Verfahrensgang
FG München (Beschluss vom 04.10.2006; Aktenzeichen 8 V 2886/06) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO.
Gegenüber der Beschwerdeführerin waren Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2001 festgesetzt worden, weil diese einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn in ihrer Einkommensteuererklärung nicht erfasst hatte. Die Beschwerdeführerin legte gegen den Zinsbescheid Einspruch ein, über den das Finanzamt noch nicht entschieden hat. Ein hierzu gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde vom Finanzgericht nach summarischer Beurteilung des Sachverhalts abgelehnt. Die Ablehnung wurde vom Finanzgericht damit begründet, dass die typisierende Regelung des § 233a AO zwar im Einzelfall zu Härten führen könne, die Norm aber gleichwohl verfassungsgemäß sei. Der Gesetzgeber habe im Interesse einer einfachen Erhebung der Nachforderungszinsen den Liquiditätsvorteil typisierend bewerten und damit die Berufung auf besondere Umstände des Einzelfalls wie den marktüblichen Zinssatz und die fehlende Möglichkeit zinsgünstiger Anlageformen ausschließen wollen. Die Typisierung sei insbesondere deshalb vertretbar, weil der Steuerpflichtige die Entstehung eines Zinsanspruchs vermeiden könne, indem er eine Erhöhung der Vorauszahlungen beantrage oder die Steuererklärung vor der in der Abgabenordnung bestimmten Frist von fünf Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs abgebe.
Entscheidungsgründe
II.
Mit ihrer gegen den Beschluss des Finanzgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, der angefochtene Beschluss des Finanzgerichts verletze ebenso wie die Vorschrift des § 233a AO ihr Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift des § 233a AO die Grenzen einer verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung nicht eingehalten. Die Nachzahlungszinsen seien – wie in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO vorgeschrieben – mit einem halben Prozent pro Monat festgesetzt worden, obwohl sie den Steuernachzahlungsbetrag nur zu erheblich niedrigeren Zinssätzen habe anlegen können. Es werde daher ein erheblich höherer Zinsvorteil abgeschöpft, als sie tatsächlich erlangt habe. Zudem habe sie die erzielten Anlagezinsen versteuern müssen, könne aber auf der anderen Seite infolge der Streichung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 durch das StEntlG 1999/2000/2002 (BGBl I 1999, S. 402) die gezahlten Nachzahlungszinsen nicht mehr als Sonderausgaben steuerlich geltend machen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Die Beschwerdeführerin kann in zumutbarer Weise darauf verwiesen werden, den Rechtsweg im Hauptsacheverfahren auszuschöpfen.
Verfassungsbeschwerden gegen letztinstanzliche Entscheidungen im Eilverfahren sind zwar grundsätzlich statthaft, da es sich beim Eilverfahren um einen eigenständigen Rechtsweg gegenüber dem jeweiligen Hauptsacheverfahren handelt (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪397≫; 53, 30 ≪52≫). Der Grundsatz der Subsidiarität fordert aber, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinn hinaus die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen. Das bedeutet, dass auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten sein kann, wenn sich dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Möglichkeit bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪278 f.≫; 93, 1 ≪12≫; 104, 65 ≪71≫). Eine Verfassungsbeschwerde gegen eine letztinstanzliche Entscheidung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes kommt danach vor allem dann in Betracht, wenn die Verletzung von Grundrechten durch die Eilentscheidung selbst gerügt wird oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen oder einfachrechtlichen Aufklärung abhängt und es für den Beschwerdeführer nicht zumutbar ist, vorab das Hauptsacheverfahren zu betreiben (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪279≫; 93, 1 ≪12≫).
Der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität gewährleistet zudem, dass das Bundesverfassungsgericht nicht aufgrund der im Eilverfahren häufig ungesicherten Tatsachen- und Rechtsgrundlage weit reichende Entscheidungen trifft (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪20≫; 97, 157 ≪165≫; 102, 197 ≪207≫ sowie Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2006 – 1 BvR 1017/06 –, JURIS). Der Subsidiaritätsgrundsatz stellt sicher, dass dem Bundesverfassungsgericht in solchen Fällen infolge der fachgerichtlichen Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein bereits eingehend geprüftes Tatsachenmaterial vorliegt und ihm auch die Fallanschauung und die Rechtsauffassung der Fachgerichte vermittelt werden (vgl. BVerfGE 86, 382 ≪386 f.≫).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es der Beschwerdeführerin hier zuzumuten, im Hauptsacheverfahren den Instanzenzug auszuschöpfen. Das Finanzgericht hat sich ausdrücklich auf eine summarische Prüfung des Sachverhalts beschränkt. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Festsetzung der Nachzahlungszinsen mit dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbar sei, hat das Finanzgericht darauf abgestellt, dass die Beschwerdeführerin nach dem im summarischen Verfahren allein zu berücksichtigenden aktenkundigen Sachverhalt ihren Erklärungspflichten nicht vollständig nachgekommen sei. Warum die Beschwerdeführerin in ihrer Einkommensteuererklärung die erforderlichen Angaben nicht gemacht hat, trägt sie mit ihrer Verfassungsbeschwerde nicht näher vor. Außerdem wirft der Fall eine Reihe von Fragen auf – insbesondere im Hinblick auf die behauptete Nichterzielbarkeit vergleichbarer Guthabenzinsen und das Zusammentreffen mit dem Wegfall des Sonderausgabenabzugs für die Nachzahlungszinsen –, deren vorherige fachgerichtliche Klärung im Hauptsacheverfahren angezeigt erscheint. Sofern sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Zinsbelastung stellt, wird zunächst auch durch die Fachgerichte zu prüfen sein, ob Maßstab einer solchen Verhältnismäßigkeitsprüfung die im maßgeblichen Zeitraum erzielbaren Guthabenzinsen oder etwa die in diesem Zeitraum geltenden Fremdfinanzierungszinsen sind. Auf den letztgenannten Zinssatz käme es an, sofern mit den Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO der Vorteil des Steuerpflichtigen abgeschöpft werden soll, der daraus entsteht, dass ihm zwischen dem Ende der „Karenzzeit” gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 AO und der Fälligkeit der festgesetzten Steuer der geschuldete Steuerbetrag durch den Fiskus gleichsam als „Steuerdarlehen” zur Verfügung gestellt wird (zum Abschöpfungsziel vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 233a AO Rn. 3 und 62; BTDrucks 11/2157, S. 194).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Eichberger, Masing
Fundstellen