Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Vollstreckung einer Jugendstrafe vor Rechtskraft einer später gemäß § 31 Abs. 2 JGG gebildeten Einheitsjugendstrafe.
Die Beschwerdeführerin wurde durch Urteil des Amtsgerichts vom 19. März 1997 wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde verworfen. Im Vollstreckungsverfahren bewilligte das Amtsgericht der schwangeren Beschwerdeführerin unter Zurückweisung eines weiter gehenden Antrags durch Beschluss vom 30. August 2000 Strafaufschub bis 6 Wochen nach dem Entbindungstermin. Die sofortige Beschwerde hiergegen wurde vom Landgericht durch Beschluss vom 18. September 2000 verworfen. Ein Grund für das Abwarten eines neuen Strafverfahrens wegen weiterer Straftaten bestehe nicht. Gegen diesen Beschluss wandte sich die Beschwerdeführerin mit einer sofortigen Beschwerde. Das Oberlandesgericht verwarf dieses Rechtsmittel durch Beschluss vom 14. November 2000.
Durch Urteil vom 20. November 2000 wurde die Beschwerdeführerin vom Amtsgericht wegen Diebstahls in drei Fällen und Leistungserschleichung in zwei Fällen unter Einbeziehung des Urteils vom 19. März 1997 zu einer neuen Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Hiergegen legte sie Revision ein, über die noch nicht entschieden ist.
Unter dem 11. Januar 2001 wurde die Beschwerdeführerin zum Antritt der Jugendstrafe aus dem Urteil vom 19. März 1997 geladen. Sie beantragte – der Sache nach – die Feststellung eines Vollstreckungshindernisses oder hilfsweise erneuten Strafaufschub. Diesen Antrag lehnte das Amtsgericht durch Beschluss vom 25. Januar 2001 ab. Dagegen wandte sich die Beschwerdeführerin mit der sofortigen Beschwerde, die das Landgericht durch Beschluss vom 26. Februar 2001 verwarf. Die Tatsache, dass über eine neue Einheitsjugendstrafe noch nicht rechtskräftig entschieden sei, stehe der Vollstreckung nicht entgegen. Es bestehe kein Anlass zu der Annahme, dass im Verfahren über die neue Einheitsjugendstrafe mit einer Strafaussetzung zur Bewährung zu rechnen sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3, 3 Abs. 1, 101 Abs. 1 Satz 2, 104 GG verletzt. Den angegriffenen Entscheidungen liege die Ansicht zugrunde, dass die Jugendstrafe aus dem Urteil vom 19. März 1997 erst mit Rechtskraft der Entscheidung über eine neue Einheitsjugendstrafe gemäß § 31 Abs. 2 JGG entfalle. Dies treffe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Wirkungen der Entscheidung gemäß § 31 Abs. 2 JGG nicht zu. Danach entfalle die einbezogene Jugendstrafe bereits mit dem Ausspruch über die Bildung einer neuen jugendstrafrechtlichen Sanktion. Eine „vorläufige Vollstreckung” der Entscheidung über die neue Einheitsjugendstrafe sei dem Gesetz fremd.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt; denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde, die der Sache nach auf die Feststellung des Bestehens eines Vollstreckungshindernisses, hilfsweise auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Entscheidungen über einen erneuten Strafaufschub gerichtet ist, ist unbegründet.
1. Die Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 GG sind nicht verletzt. Die Vollstreckungsbehörde und die Gerichte des Ausgangsverfahrens sind im Ergebnis im Einklang mit der herrschenden Meinung davon ausgegangen, dass eine Vollstreckung der Jugendstrafe aus einem rechtskräftigen Urteil schon vor Rechtskraft einer nachträglich gemäß § 31 Abs. 2 JGG gebildeten Einheitsjugendstrafe möglich sei (vgl. OLG Karlsruhe, MDR 1981, S. 519; Eisenberg, JGG, 8. Aufl., § 56 Rn. 8; Ostendorf, JGG, 5. Aufl., § 31 Rn. 23). Die Beschwerdeführerin missversteht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Wirkungen der Entscheidung nach § 31 Abs. 2 JGG. Die revisionsrechtlichen Entscheidungen, namentlich in BGHSt 25, 355 ≪356≫; 37, 34 ≪39 f.≫; BGH, StV 1992, S. 432, betrafen die Frage einer Bindung des neuen Tatrichters im Erkenntnisverfahren an die Rechtsfolgenentscheidung aus dem einbezogenen Urteil. Eine Aussage über die Vollstreckbarkeit des ursprünglichen Urteils nach einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung gemäß § 31 Abs. 2 JGG ist darin nicht enthalten. § 31 Abs. 2 JGG bewirkt eine Durchbrechung der Rechtskraft des Strafausspruchs des früheren Urteils, die aber erst durch die Rechtskraft des dazu ergangenen Urteils vollstreckungsrechtliche Wirkungen dahin entfaltet, dass die Vollstreckbarkeit des früheren Urteils entfällt (vgl. Eisenberg a.a.O.; Ostendorf a.a.O.). Die Vollstreckung der nachträglich in ein anderes Urteil einbezogenen Einheitsjugendstrafe vor dessen Rechtskraft widerspricht nicht dem Gesetz. § 56 Abs. 1 JGG sieht diese Möglichkeit für den Fall der Beschränkung eines Rechtsmittelangriffs gegen ein einheitliches Urteil über mehrere Straftaten ausdrücklich vor. Dort wird allerdings zur Feststellung der Teilrechtskraft eine Vollstreckbarkeitserklärung des Rechtsmittelgerichts vorausgesetzt. Die Vollstreckung eines bereits rechtskräftigen Urteils bedarf keiner solchen Vollstreckbarkeitserklärung.
2. Die Unschuldsvermutung (vgl. BVerfGE 82, 106 ≪114 ff.≫) ist nicht verletzt. Zwar gibt es im Strafprozessrecht keine vorläufige Vollstreckbarkeit (vgl. Paeffgen in: SK StPO, Stand Mai 1999, § 449 Rn. 2, 10). Darum geht es hier aber nicht, weil als Vollstreckungsvoraussetzung eine im Ganzen rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliegt.
3. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor. Zwar ist im Fall einer Aufhebung des Urteils über die neue Einheitsjugendstrafe auf die Revision der Beschwerdeführerin der neue Tatrichter auch zur Prüfung der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung berufen. Jedoch war der beim Bewährungswiderruf hinsichtlich der Jugendstrafe aus dem Urteil vom 19. März 1997 entscheidende Richter hierfür zunächst der gesetzliche Richter. Die nachträgliche Kompetenz eines anderen Richters für die neue Entscheidung gemäß § 31 Abs. 2 JGG hebt die ursprüngliche richterliche Zuständigkeit nicht rückwirkend auf.
4. Objektive Willkür im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Daraus, dass sich die Vollstreckungsgerichte nicht an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Erkenntnisverfahren orientiert haben, ergibt sich nichts anderes. Diese Rechtsprechung betraf, wie ausgeführt, nicht die Frage der Vollstreckbarkeit des rechtskräftigen Urteils.
5. Die auf dem rechtskräftigen Urteil vom 17. März 1997 und den Entscheidungen über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung sowie einem zeitlich begrenzten Strafaufschub beruhende Vollstreckung der Jugendstrafe ist bei Berücksichtigung der bisher ergangenen Entscheidungen auch nicht unverhältnismäßig.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1267279 |
NStZ 2001, 447 |