Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 30.09.2004; Aktenzeichen 4 B 1961/04) |
Tenor
1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. September 2004 – 4 B 1961/04 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die sofortige Vollziehung der Untersagung der Vermittlung von Sportwetten an einen Veranstalter in Österreich.
1. Der Beschwerdeführer betreibt eine Wettannahmestelle für Sportwetten in Nordrhein-Westfalen, was ihm die im Ausgangsverfahren antragsgegnerische Behörde mit Bescheid vom 14. Oktober 2002 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagte.
Die erkennende Kammer des Bundesverfassungsgerichts hob einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 14. Mai 2004 – 4 B 858/03 – (GewArch 2004, S. 338), mit dem dem Beschwerdeführer einstweiliger Rechtsschutz versagt worden war, mit Beschluss vom 26. August 2004 (1 BvR 1446/04; www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040826_1bvr144604.html) auf und verwies die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurück.
Mit dem nunmehr angegriffenen Beschluss wies das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers erneut zurück und stützte sich dabei weitgehend auf die Gründe des aufgehobenen Beschlusses. Zusätzlich führte das Oberverwaltungsgericht aus, es sprächen keine überwiegenden Gründe dafür, dass das staatliche Monopol in Deutschland nicht den vom Europäischen Gerichtshof genannten Voraussetzungen entspreche. In Bezug auf die vom Beschwerdeführer dargelegten Werbemaßnahmen staatlicher Sportwetten-Veranstalter gehe das Oberverwaltungsgericht von der Erwägung aus, dass der Staat seine Aufgabe, die natürliche Neigung zum Spiel in einem ordnungspolitisch noch vertretbaren Rahmen zu befriedigen und zu kanalisieren, wegen der privaten Konkurrenz nur dann effektiv erfüllen könne, wenn für das staatliche Wettangebot geworben werde, zumal, wenn zwischen den staatlichen und den privaten Angeboten ein „Attraktivitätsgefälle” zu Lasten der staatlichen Angebote bestehe. In einer durchweg „reizstarken” Werbewelt seien moderate Werbemaßnahmen grundsätzlich nicht geeignet, das von den staatlichen Veranstaltern anzusprechende Publikum zu erreichen. Ob unter Zugrundelegung dieser Gesichtspunkte den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten rechtlichen Maßstäben noch genügt sei, könne erst „nach umfänglicher Aufklärung und einer komplexen Bewertung der dann vorliegenden tatsächlichen Feststellungen” beurteilt werden. Bei der notwendigen Bewertung der Wettangebote und deren Gefährlichkeit sowie der staatlichen Werbemaßnahmen und ihrer Auswirkungen auf das Spielverhalten könne „es unter Umständen notwendig sein, sich der Hilfe von Sachverständigen zu bedienen”, was einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse.
2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde wiederum eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Das Oberverwaltungsgericht trage den Gründen des Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts nicht hinreichend Rechnung, setze sich vielmehr über dessen Bindungswirkung hinweg.
3. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen und die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b, § 93 c BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (vgl. hierzu BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. August 2004 – 1 BvR 1446/04 –, a.a.O.).
2. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen den Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG durch die Nichtgewährung von einstweiligem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 79, 69 ≪74 ff.≫).
3. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
Zur Begründung verweist die Kammer im Wesentlichen auf ihren Beschluss vom 26. August 2004 (1 BvR 1446/04, a.a.O.). Das Oberverwaltungsgericht hat die darin enthaltenen Vorgaben und die Verbindlichkeit dieses Beschlusses (§ 93 c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 BVerfGG) nur unzureichend beachtet.
Das Oberverwaltungsgericht hat wiederum nicht überzeugend begründet, weshalb ihm eine Bewertung des Verhaltens der staatlichen Wettanbieter im Eilverfahren nicht möglich sein soll. Trotz eines Ansatzes zur Bewertung anhand eines vermeintlichen Attraktivitätsgefälles zu Lasten der staatlichen Wettanbieter sieht sich das Oberverwaltungsgericht nicht in der Lage, auf der Grundlage des umfangreichen Tatsachenvortrags, der – soweit ersichtlich – im Wesentlichen unbestritten ist, zu einer Prognose über die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Beschwerdeführers zu kommen.
Die hierfür angegebenen Gründe bieten für diese Versagung effektiven Rechtsschutzes keine verfassungsrechtlich ausreichende Erklärung. Bei dem Hinweis des Oberverwaltungsgerichts auf eine „unter Umständen” notwendige „Hilfe von Sachverständigen” bleibt zum einen offen, über welche Frage das Gericht durch die Einholung von Sachverständigengutachten Beweis erheben will, da es sich wohl fast durchweg um Rechtsfragen handeln dürfte. Zum anderen bleibt unklar, weshalb eine gegebenenfalls notwendige Beweisaufnahme in einem Eilverfahren, das bereits eine erhebliche Dauer in Anspruch nimmt, zu einer nicht mehr hinnehmbaren Verzögerung führen soll. Sowohl der Beschwerdeführer als auch die Antragsgegnerin, die nach wie vor den Widerspruch nicht zu bearbeiten scheint, sind erkennbar vielmehr an einer fundierten Entscheidung interessiert.
Nicht verständlich ist ferner der Hinweis des Oberverwaltungsgerichts, auch aus dem jüngsten Schriftsatz des Beschwerdeführers ergebe sich weiterer Aufklärungsbedarf. Die Berücksichtigung der in diesem Schriftsatz genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs verlangt vielmehr eine rechtliche Bewertung anhand der Gesetzesmaterialen.
Die Interessenabwägung des Oberverwaltungsgerichts enthält nach wie vor nur einen geringen konkreten Bezug zum Geschäftsgebaren des Beschwerdeführers.
4. Der angegriffene Beschluss beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
5. Die Kammer hebt deshalb nach § 93 c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den angegriffenen Beschluss auf und verweist die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurück.
III.
Mit dieser Entscheidung erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Hömig, Bryde, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1289031 |
NVwZ 2005, 439 |
GewArch 2005, 119 |