Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen
Beteiligte
2. der Molkerei M. GmbH & Co. |
Komplementärin, die Molkerei M. GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer |
5. Komplementärin, die O. GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer |
Rechtsanwälte Dr. Hans-Dieter Sproll und Koll. |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen § 6 Abs. 2 und 3 der Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen vom 12. Juni 1991 (BGBl I S. 1234), die inzwischen durch die Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen vom 21. August 1998 (BGBl I S. 2379) ersetzt worden ist. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt sind. Sie ist unzulässig. Ihrer Zulässigkeit steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.
1. Dieser Grundsatz erfordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche erst gar nicht eintreten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 22 ≪27≫; 81, 97 ≪102≫). Der Subsidiaritätsgrundsatz ist auch bei Normen, die einen Beschwerdeführer unmittelbar betreffen, zu beachten (vgl. BVerfGE 71, 305 ≪335 f.≫; 74, 69 ≪74≫). Auch bei Verordnungen des Bundes, gegen die unmittelbar kein Rechtsweg eröffnet ist, verlangt er die Anrufung der allgemein zuständigen Gerichte, wenn diese der behaupteten Grundrechtsverletzung abhelfen können (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪325 f.≫; 71, 305 ≪335 f.≫; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1998, S. 169 f.; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NJW 1999, S. 2031; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 11. November 1999 – 1 BvR 2550/96 – Umdruck S. 5 ff.; zustimmend: Pielow, Die Verwaltung 1999, S. 445, 463 ff.). Zumutbar ist dies allerdings nur, wenn die Anrufung dieser Gerichte nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪20≫; 85, 80 ≪86≫).
2. Nach diesen Grundsätzen sind die Beschwerdeführer gehalten, zunächst Rechtsschutz auf dem Verwaltungsrechtsweg zu suchen.
a) Eine Klage vor den Verwaltungsgerichten ist nicht offensichtlich aussichtslos. Die Beschwerdeführer sehen durch § 6 Abs. 2 und 3 der Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen vom 12. Juni 1991 ihre Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Diese Rechte können in zulässiger Weise vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit geltend gemacht werden. Es handelt sich dabei, auch wenn der Anspruch aus Grundrechten hergeleitet wird, nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO nicht offen stünde, weil es unmittelbar um die Auslegung und Anwendung von § 6 Abs. 2 und 3 der Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen vom 12. Juni 1991, einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift, geht (vgl. BVerwGE 80, 355 ≪357 ff.≫; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., 1998, § 40 Rn. 33 bis 35 m.w.N.).
Der Verwaltungsrechtsweg ist auch dann nicht verschlossen, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm – einschließlich ihrer Verfassungsmäßig-keit – ankommt. Gegebenenfalls können die Verwaltungsgerichte die Verfassungswidrigkeit einer solchen Rechtsnorm in den Gründen ihrer Entscheidung selbst feststellen (vgl. BVerwGE 80, 355 ≪358 f.≫). Als statthafte Klageart kommt eine Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO in Betracht (vgl. BVerwGE 39, 247 ≪248 f.≫, allerdings im Zusammenhang mit einem förmlichen Gesetz; Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: September 1998, § 43 Rn. 25; Pielow, Die Verwaltung 1999, S. 445, 468 f.), wenn und soweit – wie hier – die Norm keines gesonderten Vollzugsaktes mehr bedarf und deshalb unmittelbar verpflichtende Wirkungen entfaltet (vgl. Pielow, aaO, S. 468 f. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu sogenannten selfexecuting-Normen in BSGE 72, 15 ≪19 f.≫; Pietzcker, aaO, Rn. 25 a.E.). Eine verwaltungsgerichtliche Klage könnte etwa die Feststellung zum Ziel haben, dass die Beschwerdeführer auch dann nicht den Rücknahmepflichten aus § 6 Abs. 1 und 2 der Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen vom 12. Juni 1991 unterliegen, wenn sie sich an einem Erfassungssystem im Sinne von § 6 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung nicht beteiligen. Eine solche Feststellungsklage ist auch bei nicht mehr geltenden Rechtsvorschriften zulässig, wenn und soweit diese noch Auswirkungen auf Rechtsbeziehungen in der Gegenwart haben, insbesondere noch für die Beurteilung von gegenwärtigen Rechtsverhältnissen bedeutsam sind oder sein können. Diese Rechtsauffassung zur Prüfungs- und Verwerfungskompetenz der Verwaltungsgerichte steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der sich dessen Verwerfungsmonopol nur auf nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinn, nicht aber auf Rechtsverordnungen bezieht (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪326≫; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1998, S. 169 f.; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NJW 1999, S. 2031). Dem steht auch nicht das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 (1 BvR 420/97) zu § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 der Verordnung über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe zur Herstellung von Arzneimitteln (Frischzellen-Verordnung) vom 4. März 1997 (BGBl I S. 432) entgegen. In diesem Fall waren die Versuche der dortigen Beschwerdeführer, vor den Verwaltungsgerichten im Wege der einstweiligen Anordnung wirkungsvollen Rechtsschutz zu erlangen, erfolglos geblieben.
Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf des Bürgers zum Schutz seiner Grundrechte; sie gehört nicht zum Rechtsweg (vgl. BVerfGE 1, 332 ≪344≫; 79, 365 ≪367≫). Umfassenden Rechtsschutz, wie ihn die allgemein zuständigen Gerichte gewähren, lässt im Verfassungsbeschwerdeverfahren bereits der beschränkte Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG; § 90 Abs. 1 BVerfGG) nicht zu. Verfassungsbeschwerden gegen im Rang unter dem förmlichen Bundesgesetz stehende Normen unterliegen außerdem – wie jede Verfassungsbeschwerde – den Zugangsschranken durch das Annahmeverfahren nach § 93 a BVerfGG. Eine Verfassungsbeschwerde kann danach ohne Rücksicht auf ihre Erfolgsaussichten nicht zur Entscheidung angenommen werden, wenn ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zukommt und ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers nicht angezeigt ist (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Im Übrigen steht die Rechtssatzverfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres vom Inkrafttreten der Norm an offen, so dass erst später von der Norm Betroffene davon überhaupt keinen Gebrauch machen können (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde stellt somit einen letzten und außerordentlichen Rechtsbehelf dar, der sich nach Voraussetzungen wie Gegenstand nicht voll mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutz deckt.
b) Dass es den Beschwerdeführern unzumutbar sein könnte, ihre Interessen zunächst vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgen, ist nicht erkennbar. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtswegs ist nach dem insoweit sinngemäß anwendbaren § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nur dann möglich, wenn die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist und die Erschöpfung auch im Hinblick auf den Sinn des Subsidiaritätsprinzips, eine vorherige Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Fragen durch die allgemein zuständigen Gerichte zu gewährleisten, nicht geboten ist (vgl. BVerfGE 90, 128 ≪136 f.≫). Danach kommt ein Verzicht auf die Rechtswegerschöpfung hier nicht in Betracht.
Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist. In der Regel besteht für nicht mehr geltendes Recht kein über den Einzelfall hinausgreifendes Interesse an der Klärung der Verfassungsmäßigkeit nach Außerkrafttreten der entsprechenden Norm (vgl. BVerfGE 91, 186 ≪200≫). Ob vorliegend etwas anderes gilt, weil die Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen vom 21. August 1998 (BGBl I S. 2379) für die Beschwerdeführer weitgehend identische Pflichten begründet, kann offen bleiben. Jedenfalls kann von einer Beschreitung des Rechtswegs deshalb nicht abgesehen werden, weil eine vorherige Klärung der tatsächlichen und einfachrechtlichen Fragen durch die allgemein zuständigen Gerichte notwendig ist. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde soll gerade dazu dienen, dass – insbesondere bei neuen Rechtsvorschriften – verfassungsrechtlich relevante Tatsachen- und Rechtsfragen durch die allgemein zuständigen Gerichte hinreichend vorgeklärt werden. Dadurch soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weit reichende Entscheidungen trifft. Bei der Rechtsanwendung durch die sachnäheren Fachgerichte können – aufgrund besonderen Sachverstands – möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen zutage gefördert werden (vgl. BVerfGE 56, 54 ≪69≫; 79, 1 ≪20≫). Es kann grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, wie ein Gericht der ersten Tatsacheninstanz eines Verwaltungsprozesses tätig zu werden (vgl. BVerfGE 24, 367 ≪402≫).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 565126 |
NVwZ-RR 2000, 473 |