Verfahrensgang
LG Kempten (Beschluss vom 19.05.2009; Aktenzeichen 1 Qs 91/09) |
LG Kempten (Beschluss vom 29.04.2009; Aktenzeichen 1 Qs 91/09) |
AG Kempten (Beschluss vom 08.04.2009; Aktenzeichen 2 Gs 808/09) |
Tenor
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 8. April 2009 – 2 Gs 808/09 – und des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 29. April 2009 und vom 19. Mai 2009 – 1 Qs 91/09 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten an das Landgericht Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Anspruch auf rechtliches Gehör.
I.
1. Der Beschwerdeführer, der sich wegen des Verdachts von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft befand, beantragte, ihm das Einbringen und den Besitz seiner Gitarre zu gestatten. Der Ermittlungsrichter lehnte dies mit angegriffenem Beschluss vom 8. April 2009 ab, ohne dem Beschwerdeführer die in dem Verfahren abgegebene Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft zu übersenden. Die Gitarre sei mit dem Zweck der Untersuchungshaft und der Ordnung der Vollzugsanstalt nicht vereinbar (§ 119 Abs. 3 und 4 StPO a.F.). Drogenkonsum gefährde die Sicherheit in der Justizvollzugsanstalt. Es bestehe der dringende Verdacht, dass der Beschwerdeführer vor seiner Inhaftierung Suchtmittel missbraucht habe. Ein Musikinstrument eigne sich hervorragend als Versteck für Drogen. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass andere Gefangene an den Beschwerdeführer heranträten und die Gitarre als ideales Versteck für Drogen und andere sicherheitsgefährdende Gegenstände nutzten. Zudem könnten die Gitarre selbst oder ihre Saiten als gefährliche Werkzeuge gegen Mitgefangene oder Vollzugspersonal eingesetzt werden.
2. Mit der Beschwerde rügte der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch Nichtübersendung der eingeholten Stellungnahmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse er über die Äußerungen der Gegenseite informiert werden. Ohne Kenntnis des Sach- und Streitstandes könne er sein Anhörungsrecht nicht effektiv wahrnehmen. Der Inhalt der Stellungnahmen ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss. Daher könne er nicht angeben, was er hätte erwidern können, wenn ihm das rechtliche Gehör gewährt worden wäre. Im Übrigen sei die Begründung des Beschlusses auch nicht haltbar. Die Justizvollzugsanstalt verleihe über die Straffälligenhilfe oder über den Geistlichen selbst Gitarren; auch Ersatzsaiten seien jederzeit erhältlich. Somit könne der Gitarre und den Saiten kein Sicherheitsrisiko innewohnen. Ein Sicherheitsrisiko durch das Einbringen einer Gitarre von außen lasse sich mit minimalem Aufwand – durch Inspektion mithilfe eines kleinen Spiegels – beseitigen. Eine solche Inspektion könne auch im Rahmen der regelmäßigen Haftraumkontrollen erfolgen.
Das Landgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 29. April 2009 die Beschwerde „aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen des angefochtenen Beschlusses”.
3. Hiergegen beantragte der Beschwerdeführer „die Nachholung des rechtlichen Gehörs gemäß § 33a StPO”. Das Gericht habe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt worden sei; zu dem Verfahrensstoff, über den informiert werden müsse, gehörten unter anderem Stellungnahmen der Gegenseite. Sein Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG sei in gravierender Weise verletzt worden. Das rechtliche Gehör sei auch im Beschwerderechtszug nicht nachgeholt worden.
Mit angegriffenem Beschluss vom 19. Mai 2009 gab das Landgericht der „Gegenvorstellung … keine Folge”. Der Beschwerdeführer übersehe, dass es sich vorliegend um ein Beschwerde- und nicht um ein Antragsverfahren handele. Das Amtsgericht habe seiner Beschwerde nicht abgeholfen. Von der Staatsanwaltschaft sei die Beschwerde ohne weitere Stellungnahme dem Landgericht vorgelegt worden. Im vorliegenden Beschlussverfahren werde dem Beschwerdeführer nur ein allgemeines, jedoch kein spezielles, auf einzelne rechtliche Argumente bezogenes Gehör gewährt. Im Übrigen gebe es keinerlei Argument der Verfolgungsbehörde, zu welchem der Beschwerdeführer hätte gehört werden können. Der die Beschwerde verwerfende Beschluss der Kammer offenbare nach seiner Sachlogik vielmehr, dass der Beschwerdevortrag vollkommen ungeeignet gewesen sei, die zutreffenden Gründe des amtsgerichtlichen Beschlusses zu entkräften.
4. Seit dem 4. April 2009 konnte der Beschwerdeführer eine Leihgitarre, seit dem 22. Dezember 2009 eine über einen Versandhändler erworbene eigene Gitarre in seinem Haftraum nutzen. Seit dem 11. Februar 2010 befindet er sich nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern in Strafhaft in einer anderen Justizvollzugsanstalt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, seine Grundrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG seien verletzt. Ihm sei nicht, wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geboten, Gelegenheit gegeben worden, zu dem entscheidungserheblichen Vortrag der Gegenseite Stellung zu nehmen. Der Inhalt der Stellungnahmen gehe auch aus dem Beschluss des Amtsgerichts nicht hervor. Ein weiterer Vortrag sei ihm daher nach wie vor nicht möglich. Die Versagung der Einbringung seiner Privatgitarre werde den grundrechtlichen Anforderungen nicht gerecht, weil sie vernachlässige, dass Schwierigkeiten der Überwachung im Rahmen des Zumutbaren hinzunehmen seien. Dieser Rahmen sei, wie auch die Praxis der Verleihung von Gitarren zeige, hier nicht überschritten. Die Justizvollzugsanstalt Kempten verfüge zudem, wie er inzwischen erfahren habe, über ein Durchleuchtungsgerät, das die Kontrolle einer eingebrachten Gitarre wesentlich vereinfache.
2. Der Freistaat Bayern hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
a) Der Verfassungsbeschwerde fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil sich das Rechtsschutzziel erledigt habe. Seit dem 4. April 2009 habe dem Beschwerdeführer eine Leihgitarre der Justizvollzugsanstalt zur Benutzung auf seinem Haftraum zur Verfügung gestanden. Jedenfalls durch den späteren Bezug einer eigenen Gitarre aus sicherer Quelle sei das sachliche Interesse des Beschwerdeführers verwirklicht. Ein schutzwürdiges Interesse an der Einbringung derjenigen Gitarre, auf die sich der ursprüngliche Antrag bezog, bestehe nicht mehr. Abgesehen davon habe sich das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Rechtsschutzziel jedenfalls dadurch erledigt, dass der Beschwerdeführer sich seit dem 11. Februar 2010 nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern in einer anderen Justizvollzugsanstalt in Strafhaft befinde. Die Voraussetzungen für das Fortbestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses trotz Erledigung des verfolgten Begehrens lägen nicht vor. Der in dem Verbot des Einbringens einer eigenen Gitarre liegende Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit sei nicht folgenschwer und jedenfalls im vorliegenden Fall auch nicht besonders tiefgreifend. Dadurch, dass die Justizvollzugsanstalt Leihgitarren zur Verfügung stelle, sei gewährleistet gewesen, dass der Beschwerdeführer nur zeitweise, nämlich bis zum Freiwerden einer Leihgitarre, gehindert gewesen sei, in der Untersuchungshaft Gitarre zu spielen. Ein Rechtsschutzbedürfnis sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Die rein abstrakte Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer erneut unter vergleichbaren Voraussetzungen zur Vollziehung von Untersuchungshaft in die Justizvollzugsanstalt Kempten kommen könne, genüge hierfür nicht.
b) Die Verfassungsbeschwerde sei zudem unbegründet.
aa) Der Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt gewesen. Insoweit bilde § 119 Abs. 3 StPO (a.F.) eine zureichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten von Untersuchungsgefangenen. Angesichts des Verdachts von Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz und des beim Beschwerdeführer festgestellten Betäubungsmittelkonsums habe die Gefahr bestanden, dass die Gitarre genutzt werde, um Drogen in die Anstalt zu schmuggeln. Dieser Gefahr hätte nicht gleichermaßen wirksam durch eine Untersuchung des Instruments begegnet werden können. Die Vollzugserfahrung zeige, dass der Erfindungsreichtum in Bezug auf Drogenverstecke kaum Grenzen kenne. Eine Untersuchung des Resonanzkörpers der Gitarre mittels Spiegel sei daher keineswegs ausreichend. Selbst sorgfältigste Kontrolle hätte nicht mit der nötigen Sicherheit ausschließen können, dass versteckte Betäubungsmittel übersehen werden und in die Anstalt gelangen. Hinzu komme, dass die notwendige eingehendere Kontrolle des Instruments angesichts der Vielfalt der Versteckmöglichkeiten mit der Gefahr von Beschädigungen und daraus folgenden Amtshaftungsansprüchen einhergehe. Die Sicherheitsanforderungen der Anstalt seien mit dem Interesse des Beschwerdeführers am Gitarrespiel in einen angemessenen Ausgleich gebracht worden, weil die Anstalt ihn auf die Warteliste für die Überlassung einer anstaltseigenen Leihgitarre aufgenommen und ihm eine solche zeitnah ausgehändigt habe.
