Nachgehend
Tenor
Es wird festgestellt, dass die überlange Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Verfahren L 4 P 1/07 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Sachsen-Anhalt hat der Beschwerdeführerin 3/4 ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz.
I.
Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem ein Seniorenheim mit 50 Pflegeplätzen betreibt, das seinen Betrieb am 6. Dezember 1999 aufnahm. Die Errichtung des Seniorenheims wurde vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt nach § 52 PflegeVG mit insgesamt 7.625.200,00 DM (3.924.267,44 EUR) gefördert. Die Kosten für den Grunderwerb, die Herrichtung und Erschließung und die Technik in Höhe von insgesamt 334.100,00 DM (170.822,61 EUR) gingen zu Lasten der Beschwerdeführerin. Am 6. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung von Investitionsaufwendungen nach § 82 SGB XI in Höhe von 10,05 DM (5,14 EUR) pro Pflegetag und Heimbewohner für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 aus Anlass getätigter Investitionen (Abschreibungen für Außenanlagen, Fahrstuhl und Heizung, Abschreibungen für Kfz, Eigenkapitalverzinsung, Erschließungskosten, Erbbauzinsen, kalkulierte Wiederbeschaffungskosten, pauschalierte Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten). Mit Bescheid vom 7. April 2000 stimmte das beklagte Land lediglich der Inrechnungstellung der Abschreibung für ein Kfz in Höhe von 0,38 DM (0,19 EUR) für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 pro Heimbewohner pflegetäglich zu.
Die Beschwerdeführerin erhob am 8. Mai 2000 Klage. Die Klage wurde zwei Monate später mit Schriftsatz vom 12. Juli 2000 begründet. Die Klageerwiderung datiert vom 11. September 2000. Ein weiterer Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Oktober 2000 wurde wegen eines nicht mehr aufklärbaren Versehens falsch zugeordnet und erst mit Verfügung vom 3. April 2001 an das beklagte Land übersandt. Auf diesen verspätet übersandten Schriftsatz der Beschwerdeführerin ging die Replik des Beklagten am 28. Mai 2001 bei Gericht ein. Am 29. Juni 2001 wurde die Prozessvollmacht von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Mit richterlicher Verfügung vom 26. März 2002 wurde der Beklagte aufgefordert, die Fundstelle einer Verordnung anzugeben. Dies wurde von dem beklagten Land mit Schriftsatz vom 29. April 2002 erledigt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 fragte das Gericht bei dem beklagten Land an, ob dieses an seiner bisherigen Rechtsposition festhalte und bezog sich hierbei auf außergerichtliche Vergleichsverhandlungen in anderen Verfahren. Am 11. April 2003 erinnerte das Gericht an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 13. Februar 2003. Nach einer Zwischennachricht teilte das beklagte Land mit Schreiben vom 20. Mai 2003 mit, dass eine die Überprüfung abschließende Entscheidung nicht getroffen werden konnte. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 fragte die Beschwerdeführerin an, ob zwischenzeitlich die versprochene Stellungnahme des Beklagten vorliege. Am 7. Oktober 2003 fand außergerichtlich ein Treffen der Beteiligten statt, bei dem nach Angaben des Beklagten festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin der Behörde noch weitere Unterlagen übergeben werde. Im Zeitraum 24. Oktober 2003 bis 23. Januar 2004 wurde die Beschwerdeführerin mehrfach durch das Gericht an eine Stellungnahme erinnert und gebeten mitzuteilen, welche Unterlagen dem Beklagten übergeben wurden. Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 und nochmals mit Schreiben vom 16. Februar 2004 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung, weil der alleinige Sachbearbeiter erkrankt gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2004 erfolgte schließlich die angeforderte Stellungnahme der Beschwerdeführerin. Am 15. Juli 2004 fand ein erster Erörterungstermin statt, in dem das beklagte Land erklärte, es habe seine Rechtsauffassung zu einigen wesentlichen Punkten geändert. Den Beteiligten wurde weiterer Vortrag aufgegeben. Der Beklagte legte die Erschließungskosten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2004 dar, die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 20. August 2004. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 wurde die Beschwerdeführerin vom Gericht daran erinnert, wie in der Sitzung vom 15. Juli 2004 vereinbart, die Aufwendungen hinsichtlich der Erschließungskosten und Kosten Instandhaltung/Inventar zu konkretisieren und zu belegen. Dies geschah mit Schriftsatz vom 5. November 2004. Mit Schriftsätzen vom 19. Oktober 2004 und 28. Februar 2005 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Am 18. Mai 2005 erließ das beklagte Land einen Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,05 EUR pflegetäglich zustimmte. Am 21. Juli 2005 fand ein weiterer Erörterungstermin statt, der damit schloss, dass den Beteiligten weiterer Vortrag bis zum 10. September 2005 aufgegeben wurde. Am 9. September 2005 erließ dann das beklagte Land einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,01 EUR pflegetäglich zustimmte. In Erledigung der gerichtlichen Verfügung aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 21. Juli 2005 trugen beide Beteiligte ergänzend vor. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2006 fragte die Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte das Sozialgericht nach einem Kammerwechsel mit, dass die Sache sitzungsreif sei, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, könne derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 forderte das Gericht ein Urteil des Sozialgerichts Stendal zu § 82 Abs. 3 SGB XI an, das dieses am 16. Juni 2006 übersandte. Am 6. Oktober 2006 ging über das beklagte Land noch ein Urteil des Sozialgerichts Dessau zu § 82 Abs. 3 SGB XI bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 7. November 2006 beantragte der Beklagte das Ruhen des Verfahrens. Das Gericht teilte der Beschwerdeführerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Danach reichte die Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2006 noch kurz vor der bereits geladenen mündlichen Verhandlung ein von ihr veranlasstes Gutachten eines Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers vom 14. Juli 2006 zur Akte. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2006 statt und endete mit Klage abweisendem Urteil.
Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 Berufung ein. Auf die nachgereichte Berufungsbegründung vom 11. Juni 2007 erwiderte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007. Dieser enthält ausschließlich Rechtsausführungen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2008 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 teilte das Landessozialgericht ihr mit, dass noch keine konkreten Terminsaussichten gemacht werden könnten, da noch zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2009 fragte auch das beklagte Land an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens gerechnet werden könne und verwies auf zwei Parallelverfahren. Hierauf antwortete das Landessozialgericht mit Schreiben vom 7. August 2009 wortgleich wie auch schon gegenüber der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 fragte das Landessozialgericht bei der Beschwerdeführerin an, ob heute eine gesonderte Inrechnungstellung gegenüber den Bewohnern der Pflegeeinrichtung für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 überhaupt noch möglich sei. Gegebenfalls werde um die Vorlage entsprechender Belege gebeten. Sollte eine Inrechnungstellung nicht mehr möglich sein, werde gebeten darzulegen, zu welchem Zweck die begehrte Zustimmung noch dienen solle. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, auch heute noch sei eine gesonderte Inrechnungstellung möglich. Es lebten noch sieben Bewohner in der Einrichtung, die auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 dort wohnten. Es erscheine außerordentlich bizarr, dass das vorliegende Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zehn Jahre äußerst dilatorisch betrieben werde, um dann anzufragen, ob nicht möglicherweise der Prozess mangels Rechtsschutzbedürfnis durch den Tod der pflegebedürftigen Bewohner der Einrichtung eine elegante Erledigung gefunden habe. Hierauf stellte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 klar, dass sich ihre Anfrage darauf bezogen habe, ob Kosten für zurückliegende Zeiträume erhöht werden könnten und hierzu gegebenenfalls vertragliche Belege vorzulegen. Außerdem entschuldigte sie sich für die lange Verfahrensdauer, die auf die anhaltende starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen sei. Sie bat nochmals um die Vorlage von Belegen, dass auch heute den Bewohnern noch Kosten aus dem Zeitraum 1999/2000 in Rechnung gestellt werden könnten.
Die Beschwerdeführerin hat hierauf am 2. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, es stehe zu befürchten, dass nach mittlerweile fast zehn Jahren gerichtlicher Untätigkeit eine weitere Entscheidung hinausgezögert werden solle. Die Anfrage des Landessozialgerichts vom 23. Dezember 2009 lasse vermuten, dass dieses nunmehr beabsichtige, den Tod der letzten Bewohner abzuwarten, um somit eine Entscheidungsfindung vermeiden zu können.
Mit Schreiben vom 2. März 2010 bat die Beschwerdeführerin das Landessozialgericht die Verfügung vom 19. Januar 2010 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen, worauf das Gericht nochmals an die Erledigung der Verfügungen vom 23. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 erinnerte. Mit Schreiben vom 15. März 2010 erinnerte das Gericht dann im Hinblick auf die Verfahrensdauer nochmals an die Erledigung der Verfügungen. Am 18. März 2010 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung bis zum 6. April 2010 für die Erledigung der Verfügungen. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 schließlich legte sie den Heimvertrag erstmals vor und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2007, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen das Land bejaht worden sei. Am 11. Mai 2010 wies das Landessozialgericht – das Rechtsschutzbedürfnis bejahend – die Berufung durch Urteil zurück.
Entscheidungsgründe
II.
Die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hat am 30. September 2010 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.
III.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Unterlassung gerichtlicher Tätigkeit durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt richtet, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine insoweit stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt, soweit sie sich gegen die Gesamtverfahrensdauer und gegen die Handhabung des Verfahrens durch das Landessozialgericht richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2010 beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Das spricht gegen ein dringendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung des Rechtstreits. Allerdings hat die Beschwerdeführerin auch auf ihre mittel- bis langfristigen ökonomischen Planungen verwiesen, die durch den Ausgang des Rechtstreits fundamental erschwert würden. Damit kann angenommen werden, dass das Verfahren vor dem BVerfG zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist.
2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 ≪269≫; 88, 118 ≪124≫; 93, 1 ≪13≫). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/07 –, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ≪215≫). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 – 1 BvR 901/03 –, NVwZ 2004, S. 334 ≪335≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 – 1 BvR 1304/09 –, juris). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ≪215≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 – 1 BvR 1304/09 –, juris).
3. Das erstinstanzliche Verfahren hat über sechs Jahre gedauert. Eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen. Zur Schwierigkeit der Sachmaterie ist festzustellen, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zum Alltagsgeschäft eines Sozialgerichts gehören und höchstrichterlich ungeklärt sind. Neben dem gerichtlichen Verfahren führten die Beteiligten offenbar Vergleichsverhandlungen. Die beiden Erörterungstermine wurden vom Sozialgericht mit Blick auf eine einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits durchgeführt.
Die lange Verfahrensdauer geht zum Teil auf Verhalten des beklagten Landes, zum Teil auf Verhalten der Beschwerdeführerin selbst und zum Teil auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Fünf Monate gingen wegen der falschen Zuordnung des Schriftsatzes vom 30. Oktober 2000 im Sozialgericht verloren. Weitere zehn Monate verstrichen zwischen dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2001 und der Nachfrage des Gerichts zu dort angesprochenen Rechtsgrundlagen und einem Rahmenvertrag mit Verfügung vom 26. März 2002. Im Zeitraum 29. Juni 2001 (Eingang der Prozessvollmacht) und der nächsten Verfügung des/der Vorsitzenden vom 26. März 2002 kam es zu einem völligen Verfahrensstillstand.
Demgegenüber gehen mehr als neun Monate Verfahrensverzögerung zu Lasten der Beschwerdeführerin selbst. Zwei Monate verstrichen zwischen Klageerhebung und Klagebegründung. Vier Monate (Oktober 2003 bis Februar 2004) brauchte die Beschwerdeführerin, um das Gericht über dem Beklagten übergebene Unterlagen zu informieren. Über drei Monate benötigte die Beschwerdeführerin, um, wie im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 vereinbart, getätigte Aufwendungen zu konkretisieren und zu belegen.
Auch das beklagte Land trug maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens bei. Im Zeitraum Februar 2003 bis Juli 2004, also 17 Monate lang, äußerte sich der Beklagte gegenüber dem Gericht trotz mehrfacher Aufforderung nicht zur Sache und gab erst im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 zu Protokoll, dass er seine Rechtsauffassung in mehreren Punkten geändert habe.
Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts ist nach allem nicht anzunehmen. Ein Verfassungsverstoß ist nicht schon darin zu sehen, dass das Verfahren nicht in optimaler Weise gefördert wird. Dass es im Gerichtsablauf auch zu Pannen kommt, wie hier der falschen Zuordnung eines Schriftsatzes, begründet für sich keinen Grundrechtsverstoß. Der Verfahrensstillstand im Zeitraum 29. Juni 2001 bis 26. März 2002 ist zwar dem Gericht anzulasten, fällt aber in Anbetracht der danach eingetretenen und von den Beteiligten zu verantwortenden weiteren Verzögerungen nicht entscheidend ins Gewicht. Insgesamt hat das Verfahren erster Instanz zwar sehr lange gedauert, wurde aber im Hinblick auf außergerichtlich laufende Vergleichsverhandlungen auch von den Beteiligten selbst nicht energisch vorangetrieben. Dass das beklagte Land nach fünf Jahren zwei Änderungsbescheide erließ, spricht dafür, dass die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Erörterungstermine das Verfahren beförderten und, ebenso wie die parallel laufenden außergerichtlichen Verhandlungen, aus Sicht des beklagten Landes zu einer veränderten Sachlage führten. In Abwägung sämtlicher Umstände, die zu der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz führten, ist eine Grundrechtsverletzung durch das Sozialgericht hier noch zu verneinen.
4. In zweiter Instanz war das Verfahren etwas über drei Jahre und vier Monate anhängig, vom 10. Januar 2007 bis zum 11. Mai 2010. Fünf Monate vergingen allein zwischen der Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 und deren Begründung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2007. Diesen Zeitraum kann die Beschwerdeführerin nicht als Untätigkeit dem Landessozialgericht anlasten. Nach Eingang der Berufungserwiderung am 27. Juli 2007, die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme übersandt wurde, erfolgten allerdings im Zeitraum 31. Juli 2007 bis 23. Dezember 2009 keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen seitens des Gerichts. Dieses reagierte lediglich auf Sachstandsanfragen und wies auf die Bearbeitung zahlreicher älterer (zeitlich) vorrangiger Verfahren hin. Diese zwei Jahre und fast fünf Monate blieb das Landessozialgericht untätig. Danach war die Nachfrage der Berichterstatterin nach einem Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses durchaus naheliegend. Das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht ist besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert hatte und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergab. Denn die Gerichte haben auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ≪215≫).
Das Landessozialgericht beantwortete Sachstandsanfragen unter Hinweis auf zahlreiche ältere Verfahren, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei, darunter offenbar Parallelverfahren der Beschwerdeführerin aus den Jahren 2006 und 2007. Da sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen kann, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann eine anhaltend starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Zudem dauerte nach dem Jahresbericht 2009 des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ein Verfahren zweiter Instanz im Jahr 2007 durchschnittlich 22,9 Monate, im Jahr 2008 durchschnittlich 24 Monate und im Jahr 2009 durchschnittlich 26,8 Monate. Damit benötigte das vorliegende Verfahren ohne Ermittlungstätigkeit des Gerichts länger als es der durchschnittlichen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz entspricht. In Abwägung all dieser Umstände spricht die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz.
5. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel der Beschwerdeführerin, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zweiter Instanz zu beschleunigen, hat sich inzwischen erledigt, nachdem am 11. Mai 2010 ein die Berufung zurückweisendes Urteil des Landessozialgerichts ergangen ist. Damit ist insofern für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.
Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedoch dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 ≪232 f.≫; 105, 239 ≪246≫), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 ≪133≫; 99, 129 ≪138≫) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 ≪133≫; 103, 44 ≪58 ff.≫). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 – 1 BvR 547/06 –, juris, Rn. 28). Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 – 1 BvR 547/06 –, juris, Rn. 28).
Eine Wiederholungsgefahr ist, ungeachtet der Frage, ob Parallelverfahren der Beschwerdeführerin in der Berufung noch anhängig sind, schon mit Blick auf die Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer allein mit der Belastung des Gerichts zumindest nicht auszuschließen. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Beschwerdeführerin bestand in erster Linie in der Führung eines Grundsatzstreits zur Frage, ob das Land der in Ansatz gebrachten gesonderten Berechnung verschiedener Posten zuzustimmen habe. Die Beschwerdeführerin macht plausibel geltend, die lange Verfahrensdauer erschwere ihre mittel- bzw. langfristigen ökonomischen Planungen. Das wirtschaftliche Interesse im konkreten Rechtstreit ist mit maximal 96.525 EUR anzusetzen, dem Betrag, der sich aus der Multiplikation des geforderten pflegetäglichen Betrags von 4,95 EUR mit der Anzahl der Tage im Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 (390) und der Anzahl der Bewohnerplätze im Seniorenheim (50) ergibt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, auch weil die gegenstandslos gewordene Maßnahme sie insofern immer noch weiter beeinträchtigt, als das Verfahren auch nach jetzt zehneinhalb Jahren immer noch nicht abgeschlossen und nunmehr in der Revision beim Bundessozialgericht anhängig ist.
6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 EUR (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 – 1 BvR 2649/06 –, juris, Rn. 36). Die Kammer sieht im vorliegenden Fall einer teilweisen Stattgabe keinen Anlass, von diesem Regelwert abzuweichen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Bryde, Schluckebier
Fundstellen