Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinsrechtliches Betätigungsverbot
Beteiligte
Rechtsanwälte Hans-Eberhard Schultz und Koll. |
Verfahrensgang
BGH (Zwischenurteil vom 07.10.1998; Aktenzeichen 3 StR 352/98) |
LG Dortmund (Urteil vom 06.03.1998; Aktenzeichen KLs F 1 Js 116/97) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot.
I.
1. a) Die Beschwerdeführerin wurde als Angehörige der kurdischen Volksgruppe in der Türkei geboren. Seit 1991 besitzt sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Anlässlich einer Veranstaltungswoche zum Internationalen Frauentag 1997 am 12. März 1997 in Dortmund beteiligte sich die Beschwerdeführerin zusammen mit anderen kurdischen Frauen an der Errichtung eines Informationsstandes. Sie hatte Informationsmaterial sowie einen Tapeziertisch besorgt. Hierbei war ihr bekannt, dass durch Verfügung des Bundesministers des Innern vom 22. November 1993 der PKK (Patiya Karkeren Kurdistan = „Arbeiterpartei Kurdistans”) einschließlich ihrer Teilorganisation ERNK (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan = „Nationale Befreiungsfront Kurdistans”) verboten worden war, sich im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes zu betätigen. Ein hinter dem Stand aufgehängtes Plakat forderte unter anderem die „Aufhebung des Verbots kurdischer Vereine!”. Auf dem Informationstisch lagen rund 70 Flugblätter in türkischer und 30 gleich lautende Flugblätter in deutscher Sprache aus. Die Flugblätter wurden von zwei anderen Frauen im Bereich der Fußgängerzone an Passanten verteilt und hatten auszugsweise folgenden Wortlaut:
„Wir gratulieren mit unseren revolutionären Gefühlen zum weltweiten Arbeiterfrauentag des 8. März.
[…] Die unter der Führung der PKK zur Armee werdende Frau, ist die bewussteste Antwort auf die tausendjährige Sklaverei. […] Die Genossenen die am 30. Juni in Dersim, am 29. Oktober in Adana und am 30. Oktober in Sivas ihren Körper als Bombe gegen die ihr Land kolonialisierenden Kräfte einsetzen, stellen den Höhepunkt in der würdevollen Frauenwiderstandsgeschichte dar. Für die kurdische Frau ist auf dem Weg des Volksführers Abdullah Öcalan und der Herausbildung der YAJK nunmehr jeder Tag ein 8. März. […] Der Befreiungskampf Kurdistans und der ihn anführende, in der YAJK verkörperte neue alternative Frauentypus, sind an diesem 8. März ein Geschenk und eine Botschaft der kurdischen Frauen an Arbeiterfrauen in der Welt. […]”
Deutlich abgesetzt und in Fettdruck endet der Text mit den Parolen:
- „Es lebe der weltweite Arbeiterfrauentag des 8. März!”,
- „Es lebe die PKK, ARGK, ERNK!”,
- „Es lebe der Vorsitzende APO!”,
- „Es lebe der, unter dem Kommando von Zilan zur Freiheit marschierende Kampf der kurdischen Frauen!”.
Unterschrieben war der Text mit „Freier Frauenverband Kurdistans YAJK-Europavertretung”.
b) Das Landgericht verurteilte die Beschwerdeführerin gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Geldstrafe. Es sei der Beschwerdeführerin mit der Errichtung des Informationsstandes unter anderem darum gegangen, für die PKK und ihre Teilorganisationen zu werben. Sie sei die Hauptverantwortliche für das Beschaffen und Veröffentlichen des PKK-Propagandamaterials gewesen. Die von der Beschwerdeführerin eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof durch die weiter angegriffene Entscheidung als unbegründet.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 2 GG. Die besondere Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft schließe eine Bestrafung wegen des Textes auf dem Flugblatt aus. Bei diesem habe es sich nicht um das Flugblatt einer mit einem Betätigungsverbot belegten Vereinigung gehandelt, sondern um das einer nicht verbotenen Frauenorganisation. Im Übrigen verstoße § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) zu, da sich die aufgeworfenen Fragen der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG und der Strafbarkeit von Verstößen gegen Vereinsverbote anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten lassen (vgl. BVerfGE 25, 44 ≪55 ff.≫; 80, 244 ≪256 f.≫). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 sowie Art. 20 Abs. 3 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde mangels einer hinreichenden Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG bereits unzulässig. Insbesondere lässt sich ihr nicht die Möglichkeit einer Verletzung des Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit entnehmen: Die Fachgerichte haben die Strafbarkeit nicht an ein Auftreten oder Sichäußern der Beschwerdeführerin als Mitglied des nicht verbotenen Frauenverbandes YAJK, sondern lediglich an die Meinungsäußerungen zugunsten der PKK geknüpft, die mit einem bestandskräftigen Betätigungsverbot belegt ist.
2. Im Hinblick auf die im Übrigen als verletzt gerügten Verfassungsrechte hat die Verfassungsbeschwerde in der Sache keinen Erfolg.
a) Dies gilt zunächst für das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Texte auf dem Flugblatt und dem Plakat nehmen zwar an dem Schutz der Meinungsfreiheit teil. Sie enthalten Meinungen zur Rolle der Frauen im Kampf der PKK und zum Verbot kurdischer Vereine in Deutschland. Der in der Verhängung einer Strafe wegen dieser Äußerungen liegende Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts ist jedoch gerechtfertigt, da die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin durch § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG wirksam eingeschränkt wird.
aa) Wie die Kammer im Beschluss vom heutigen Tage in dem Verfahren 1 BvR 98/97 – hierauf wird Bezug genommen – dargelegt hat, ist die genannte Vorschrift ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 42, 30 ≪35 ff.≫) die Anwendung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG davon abhängig macht, ob das Organisationsgefüge – hier der PKK/ERNK – in messbarer Weise stabilisiert und gestärkt wird. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wird bei einer derartigen Auslegung dann nicht in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt, wenn vorausgesetzt wird, dass dem Verhalten des Täters eine hinreichende Außenwirkung zukommt, aus der ein objektiver Bezug der Handlung des Einzelnen zur Tätigkeit des Vereins eindeutig erkennbar wird. Demgegenüber bleibt dem Einzelnen unbenommen, in der Öffentlichkeit die gleichen inhaltlichen Positionen wie die verbotene Organisation zu vertreten oder auch etwa angesichts veränderter Verhältnisse durch Meinungsäußerung auf die Aufhebung eines Tätigkeitsverbots hinzuwirken. Welcher Sinn einer Äußerung oder einem Verhalten in dem zu beurteilenden Fall zukommt, haben die Fachgerichte unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Deutung einer Äußerung (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪280 f.≫) zu ermitteln.
bb) Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Auslegung und Anwendung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG sind das Landgericht und damit auch der Bundesgerichtshof gerecht geworden.
(1) Die vom Landgericht zu Grunde gelegte Konkretisierung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG fügt sich in die mit Art. 5 Abs. 1 GG zu vereinbarende Auslegung der Vorschrift durch den Bundesgerichtshof ein. Auf den Verein bezogene Werbemaßnahmen sind geeignet, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen, wenn sie darauf zielen, Akzeptanz für die Aktivitäten des Vereins in der Bevölkerung zu schaffen oder die Zahl seiner Anhänger zu vergrößern. Mit solcher Werbung werden die von dem Verein ausgehenden gesellschaftlichen Wirkungen entgegen dem Tätigkeitsverbot aufrechterhalten oder gar erweitert.
(2) Auch im Hinblick auf die Anwendung des Strafgesetzes kann ein Verfassungsverstoß nicht festgestellt werden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass das Landgericht für die Begründung der Strafbarkeit maßgeblich auf die Äußerungen des Flugblatts abgestellt und es als Propagandamaterial eingestuft hat, mit dem für die PKK und ihre Teilorganisationen habe geworben werden sollen. Demgegenüber wird der dem Plakat mit der hierauf enthaltenen Forderung nach Aufhebung des Verbots kurdischer Vereine Bedeutung lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung beigemessen. Gegen die Deutung des Flugblatts bestehen keine Bedenken.
Aus der Sicht eines unbefangenen und verständigen Äußerungsadressaten kam nur die zur Strafbarkeit führende Deutung in Frage, es werde auf dem Flugblatt für die PKK und ihre Teilorganisationen aus Anlass des Weltfrauentags geworben. Das Flugblatt schildert an mehreren Stellen diejenigen Frauen als Vorbild, die sich dem Kampf der PKK anschließen. Die Parolen am Ende des Textes huldigen der PKK, ihren ebenfalls verbotenen Teilorganisationen und der Symbolfigur des Vorsitzenden Öcalan und stehen für eine Fortsetzung von deren Aktivitäten. Diese Aufrufe zur Stärkung gelten unmittelbar der verbotenen Vereinigung. Auch werden auf dem Flugblatt nicht lediglich die gleichen politischen Ziele vertreten, wie sie die PKK verfolgt. Vielmehr wird die Durchsetzung dieser Ziele auf die Aktivitäten der PKK bezogen. Dies geschieht mit Blick auf die hauptsächlich angesprochenen – kurdischen – Frauen durch Formulierungen, nach denen die Frau „unter der Führung der PKK zur Armee” werde und „die kurdische Frau auf dem Weg des Volksführers Abdullah Öcalan” sei. Selbstmordattentate im Namen der PKK werden als „Höhepunkt in der würdevollen Frauenwiderstandsgeschichte” dargestellt. Mit Mitteln der Propaganda wird so die emanzipatorische Frage an die Vereinigung der PKK geknüpft. Im Stil der Äußerungen folgt das Flugblatt der Agitation seitens der PKK. Das Flugblatt erscheint daher durch seinen Inhalt als geeignet, Ansehen und Rückhalt der PKK und ihrer Teilorganisationen bei den angesprochenen inländischen Adressaten zu stärken und auf diese Weise Sympathie nicht nur für die Sache der PKK hervorzurufen, sondern auch auf eine persönliche Unterstützung hinzuwirken. Diese fördernde Zielrichtung, die der Äußerung den Charakter als reine Sympathiebekundung nimmt, ist auch von außen eindeutig erkennbar.
Andere, nicht zur Verurteilung führende Deutungsmöglichkeiten liegen hingegen fern, wenn die sonstigen Begleitumstände der Äußerungen auf dem Flugblatt berücksichtigt werden. Selbst wenn das Flugblatt dahingehend auszulegen wäre, dass nur die Aktionen der PKK im Ausland positiv hervorgehoben werden, handelt es sich doch um eine Aufforderung zur Unterstützung und Werbung für Sympathie im Inland. Die in deutscher Sprache abgefassten Flugblätter wurden publikumswirksam in der Fußgängerzone einer deutschen Stadt verteilt. Die Einordnung als Propaganda mit einer allein auf das Ausland beschränkten Wirkung ist daher abwegig.
b) Die angegriffenen Entscheidungen verletzen auch nicht Art. 103 Abs. 2 GG. Die der Verurteilung zu Grunde liegende Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG genügt den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes. Auch insoweit gelten die Ausführungen in dem bereits erwähnten Beschluss der Kammer in dem Verfahren 1 BvR 98/97 entsprechend.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 667103 |
NVwZ 2002, 711 |