bb) Im Ergebnis beeinträchtigten die angefochtenen Entscheidungen den Beschwerdeführer auch nicht in seinem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör. Zwar hätte das Amtsgericht dem Beschwerdeführer Gelegenheit geben müssen, sich zu den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft zu äußern. Nachdem dies versäumt worden sei, hätte das Landgericht die Gehörsgewährung nachholen müssen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei aber nur beeinträchtigt, wenn die angefochtenen Entscheidungen auf der Gehörsverletzung beruhten (mit Verweis auf BVerfGE 86, 133 ≪147≫). Im vorliegenden Fall sei jedoch auszuschließen, dass dem Anliegen des Beschwerdeführers stattgegeben worden wäre, wenn er Gelegenheit erhalten hätte, sich zu den Stellungnahmen zu äußern. Was er der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt, der sich die Staatsanwaltschaft angeschlossen habe, entgegengehalten hätte, ergebe sich aus seiner Beschwerdebegründung vom 15. April 2009, denn die Gründe, mit denen das Amtsgericht eine Einbringung der Gitarre in die Anstalt abgelehnt habe, hätten sich im Wesentlichen mit der Argumentation der Justizvollzugsanstalt gedeckt.
III.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Die Entscheidungskompetenz der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG); die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gerichte bei der Gewährung rechtlichen Gehörs sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 19, 32 ≪36 f.≫; 20, 347 ≪349≫; 50, 280 ≪285 f.≫; 55, 95 ≪98≫; 67, 96 ≪99 f.≫; 70, 180 ≪189≫; 89, 381 ≪392≫; 101, 106 ≪129≫).
a) Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an dem notwendigen Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit kann offenbleiben, ob eine Erledigung des im fachgerichtlichen Verfahren in der Sache verfolgten Rechtsschutzbegehrens, mit der für dieses Begehren das Rechtsschutzinteresse entfällt, zwangsläufig auch für die in dieser Angelegenheit wegen einer Verletzung rechtlichen Gehörs erhobenen Verfassungsbeschwerde das Rechtsschutzinteresse entfallen lässt. Denn das Rechtsschutzbedürfnis ist hier auch hinsichtlich des verfolgten materiellen Rechtsschutzziels nicht entfallen.
Mit der Überlassung einer Leihgitarre erledigte sich nicht das auf Gestattung des Besitzes der eigenen Gitarre gerichtete Begehren. Auch der Erwerb einer neuen, eigenen Gitarre hat das Rechtsschutzinteresse nicht in Wegfall gebracht. Das gilt auch, wenn ein Interesse des Beschwerdeführers, die schon früher in seinem Eigentum befindliche Gitarre zu nutzen, infolgedessen nicht mehr bestehen sollte. Der Aufwand des Erwerbs einer neuen Gitarre war gerade durch die vom Beschwerdeführer als grundrechtswidrig beanstandeten Entscheidungen veranlasst; der Beschwerdeführer nahm ihn in Kauf, um den Folgen des gerügten Grundrechtsverstoßes soweit wie möglich und zulässig auszuweichen. Durch ein solches für den Beschwerdeführer mit Nachteilen verbundenes Ausweichen entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht (vgl. BVerfGE 34, 165 ≪180≫).
Dass der Beschwerdeführer sich zwischenzeitlich nicht mehr in Untersuchungshaft und nicht mehr in derselben Justizvollzugsanstalt, sondern andernorts in Strafhaft befindet, berührt ungeachtet der dadurch eingetretenen Erledigung sein Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls nicht. Bei gewichtigen Grundrechtsverstößen besteht das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde fort, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich typischerweise auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen kann (vgl. BVerfGE 110, 77; 117, 244 ≪268≫; für den Fall der Verlegung eines Strafgefangenen BVerfGK 11, 54 ≪59≫).
