Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 28.06.2005; Aktenzeichen 83 Ss 13/05) |
LG Köln (Urteil vom 11.02.2005; Aktenzeichen Sie. 153-216/04) |
AG Köln (Urteil vom 09.08.2004; Aktenzeichen 523 Ds 348/04) |
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 9. August 2004 – 523 Ds 348/04 –, das Urteil des Landgerichts Köln vom 11. Februar 2005 – Sie. 153-216/04 – und der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 28. Juni 2005 – 83 Ss 13/05 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Köln zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafrechtliche Verurteilung wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (§ 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB) durch die Bezeichnung “Schwarz-Rot-Senf” für die Fahne der Bundesrepublik Deutschland.
I.
1. Der Beschwerdeführer hielt am 3. Januar 2004 im Rahmen einer Kundgebung vor etwa 20 rechtsgerichteten Demonstranten auf dem Offenbachplatz in Köln eine Rede mit ausschnittsweise folgendem Wortlaut:
“Nein, Kameradinnen und Kameraden, wir tun das einfach, weil uns das Schicksal unseres deutschen Vaterlandes nicht egal ist. Wir alle sind in diese Schicksals- und Lebensgemeinschaft geboren worden. Wir können uns da nicht einfach abmelden. Wir können kein Papier kriegen, auf dem da steht – na ja gut, wir sind nicht Kongolese oder Sibiriake, nein wir sind nun mal Deutsche. Von Geburt an. Die Frage ist – sind wir als Deutsche Arschlöcher, die sich hier von diesem System einmachen lassen? Oder stehen wir zu unserer Fahne? Und damit meine ich auch nicht die schwarz-rot-senf. Unter diesen Umständen. Oh, Entschuldigung, schwarz-rot-gold, könnte mir ja womöglich falsch ausgelegt werden. Wir stehen zu unserer Fahne. Wir stehen in dieser tiefsten dunklen Nacht Deutschlands. Aber genau so wie am 21. Dezember die Nächte wieder anfangen kürzer zu werden und die Tage länger, und genauso wie auf die tiefste und dunkelste Nacht wieder ein Sonnenaufgang erfolgt, so wird dereinst unser Volk und unser Reich im neuen Glanze erstehen. Und dafür stehen wir, dafür kämpfen wir und darauf können wir stolz sein. Dass wir die ersten gewesen sind, aber nicht die letzten. Heil unserem geliebten Deutschland. Heil dem deutschen Reich.”
2. Mit Urteil vom 9. August 2004 verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gemäß § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 €. Der Beschwerdeführer habe eingeräumt, die Farben der Fahne der Bundesrepublik Deutschland immer als “Schwarz-Rot-Senf” zu bezeichnen, weil ihm die Farben der Reichsfahne “Schwarz-Weiss-Rot” eher lägen. Offensichtlich habe er sich verbessert, als er den Polizeibeamten gesehen habe, damit dieser ihm die Worte nicht falsch auslege. Nach Ansicht des Gerichts entlaste den Beschwerdeführer diese Einlassung nicht. Die ausgesprochene Entschuldigung sei nicht ernst gemeint gewesen. Es handele sich um eine Wortspielerei, die der Verstärkung der zuvor gesprochenen Sätze “Oder stehen wir zu unserer Fahne? Und damit meine ich nicht die Schwarz-Rot-Senf.” dienten.
3. Mit Urteil vom 11. Februar 2005 änderte das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts auf die Berufung des Beschwerdeführers hin ab und verurteilte den Beschwerdeführer wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gemäß § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Einbeziehung der Strafe aus einer früheren Verurteilung (wegen unbefugten Tragens von Uniformen) zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 €. Der Beschwerdeführer habe sich dahingehend eingelassen, dass da, wo er herkomme, die Farben “Schwarz-Rot-Senf” für die Fahne der Bundesrepublik Deutschland allgemein verwendet würden. Als er bemerkt habe, dass sich ein Polizeibeamter unter den Zuhörern befunden habe, habe er sich wegen der Angaben der Farben sofort entschuldigt, damit ihm diese nicht falsch ausgelegt würden. Nach Ansicht des Gerichts habe der Beschwerdeführer mit der Bezeichnung “Schwarz-Rot-Senf” die Flagge der Bundesrepublik Deutschland verächtlich machen wollen. Dass es sich um die Flagge gehandelt habe, ergebe sich eindeutig aus dem Zusammenhang der Rede. Ebenfalls aus dem Sinnzusammenhang der Rede sowie der eigenen Einlassung des Beschwerdeführers ergebe sich, dass dieser sich auch der Bedeutung seiner Wortwahl bewusst gewesen sei. Wenn er sich nicht bewusst gewesen wäre, die Flagge der Bundesrepublik Deutschland zu verunglimpfen, hätte keine Notwendigkeit für die von ihm selbst angegebene Berichtigung bestanden.
4. Mit Beschluss vom 28. Juni 2005 verwarf das Oberlandesgericht die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben habe.
II.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Rechtes auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es seien nicht alle Deutungsmöglichkeiten, die nicht zur Strafbarkeit führten, mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen worden.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen der Reichweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bei der strafrechtlichen Beurteilung von Meinungsäußerungen im Allgemeinen sowie im Bereich von § 90a StGB im Besonderen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. allgemein zur Meinungsfreiheit: BVerfGE 93, 266 ≪292 ff.≫; speziell zu § 90a StGB: BVerfGE 47, 198 ≪232 f.≫; BVerfGE 81, 278 ≪293 f.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 – 1 BvR 287/93 –, NJW 1999, S. 204 ≪205 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. November 2000 – 1 BvR 581/00 –, NJW 2001, S. 596 f.). Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer danach in seiner durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit.
1. Die Bezeichnung der Farben der Fahne der Bundesrepublik Deutschland als “Schwarz-Rot-Senf” fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Meinungen genießen den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪7≫; 85, 1 ≪14 f.≫; 90, 241 ≪247≫). In der Bestrafung wegen dieser Äußerung liegt ein Eingriff in dieses Grundrecht.
2. Gegen den die Meinungsfreiheit einschränkenden Straftatbestand des § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken prinzipieller Art (vgl. BVerfGE 81, 278 ≪290, 293≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 – 1 BvR 287/93 –, NJW 1999, S. 204 ≪205≫). § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB schützt die Farben und die Flagge der Bundesrepublik Deutschland als staatliches Symbol. Dieser Schutz ist in der Verfassung begründet. Da die Flagge durch die von ihr verkörperten Staatsleitziele als wichtiges Integrationsmittel dient, kann ihre Verunglimpfung die für den inneren Frieden notwendige Autorität des Staates beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 81, 278 ≪293 f.≫).
3. Bei der Auslegung und Anwendung strafrechtlicher Vorschriften haben die Gerichte dem eingeschränkten Grundrecht Schutz der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208 f.≫; 94, 1 ≪8≫; stRspr). In öffentlichen Angelegenheiten gilt die Vermutung zugunsten der freien Rede (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208≫; stRspr). Die Bürger sind rechtlich nicht gehalten, die Wertsetzungen der Verfassung persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren (vgl. BVerfGK 2, 1 ≪5≫).
Zur Auslegung und Anwendung strafrechtlicher Vorschriften, welche das Grundrecht der Meinungsfreiheit einschränken, gehört daher zum einen eine zutreffende Erfassung des Sinns der umstrittenen Äußerung, der unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln ist (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪295≫; 114, 339 ≪348≫). Insbesondere dürfen die Gerichte ihr keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben. Zum anderen gehört dazu eine im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der Strafvorschrift vorzunehmende fallbezogene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit auf der einen und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie eingeschränkt ist, auf der anderen Seite (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293 ff.≫).
Handelt es sich bei der gesetzlichen Beschränkung der Meinungsfreiheit um eine Staatsschutznorm wie hier den § 90 a Abs. 2 Nr. 2 StGB, ist besonders sorgfältig zwischen einer – wie verfehlt auch immer erscheinenden – Polemik und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung zu unterscheiden, weil Art. 5 Abs. 1 GG gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293≫; speziell zu § 90a StGB: BVerfGE 81, 278 ≪294≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 – 1 BvR 287/93 –, NJW 1999, S. 204 ≪205≫). Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass staatliche Symbole nur insoweit verfassungsrechtlichen Schutz genießen, als sie im jeweiligen Kontext versinnbildlichen, was die Bundesrepublik Deutschland grundlegend prägt (vgl. BVerfGE 81, 278 ≪294≫). Hierbei kommt es auf die Bedeutung der Äußerung in ihrem Zusammenhang an. Dabei darf der Symbolschutz nicht zur Immunisierung des Staates gegen Kritik und selbst gegen Ablehnung führen (vgl. BVerfGE 81, 278 ≪294≫).
4. Zwar überprüft das Bundesverfassungsgericht die fachrichterliche Rechtsanwendung grundsätzlich nur darauf hin, ob die Gerichte Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit verkannt haben (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 93, 266 ≪296≫). Im Zusammenhang mit den Kommunikationsgrundrechten hat die Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte nicht unerhebliche Rückwirkungen auf die verfassungsrechtlich geschützten Positionen. Schon einzelne Fehler bei der Auslegung des einfachen Rechts und der Deutung der Äußerung können zu einer Fehlgewichtung des Grundrechts führen. Wegen der schwerwiegenden Folgen, die solche Fehler im Strafverfahren nach sich ziehen können, ist zumindest dort eine intensivere Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unausweichlich. Angesichts der einschüchternden Wirkung, die staatliche Eingriffe hier haben können, muss eine besonders wirksame verfassungsrechtliche Kontrolle Platz greifen, soll die Freiheit dieser Lebensäußerungen nicht in ihrer Substanz getroffen werden (vgl. BVerfGE 43, 130 ≪136≫; 81, 278 ≪290≫).
a) Die angegriffenen Entscheidungen genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Die Gerichte haben sich nicht damit auseinandergesetzt, dass die Äußerung des Beschwerdeführers in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit fällt und diese für die Auslegung und Anwendung von § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB Bedeutung hat. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG findet in der Entscheidung des Amtsgerichts und des Landgerichts weder direkt noch sinngemäß Erwähnung. Dementsprechend fehlen sowohl Ausführungen dazu, inwieweit es sich um eine böswillige Verächtlichmachung handelt, die über eine – Systemkritik einschließende – Polemik hinausgeht und die im konkreten Fall symbolisch in Frage stellt, was die Bundesrepublik Deutschland grundlegend prägt, als auch Erwägungen zur verfassungsrechtlich gebotenen fallbezogenen Abwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit durch die Verurteilung einerseits und dem Grad der Beeinträchtigung des von § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB geschützten Rechtsguts durch die Äußerung andererseits.
b) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Auch ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen zu einem anderen Ergebnis kommen. Zwar scheint es fernliegend, dass der Beschwerdeführer – wie er nun mit seiner Verfassungsbeschwerde geltend macht – die Fahnen anderer Institutionen gemeint habe. Auch ist bei der Bezeichnung “Schwarz-Rot-Senf” für die Fahne der Bundesrepublik Deutschland eine Bezugnahme auf die Weimarer Republik nicht zu übersehen. Mit diesem Ausspruch protestierten Rechtsextreme damals gegen die Reichsfarben und damit gegen den durch diese repräsentierten freiheitlichen republikanischen Staat (vgl. Reichsgericht, JW 1929, S. 2352 (Nr. 16): Beschimpfung der Reichsfarben durch ihre Bezeichnung als “Mostrichfahne”; Oborniker, Die Justiz 1925/26, S. 320 ≪321 f.≫; Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 86 ff.). Jedoch ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass diese historische Verknüpfung im Bewusstsein der Bevölkerung präsent ist und daher in der konkreten Situation auch so erfasst wurde. Auch bedarf es einer eingehenden Würdigung, ob – selbst wenn man der Äußerung diesen historischen Bezug beimisst – die Umschreibung der Farbe “Gold” als Senf in der konkreten Situation eine empfindliche Schmähung beziehungsweise besondere Verächtlichmachung bedeutet, welche geeignet war, die Achtung der Bürger für den Bestand der rechtsstaatlich verfassten Demokratie in der Bundesrepublik auszuhöhlen und zu untergraben.
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Eichberger, Masing
Fundstellen