Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 11.09.2006; Aktenzeichen 4 WF 174/06) |
Tenor
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 11. September 2006 – 4 WF 174/06 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.
- Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Streitwertfestsetzung in Ehesachen, wenn Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlung gewährt worden ist.
I.
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. In einem Scheidungsverfahren mit bewilligter Prozesskostenhilfe für beide Parteien wurde er dem Ehemann beigeordnet.
1. Das Amtsgericht setzte den Streitwert für die Ehesache (§ 48 Abs. 3 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes ≪GKG≫) auf 3.000 € fest. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer in eigenem Namen Beschwerde, weil das monatliche Nettoeinkommen des Ehemanns 1.600 € betrage.
2. In seinem Nichtabhilfebeschluss hat das Amtsgericht die Auffassung vertreten, § 48 Abs. 2 GKG verbiete eine schematische, grundsätzlich am Einkommen der Parteien orientierte Festsetzung des Streitwerts. Deshalb sei der Streitwert hier nach Schwierigkeitsgrad und Zeitaufwand bemessen worden.
Nach der allein noch angegriffenen Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts sollen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nur ein Kriterium für die Festsetzung des Streitwerts sein. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass es sich um eine nicht streitige Ehescheidung gehandelt habe und der anwaltliche Aufwand insoweit eher gering gewesen sei. Beiden Parteien sei Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Eine Gesamtschau aller Kriterien rechtfertige die Wertfestsetzung des Amtsgerichts.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG.
4. Das Niedersächsische Justizministerium und die Parteien des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Die Wertfestsetzung durch das Oberlandesgericht verletzt den Beschwerdeführer in seiner Berufsausübungsfreiheit.
a) Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat bereits mit Beschluss vom 23. August 2005 (BVerfGK 6, 130) entschieden, dass eine Auslegung der gesetzlichen Vorschriften zur Bestimmung des Streitwerts gegen die Verfassung verstößt, wenn sie dazu führt, dass der Streitwert in Ehesachen wegen der beiderseitigen Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe “stets” oder “im Regelfall” lediglich auf den Mindeststreitwert festgesetzt wird. Da der Streitwert auch für die Bemessung der Anwaltsvergütung maßgeblich ist, wird in solchen Fällen die Berufsfreiheit der beigeordneten Rechtsanwälte berührt. Dieser Eingriff in die Berufsfreiheit ist unverhältnismäßig, weil dem legitimen Ziel der Schonung öffentlicher Kassen bereits durch die Reduzierung der Vergütungssätze umfassend Rechnung getragen worden ist, die der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt nach § 45 Abs. 1, § 49 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ≪RVG≫) aus der Staatskasse erhält.
b) Dem angegriffenen Beschluss liegt – wie in dem von der Kammer bereits entschiedenen Fall – eine Auslegung der gesetzlichen Regeln zur Streitwertberechnung (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG) zugrunde, die in Verbindung mit den Vorschriften über die Maßgeblichkeit des festgesetzten Streitwerts für die Höhe der Vergütung von Rechtsanwälten (§ 32 Abs. 1 RVG) eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers zur Folge hat (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪258≫; 97, 12 ≪27≫).
aa) Dies ergibt sich aus der Begründung, mit der das Oberlandesgericht die Streitwertbeschwerde zurückgewiesen hat. Zwar ist dessen Auffassung zutreffend, wonach gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG neben den Vermögens- und Einkommensverhältnissen alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Umfang und die Bedeutung der Sache bei der Bestimmung des Streitwerts zu berücksichtigen sind. Zur konkreten Festsetzung eines Streitwerts von 3.000 € konnte das Oberlandesgericht indessen nur deshalb gelangen, weil es auch dem Umstand der Prozesskostenhilfebewilligung ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat. In der angegriffenen Entscheidung stellt das Oberlandesgericht darauf ab, dass es sich um eine nicht streitige Scheidung mit eher geringem Aufwand der Anwälte gehandelt habe und beiden Parteien Prozesskostenhilfe bewilligt worden war. Aufgrund einer Gesamtschau – und damit ausdrücklich unter Berücksichtigung der zuvor genannten Bewilligung von Prozesskostenhilfe – sei für die Scheidung allenfalls ein Wert von 3.000 € anzusetzen. Diese Auffassung berücksichtigt nicht, dass sich der vorliegende Eingriff in die Berufsfreiheit nicht durch die Verfolgung eines legitimen Zwecks rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGK 6, 130 ≪133≫).
bb) Anders als in den bisher von der Kammer entschiedenen Fällen ist dem Mandanten des Beschwerdeführers hier Prozesskostenhilfe nur unter Auferlegung einer Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt worden ist.
Dies bleibt jedoch ohne Folgen, wenn der Beschwerdeführer nach §§ 49, 50 RVG nur die reduzierten Vergütungssätze erhält, weil die von der Staatskasse vereinnahmten Ratenzahlungen nicht oder nicht vollständig die Gebühren nach § 13 RVG erreichen. Eine Berücksichtigung des Umstandes der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Reduzierung des Streitwerts und damit zur nochmaligen Absenkung der Anwaltsvergütung führt auch in dieser Situation zur Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs, weil dem legitimen Ziel der Schonung der öffentlichen Kassen bereits durch die Reduzierung der Vergütungssätze der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte (§ 49 RVG) umfassend Rechnung getragen worden ist (vgl. BVerfGK 6, 130 ≪134≫).
Aber auch wenn der Rechtsanwalt auf Grund hinreichender Ratenzahlungen seines Mandanten nach § 50 RVG keine Reduzierung seiner Vergütung wegen seiner Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe hinnehmen muss, genügt die Auslegung der gesetzlichen Regeln zur Streitwertberechnung durch das Oberlandesgericht nicht den verfassungsrechtlichen Erfordernissen. Hier gibt es bereits keinen Gemeinwohlbelang, der aus Gründen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Absenkung der Anwaltsvergütung durch einen gegenüber der gesetzlichen Regelung in § 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG verminderten Streitwert rechtfertigt. Insbesondere kann das Anliegen der Schonung öffentlicher Kassen nicht herangezogen werden, weil die Staatskasse nach Vereinnahmung hinreichender Ratenzahlungen nicht für die Vergütung des Rechtsanwalts aufkommen muss.
2. Hiernach ist der Beschluss des Oberlandesgerichts gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, ohne dass es auf die weiter noch erhobene Rüge ankommt. Die Sache selbst ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1705196 |
NJW 2007, 1445 |
FamRZ 2007, 1081 |
Rpfleger 2007, 428 |
AGS 2007, 363 |
RVGreport 2007, 478 |