Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 21.09.2010; Aktenzeichen 1 Ws 386/10 (278/10)) |
LG Lübeck (Beschluss vom 11.06.2010; Aktenzeichen 5 StVK 49/10) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Lübeck vom 11. Juni 2010 – 5 StVK 49/10 – und der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 21. September 2010 – 1 Ws 386/10 (278/10) – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 21. September 2010 – 1 Ws 386/10 (278/10) – wird aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
I.
Der Beschwerdeführer ist nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Die Unterbringung beruht auf einem Urteil vom 27. Januar 1999, mit dem der Beschwerdeführer wegen mehrerer im Zustand verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB begangener Straftaten – versuchten und vollendeten sexuellen Missbrauchs von Kindern, Freiheitsberaubung und Körperverletzung – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Das Gericht stützte die Anordnung der Unterbringung unter anderem darauf, dass bei dem aufgrund einer erblich bedingten Systemerkrankung zu 100% schwerbehinderten und intellektuell minderbegabten Beschwerdeführer eine deutliche Steuerungslabilität vorliege. Er sei augenblicksbestimmt, handele spontan, neige zu raptusartigen Impulsdurchbrüchen und verfolge seine leibnahen Interessen ohne Einfühlungsvermögen für andere.
Der Beschwerdeführer wurde in den Jahren 2004 und 2007 durch anstaltsfremde Sachverständige begutachtet. Die Begutachtung im Jahr 2004 ergab, dass sich unvermittelte, situationsgeleitete und kurzschlüssige, unter bestimmten Umständen auch gewaltsame Übergriffe auf Kinder weiterhin nicht ausschließen ließen. Das Gutachten aus dem Jahr 2007 führte die sexuelle Affinität des Beschwerdeführers zu minderjährigen Kindern auf eine soziale Unfähigkeit zurück sowie auf die Angst, Kontakt zu erwachsenen Frauen aufzunehmen. Grundsätzlich bestehe die Gefahr, dass es erneut zu sexuell motivierten Übergriffen gegenüber Kindern komme. Aufgrund seiner Intelligenzminderung stünden dem Beschwerdeführer in situativ zugespitzten Situationen nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zu einer entscheidenden Minderung der noch bestehenden Gefahr könne jedoch eine antihormonelle oder serotonerge medikamentöse Behandlung zur Minderung des Sexualtriebs beitragen. Wenn außerdem der eingeschlagene Weg verhaltenstherapeutischer Interventionen bei gleichzeitigen Vollzugslockerungen intensiviert und eine ausreichend betreute Wohneinrichtung gefunden werde, sei eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug in näherer Zukunft durchaus vorstellbar.
Seit Dezember 2007 erhielt der Beschwerdeführer triebdämpfende Medikamente. Die Medikation wurde im August 2008 auf ein anderes Präparat umgestellt, nachdem sich im Rahmen einer Exploration Hinweise auf wahrheitswidrige Angaben des Beschwerdeführers zur Wirkung des zunächst verabreichten Medikaments ergeben hatten. Einen Antrag der Klinik, Vollzugslockerungen in Form von begleiteten Geländeausgängen zu gewähren, lehnte die Staatsanwaltschaft im Februar 2009 unter Hinweis auf die geringe Zuverlässigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers ab. Am 1. April 2009 wurde die triebdämpfende Medikation mit der Begründung abgesetzt, dass diese unter den gesicherten Bedingungen der Klinik nicht notwendig sei und weitere Vollzugslockerungen ohne Einwilligung der Staatsanwaltschaft derzeit nicht in Betracht kämen.
