß, für den ihr Prozeßkostenhilfe gewährt worden war. Sie wurde dazu verurteilt, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluß setzte das Amtsgericht die von der Beschwerdeführerin an die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu erstattenden Kosten mit 448,05 DM fest. Dabei berücksichtigte das Amtsgericht auch die von der Klägerin vorab verauslagten Gerichtskosten in Höhe von 210 DM.

Die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß gerichtete sofortige Beschwerde wies das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluß zurück. Zur Begründung führte das Gericht aus, daß die Beschwerdeführerin gemäß § 123 ZPO trotz der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe verpflichtet sei, die dem Gegner entstandenen Kosten, zu denen auch die schon verauslagten Gerichtskosten gehörten, zu erstatten. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Klägerin die Gerichtskosten von der Landeskasse wieder zurückerhalten könne. Das sei jedoch nicht der Fall. § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG erfasse die bereits geleisteten Gerichtskosten nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung nicht. Das ergebe sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG sowie aus dem Fehlen einer dem § 2 Abs. 4 GKG entsprechenden Rückzahlungsanordnung.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG. Sie macht im wesentlichen geltend, daß die Auslegung des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG durch die herrschende Auffassung in der Rechtsprechung dazu führe, daß ein mittelloser Beklagter, dem Prozeßkostenhilfe gewährt worden sei, die Gerichtskosten tragen müsse, während dies bei einem mittellosen Kläger, dem Prozeßkostenhilfe gewährt worden sei, nicht der Fall sei. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keinen rechtfertigenden Grund.

3. Das Land Rheinland-Pfalz hat von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 99, 129 ≪139≫; Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 1999 – 1 BvR 984/89 –).

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede solcher Art und solchen Gewichts bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Eine solche Grundrechtsverletzung kann nicht nur vom Gesetzgeber begangen werden. Sie liegt vielmehr auch dann vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (vgl. BVerfGE 99, 129 ≪139≫).

b) Im Ausgangsverfahren haben die Gerichte § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG dahingehend ausgelegt, daß sich die Vorschrift nur auf im Zeitpunkt der Kostenentscheidung noch nicht bezahlte Gerichtskosten bezieht, nicht aber auf von dem Prozeßgegner der mittellosen Partei bereits verauslagte Gerichtskosten. Diese Auslegung entspricht einer gefestigten Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Rpfleger 1989, S. 376; OLG Hamm, MDR 1994, S. 104; OLG Düsseldorf, MDR 1997, S. 106). Sie führt jedoch zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von mittellosen Klägern und Beklagten, denen Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist.

aa) Ein unbemittelter Kläger, dem Prozeßkostenhilfe (ohne Zahlungsanordnung nach § 120 ZPO) bewilligt worden ist, muß selbst dann, wenn er den Prozeß verliert und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, regelmäßig keine Gerichtskosten zahlen. Dem Prozeßgegner (Beklagten) muß er keine Gerichtskosten erstatten, weil dieser insoweit keinen Erstattungsanspruch nach § 123 ZPO hat. Denn der Beklagte ist gemäß § 122 Abs. 2 ZPO von der Zahlung der Gerichtskosten grundsätzlich befreit und wird vom Staat gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG auch nicht als Zweitschuldner in Anspruch genommen. Der Staatskasse muß der Kläger keine Gerichtskosten zahlen, weil er nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a ZPO von der Zahlung befreit ist.

Demgegenüber muß ein unbemittelter Beklagter, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, nach der von den Gerichten im Ausgangsverfahren vertretenen Auffassung im Unterliegensfall die Gerichtskosten tragen. In dieser Konstellation ist der (bemittelte) Kläger verpflichtet, die mit Einreichung der Klage fällige Gebühr für das Verfahren im allgemeinen (§§ 61, 65 GKG) sowie gegebenenfalls im Laufe des Rechtsstreits anfallende weitere Auslagenvorschüsse, insbesondere für Zeugen und Sachverständige (§§ 402, 379 Satz 2 ZPO, § 68 GKG), zu zahlen, weil § 122 Abs. 2 ZPO in diesem Fall nicht gilt. Obsiegt der Kläger, hat er nach der herrschenden Auffassung, die § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG nur auf noch nicht bezahlte Kosten anwendet, keinen Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse hinsichtlich der bereits verauslagten Kosten. Die Erstattungspflicht des Beklagten nach § 123 ZPO umfaßt deshalb auch diese Zahlungen.

bb) Zwischen einem unbemittelten Kläger und einem unbemittelten Beklagten bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Vielmehr lassen sich für die vorgenommene Differenzierung keine tragfähigen sachlichen Gründe finden. Insbesondere kann das Anliegen, eine mutwillige Prozeßführung oder Manipulationen zu Lasten der Staatskasse zu verhindern, die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen (vgl. den Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 1999 – 1 BvR 984/89 –, Umdruck S. 7 ff.).

2. Die ungerechtfertigte Schlechterstellung der mittellosen Beschwerdeführerin gegenüber einem mittellosen Kläger hätten die Gerichte im Wege der verfassungskonformen Auslegung von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG vermeiden müssen.

Der Wortlaut von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG steht einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, daß auch die bereits vom Kläger verauslagten Gerichtskosten von der Vorschrift erfaßt werden, nicht entgegen. § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG bestimmt, daß die Haftung eines anderen Kostenschuldners (durch die Staatskasse) nicht geltend gemacht werden soll, soweit einem Kostenschuldner, der auf Grund von § 54 Nr. 1 GKG (als Entscheidungsschuldner) haftet, Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist. Die Vorschrift unterscheidet mithin nicht zwischen Gerichtskostenansprüchen der Staatskasse, die vor oder nach der Kostenentscheidung geltend gemacht werden.

Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich nicht zwingend, daß die bereits verauslagten Gerichtskosten von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG nicht erfaßt sein sollen. Vielmehr spricht die Gesetzesbegründung dafür, daß der Gesetzgeber mit § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG den Schutz der mittellosen Partei umfassend ausgestalten wollte (vgl. BTDrucks 7/2016, S. 79).

Der verfassungskonformen Auslegung steht auch nicht entgegen, daß sie eine Rückerstattungspflicht der Staatskasse hinsichtlich schon verauslagter Gerichtskostenvorschüsse gegenüber einem obsiegenden Kläger, dessen Prozeßgegner Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, bedingt. Aus der fehlenden gesetzlichen Regelung eines solchen Rückerstattungsanspruchs der obsiegenden Partei kann nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe sie ausschließen wollen. Insoweit fehlt es in den Gesetzgebungsmaterialien an einem hinreichenden Anhaltspunkt. Es ist deshalb von einer Regelungslücke auszugehen, die durch analoge Anwendung von § 2 Abs. 4 GKG mit der Anerkennung eines entsprechenden Rückerstattungsanspruchs geschlossen werden kann (vgl. den Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 1999 – 1 BvR 984/89 –, Umdruck S. 9).

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Mit der Kostenentscheidung erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe im Verfassungsbeschwerdeverfahren.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Grimm, Hömig

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1276127

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