Verfahrensgang
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Tatbestand
Gegenstand der Vorlage ist die Frage, ob § 54 Abs. 3 Satz 3, § 71 Abs. 2 sowie §§ 72, 73 und 74 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der Fassung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 – RRG 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2998) mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar sind.
I.
1. Die 1937 geborene Klägerin des Ausgangsverfahrens, die keine Berufsausbildung abgeschlossen hat, nahm am 1. Dezember 1952 eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf. Im April 1963 unterbrach sie ihre Berufstätigkeit, da im Juni 1963 und im November 1965 ihre Kinder geboren wurden. Am 28. November 1973 nahm sie wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf und beendete diese nach Vollendung des 60. Lebensjahres zum 31. Dezember 1997. Die Landesversicherungsanstalt Baden bewilligte ihr ab 1. Januar 1998 Altersrente für Frauen mit einem Zahlbetrag von anfangs 953,63 DM.
Gegen die Höhe der Rente erhob die Klägerin Widerspruch. Die zum 1. Januar 1997 eingetretene Rechtsänderung bei der Anrechnung von Ausbildungszeiten sei verfassungswidrig. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung ihrer vor dem Sozialgericht erhobenen Klage trug sie vor, sie streite für eine Neuberechnung der Rente unter Anwendung des bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Rechts.
2. Das Sozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 54 Abs. 3 Satz 3, § 71 Abs. 2 sowie §§ 72, 73 und 74 SGB VI in der Fassung des RRG 1999 mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar sind (veröffentlicht in: SG 1999, S. 427). Nach diesen Regelungen gelten die ersten 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres als beitragsgeminderte Zeiten mit der Folge, dass die Entgeltpunkte durch eine begrenzte Gesamtleistungsbewertung ermittelt werden.
Zur Begründung führt das Sozialgericht aus, gemäß § 54 Abs. 3 Satz 3 SGB VI seien die ersten 36 Monate mit Pflichtbeitragszeiten als beitragsgeminderte Zeiten einer beruflichen Ausbildung um einen rentenrechtlichen Zuschlag zu erhöhen. Gemäß § 71 Abs. 2 SGB VI müsse mindestens der Wert erreicht werden, den diese Zeiten als beitragsfreie Zeiten wegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Ausbildung hätten. Dies geschehe über die Gesamtleistungsbewertung (§§ 71 bis 74 SGB VI). Die beide Arten der Gesamtleistungsbewertung (vgl. § 72 und § 73 SGB VI) knüpften an die im Versicherungsleben erreichten Entgeltpunkte an. Der Zuschuss sei umso höher, je höher die Beiträge im Durchschnitt des jeweiligen Versicherungsverlaufs seien. Der sich aus der Gesamtleistungsbewertung ergebende Zuschuss sei allerdings gemäß § 74 SGB VI in seiner Höhe begrenzt (begrenzte Gesamtleistungsbewertung).
Das maßgebliche Recht sei auf den Fall zutreffend angewandt und der monatliche Rentenzahlbetrag richtig ermittelt worden. Die Klage müsste als unbegründet abgewiesen werden. Die entscheidungserheblichen Normen seien aber verfassungswidrig, so dass der Rechtsstreit auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen sei.
Die zur Prüfung gestellten Normen verletzten Art. 3 Abs. 2 GG. Die begrenzte Gesamtleistungsbewertung der ersten 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen benachteilige mittelbar die Frauen, weil die Bewertung der beitragsgeminderten Zeiten an die jeweilige Erwerbsbiografie anknüpfe (§§ 71 ff. SGB VI). Die Höhe des Zuschlags bestimme sich nach dem individuellen Versicherungsverlauf und damit nach dem Verdienst der Versicherten im gesamten Erwerbsleben. Frauen erzielten aber gegenüber Männern im Erwerbsleben geringere Arbeitsentgelte. Zwar sei der Rentengesetzgeber nicht gehalten, die tatsächlichen Lohnunterschiede von Frauen und Männern bei der Bestimmung der Renten vollständig zu kompensieren. Wenn der Gesetzgeber sich aber für einen sozialen Ausgleich in der Form der zur Prüfung vorgelegten Vorschriften entscheide, so müsse er die Regelung so gestalten, dass sie nicht zwangsläufig zu einer mittelbaren Benachteiligung von Frauen führe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlage ist unzulässig.
1. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG ist gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nur zulässig, wenn der Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lässt, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit, und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde. Das Gericht muss sich dabei eingehend mit der Rechtslage auseinander setzen und die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Norm von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 97, 49 ≪60≫; stRspr). Ferner muss es deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Norm nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt. Auch insoweit bedarf es eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehender Darlegungen (vgl. BVerfGE 89, 329 ≪336 f.≫).
2. Diese Anforderungen erfüllt die Vorlage nicht.
a) Das vorlegende Gericht hat die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Bestimmungen nicht in der erforderlichen Weise dargetan. Es hat zwar ausgeführt, die zulässige Klage sei bei Anwendung des geltenden Rechts unbegründet. Zur möglichen Begründetheit der Klage im Falle der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen hat es keine Ausführungen gemacht, sondern sich auf den Hinweis beschränkt, dass bei der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des anzuwendenden Rechts der Rechtsstreit auszusetzen und vorzulegen ist.
Dies genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG an die Begründung der Vorlage nicht. Zwar muss ein Gericht, wenn es – wie hier – die Verfassungswidrigkeit gerade darin erblickt, dass eine Partei von der zur Prüfung gestellten begünstigenden Regelung in gleichheitswidriger Weise nicht oder nur eingeschränkt profitiert, nicht darlegen, dass die Klage im Fall der Verfassungswidrigkeit in jedem Fall Erfolg haben würde. Einer solchen Begründungsanforderung könnte das vorlegende Gericht regelmäßig nicht nachkommen, weil es dem Gesetzgeber in aller Regel offen steht, den möglichen Gleichheitsverstoß entweder durch eine Beseitigung der begünstigenden Regelung insgesamt oder durch einen Einschluss der Partei in die begünstigende Regelung zu beseitigen. Dementsprechend geht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch eine (weitere) Aussetzung des Verfahrens bis zu einer gesetzlichen Neuregelung eine andere Entscheidung als eine Klagabweisung ist (vgl. BVerfGE 72, 9 ≪18≫; 84, 233 ≪237≫). Vom vorlegenden Gericht muss aber jedenfalls die Darlegung verlangt werden, welche Folgen sich aus der behaupteten Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens ergeben würden und ob insbesondere eine der möglichen, dem Gesetzgeber bei der Herstellung einer verfassungsgemäßen Rechtslage offen stehenden Optionen der Klage zum Erfolg verhelfen würde. Dem Bundesverfassungsgericht ist es verwehrt, die fehlende Darlegung der Entscheidungserheblichkeit durch eigene Erwägungen zu ersetzen. Dies bleibt Aufgabe des Fachgerichts (vgl. BVerfGE 97, 49 ≪62≫), der das Sozialgericht hier nicht gerecht geworden ist. Es fehlen nähere Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit.
b) Das vorlegende Gericht hat auch nicht hinreichend seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen begründet. Im Kern geht es ihm um einen Angriff auf das an die persönliche Erwerbsbiografie anknüpfende System der Gesamtleistungsbewertung (§§ 71 bis 73 SGB VI), die nach seiner Auffassung zu einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen führt.
Die behauptete Diskriminierung durch die rentenrechtliche Regelung hat es aber nur sehr allgemein begründet, indem es auf Unterlagen des Statistischen Bundesamtes zu den Lohnunterschieden zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern verweist. Es wird hieraus aber nicht deutlich, wie die mittelbare Diskriminierung von Frauen durch die zur Prüfung gestellten rentenrechtlichen Bestimmungen konkret zu Stande kommt. Das Gericht erörtert auch nicht eingehend genug die Frage, ob der Gesetzgeber durch Art. 3 Abs. 2 GG verpflichtet ist, die behauptete Entgeltdiskriminierung in Arbeitsverhältnissen gerade durch rentenversicherungsrechtliche Regelungen und insbesondere durch eine Neugestaltung der §§ 54 Abs. 3 Satz 3, 72 ff. SGB VI auszugleichen. Die Annahme einer solchen verfassungsrechtlichen Verpflichtung, die über die Möglichkeit der Rechtfertigung einer vom Gesetzgeber bereits getroffenen Ausgleichsregelung durch Art. 3 Abs. 2 GG hinausgeht, setzt insbesondere die Auseinandersetzung mit möglicherweise entgegenstehenden verfassungsgeschützten Belangen voraus. Die vom vorlegenden Gericht als verfassungsgeboten angesehene rentenversicherungsrechtliche Kompensation zugunsten weiblicher Versicherter könnte durch eine Regelung zu Lasten von Versicherten mit höheren Beitragsleistungen verwirklicht werden. Sie ist dann an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen (vgl. BVerfGE 100, 1 ≪37 f.≫). Hat das vorlegende Gericht die Vorstellung, die Kompensation sei durch eine Erhöhung des den Rentenversicherungsträgern aus Haushaltsmitteln gewährten Bundeszuschusses (vgl. § 153 Abs. 2 SGB VI) zu finanzieren, so stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Art. 3 Abs. 2 GG den Haushaltsgesetzgeber zu entsprechenden Leistungen verpflichtet und damit die Gestaltungsmöglichkeiten des Parlaments (vgl. BVerfGE 79, 311 ≪329≫) einschränkt. Dazu ist in der Vorlage nichts ausgeführt.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1210309 |
NZS 2000, 508 |
SGb 2001, 72 |