Am 11. Mai 2010 gab die Klinik zur Fortdauer der Unterbringung folgende Stellungnahme ab: In diagnostischer Hinsicht bestehe weiterhin eine leichte Intelligenzminderung auf der Basis einer systemischen Grunderkrankung, die immer noch mit kognitiven Defiziten und einer eingeschränkten sozialen Handlungskompetenz verbunden sei. Bei den durchgeführten Vollzugslockerungen habe es bislang keine Beanstandungen gegeben. Im Stationsalltag zeige sich der Beschwerdeführer immer noch oft distanzlos und respektiere Grenzen nicht. Er dränge sich anderen auf, mische sich ungefragt ein, erteile Ratschläge und verfolge regelrecht schwächere Patienten, um ihnen „Gutes” zu tun. Diese Verhaltensweisen führten häufig zu Konflikten mit den anderen beteiligten Personen. Die Neugier und das Annäherungsbedürfnis seien beim Beschwerdeführer derart stark ausgeprägt, dass er sich kaum selber kontrollieren könne. Trotz fortwährender Bearbeitung der Verhaltensweisen in den therapeutischen Einzelgesprächen habe der Beschwerdeführer sein Verhalten bislang nicht ändern können. Es habe sich im Verlauf der Therapie gezeigt, dass er eine strenge Strukturierung und Führung von außen benötige. Auf sich allein gestellt, werde der Beschwerdeführer mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit Kindern gegenüber in einen neugierigen Explorationstrieb verfallen, mit der Gefahr erneuter sexueller Übergriffe oder Körperverletzungen. Aus den genannten Gründen werde die weitere Fortdauer der Unterbringung empfohlen.
Nach Anhörung des Beschwerdeführers ordnete das Landgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2010 die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an und erklärte einen erneuten Antrag auf Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung vor Ablauf von elf Monaten für unzulässig. Ausweislich der ärztlichen Stellungnahme der Klinik vom 11. Mai 2010 bestehe das Krankheitsbild unverändert fort. Dem Beschwerdeführer gelinge es bislang nicht, alternative Verhaltensweisen umzusetzen. Außerhalb des Maßregelvollzugs ohne rechtzeitige Verhaltenskontrolle könne es „zur Kontaktaufnahme mit Kindern oder anderen schwächeren Personen und dann auch zu weiteren Straftaten ähnlich den Anlasstaten” kommen. Insgesamt zeige die Entwicklung, dass trotz der Dauer der bisherigen Behandlung noch ein umfangreicher Therapiebedarf bestehe.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 21. September 2010 als unbegründet mit der Maßgabe, dass die angeordnete Sperrfrist entfalle. Man sehe beim Beschwerdeführer derzeit noch ein gewisses Maß an Gefährlichkeit für die Allgemeinheit, sei jedoch der Auffassung, einen deutlichen Rückgang hinsichtlich der von ihm ausgehenden Gefahr feststellen zu können. Bereits das erste eingeholte externe Gutachten aus dem Jahr 2004 sei zu dem – zurückhaltenden – Ergebnis gelangt, strafrechtlich relevante Übergriffe seien „nicht auszuschließen”. Das zweite externe Gutachten aus dem Jahr 2007 habe mit der Feststellung geendet, die Entlassung des Beschwerdeführers sei „in näherer Zukunft vorstellbar”. Zudem habe eine medikamentöse Therapie offenbar einen zusätzlichen positiven Einfluss gezeigt. Unter Würdigung der positiven Entwicklung werde man in der Zukunft kaum noch annehmen können, dass der Beschwerdeführer allein wegen seines krankheitsbedingten distanzlosen Verhaltens wieder straffällig werden sollte. Jedenfalls erscheine es denkbar, dem verbleibenden Restrisiko im Rahmen einer Aussetzung des Maßregelvollzugs zur Bewährung durch geeignete flankierende Maßnahmen zu begegnen. Hinzu komme, dass der aktuellen Stellungnahme der Klinik keine verbleibenden therapeutischen Ansätze mehr zu entnehmen seien. Das Gericht halte es allerdings nicht für vertretbar, eine so weit reichende Entscheidung wie die Aussetzung des weiteren Maßregelvollzugs auf der Grundlage eines inzwischen rund drei Jahre alten externen Gutachtens zu treffen. Ein neues externes Sachverständigengutachten sei bereits in Auftrag gegeben worden, werde aber nach Auskunft des Sachverständigen nicht vor Ende des Jahres 2010 vorliegen. Da es – ungeachtet des zu erwartenden Gutachtens – im Hinblick auf die Überprüfungsfristen des § 67e Abs. 1 und 2 StGB nicht vertretbar sei, die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Beschwerdeinstanz länger in der Schwebe zu halten, habe man, um möglichen positiven Feststellungen des Sachverständigen einen zügigen Eingang in das Verfahren zu ermöglichen, die von der Strafvollstreckungskammer angeordnete Sperrfrist für eine erneute Überprüfung der Fortdauer der Maßregel aufgehoben. Grundsätzlich sei zu gegebener Zeit und bei Vorliegen entsprechender aktueller Erkenntnisse unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit eine positive Entscheidung über die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Maßregel sowie der daneben verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung zu bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Anlasstaten, das verbleibende Restrisiko und die bisherige Dauer der Unterbringung.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG.
Das nach mehr als zehn Jahren psychotherapeutischer Behandlung bestehende Restdefizit in der Persönlichkeit des Beschwerdeführers entspreche nicht dem ursprünglichen Krankheitsbild. Die jetzt noch vorliegende leichte Minderbegabung und das zeitweise distanzlose Verhalten des Beschwerdeführers begründeten jedenfalls keine „schwere seelische Abartigkeit” im Sinne von § 20 StGB. Wie sich insbesondere aus dem Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2007 ergebe, bestehe keine Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Entlassung erhebliche Straftaten begehen werde. Aber selbst wenn eine solche Gefahr noch bestünde, sei in Anbetracht der bisherigen Unterbringungsdauer das verbleibende Restrisiko der Allgemeinheit zuzumuten. Im Hinblick auf das allenfalls geringe Restrisiko und die bisherige Unterbringungsdauer sei die Fortdauer der Maßregel unverhältnismäßig. Die Ansicht des Oberlandesgerichts, die Maßregel könne unter Umständen in absehbarer Zeit, nicht aber gegenwärtig, unverhältnismäßig sein, sei nicht verständlich. Da die Unverhältnismäßigkeit evident sei, bedürfe es keiner weiteren Bestätigung durch einen Sachverständigen. Dass das neue Sachverständigengutachten noch ausstehe, könne eine weitere Fortdauer der Unterbringung nicht rechtfertigen.
III.
Das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration des Landes Schleswig-Holstein hat von einer Stellungnahme abgesehen. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Strafverfahrens und das Vollstreckungsheft vorgelegen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Zu dieser Entscheidung ist sie berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Sie genügen nicht den aus dem Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers folgenden Sachaufklärungs- und Begründungsanforderungen.
1. Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG an die richterliche Überprüfung der Fortdauer einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus stellen, ergeben sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ergeben sich aus der freiheitssichernden Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG Anforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪308≫ m.w.N.).
Diese Anforderungen gelten auch für das Verfahren der Überprüfung der Unterbringung. Geht es um Prognoseentscheidungen, bei denen Risiken in Rede stehen, die in der geistigen und seelischen Disposition der Betroffenen gründen, folgt aus dem Gebot zureichender richterlicher Sachaufklärung in der Regel die Pflicht des Richters, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist; denn die Umstände, die diese bestimmen, sind für den Richter oft schwer erkennbar und abzuwägen (BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Daraus folgt zwar noch nicht, dass bei jeder nach § 67e Abs. 2 StGB turnusmäßig vorzunehmenden Überprüfung der Unterbringung von Verfassungs wegen zwingend ein ärztliches oder psychologisches Sachverständigengutachten einzuholen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Juni 2008 – 2 BvR 598/08 –, juris). Nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung muss der gleiche Aufwand veranlasst sein (BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Immer ist allerdings eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten (BVerfGE 70, 297 ≪309 f.≫).
Wird bei der zu treffenden Prognoseentscheidung die Hilfe eines ärztlichen oder psychologischen Sachverständigen in Anspruch genommen, ist darauf Bedacht zu nehmen, dass das Gutachten hinreichend substantiiert ist. Es muss den Richter in die Lage versetzen, sich – zumindest im Verbund mit dem übrigen Akteninhalt – die tatsächlichen Voraussetzungen für seine Entscheidung zu erarbeiten und auch die Frage zu beantworten, ob und gegebenenfalls welche Art Straftaten von dem Untergebrachten infolge seines Zustandes (noch) zu erwarten sind. Dazu wird es – je nach Sachlage – ein möglichst umfassendes Bild der zu beurteilenden Person zu zeichnen haben (BVerfGE 70, 297 ≪310≫).
Mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzugs steigen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung und die Begründungstiefe einer Überprüfungsentscheidung; mit dem sich intensivierenden Freiheitseingriff wächst auch die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Befindet sich der Untergebrachte seit langer Zeit in demselben psychiatrischen Krankenhaus, ist es daher geboten, von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen, um der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311, 316≫; 109, 133 ≪162≫; 117, 71 ≪105, 106≫; BVerfGK 5, 40 ≪43≫) und um auszuschließen, dass Eigeninteressen der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪164≫). Dieses verfassungsrechtliche Gebot wird mittlerweile durch die im Jahre 2007 eingeführte Vorschrift des § 463 Abs. 4 StPO konkretisiert. Danach soll das Gericht im Rahmen der Überprüfungen nach § 67e StGB nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines anstaltsfremden und nicht mit der Behandlung des Untergebrachten befassten Sachverständigen einholen.
2. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts vom 11. Juni 2010 und des Oberlandesgerichts vom 21. September 2010 tragen den von Verfassungs wegen an ihre tatsächliche Grundlage und die Sachverhaltsaufklärung zu stellenden Anforderungen nicht hinreichend Rechnung. Beide Entscheidungen werden auch in ihrer Begründung dem Gewicht des fortdauernden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers nicht gerecht.
a) Die aktuelle Stellungnahme der Klinik vom 11. Mai 2010, auf die sich die angegriffenen Entscheidungen maßgeblich stützen, entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Qualität gerichtlicher Sachverhaltserforschung. Die Stellungnahme der Klinik gelangt zwar auf der Basis objektiver Sachverhaltsschilderungen zu dem schlüssigen Ergebnis, dass der Beschwerdeführer noch immer nicht in der Lage ist, Distanz zu anderen – gerade auch schwächeren – Personen zu halten, andere Menschen als Autoritäten anzuerkennen, Zurückweisungen und Ablehnungen zu akzeptieren und seine „kindliche” Neugier, die zu den Anlasstaten geführt hat, in ausreichender Weise zu zügeln. Nicht hinreichend nachvollziehbar ist indes die hierauf gestützte – und von der Strafvollstreckungskammer ohne weiteres übernommene – Einschätzung, der Beschwerdeführer werde sich, wenn er auf sich allein gestellt sei, mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Kindern oder anderen schwächeren Personen in sexueller Art nähern. Die Stellungnahme der Klinik vom 11. Mai 2010 verhält sich weder zur spezifischen Einstellung des Beschwerdeführers gegenüber Kindern noch zu seiner sexualpsychologischen Entwicklung und seinem derzeitigen Entwicklungsstadium. An welchen Anhaltspunkten die sachverständige Einschätzung anknüpft, der Beschwerdeführer werde im Falle seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug weitere Taten der der Verurteilung zu Grunde liegenden Art begehen, bleibt damit offen. Auch wenn die in der Stellungnahme vom 11. Mai 2010 festgestellte weiterhin bestehende Neugier und Aufdringlichkeit des Beschwerdeführers ein maßgebliches handlungsleitendes Motiv für die Anlasstaten gewesen sein mag, manifestierten sich in diesen doch zugleich auch starke sexuelle Bedürfnisse sowie ein besonderes Interesse an Kindern. Vor diesem Hintergrund hätte der Prognose weiterer Straftaten ähnlich den Anlasstaten zumindest eine Klärung vorangehen müssen, ob diese – über die reine Neugier und Distanzlosigkeit hinausgehenden – Elemente beim Beschwerdeführer immer noch vorhanden sind. Die den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde gelegte aktuelle Stellungnahme vom 11. Mai 2010 enthält hierzu jedoch ebenso wenig Aussagen wie die vorangegangenen Stellungnahmen der Klinik aus den Jahren 2008 und 2009. Da die Gerichte auch keine eigenen, darüber hinausgehenden Feststellungen getroffen haben, ist das verfassungsrechtliche Gebot zureichender richterlicher Sachaufklärung angesichts der mittlerweile erheblichen Unterbringungsdauer nicht mehr gewahrt.
b) Die angegriffenen Entscheidungen tragen zudem in ihrer Begründung dem Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers nicht hinreichend Rechnung. Dabei ist angesichts der bisherigen Unterbringungsdauer von mehr als 13 Jahren, die auch im Verhältnis zu den Strafrahmen der vom Beschwerdeführer erfüllten Tatbestände, jedenfalls aber zur Dauer der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, als erheblich anzusehen ist, auch insoweit ein strenger Maßstab anzulegen.
