Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 29.12.1995; Aktenzeichen 3 W 78/95) |
LG Lübeck (Beschluss vom 28.08.1995; Aktenzeichen 3 T 333/95) |
AG Lübeck (Beschluss vom 03.04.1995; Aktenzeichen 5 VI 1247/93) |
Tenor
Die Wirkung der vom Nachlaßgericht Lübeck im Verfahren 5 VI 1247/93 mit Beschluß vom 3. April 1995 erteilten nachlaßgerichtlichen Genehmigung wird einstweilen für die Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des rechtlichen Gehörs und des effektiven Rechtsschutzes bei der nachlaßgerichtlichen Genehmigung von Grundstücksgeschäften. Nach den Feststellungen der Fachgerichte hatte ein zur Ermittlung der Erben und zur Sicherung des Nachlasses für die unbekannten Erben eingesetzter Nachlaßpfleger daran mitgewirkt, daß ein Grundstück (das einer anderen Erbengemeinschaft gehörte, an der jedoch die vom Nachlaßpfleger vertretenen Erben beteiligt waren) im Wege der Erbauseinandersetzung gegen Ausgleichszahlungen in das Alleineigentum einer zur dortigen Erbengemeinschaft gehörenden Miterbin übergehen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war ein Teil der Erben bereits bekannt.
Die vom Nachlaßpfleger in dem Erbauseinandersetzungsvertrag abgegebenen Erklärungen wurden vom Nachlaßgericht – Rechtspfleger – genehmigt, ohne daß die bekannten Erben – darunter die Beschwerdeführerin – angehört wurden und ohne daß die Notwendigkeit der Veräußerung zur Nachlaßsicherung begründet wurde.
Die Rechtsmittel der Beschwerdeführerin gegen die Genehmigung blieben ohne Erfolg, weil die Beschwerdegerichte davon ausgingen, daß die Genehmigung wirksam geworden sei und damit nach §§ 55, 62, 75 FGG nicht mehr abgeändert werden könne.
Entscheidungsgründe
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs sieht sie in dem Unterlassen ihrer Anhörung durch das Nachlaßgericht. Zugleich beantragt die Beschwerdeführerin den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel zu verhindern, daß der Erbauseinandersetzungsvertrag vor der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde vollzogen wird.
III.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
Bei vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage kann nicht festgestellt werden, daß die von der Beschwerdeführerin erhobene Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens richtet sich die Entscheidung darüber, ob eine einstweilige Anordnung ergeht, nach einer Folgenabwägung. Dabei müssen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, mit den Nachteilen abgewogen werden, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfGE 85, 94 ≪95 f.≫; stRspr).
Erginge keine einstweilige Anordnung, dann würde die Eintragung der Erwerberin ins Grundbuch erfolgen. Die Erwerberin hätte dann die Möglichkeit, das Grundstück ohne Zustimmung der Beschwerdeführerin zu belasten und das Eigentum an dem gesamten Grundstück an gutgläubige Dritte zu veräußern. Damit könnte die Rechtsposition der Beschwerdeführerin erheblich geschmälert oder völlig ausgeschaltet werden, auch wenn ihre Verfassungsbeschwerde später Erfolg hätte.
Ergeht hingegen eine einstweilige Anordnung, dann ist die Erwerberin für die Dauer der verfassungsgerichtlichen Prüfung gehindert, das Grundeigentum nach ihren Plänen wirtschaftlich zu verwerten. Es tritt also für sie eine zeitliche Verzögerung bei der Ausübung der Eigentümerbefugnisse ein, falls die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis keinen Erfolg haben sollte.
Wägt man die Folgen miteinander ab, fallen die Nachteile, die der Beschwerdeführerin drohen, wesentlich schwerer ins Gewicht als die zu befürchtenden Nachteile der Erwerberin. Denn die Eintragung der Erwerberin könnte mögliche Rechte der Beschwerdeführerin in nicht mehr rückgängig zu machender Weise beeinträchtigen.
Wegen der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung hat die Kammer nach § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG von einer vorherigen Anhörung der Beteiligten und Äußerungsberechtigten abgesehen.
Unterschriften
Seidl, Seibert, Hömig
Fundstellen