Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinsrechtliches Betätigungsverbot
Beteiligte
Rechtsanwalt Gerd Nogossek und Kollegin |
Verfahrensgang
BGH (Zwischenurteil vom 20.11.1996; Aktenzeichen 3 StR 483/96) |
LG Köln (Urteil vom 23.05.1996; Aktenzeichen 105 - 21/96) |
BGH (Urteil vom 24.01.1996; Aktenzeichen 3 StR 540/95) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er klebte zusammen mit drei Landsleuten am 22. März 1994 aus Anlass des Newroz-Festes, des traditionellen Frühlingsfestes der Kurden, zwei Plakate an die Wand des Unterstands einer Bushaltestelle in Bergneustadt. Die gemalten Plakate zeigten folgende Abbildung:
Ein schnauzbärtiger Mann, Abdullah Öcalan, der Führer der PKK (Partiya Karkeren Kurdistan = „Arbeiterpartei Kurdistans”), zeigt mit dem ausgestreckten Zeigefinger der linken Hand in die Ferne. Im Hintergrund sind Berge zu erkennen.
Über Öcalan ragt eine Frau, die mit nach oben ausgestrecktem Arm eine nach oben ausgerichtete Flamme hält. Um Öcalan gruppiert befinden sich Personen, einige davon mit erhobenem Arm. In der unteren linken Bildhälfte sind im Hintergrund drei Personen als bewaffnet zu erkennen. Etwas höher in der linken Bildmitte befindet sich die Fahne der ERNK, der „Nationalen Befreiungsfront Kurdistans” (roter Stern auf gelbem Grund im grünen Kreis); das Sternsymbol ist halb verdeckt. Im rechten Vordergrund sind Reste eines zerstörten Stacheldrahtzaunes zu erkennen. Ganz oben in der rechten oberen Plakathälfte steht in türkischer Sprache in etwa 3 cm hohen weißen Druckbuchstaben geschrieben: „Wir werden uns bei dem Newroz-Fest treffen.” Ganz unten in gleichgroßen weißen Buchstaben ist auf dem Plakat in türkischer Sprache zu lesen: „Wir werden siegen, wir werden siegen.” Darunter befindet sich auf dem unten etwa 4,5 cm breiten weißen Rand des Plakats in der rechten Hälfte in jeweils 0,5 cm großen Druckbuchstaben der Aufdruck: „ERNK (eniya rizgariya netewa kurdistan)”.
Durch Verfügung des Bundesministers des Innern vom 22. November 1993 war der PKK einschließlich ihrer Teilorganisation ERNK unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung verboten worden, sich im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes zu betätigen. Das seit 26. März 1994 unanfechtbare Betätigungsverbot war damit begründet worden, dass die Tätigkeit der PKK/ERNK gegen die Strafgesetze verstoße, sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte, die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde.
2. Der Beschwerdeführer wurde zusammen mit den drei anderen Beteiligten wegen gemeinschaftlichen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG in Verbindung mit § 25 Abs. 2 StGB angeklagt. Das Landgericht sprach die Angeklagten mit Urteil vom 22. Juni 1995 frei, weil die Plakataktion der Angeklagten nicht dafür ursächlich sei, dass der ausländische Verein – die ERNK – im Inland weiterhin tätig sei.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin hob der Bundesgerichtshof das freisprechende Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zurück. Unter Hinweis auf seine näheren Darlegungen im Urteil in der gleich gelagerten Strafsache 3 StR 530/95 (BGHSt 42, 30) führte der Bundesgerichtshof aus, dass zur Erfüllung des Tatbestands von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG im Falle nicht mitgliedschaftlich und auch sonst nicht organisatorisch eingegliederter Dritter jedes Verhalten ausreiche, das auf die verbotene inländische Tätigkeit des betroffenen Vereins bezogen und dafür förderlich sei. Dabei genüge es, dass die Handlungsweise des Täters konkret geeignet sei, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen. Auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen messbaren Nutzens komme es nicht an. Hiernach bestünden erhebliche Bedenken dagegen, dass das Landgericht die Verwirklichung des objektiven Tatbestands durch den Beschwerdeführer verneint habe. Die wertende Feststellung des Landgerichts, dass vom gesamten Eindruck her nicht für die ERNK, sondern für einen erfolgreichen Kampf um die Autonomie der Kurden geworben würde, treffe allenfalls bei isolierter Betrachtung der Hinweise auf die PKK/ERNK zu. Ein solches Vorgehen sei jedoch rechtsfehlerhaft. Entscheidend für die Ermittlung des Aussagegehalts seien vielmehr das Zusammenspiel der einzelnen Aussagen und Hinweise auf den Plakaten.
Daraufhin verurteilte das Landgericht den Beschwerdeführer wegen einer Zuwiderhandlung gegen § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG unter Einbeziehung der Verurteilung wegen einer anderen Straftat zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15 DM. Es führte aus, das von dem Beschwerdeführer unternommene Kleben der Plakate an öffentlichen Stellen sei konkret geeignet gewesen, eine für die verbotene Tätigkeit der PKK/ERNK vorteilhafte Wirkung hervorzurufen. Dies folge aus dem Gesamtzusammenhang der den Plakaten zu entnehmenden Aussagen. Im zentralen Vordergrund stehe die Symbolfigur des Abdullah Öcalan als Führer der PKK. Das Emblem der ERNK sei abgebildet, auf ihre Verantwortlichkeit für das Plakat werde ausdrücklich hingewiesen. Bildliche Darstellung und Plakattexte vermittelten unübersehbar und eindeutig den Hinweis auf die führende Rolle der PKK/ERNK im Kampf der Kurden. Das Plakat unterstütze damit die Propagandatätigkeit dieser vom Betätigungsverbot betroffenen Vereinigungen.
Die vom Beschwerdeführer gegen dieses Urteil eingelegte Revision wurde mit Beschluss des Bundesgerichtshofs als unbegründet verworfen.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 103 Abs. 2 GG.
Die Auslegung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG durch den Bundesgerichtshof verstoße gegen die Gewährleistung der Meinungsfreiheit, weil danach jede Meinungsäußerung strafbar sei, die zur Förderung der verbotenen Tätigkeit des Vereins auch nur geeignet sei. Stattdessen müsse eine Förderung der Strukturen des – ausländischen – Vereins verlangt werden.
Überdies sei der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz verletzt, weil die Entscheidungen auf einer Auslegung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG beruhten, die nicht mehr gewährleiste, dass der Normadressat die Grenzen der Strafbarkeit seines Handelns voraussehen könne.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor.
Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die aufgeworfenen Fragen der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und der Strafbarkeit von Verstößen gegen Vereinsverbote lassen sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten (vgl. BVerfGE 25, 44 ≪55 ff.≫; 80, 244 ≪256 f.≫). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Das Grundrecht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) ist nicht verletzt.
a) Die textlichen wie bildlichen Äußerungen auf dem Plakat nehmen an dem Schutz der Meinungsfreiheit teil. Sie enthalten Meinungen des ausländischen Beschwerdeführers über die Rolle der PKK/ERNK. Meinungen unterfallen dem Schutz des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, das jedermann, also auch Ausländern, zusteht.
b) In der Verhängung einer Strafe wegen der Äußerungen auf dem Plakat liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Dieser ist jedoch gerechtfertigt, da die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers durch § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG wirksam eingeschränkt wird.
aa) Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu zählen alle Gesetze, die sich nicht gegen eine Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, also ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪209 f.≫; stRspr). § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG stellt das Zuwiderhandeln gegen ein vollziehbares Verbot nach § 18 Satz 2 VereinsG unter Strafe, um einem Verbot der Tätigkeit eines ausländischen Vereins im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes zur Durchsetzung zu verhelfen. Derartige Verbote können gemäß § 15 Abs. 1, § 14 Abs. 1 VereinsG zum Schutz der in Art. 9 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter sowie dann ergehen, wenn Vereine durch politische Betätigung die innere oder äußere Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder verletzen oder gefährden. Diese Rechtsgüter werden schlechthin, ohne Rücksicht darauf geschützt, wodurch ihnen Gefahr droht, also auch dann, wenn sie auf andere Weise als durch Meinungsäußerungen gefährdet werden.
Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es, dass § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG den Verstoß gegen ein vollziehbares, aber noch nicht unanfechtbares Verbot mit Strafe bedroht. Das Bundesverfassungsgericht hat im Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG festgestellt, dass die dieser Vorschrift zu Grunde liegende Wertung, bereits Verstöße gegen noch nicht unanfechtbare Vereinsverbote seien strafwürdig und strafbedürftig, weder gegen den Schuldgrundsatz noch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße (vgl. BVerfGE 80, 244 ≪255 f.≫). Eine entsprechende Wertung liegt auch der Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG zu Grunde. Organisations- und Betätigungsverbot sind sachlich gleichwertig (vgl. BGHSt 42, 30 ≪34≫). Daher gelten die Gründe der angeführten Entscheidung sinngemäß auch für diese Strafvorschrift.
bb) Auslegung und Anwendung strafrechtlicher Vorschriften sind Sache der Strafgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist bei Eingriffen in die Meinungsfreiheit auf die Prüfung beschränkt, ob die Fachgerichte die wertsetzende Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beachtet haben (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫; 43, 130 ≪136≫; stRspr). Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen.
(1) Das gilt zunächst für die Auslegung der Norm.
Das Verbot eines ausländischen Vereins, der in der Bundesrepublik zwar tätig ist, aber über keine (nachweisbare) Organisationsstruktur verfügt, darf sich nach § 18 Satz 2 VereinsG nur gegen die Tätigkeit der Vereinigung richten. Eine gegen einen Verein mit Sitz im Ausland gerichtete auflösende Verbotsverfügung wäre angesichts der Begrenztheit deutscher Staatsgewalt auf das Territorium Deutschlands rechtlich wirkungslos. Ein Betätigungsverbot ist eine wirksame Möglichkeit, Aktivitäten ausländischer Vereine ohne Sitz oder (Teil-)Organisation in der Bundesrepublik zu verbieten (vgl. Köbler, NStZ 1995, S. 532). Gleiches gilt, wenn die Gesamtvereinigung – wie bei der PKK – zwar über eine Teilorganisation im Inland verfügt, die Vereinigung sich aber auch darüber hinaus, also nicht nur durch ihre inländische Teilorganisation, im Geltungsbereich des Gesetzes betätigt (vgl. BVerwG, NVwZ 1998, S. 175).
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof die Anwendung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG davon abhängig macht, ob das Organisationsgefüge der PKK/ERNK in messbarer Weise stabilisiert und gestärkt wird. Ausgangspunkt der Bewertung ist das Betätigungsverbot selbst (vgl. BGHSt 42, 30 ≪35 ff.≫). Nur ein Verhalten, das auf die verbotene inländische Tätigkeit des betroffenen Vereins bezogen und dafür förderlich ist, erfüllt den äußeren Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG. Die Handlungsweise des Täters muss konkret geeignet sein, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen.
Dem Einzelnen wird nicht verboten, selbst bestimmte politische Ziele anzustreben und zu vertreten, wohl aber, dies durch die Förderung der verbotenen Tätigkeit des Vereins zu tun. Damit wird § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 VereinsG in seiner grundrechtsbeschränkenden Wirkung in zweifacher Weise selbst wieder eingeschränkt. Erstens werden nur solche Handlungen erfasst, die gerade unter den Gesichtspunkten der konkreten Verbotsgründe erheblich sind. Zweitens muss das Verhalten einen Bezug zur Tätigkeit des Vereins aufweisen. Erforderlich bleibt daher die Organisationsbezogenheit. Insofern besteht eine Parallele zum Fall der Zuwiderhandlung gegen ein Parteiverbot. Art. 5 Abs. 1 GG hat dort nicht schon dann zurückzutreten, wenn jemand gleiche Meinungen vertritt wie die verbotene Organisation, wohl aber, wenn sich für einen unbefangenen Betrachter der Eindruck ergibt, es handele sich um eine Aktion unmittelbar zugunsten der verbotenen Partei selbst (vgl. BVerfGE 25, 44, ≪58 f.≫). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, diesen Grundsatz auch auf Verbotsfälle nach § 14 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 VereinsG zu beziehen.
Der Bundesgerichtshof setzt für die Strafbarkeit nicht den Eintritt einer messbaren Förderungswirkung voraus, sondern hält für ausreichend, dass die Handlungsweise des Täters konkret geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen. Dies ist angesichts des Fehlens von Organisationsstrukturen und daher mit Rücksicht auf die speziellen Verwirklichungsbedingungen des Betätigungsverbots verfassungsrechtlich tragfähig.
Allerdings ist vorausgesetzt, dass dem Verhalten des Täters eine hinreichende Außenwirkung zukommt, aus der ein objektiver Bezug der Handlung des Einzelnen zur Tätigkeit des Vereins – der als solcher handlungsunfähig ist und stets nur durch das Handeln natürlicher Personen wirken kann – erkennbar wird. Das vereinsrechtliche Tätigkeitsverbot soll Gefahren vorbeugen, die von der Zielverfolgung in organisierter Form ausgehen. Bei Äußerungen muss dementsprechend eine vereinsfördernde Zielrichtung eindeutig erkennbar sein, etwa dadurch, dass sich aus dem Inhalt und der äußeren Form des Vorbringens ergibt, es werde für die verbotene Organisation gehandelt, etwa Propaganda für sie gemacht (vgl. BVerfGE 25, 44 ≪59≫). Indiz dafür kann es sein, dass sich der Äußernde in Aufmachung und Stil seiner Ausführungen oder der Art der Agitation der verbotenen Vereinigung anpasst. Auch der Umstand, dass der Äußernde vor dem Verbot in exponierter Stellung im Verein tätig war und dies nun zur Stärkung des Gewichts seiner Äußerung nutzt, kann beachtlich sein (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Demgegenüber ist der Organisationsbezug nicht schon dann zu bejahen, wenn in irgend einer Form auf den verbotenen Verein und seine Aktivitäten hingewiesen wird, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerung die Tätigkeit des Vereins gefördert werden soll. In die Meinungsfreiheit des Einzelnen würde in einer nicht zumutbaren Weise eingegriffen, wenn eine Äußerung allein deshalb verboten wäre, weil sich jemand inhaltlich für Ziele einsetzt, die ebenfalls von der verbotenen Organisation verfolgt werden (vgl. BVerfGE 25, 44 ≪58≫). Entsprechendes gilt, wenn etwa angesichts veränderter Verhältnisse durch Meinungsäußerung auf die Aufhebung eines Tätigkeitsverbots hingewirkt wird, da der Äußernde dann nicht ein verbotswidriges Weiterhandeln des Vereins fördert, sondern gerade die Voraussetzungen erlaubter Vereinstätigkeit zu schaffen sucht. Dies ist im Interesse der Offenheit des demokratischen Prozesses verfassungsrechtlich geschützt.
Da dem Einzelnen folglich unbenommen bleibt, in der Öffentlichkeit die gleichen inhaltlichen Positionen wie die verbotene Organisation zu vertreten und aus Sympathie ihr gegenüber zu bekunden, ist unter den beschriebenen Voraussetzungen nicht zu erwarten, dass etwa aus Furcht vor Sanktionen eine politische Meinungskundgabe unterbleibt, die nicht auch zugleich die Betätigung der verbotenen Organisation unterstützt.
(2) Die Strafgerichte haben die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit auch bei der Anwendung des Strafgesetzes nicht verkannt.
Die Deutung des Aussageinhalts des Plakats wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht (zu ihnen vgl. BVerfGE 82, 272 ≪280 f.≫; 93, 266 ≪295 f.≫). Die Gerichte sind in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass aus der Sicht eines objektiven und verständigen Äußerungsadressaten nur die zur Strafbarkeit führende Deutung in Betracht kommt, es werde für die PKK/ERNK in ihrem bewaffneten Kampf aus Anlass des Newroz-Festes geworben. Die nicht zur Verurteilung führende Deutung, nach der allein für einen erfolgreichen Kampf um Autonomie für die Kurden geworben würde, wäre nur dann vertretbar, wenn die einzelnen Bestandteile des Plakats isoliert betrachtet würden. Bei der Tatsachenwürdigung erkennen die Strafgerichte, dass für die Ermittlung des Aussagegehalts das Zusammenspiel der einzelnen Aussagen auf dem Plakat, ihr sprachlicher und bildlicher Kontext, entscheidend ist. In direkter Auseinandersetzung mit den die Deutung des freisprechenden Urteils tragenden Annahmen, der Hinweis auf die ERNK sei gering und halte sich im Hintergrund, stützen sie ihre Deutung nachvollziehbar darauf, dass im zentralen Vordergrund des Plakats die Symbolfigur der PKK, ihr Führer Abdullah Öcalan, stehe. Auch werde auf die PKK/ERNK und ihren bewaffneten Kampf ausdrücklich hingewiesen, und zwar sowohl durch ihr Emblem als auch durch die Abbildung der Bewaffneten und durch den Schriftzug „ERNK”. Aus diesen Feststellungen lässt sich für den unbefangenen Beobachter der Sinn entnehmen, es werde für den Kampf gerade der ERNK geworben. Dies ist zugleich die einzig verbliebene, nicht entfernte Deutungsmöglichkeit, nachdem die vom Landgericht ursprünglich vertretene nachvollziehbar ausgeschlossen wurde. Auch jede andere Deutung würde zur Strafbarkeit führen, weil sie den Inhalt des Plakats als von der ERNK herrührend und die Plakataktion als – verbotene – Propagandatätigkeit der ERNK ansehen müsste, die im Sinne der Verbotsgründe erheblich wäre. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Strafgerichte keine weiteren Deutungsmöglichkeiten erwogen haben.
Kein Raum ist vorliegend für eine Einzelfallabwägung, da die Äußerung die Kriterien erfüllt, die in der verfassungsgemäßen Norm abstrakt enthalten sind. Die Verbotsverfügung hat zur rechtlichen Voraussetzung, dass die Tätigkeit der Vereinigung Ausdruck einer situationsunabhängigen, generell und anhaltend gefährlichen Zielsetzung ist. Die Vereinigung stellt eine Bedrohung der Strafgesetze, des Gedankens der Völkerverständigung und der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar, die sich jederzeit zu konkreten Gefährdungen dieser Rechtsgüter verdichten kann (vgl. BVerwGE 55, 175 ≪183≫). Die Meinungsfreiheit tritt dort zurück, wo sie ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dient.
2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen auch nicht den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG).
Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 64, 389 ≪393 f.≫; 80, 244 ≪256 f.≫). Zwar werden weder in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 VereinsG noch in der Verbotsverfügung einzelne Handlungen umschrieben, durch die der Normadressat gegen das Betätigungsverbot verstößt. Eine hinreichend erkennbare Beschreibung der mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen lässt sich jedoch durch Auslegung der Strafnorm ermitteln. Die von den Fachgerichten vertretene Auslegung knüpft in vertretbarer Weise an den Sinn und Zweck des Betätigungsverbots an, welche jedermann durch die gesetzlichen Verbotsgründe (§ 3 Abs. 1, § 14 Abs. 1 VereinsG) verdeutlicht werden. Danach stellt sich ein Verhalten nur dann als Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Vereinstätigkeit dar, wenn es gerade auf die Tätigkeit des Vereins bezogen erscheint und im Hinblick auf die Verbotsgründe erheblich ist. Der hiernach notwendige unmittelbare Bezug auf die Tätigkeit des Vereins wird bereits durch den Wortlaut von § 18 Satz 2 VereinsG hergestellt („… richtet sich das Verbot (§ 3 Abs. 1) gegenseine Tätigkeit …”). Diese Konkretisierung gewährleistet, dass der Bürger die Grenzen der Strafbarkeit seines Handelns voraussehen kann (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, NStZ 2000, S. 540).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 667087 |
NVwZ 2002, 709 |
NStZ-RR 2002, 120 |
ZAR 2002, 73 |
DVBl. 2002, 469 |