Die Begründung des Beschlusses des Landgerichts erschöpft sich in einer Schilderung der zur Verurteilung führenden Anlasstaten sowie einer zusammenfassenden Wiedergabe des Inhalts der Stellungnahme der Klinik vom 11. Mai 2010. Eine den bisherigen Therapieverlauf, den aktuellen Zustand des Beschwerdeführers sowie Art und Maß der von ihm derzeit ausgehenden Gefahr in den Blick nehmende Abwägung ist den Gründen nicht zu entnehmen. Erheblichen Bedenken begegnet auch, dass sich das Gericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob eine den Sexualtrieb dämpfende Medikation das Risiko weiterer Straftaten im notwendigen Maße absenken könnte. Eine Klärung dieser Frage war vor allem deshalb angezeigt, weil eine entsprechende Medikation im April 2009, soweit ersichtlich, nur abgesetzt wurde, weil man sie unter den gesicherten Bedingungen der Einrichtung nicht für notwendig und eine Erprobung des Beschwerdeführers außerhalb der Einrichtung wegen der Einwände der Staatsanwaltschaft für nicht durchführbar hielt.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts setzt sich zwar mit der Frage der Verhältnismäßigkeit einer Fortdauer der Unterbringung auseinander, lässt aber nicht erkennen, dass das Gericht tatsächlich von der weiterhin bestehenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers überzeugt ist. Das Gericht führt insofern nur aus, es sehe „zur Zeit noch ein gewisses Maß an (restlicher) Gefährlichkeit für die Allgemeinheit, basierend auf dem ursprünglich diagnostizierten und fortdauernden Krankheitsbild”. Alle weiteren Feststellungen des Gerichts betreffen die positive Entwicklung des Beschwerdeführers während der Unterbringung, den günstigen Therapieverlauf und den „deutlichen Rückgang” der vom Beschwerdeführer für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahr. Darüber hinaus stellt das Oberlandesgericht ausdrücklich fest, aufgrund der positiven Entwicklung des Beschwerdeführers werde man „in der Zukunft” kaum noch mit einer erneuten krankheitsbedingten Straffälligkeit rechnen können. Warum dies nicht auch schon für den Zeitpunkt seiner Entscheidung gilt, lässt sich dieser nicht entnehmen.
c) Angesichts der festgestellten Grundrechtsverstöße kann offenbleiben, ob eine Grundrechtsverletzung auch darin liegt, dass das Oberlandesgericht, statt die Vorlage des – im Entscheidungszeitpunkt, dem 21. September 2010, bereits in Auftrag gegebenen – externen Sachverständigengutachtens abzuwarten und dieses Gutachten seiner eigenen Entscheidung zugrundezulegen, sich darauf beschränkt hat, zur Sicherung der Möglichkeit zeitnaher Berücksichtigung dieses Gutachtens den Wegfall der Sperrfrist für einen erneuten Antrag anzuordnen.
3. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG. Das Bundesverfassungsgericht muss nicht sämtliche angegriffenen verfassungswidrigen Entscheidungen aufheben, sondern kann die Sache auch an ein Gericht höherer Instanz zurückverweisen. Das ergibt sich aus der dem Bundesverfassungsgericht in § 95 Abs. 2 BVerfGG eingeräumten Befugnis, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die Sache an „ein zuständiges Gericht” – das somit nicht notwendig das Gericht der Eingangsinstanz sein muss – zurückzuverweisen; dem Bundesverfassungsgericht ist insofern ein Gestaltungsspielraum eingeräumt, der je nach der Art der festgestellten Verfassungsverletzung und unter Berücksichtigung von Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit in unterschiedlicher Weise genutzt werden kann. Aufhebung und Zurückverweisung müssen lediglich soweit greifen, wie dies zur Beseitigung des festgestellten Verfassungsverstoßes nötig ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 1995 – 2 BvR 1180/94 –, juris). Sind – wie hier – für die neue Beurteilung weitere Tatsachenfeststellungen nötig, muss die Zurückverweisung grundsätzlich in eine Instanz erfolgen, die außer zur Rechts- auch zur Tatsachenüberprüfung und -neufeststellung befugt ist. Danach reicht es vorliegend aus, die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das nach § 308 Abs. 2 StPO zu eigenen Sachverhaltsfeststellungen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist.
Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Huber
Fundstellen