Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtungsgesetz im finanzgerichtlichen Verfahren anwendbar
Leitsatz (redaktionell)
Daß Gesetz i. S. von § 191 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auch das AnfG ist und § 9 AnfG der Anfechtung durch Duldungsbescheid nicht entgegensteht, stellt keine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Auch wenn Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur dieser Rechtsprechung des BFH widersprechen, verliert sie dadurch nicht ihren rechtfertigenden Grund.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 191 Abs. 1 S. 1; AnfG § 9
Verfahrensgang
BFH (Beschluss vom 27.11.1990; Aktenzeichen VII B 88/90) |
Niedersächsisches FG (Urteil vom 19.01.1990; Aktenzeichen XIII (XI)540/86) |
Gründe
1. Die von den Finanzgerichten vertretene Auslegung des § 191 Abs. 1 AO in Verbindung mit dem Anfechtungsgesetz ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere verletzt sie den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsähnlichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht dadurch, daß die Anfechtung im finanzgerichtlichen Verfahren zugelassen wird. Die Auslegung und Anwendung der für die Zuständigkeit der Gerichte maßgeblichen Bestimmungen obliegt in erster Linie den Fachgerichten. Nicht jede irrtümliche Verkennung der ihnen gezogenen Grenzen führt zu einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Eine Entscheidung eines Gerichts verstößt nur dann gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, wenn sie sich bei der Auslegung und Anwendung einer für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgeblichen Rechtsnorm so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz einer vorherigen, vom anhängigen Fall unabhängigen Bestimmung des Gerichts entfernt hat, daß sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪49≫; 58, 1 ≪45≫). Die Finanzgerichte sind im vorliegenden Fall offensichtlich der dem Beschwerdeführer bekannten ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gefolgt, nach der Gesetz im Sinne des § 191 Abs. 1 Satz 1 AO auch das Gesetz betr. die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens in der Fassung vom 20. Mai 1898 (RGBl. S 709) – AnfG – ist, und § 9 AnfG der Anfechtung durch Duldungsbescheid nicht entgegensteht. Wenn Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur dieser Rechtsprechung widersprechen (vgl. Nachweise bei Tipke/Kruse, Abgabenordnung, 13. Aufl., Anm. 2 zu § 191), verliert sie dadurch nicht ihren rechtfertigenden Grund.
2. Die übrigen Rügen des Beschwerdeführers betreffen die Auslegung und Anwendung steuerrechtlicher Normen. Auslegung und Anwendung von Gesetzesvorschriften durch ein Gericht können vom Bundesverfassungsgericht jedoch nur in engen Grenzen nachgeprüft werden. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Auslegung nichtverfassungsrechtlicher Gesetze und ihre Anwendung im konkreten Fall auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫; 19, 166 ≪175≫). Das Bundesverfassungsgericht hat daher nicht zu entscheiden, ob die Auslegung und Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften im vorliegenden Fall steuerrechtlich richtig sind.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen