Verfahrensgang
Tenor
Die Urteile des Arbeitsgerichts Rostock vom 20. September 1995 – 9 (3) Ca 704/94 – und des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. Juni 1996 – 4 Sa 48/96 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die ordentliche Kündigung eines aus dem Dienst der Deutschen Demokratischen Republik übernommenen Arbeitnehmers wegen mangelnder Eignung.
1. a) Der Beschwerdeführer war seit 1978 als wissenschaftlicher Oberassistent an der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock beschäftigt. Arbeitgeber war nach dem Beitritt das im Ausgangsverfahren beklagte Land Mecklenburg-Vorpommern. Im November 1991 unterzeichnete der Beschwerdeführer folgende von dem beklagten Land vorformulierte schriftliche Erklärung:
„Hiermit erkläre ich, daß ich zu keiner Zeit Angehöriger des Ministeriums für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit war und keine Verpflichtung zu inoffizieller Mitarbeit mit einer der genannten Dienststellen eingegangen bin.
Mir ist bekannt, daß Falschaussagen zur Beendigung meiner Tätigkeit im öffentlichen Dienst führen.
Ich bin mit der Überprüfung meiner personengebundenen Daten einverstanden.”
Ein Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes ergab, daß der Beschwerdeführer im Oktober 1985 die folgende schriftliche Erklärung gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik (MfS) abgegeben hatte:
„Hiermit erkläre ich, (…)
mich bereit, auf freiwilliger Basis mit dem MfS zusammenzuarbeiten. Dafür stelle ich ein Zimmer meiner Wohnung bereit. Zur Sicherheit wähle ich den Namen PELIKAN. Mir ist bekannt, daß ich über diese Zusammenarbeit gegenüber jedermann Stillschweigen zu wahren habe.”
Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers im September 1994 wegen mangelnder persönlicher Eignung.
b) Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage des Beschwerdeführers ab. Die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Die Erklärung des Beschwerdeführers von November 1991 sei objektiv falsch, da der Beschwerdeführer eine Verpflichtung zu inoffizieller Mitarbeit mit dem MfS eingegangen sei. Die Erklärung sei auch subjektiv falsch gewesen. Der Wortlaut sowohl der Ehren- wie der Verpflichtungserklärung des Beschwerdeführers sei eindeutig. Seine Ausführungen zu verschiedenen Kategorien von inoffiziellen Mitarbeitern und der Namensgebung seien unerheblich und zudem unverständlich. Das Wort „inoffiziell” mache den Wortlaut der Ehrenerklärung nicht vieldeutiger. Besondere Umstände, die bei der Interessenabwägung zugunsten des Beschwerdeführers sprechen könnten, seien nicht ersichtlich.
c) Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Der Beschwerdeführer habe die Erklärung von November 1991 nicht den Tatsachen entsprechend abgegeben. Mit der Erklärung von Oktober 1985 habe er sich zu inoffizieller Mitarbeit, nämlich unter dem gewählten Decknamen und unter Verschwiegenheit gegenüber jedermann, für die Staatssicherheit verpflichtet gehabt. Die weitere Einlassung des Beschwerdeführers, er habe die Erklärung von November 1991 nach der Begriffsbestimmung in § 6 Abs. 4 Nr. 2 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG) ausgelegt, überzeuge nicht. Dieses Gesetz sei erst am 20. Dezember 1991 erlassen worden.
d) Das Bundesarbeitsgericht wies die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zurück.
e) Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen. Die Arbeitsgerichte hätten insbesondere seine Darlegungen nicht gewürdigt, warum er das Formular dahin verstanden habe, daß nur Verpflichtungserklärungen zu Spitzeltätigkeiten erfragt worden seien, nicht aber zu Verpflichtungen, ein Treffquartier bereitzustellen. Der Hinweis auf § 6 Abs. 4 Nr. 2 StUG habe nur belegen sollen, daß er bei Erteilung seiner Auskunft den Begriff „inoffizielle Mitarbeit” in Übereinstimmung mit dem späteren Sprachgebrauch auch des Gesetzgebers so verstanden habe, daß nur Spitzeltätigkeiten hiervon erfaßt würden.
2. Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Deutsche Gewerkschaftsbund Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts richtet. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern er durch die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt sein soll.
2. Im übrigen ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts verletzen den Beschwerdeführer in dem genannten Grundrecht. Die für diese Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Art. 12 Abs. 1 GG schützt unter anderem die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Diese umfaßt neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch den Willen des Einzelnen, den Arbeitsplatz beizubehalten. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken (vgl. dazu im einzelnen BVerfGE 84, 133 ≪146≫; 92, 140 ≪150≫). Soweit es um Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes geht, trifft Art. 33 Abs. 2 GG eine ergänzende Regelung. Die Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beschwerdeführers bestätigen, greifen in diese Rechte des Beschwerdeführers ein.
b) Die Arbeitsplatzwahl kann ebenso wie die anderen Gewährleistungen des Art. 12 Abs. 1 GG durch Gesetz beschränkt werden. Bei der Auslegung und Anwendung von arbeitsrechtlichen Kündigungsvorschriften im öffentlichen Dienst müssen die Gerichte allerdings den Schutz beachten, den Art. 12 Abs. 1 GG insofern gewährt. Steht zugleich die Eignung für den öffentlichen Dienst in Rede, tritt Art. 33 Abs. 2 GG ergänzend hinzu. Diese Rechte sind verletzt, wenn ihre Bedeutung und Tragweite bei der Auslegung und Anwendung der arbeitsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich verkannt wird. Dagegen ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts zu kontrollieren, wie die Gerichte den Schutz im einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert (BVerfGE 92, 140 ≪152 f.≫).
c) Die Arbeitsgerichte verkennen Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes dann, wenn sie die Frage, ob die Antwort eines Arbeitnehmers tatsächlich geeignet war, das Vertrauen des Arbeitgebers in seine charakterliche Integrität zu zerstören, ohne eine abschließende Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles entscheiden (vgl. BVerfGE 96, 171 ≪185 f.≫).
d) Diesen Maßstäben werden die Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts nicht gerecht. Sie verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG.
Die Erwägungen, mit denen das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht sich über das Vorbringen des Beschwerdeführers hinwegsetzen, tragen der Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte nicht hinreichend Rechnung. Das Arbeitsgericht hält die Ausführungen des Beschwerdeführers, warum seine Ehrenerklärung jedenfalls subjektiv nicht unwahr gewesen sei, ohne nähere Erläuterung für unerheblich beziehungsweise unverständlich. Das Landesarbeitsgericht beurteilt das Vorbringen des Beschwerdeführers als widersprüchlich, weil er sein Verständnis der Frage nach einer inoffiziellen Mitarbeit für das MfS einem noch gar nicht erlassenen Gesetz entnommen haben wolle. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Begriffsbestimmung in § 6 Abs. 4 Nr. 2 StUG vom 20. Dezember 1991 (BGBl I S. 2272 ≪2274≫) sollte jedoch erkennbar nur zeigen, daß das von ihm behauptete Verständnis in der Tat keineswegs abwegig war. Nach dieser Vorschrift sind inoffizielle Mitarbeiter Personen, die sich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereiterklärt haben. Die dem Beschwerdeführer vorgelegte Erklärung war auf eine Verpflichtung zur „inoffiziellen Mitarbeit” gerichtet. Die Auslegung der Arbeitsgerichte, damit sei auch nach einer Verpflichtung, ein Treffquartier bereitzustellen, gefragt worden, ist zwar möglich, aber keinesfalls eindeutig. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers wäre seine Erklärung zumindest subjektiv nicht falsch gewesen. Hiermit setzen sich die angegriffenen Entscheidungen nicht ausreichend auseinander und lassen so die von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG gebotene Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalles vermissen.
Unterschriften
Steiner, Jaeger, Kühling
Fundstellen
Haufe-Index 1113477 |
NZA 1998, 587 |
VIZ 2000, 119 |
ZBR 1998, 394 |
AuA 1998, 327 |