Verfahrensgang
BSG (Beschluss vom 30.11.2006; Aktenzeichen 9a VS 3/06) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
A.
I.
Der Beschwerdeführer begehrt die Erstattung von Beiträgen zur privaten Krankenversicherung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
II.
1. Beim 1956 geborenen Beschwerdeführer wurde 1997 ein Wirbelsäulenschaden als Wehrdienstbeschädigung anerkannt und mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 vom Hundert bewertet. Im Verlauf eines sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahrens erkannte das Land Rheinland-Pfalz mit Bescheid vom 30. August 2002 eine somatoforme Schmerzstörung als Folge der Wehrdienstbeschädigung an und erhöhte den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit rückwirkend zum 1. Juni 1997 auf 60 vom Hundert. Der Anspruch des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen auf Heil- beziehungsweise Krankenbehandlung wurde mit Bescheid des mittlerweile zuständigen Landesamtes für soziale Dienste des Landes Schleswig-Holstein vom 7. Oktober 2002 anerkannt; zur Beihilfe geleistete Eigenanteile wurden zurückerstattet. Die vom Beschwerdeführer beantragte Erstattung der von Juni 1997 bis Oktober 2002 bezahlten Beiträge zur privaten Krankenversicherung wurde dagegen abgelehnt. Ein Anspruch auf Rückerstattung lasse sich nur auf § 18 Abs. 4 Satz 3 BVG stützen. Die Vorschrift sehe eine Erstattung aber nur für den Fall vor, dass ein Anspruch bereits einmal zuerkannt worden, dann aber wieder weggefallen sei. Dem Beschwerdeführer sei dagegen ein Anspruch – wenn auch rückwirkend – erstmals zuerkannt worden.
2. Die Rechtsbehelfe des Beschwerdeführers blieben im Ergebnis ohne Erfolg. Zuletzt wies das Bundessozialgericht die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht als unbegründet zurück. § 18 Abs. 4 Satz 3 BVG sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Art. 3 Abs. 1 GG gebiete nicht unter dem Gesichtspunkt der Erstattung eine Gleichsetzung von rechtswidriger Entziehung und verzögerter Anerkennung des Leistungsanspruchs.
3. Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG geltend. Das Bundessozialgericht verkenne, dass bei der von ihm vorgenommenen Auslegung des § 18 Abs. 4 Satz 3 BVG die Vorschrift leer laufe. Seit der 2001 erfolgten Normierung der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen gegen Verwaltungsakte in § 86a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei kein Betroffener mehr gezwungen, bei Aberkennung seines Anspruchs auf Heil- und Krankenbehandlung in eine Krankenkasse einzutreten. Wer dagegen noch nie einen entsprechenden Anspruch erlangt habe, müsse sich durch eine private Krankenversicherung absichern. Die Vorschrift müsse deswegen auf die Personengruppe erstreckt werden, die ihres Schutzes auch tatsächlich bedürfe. Im Übrigen erspare sich die Versorgungsverwaltung bei einer langen Verfahrensdauer wie hier die Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge, ohne dass der Beschwerdeführer Amtshaftungsansprüche geltend machen könne.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Auslegung von § 18 Abs. 4 Satz 3 BVG durch den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss des Bundessozialgerichts begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insoweit handelt es sich um eine durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zu respektierende Auslegung und Anwendung einfachen Rechts. Das Bundesverfassungsgericht überprüft derartige Entscheidungen lediglich darauf, ob dabei gegen Grundrechte oder grundrechtsähnliche Rechte der Beschwerdeführer verstoßen worden ist, ob der angewendeten Norm ein verfassungswidriger Sinn beigelegt und dadurch die Einwirkung von Verfassungsrecht auf die Feststellung, Auslegung und Anwendung einfachen Rechts grundsätzlich verkannt worden ist, ob die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts willkürlich ist, gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verstößt oder ob eine verfassungsrechtlich gebotene Rechtsgüterabwägung entweder nicht oder offensichtlich fehlerhaft vorgenommen worden ist (vgl. BVerfGE 57, 9 ≪20 f.≫; stRspr).
2. Derartige Verfassungsverstöße sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
a) Die Unterscheidung in Bezug auf die Erstattung von geleisteten Beiträgen zur Krankenversicherung zwischen Beschädigten, denen ein Anspruch auf Heil- und Krankenbehandlung entzogen worden ist, und Beschädigten, die einen solchen erstmals, wenn auch rückwirkend, erworben haben, ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Wird einem Beschädigten ein Anspruch auf Heil- und Krankenbehandlung eingeräumt, kann er grundsätzlich darauf vertrauen, bei seiner künftigen Lebensführung von Beiträgen zur Krankenversicherung verschont zu bleiben. Typischerweise wird er im Hinblick darauf Vermögensdispositionen treffen, die möglicherweise auch langfristig sind. Greift die Versorgungsverwaltung nachträglich rechtswidrig in die erworbene Rechtsposition ein, gleicht sie mit der Erstattung der geleisteten Beiträge lediglich die Folgen eines von ihr unrechtmäßig enttäuschten Vertrauens aus. Wird einem Beschädigten dagegen nachträglich rückwirkend ein Anspruch auf Heil- und Krankenbehandlung eingeräumt, liegt ein Eingriff in eine bereits erlangte Rechtsposition nicht vor. Vor dem bestands- oder rechtskräftigen Abschluss eines auf Durchsetzung eines solchen Anspruchs gerichteten Rechtsschutzverfahrens wird sich der Beschädigte – wie das Bundessozialgericht zutreffend ausgeführt hat – typischerweise auch nicht darauf einstellen dürfen, künftig von Beiträgen zur Krankenversicherung verschont zu bleiben. Eventuelle Vermögensdispositionen im Hinblick auf den erwarteten Ausgang des Verfahrens liegen in seinem Risikobereich.
b) Soweit der Beschwerdeführer eine Erstreckung des Anspruchs aus § 18 Abs. 4 Satz 3 BVG auch auf ihn begehrt, weil der vom Gesetzgeber in § 18 Abs. 4 Satz 3 BVG geregelte Fall wegen des aufschiebenden Charakters eines Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid praktisch nie eintreten werde, übersieht er, dass § 86a Abs. 2 Nr. 5 und § 86b Abs. 1 Nr. 1 SGG unter bestimmten Voraussetzungen die sofortige Vollziehung des Entziehungsbescheids ermöglichen. Auch aus der Tatsache, dass Anerkennungsverfahren teilweise geraume Zeit in Anspruch nehmen können, kann der Beschwerdeführer die entsprechende Anwendung des § 18 Abs. 4 Satz 3 BVG auf seinen Fall nicht herleiten. Insoweit besteht für den Beschädigten die Möglichkeit, um einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG nachzusuchen. Beruht die Verfahrensdauer auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung, kann der Betroffene einen Schadenersatzanspruch gemäß Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB geltend machen.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen