Verfahrensgang
OLG Dresden (Urteil vom 20.03.2003; Aktenzeichen 16 U 2106/02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, inwieweit ein Rechtsanwalt für Äußerungen im Rahmen eines Mandats persönlich zur Verantwortung gezogen werden kann.
1. Als Rechtsanwalt, der mit der Durchsetzung einer Forderung beauftragt und vom Mandanten darüber informiert worden war, die Schuldnerin sei zahlungsunfähig, nahm der Beschwerdeführer eine Bank im Namen seines Mandanten aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft in Anspruch. Sein Schreiben enthielt folgende Passage:
“… Für den Fall, dass – widererwartend – die Hauptschuldnerin Zahlung leistet, werden wir Ihnen den Betrag unvermittelt zurückerstatten.
Mit einer solchen Zahlung der Hauptschuldnerin ist jedoch nach Auskunft unserer Mandantschaft, mangels Zahlungsfähigkeit nicht zu rechnen. …”
Die Schuldnerin war nicht zahlungsunfähig. Sie nahm den Beschwerdeführer in eigener Person auf Unterlassung dieser Äußerung in Anspruch. Vor dem Oberlandesgericht war ihre Klage zum Teil erfolgreich. Das Oberlandesgericht sah den Beschwerdeführer als Störer an. Er habe sich den Inhalt einer fremden, nicht den Tatsachen entsprechenden und herabsetzenden Äußerung zu Eigen gemacht. Er sei verpflichtet gewesen, die Information sorgfältig zu überprüfen.
2. Mit seiner gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 5 und Art. 12 GG. Die angegriffene Entscheidung führe zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung seiner grundrechtlichen Freiheiten. Auch eine Tatsachenäußerung, die sich im Nachhinein als unwahr herausstelle, genieße zunächst einmal den Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit. Es gebe für einen Rechtsanwalt im Hinblick auf Mandanteninformationen keine generelle Verpflichtung zur Nachforschung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegt die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnete anwaltliche Berufsausübung unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen (BVerfGE 50, 16 ≪29≫; 63, 266 ≪284≫). Der Rechtsanwalt hat als Organ der Rechtspflege und als berufener Berater und Vertreter der Rechtsuchenden die Aufgabe, zum Finden einer sachgerechten Entscheidung beizutragen und die rechtsunkundige Partei vor der Gefahr des Rechtsverlustes zu schützen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erlaubt es dem Anwalt, nicht immer schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen (vgl. BVerfGE 76, 171 ≪192≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
a) Das Urteil des Oberlandesgerichts begegnet allerdings erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es wird – gemessen an den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen zur Überprüfbarkeit fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪257 f.≫) – bei Auslegung und Anwendung der §§ 824, 1004 BGB den Maßstäben von Art. 5 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.
Im Hinblick auf die Schranken, die Art. 5 Abs. 1 GG der Rechtsanwendung setzt, haben die Gerichte bei ihrer Entscheidung dem Einfluss der Meinungsfreiheit auf die Vorschriften des Zivilrechts Rechnung zu tragen. Die Wahrung der wertsetzenden Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfordert regelmäßig eine Abwägung zwischen der in der Unterlassungsverurteilung liegenden Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit einerseits und der Gefährdung des von den genannten Bestimmungen geschützten Rechtsgutes durch die Äußerung andererseits (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪292≫). Zu den wesentlichen Abwägungsgesichtspunkten gehört die Funktion, in welcher der sich Äußernde seine Behauptung aufgestellt hat. Dies hat das Bundesverfassungsgericht für Äußerungen eines Rechtsanwalts in einem berufsrechtlichen Zusammenhang ausdrücklich anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 199 f.). Der von der Äußerung Betroffene wird hierdurch nicht schutzlos gestellt; er kann sich zur Verteidigung seiner Rechte an den Prozessgegner halten, dem die Äußerung zuzurechnen ist.
Die Argumentation des Oberlandesgerichts, der Beschwerdeführer habe sich den Sachverhalt, den ihm sein Mandant unterbreitet habe, in seinen Schriftsätzen als persönliche Behauptung zu Eigen gemacht, beruht auch auf einer Verkennung der Bedeutung der Berufsfreiheit und verletzt den Beschwerdeführer unverhältnismäßig in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Träfe diese Auffassung zu und müsste ein Rechtsanwalt befürchten, regelmäßig persönlich belangt zu werden, wenn er in seiner beruflichen Funktion Informationen seines Mandanten in gehöriger Form weitergibt, würde die ordnungsgemäße Interessenvertretung und damit ein wesentlicher Teil anwaltlicher Berufsausübung unterbunden. Nur im Ausnahmefall kann die Berücksichtigung der Gesamtumstände eine persönliche Verantwortung nahe legen. Wird ein Rechtsanwalt indessen für seinen Mandanten tätig und führt er dazu wörtlich “nach Auskunft unserer Mandantschaft” aus, geht es nicht um einen Quellennachweis, sondern um die Durchsetzung eben dieser Mandantenposition im Namen des Mandanten. Einem Rechtsanwalt als berufenem Berater und Vertreter muss in allen Rechtsangelegenheiten die unerlässliche Äußerungsfreiheit zukommen, die seine Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege erfordert (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 1996, S. 3267). Eine regelmäßige Kontrolle der vom Mandanten mitgeteilten Tatsachen kann berufsrechtlich nicht verlangt werden. Eine solche Verpflichtung würde das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant zerstören (vgl. Römermann/Hartung, Anwaltliches Berufsrecht, 2002, § 17 Rn. 9 ; Feuerich/Braun, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, 6. Aufl., 2003, § 43a Rn. 39, 40).
b) Trotz dieser Bedenken ist ein verfassungsrechtliches Eingreifen im konkreten Fall nicht geboten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die angegriffene Entscheidung auf einer grundsätzlichen Verkennung der genannten Grundrechte beruht. Dem Beschwerdeführer entsteht im Übrigen durch die Versagung der Entscheidung zur Sache auch kein besonders schwerer Nachteil. Die einmalige Verletzung seiner Grundrechte betrifft ihn vorliegend nicht in existentieller Weise. Es muss nicht befürchtet werden, dass der Beschwerdeführer in Zukunft von der Ausübung seiner Grundrechte Abstand nehmen wird (vgl. zu diesem Maßstab BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Der Tenor der angegriffenen Entscheidung enthält – nach einseitiger Erledigterklärung – keine Unterlassungsverpflichtung, deren Erzwingung in Betracht käme. Das Urteil beschwert den Beschwerdeführer letztlich nur im Hinblick auf die Kosten.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 956036 |
NJW 2003, 3263 |
NVwZ 2004, 210 |
ZAP 2003, 1047 |
BRAK-Mitt. 2003, 223 |
BRAK-Mitt. 2003, 277 |
KammerForum 2003, 415 |