Der Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, die der Wahrung der Subjektstellung der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren dient (vgl. BVerfGE 84, 188 ≪190≫; 107, 395 ≪409≫), stellt unabhängig von dem in dem jeweiligen Verfahren verfolgten Rechtsschutzziel jedenfalls dann einen gewichtigen Grundrechtsverstoß dar, wenn er beharrlich erfolgt und sich damit nicht mehr als Versehen erklären lässt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Diese Voraussetzung ist hier sowohl hinsichtlich des Beschlusses des Amtsgerichts, das die Möglichkeit, den begangenen Gehörsverstoß im Abhilfeverfahren zu beheben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 306 Rn. 7), nicht genutzt hat, als auch hinsichtlich der Beschlüsse des Landgerichts erfüllt.
Im Hinblick auf die typischerweise kurze Dauer der Untersuchungshaft kann ein Untersuchungsgefangener nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine stattgebende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Maßnahmen in deren Vollzug auch nicht erlangen, während die Untersuchungshaft noch andauert. Entfiele das Rechtsschutzbedürfnis für Verfassungsbeschwerden, die Maßnahmen im Vollzug der Untersuchungshaft betreffen, jeweils mit dem Übergang des Betroffenen in die Strafhaft oder mit einer aufgrund dessen erfolgenden Verlegung, so fiele ein wirksamer verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz in diesem Bereich weitgehend aus. Der Umstand, dass die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht oft nicht zu einer Entscheidung innerhalb kurzer Zeit in der Lage sind, darf nicht dazu führen, dass eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird und auf diese Weise nachhaltig in die Rechte eines Betroffenen eingreifende Beschlüsse des Ermittlungsrichters der verfassungsrechtlichen Überprüfung entzogen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 1999 – 2 BvR 1897/95 u.a. –, NJW 2000, S. 273).
b) Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
aa) Das Amtsgericht hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör missachtet, indem es über den Antrag des Beschwerdeführers entschied, ohne ihm die Stellungnahme der Gegenseite zur Kenntnis zu geben.
Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat der Einzelne Anspruch darauf, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪409≫). Dementsprechend darf das Gericht nur Tatsachen verwerten, zu denen die Beteiligten vorher Stellung nehmen konnten (vgl. BVerfGE 20, 347 ≪349≫; 70, 180 ≪189≫; 89, 381 ≪392≫; 101, 106 ≪129≫). Der bei einer Entscheidung berücksichtigte Tatsachenvortrag eines Verfahrensbeteiligten muss den anderen Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung durch Übersendung der betreffenden Schriftsätze zur Kenntnis gebracht worden sein. Die Verfahrensbeteiligten müssen grundsätzlich Gelegenheit haben, sich zu Stellungnahmen der Gegenseite in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (vgl. BVerfGE 19, 32 ≪36≫; 49, 325 ≪328≫; BVerfGK 7, 438 ≪441≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. August 1992 – 2 BvR 628/92 –, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2009 – 1 BvR 188/09 –, NVwZ 2009, S. 580; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2009 – 2 BvR 1575/09 –, juris; zur Bedeutung des Rechts auf Äußerung zum Vortrag der Gegenseite als Grundlage des Vertrauens der Verfahrensbeteiligten in die Arbeit der Justiz vgl. EGMR, Urteil vom 21. Februar 2002, Ziegler v. Switzerland, Appl. no. 33499/96, Rn. 38; Urteil vom 19. Mai 2005, Steck-Risch et al. v. Liechtenstein, Appl. no. 63151/00, Rn. 57). Das Amtsgericht hat unter Verstoß gegen dieses Verfahrensgebot entschieden.
bb) Der Verstoß ist weder vom Amtsgericht im Abhilfeverfahren (§ 306 Abs. 2 StPO) noch vom Landgericht auf die Beschwerde und die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers hin geheilt worden. Vielmehr hat das Landgericht mit den angegriffenen Beschlüssen seinerseits das Grundrecht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.
(1) Zwar kann ein Gehörsverstoß grundsätzlich – auch in einem höherinstanzlichen Verfahren – geheilt werden, wenn das Gericht in der Lage ist, das nunmehr zur Kenntnis genommene Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 5, 22 ≪24≫; 62, 392 ≪397≫; 73, 322 ≪326 f.≫; 107, 395 ≪411 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Oktober 2009 – 1 BvR 178/09 –, GRUR-RR 2009, S. 441 ≪442≫). Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Das Landgericht war zwar in der Lage zu berücksichtigen, was der Beschwerdeführer zuerst mit seiner Beschwerde und später mit seiner Anhörungsrüge vorgetragen hatte. Es war aber nicht in der Lage zu berücksichtigen, was der Beschwerdeführer im Falle der gebotenen – rechtzeitigen – Gewährung rechtlichen Gehörs zu den Stellungnahmen von Justizvollzugsanstalt und Staatsanwaltschaft vorgetragen haben würde, da es sich auf die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorenthaltung der Stellungnahmen verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, nicht veranlasst gesehen hat, dem Beschwerdeführer diese zur Kenntnis zu geben.
(2) Das Landgericht hat danach mit dem angegriffenen Beschluss vom 29. April 2009 den vom Amtsgericht begangenen Gehörsverstoß fortwirken lassen und damit das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Überdies hat es einen originären – unmittelbar eigenen – Gehörsverstoß begangen, indem es das Beschwerdevorbringen des Beschwerdeführers nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat.
Es hat die Beschwerde mit Tenorbegründung „aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen des angefochtenen Beschlusses” kostenfällig verworfen. Daraus wird erkennbar, dass es die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge einer Verletzung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG, falls überhaupt zur Kenntnis genommen, jedenfalls nicht in der notwendigen Weise erwogen hat. Die Begründung erschöpft sich in der Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und geht damit am Inhalt der Gehörsrüge des Beschwerdeführers vorbei. Denn die Begründung des angefochtenen amtsgerichtlichen Beschlusses setzt sich mit der vor dem Landgericht erhobenen Rüge des Beschwerdeführers, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör entschieden, ohne ihm die im Verfahren abgegebenen behördlichen Stellungnahmen zur Kenntnis gebracht zu haben, nicht auseinander. Sie enthält zum Umgang mit diesen Stellungnahmen auch sonst keinerlei Ausführungen, die diese Rüge – sei es auch nur vermeintlich – entkräften könnten.
(3) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 19. Mai 2009 hat das Landgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör erneut verletzt, indem es auf die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers hin den gerügten Gehörsverstoß nicht korrigiert oder geheilt hat. Die Anhörungsrüge war im recht verstandenen Interesse des Beschwerdeführers (vgl. BVerfGE 122, 190 ≪198≫) dahin auszulegen, dass der Beschwerdeführer, der zur Nutzung des Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde gehalten war (vgl. BVerfGK 5, 337 ≪338≫; 9, 28 ≪33≫), auch den vom Landgericht selbst begangenen Gehörsverstoß beanstandete; insoweit war sie statthaft. Dennoch hat das Landgericht den Gehörsverstoß, der darin lag, dass es bei seiner Beschwerdeentscheidung die Gehörsrüge des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht erwogen hatte, nicht korrigiert oder geheilt, sondern in Abrede gestellt.
c) Angesichts der festgestellten Verstöße gegen das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde auch insoweit begründet ist, als der Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip rügt.
2. Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben und die Sache ist – angesichts der eingetretenen Erledigung nur noch zur Entscheidung über die Kosten – an das Landgericht Kempten (Allgäu) zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
Eine gerichtliche Entscheidung kann allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen Verstoßes gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nur dann aufgehoben werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Anhörung des Beteiligten zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte; nur dann beruht die Entscheidung darauf, dass der Beteiligte nicht gehört wurde (vgl. BVerfGE 7, 239 ≪241≫; 13, 132 ≪145≫; 52, 131 ≪152 f.≫; 89, 381 ≪392 f.≫).
Dass bei pflichtgemäßer Gehörsgewährung eine abweichende Entscheidung ausgeschlossen gewesen wäre, kann hier schon deshalb nicht festgestellt werden, weil der Inhalt der fraglichen Stellungnahmen dem Beschwerdeführer bis heute nicht zur Kenntnis gegeben worden ist. Daher kann ihm nicht nur, wie er bereits mit seiner Anhörungsrüge zutreffend festgestellt hat, nicht vorgeworfen werden, dass er nicht mitgeteilt hat, was er bei rechtzeitiger Gehörsgewährung vorgebracht haben würde. Es fehlt damit auch die Grundlage für eine Beurteilung dahingehend, dass eine andere als die ergangene Entscheidung bei pflichtgemäßer Gehörsgewährung ausgeschlossen gewesen wäre. Anders könnte es sich verhalten, wenn festzustellen wäre, dass dem Begehren des Beschwerdeführers ganz unabhängig von jeglichem Vorbringen von Rechts wegen nicht hätte entsprochen werden dürfen. Eine solche Feststellung lässt sich jedoch – erst recht seitens des Bundesverfassungsgerichts, das die primäre Zuständigkeit der Fachgerichte für die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts zu respektieren hat (vgl. BVerfGE 106, 28 ≪45≫; zum Strafvollzug BVerfGK 2, 102 ≪104≫) – hier nicht treffen.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen