Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden. Er wandte sich im Ausgangsverfahren gegen die Wahl eines Mitglieds der Revisions- und Wahlkommission der Gemeinde. Die Wahl sei rechtsfehlerhaft erfolgt, da das Mitglied nach der Gemeindesatzung nicht wählbar gewesen sei; sie müsse daher für unwirksam erklärt werden.
- Der Beschwerdeführer suchte zunächst um Rechtsschutz vor kirchlichen Gerichten nach. Durch Schriftsatz vom 14. Dezember 1989 strengte der Beschwerdeführer gegen die Jüdische Gemeinde Wiesbaden ein Verfahren vor dem Bezirksrabbinatsgericht in Jerusalem an. Mit Beschluß des Bezirksrabbinatsgerichts vom 4. April 1990 wurde der Fall “ad acta” gelegt: Die Beklagte wolle sich einem Spruch des Gerichts nicht beugen. Das Gericht könne nur in deren Gegenwart verhandeln, und seine Kompetenz sei eingeschränkt. Der Beschwerdeführer könne daher die Beklagte an jedem von ihm gewünschten Ort anklagen, falls er dies wünsche.
Der Beschwerdeführer rief nunmehr die staatlichen deutschen Gerichte an.
a) Das Verwaltungsgericht Wiesbaden wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 19. April 1990 als unzulässig ab. Das Gericht sei funktionell unzuständig. Es handele sich um eine innerorganisatorische Angelegenheit der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden, die der Überprüfung durch ein staatliches Gericht nicht zugänglich sei. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erfasse nur Akte öffentlicher Gewalt, zu denen innerkirchliche Maßnahmen nicht zählten.
b) Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wies die hiergegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers durch Urteil vom 12. Dezember 1991 als unbegründet ab. Die Klage sei unzulässig, da der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sei. Innere Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften betreffende Maßnahmen seien keine der Überprüfung durch die staatlichen Gerichte zugänglichen Akte der “öffentlichen Gewalt” im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG. In diesen inneren Bereich fielen nicht nur die eigentlichen geistlichen Aufgaben wie Gottesdienst und Glaubenslehre, sondern auch das kirchliche Amtsrecht einschließlich der Ämterhoheit. Die Wahl bestimmter Mitglieder in die Revisions- und Wahlkommission zähle zu diesen rein innerorganisatorischen Angelegenheiten. Sie gründe sich weder auf vom Staat verliehene Befugnisse noch entfalte sie in dem staatlichen Zuständigkeitsbereich unmittelbare Rechtswirkungen. Rechtsschutz sei gemäß Art. 19 Abs. 4 GG auch dann nicht zu gewähren, wenn die Möglichkeiten einer Streitentscheidung innerhalb der Religionsgemeinschaft erschöpft seien.
c) Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch Beschluß vom 20. November 1992 zurück. Der Ausschluß des staatlichen Rechtswegs folge aus dem den Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV zustehenden Recht zu selbständiger Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Dieses Recht umfasse auch die Freiheit von der staatlichen Gerichtsbarkeit, soweit nicht durch die jeweilige Angelegenheit unmittelbar die Belange des Staats berührt seien. Dieser Autonomiebereich der Religionsgemeinschaften erstrecke sich über Glaubens- und Kultusfragen hinaus auch auf ihre innere Organisation einschließlich der Organisation ihrer Ämter und der Festlegung des zugehörigen Amtsrechts. Um eine solche Rechtsstreitigkeit handele es sich hier. Ein unmittelbarer Bezug zu dem staatlichen Zuständigkeitsbereich fehle schon deshalb, weil die Kommission nur im innerorganisatorischen Bereich der Jüdischen Gemeinde tätig werde. Allein aus der Anerkennung der Jüdischen Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts lasse sich ihre Unterwerfung unter die staatliche Gerichtsbarkeit nicht herleiten.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen der staatlichen Gerichte. Er rügt die Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG.
Durch die Fehlbesetzung der Kommission sei der Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt worden, so daß ihm Rechtsschutz gewährt werden müsse. Andernfalls wäre er als recht- und wehrlos anzusehen. Die Justizgewährungspflicht des Art. 19 Abs. 4 GG gebiete es insoweit, eine Befugnis deutscher staatlicher Gerichte zumindest dann als gegeben anzusehen, wenn innerkirchliche Regelungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien oder nicht griffen. So liege es hier.
Die Akte der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden seien solche der öffentlichen (wenngleich nicht staatlichen) Gewalt. Die Gemeinde sei nach staatlichem Recht in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert.
2. Die Äußerungsberechtigten haben Stellung genommen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen weder gegen Art. 19 Abs. 4 GG noch gegen Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3, 92 GG.
Für die allein den inneren Bereich der Religionsgesellschaften betreffenden Angelegenheiten ergeben sich nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV aus den staatlichen Gesetzen keine Schranken ihres Handelns (vgl. BVerfGE 72, 278 ≪289≫; stRspr). Die den Religionsgesellschaften in diesem Bereich von Verfassungs wegen gewährleistete Eigenständigkeit und Unabhängigkeit schließt hier jede staatliche Einmischung – auch eine Überprüfung durch staatliche Gerichte – aus (vgl. auch BVerfGE 18, 385 ≪387 f.≫).
Zu dem genannten Bereich der rein innerkirchlichen Angelegenheiten gehört auch das kirchliche Organisationsrecht, wenn und soweit es allein um die innere Organisation geht, die den bürgerlichen Rechtskreis nicht berührt (vgl. BVerfGE 30, 415 ≪422≫; 70, 138 ≪164≫). Eine rein innerkirchliche Organisationsfrage ist es aber auch, ob und unter welchen Voraussetzungen Personen in kirchliche Gremien gewählt werden können. Der bürgerliche Rechtskreis dieser oder anderer Personen wird durch solche Regelungen nicht berührt.
Die angegriffenen Entscheidungen sind damit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise davon ausgegangen, daß Wahl und Wählbarkeitsvoraussetzungen für die Revisions- und Wahlkommission der Jüdischen Gemeinde deren innere Angelegenheit sind und nicht der gerichtlichen Kontrolle durch die staatlichen Gerichte unterliegen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Sommer, Jentsch, Hassemer
Fundstellen
Haufe-Index 1276529 |
NJW 1999, 350 |
NVwZ 1999, 294 |