Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 09.09.1997; Aktenzeichen 24 S 125/97) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 9. September 1997 – 24 S 125/97 – verletzt Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte auf die Berufung der Klägerin verurteilt worden ist. Die Sache wird an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die zivilgerichtliche Verurteilung zur Räumung eines Hauses, zur Herausgabe eines Grundstücks und zur Zahlung (in einem Zivilrechtsstreit).
I.
Der Beschwerdeführer (Beklagter des Ausgangsverfahrens) und seine seit 1984 von ihm geschiedene Ehefrau (Klägerin des Ausgangsverfahrens) sind zu je ½ Miteigentümer eines auf einem größeren Grundstück gelegenen Wohnhauses. Der Beschwerdeführer bewohnt das Haus seit mehr als 38 Jahren, seit 1980 bewohnt er es alleine. Durch Beschluß vom 20. Mai 1985 wies das Amtsgericht im Familienverfahren die eheliche Wohnung der Parteien in dem Haus dem Beschwerdeführer zur alleinigen Nutzung zu. Zugleich begründete es zwischen den Parteien ein Mietverhältnis mit der Verpflichtung des Beschwerdeführers, an die Klägerin ab Rechtskraft des Scheidungsurteils monatlich einen – später mehrmals erhöhten – Mietzins in bestimmter Höhe zu zahlen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde zum Oberlandesgericht blieb erfolglos. Später traf das Oberlandesgericht durch Beschluß eine Regelung hinsichtlich der Tragung der Kosten für Betrieb, Gartenpflege, Schönheitsreparaturen und Instandhaltung; danach haben die Parteien Kosten von Instandhaltungsarbeiten, die mehr als 300,00 DM betragen, jeweils zur Hälfte zu tragen. In der Folge kam es wegen der Grundstücksnutzung immer wieder zu Streitigkeiten der Parteien. Ein Antrag der Klägerin nach § 17 HausratsVO, den Zuweisungsbeschluß aus dem Jahre 1985 zu ändern, blieb im Jahre 1994 ohne Erfolg. Die Klägerin sieht in dem Zuweisungsbeschluß nach wie vor eine Verletzung ihres Eigentums.
Am 3. April 1993 fiel die seit 1959 nicht mehr erneuerte Ölfeuerungsanlage des Hauses aus. Der Defekt war nach den Feststellungen des Amtsgerichts irreparabel. Dieser Vorgang gab den Parteien Anlaß zu umfangreicher vorprozessualer Korrespondenz. Sie konnten sich nicht darüber einigen, ob eine neue Ölfeuerungsanlage oder eine Gasheizungsanlage eingebaut werden sollte. Schließlich ließ der Beschwerdeführer eine Gasheizungsanlage einbauen. Der Versuch der Klägerin, dies durch eine einstweilige Verfügung zu verhindern, scheiterte. In dem Termin vor dem Amtsgericht erklärte die Klägerin, Öl- und Gasheizungseinbau seien etwa gleich teuer gewesen, sie habe aber die Ölheizung wegen der geringeren Folgekosten bevorzugt. Die neue Heizung war bereits eingebaut. Das Amtsgericht erlegte die Kosten des deshalb für erledigt erklärten Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz der Klägerin auf mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe rechtmäßig gehandelt, der Einbau der Heizung sei als jahreszeitbedingt unaufschiebbare Erhaltungsmaßnahme zulässig gewesen (§ 744 Abs. 2 BGB).
Der Beschwerdeführer forderte die Klägerin sodann auf, sich zur Hälfte an den Kosten des Heizungseinbaus zu beteiligen. Da die Klägerin sich weigerte zu zahlen, verrechnete der Beschwerdeführer in der Folge die hälftigen Kosten des Heizungseinbaus gegen die an die Klägerin zu zahlende Miete. Daraufhin kündigte die Klägerin das Mietverhältnis fristlos wegen Zahlungsverzugs und erhob die im Ausgangsverfahren – seit Juli 1993 anhängige – Räumungs-, Herausgabe- und Zahlungsklage. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Den Zahlungsanspruch wies es in dem hier interessierenden Umfang ab, weil die Klägerin die Klärung ihrer unter Beweis gestellten Behauptung, der Beschwerdeführer habe unnötige Kosten verursacht, durch die Weigerung zur Zahlung des vom Gericht angeordneten Auslagenvorschusses verhindert habe und im übrigen Bedenken gegen den Heizungseinbau und die hälftige Kostenbeteiligung der Klägerin nicht bestünden. Den Räumungsanspruch hielt es demgemäß für unbegründet, da kein zur Kündigung berechtigender Mietrückstand bestanden habe.
Auf die Berufung der Klägerin gab das Landgericht durch die angegriffene Entscheidung vom 9. September 1997 der Klage auf Räumung der Wohnung und auf Herausgabe des Grundstücks an die Eigentümergemeinschaft sowie der Zahlungsklage – soweit sie hier von Interesse ist – statt. Es gewährte dem Beschwerdeführer eine Räumungsfrist bis zum 31. Dezember 1997. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer habe nicht eigenmächtig eine völlig neue Gasheizungsanlage einbauen dürfen. Diesen Einbau habe die Klägerin nur dulden müssen, wenn die alte Ölfeuerung nicht mehr oder nur unter Einsatz wesentlich höherer Kosten reparaturfähig war. Dazu habe der beweispflichtige Beschwerdeführer indes nichts vorgetragen. Das Kündigungsrecht der Klägerin ergebe sich aus § 554 Abs. 1 BGB, weil der Beschwerdeführer wegen der Einbehaltung der Kosten für den Einbau der Heizungsanlage mit mehr als zwei Monatsmieten in Verzug geraten sei. Da die Klägerin den Einbau der Heizung nicht habe dulden müssen, habe kein Aufrechnungsanspruch des Beschwerdeführers wegen der hälftigen Kosten bestanden. Der Beschwerdeführer habe den Verzug verschuldet. Er habe nicht vorgetragen, Rechtsrat eingeholt zu haben. Auf den Kostenbeschluß des Amtsgerichts, in dem der Heizungseinbau für rechtmäßig erklärt worden war, habe er sich nicht verlassen dürfen.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Willkürverbots. Er macht im wesentlichen geltend: Das Landgericht habe verkannt, daß die alte Heizungsanlage unstreitig irreparabel gewesen sei und ihr Einbau nach dem Zugeständnis der Klägerin im Verfahren auf Erlaß der einstweiligen Verfügung keine höheren Kosten verursacht habe als der Einbau einer neuen Ölheizung. Es habe zudem bei der Verschuldensprüfung seinen Vortrag aus der Klageerwiderung übergangen, wonach die Verrechnung der Einbaukosten gegen die Miete auf anwaltlichem Rat beruht habe. Auch werde sein Miteigentum übergangen, das er offenbar herausgeben solle.
Der Beschwerdeführer hat die Verfassungsbeschwerde mit dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung verbunden. Inzwischen hat das Amtsgericht die dem Beschwerdeführer gewährte Räumungsfist bis zum 30. Juni 1998 verlängert. Die dagegen von der Klägerin eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen.
Zu der Verfassungsbeschwerde hat sich die Klägerin geäußert. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an (§ 93b BVerfGG) und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für diese Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Das Urteil des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie nicht nach den Prozeßvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben müssen oder können (vgl. BVerfGE 22, 267 ≪273≫). Art. 103 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn im Einzelfall deutlich wird, daß Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (stRspr., vgl. etwa BVerfGE 65, 293 ≪295≫; 70, 288 ≪293≫; 86, 133 ≪145 f.≫).
2. So liegt der Fall hier.
a) Das Landgericht stützt seine Ansicht, der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf hälftige Kostenerstattung, darauf, er habe nicht vorgetragen, daß die vorhandene Ölheizung nicht mehr oder nur unter Einsatz unwirtschaftlicher Mittel reparabel gewesen sei, die Klägerin habe einen Anspruch auf Bestandsschutz der Ölheizung gehabt, sie habe den Einbau einer völlig neuen Heizungsanlage nur dulden müssen, wenn die alte Heizungsanlage nicht mehr zu reparieren war. Damit übergeht das Landgericht den unstreitigen Vortrag der Parteien, daß die alte Heizungsanlage eben nicht mehr reparierbar war und auf jeden Fall eine neue Heizungsanlage eingebaut werden mußte. Die Klägerin ging selbst von der Notwendigkeit des Einbaus einer neuen Heizungsanlage aus, wünschte lediglich den Einbau einer neuen Ölheizung. Das Landgericht setzt sich auch ohne weiteres über den ausführlichen Vortrag des Beschwerdeführers hinweg, daß der Einbau einer Ölheizung den Einbau eines neuen Tanks und damit erheblichen zusätzlichen Aufwand erfordert hätte. Es geht ferner nicht auf den Vortrag ein, daß die Gasheizungsanlage jedenfalls nicht teurer war, als es eine Ölheizungsanlage gewesen wäre. Wenn das Landgericht zu diesen Punkten weiteren Vortrag oder Beweisantritt vermißte, hätte es angesichts der Komplexität des Verfahrens darauf hinweisen müssen, zumal das Amtsgericht den Vortrag des Beschwerdeführers für ausreichend und den Vortrag der Klägerin, der Beschwerdeführer habe einen nicht gerechtfertigten Aufwand betrieben, für beweisbedürftig gehalten hatte.
b) Das Landgericht stützt das Verschulden des Beschwerdeführers bei der Prüfung des Verzugs darauf, der Beschwerdeführer habe sich rechtlich beraten lassen müssen. Eine solche Beratung hatte der Beschwerdeführer indes in der Klageerwiderung vorgetragen. Dieser Vortrag ist zwar in der Berufungserwiderung nicht ausdrücklich wiederholt worden; jedoch sind dort die Erwägungen vorgetragen, aufgrund deren sich der Beschwerdeführer nach Ansicht des Anwalts für berechtigt halten durfte, die Verrechnung vorzunehmen. Das Landgericht durfte den erstinstanzlichen Vortrag nicht übergehen. Der Vortrag war unstreitig, seine Richtigkeit wird von der Klägerin selbst in ihrer Äußerung zu der Verfassungsbeschwerde nicht in Frage gestellt. Weder das Amtsgericht noch die Berufung hatten auf diesen Vortrag abgestellt. Für den Beschwerdeführer bestand demgemäß kein Anlaß, ihn in der Berufungserwiderung erneut aufzugreifen.
c) Der Beschwerdeführer beanstandet, daß die Verurteilung zur Räumung sein Miteigentum nicht berücksichtige. Damit will er offenbar rügen, das Landgericht habe der unstreitigen Sach- und Rechtslage nicht Rechnung getragen. Das Landgericht geht in der angegriffenen Entscheidung in der Tat nicht darauf ein, welche rechtlichen Folgerungen sich für einen möglichen Räumungsausspruch des Prozeßgerichts daraus ergeben, daß der Beschwerdeführer Miteigentümer des Grundstücks ist, daß das Nutzungsrecht des Beschwerdeführers an der Wohnung auf dem Zuweisungsbeschluß des Familiengerichts beruht (zu Sinn und Zweck der Begründung eines Mietverhältnisses nach § 5 Abs. 2 HausratsVO bei Miteigentum der Ehegatten vgl. BayObLG, FamRZ 1974, 22 ≪23 f.≫) und daß das Mietverhältnis nur der inhaltlichen Ausgestaltung des Nutzungsrechts dient (zur Problematik der Folgen der Kündigung eines unter Miteigentümern geschlossenen Mietvertrages und zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts in diesem Fall vgl. insbesondere BGH, WM 1974, 201 ≪202 f.≫; WM 1997, 2302 ff. = ZIP 1997, 2049 ff.). Ob dies verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, kann indes im Hinblick auf die oben erörterten durchgreifenden Rügen dahinstehen. Die Würdigung der rechtlichen Problematik obliegt dem Landgericht im Rahmen der erneut zu treffenden Entscheidung.
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem Verfassungsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Landgericht bei Berücksichtigung des gesamten Vortrags des Beschwerdeführers die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hätte. Insbesondere kann eine abweichende Beurteilung der Duldungspflicht der Klägerin naheliegen, wenn es sich bei dem Streit über die Art der Heizungsanlage lediglich um eine Prinzipienfrage zwischen den streitenden Eheleuten handelte, eine Erneuerung der Heizung aber auf jeden Fall notwendig und der Aufwand für jede der in Frage stehenden Anlagen in etwa gleich war. Nach den Entscheidungsgründen der angegriffenen Entscheidung ist auch nicht auszuschließen, daß das Landgericht das Verschulden des Beschwerdeführers verneint hätte, wenn es den Vortrag zur Erteilung des anwaltlichen Rats– eventuell in Verbindung mit der Tatsache, daß das Amtsgericht dem Beschwerdeführer zuvor im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz Recht gegeben hatte – berücksichtigt hätte.
4. Das angegriffene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Mit dieser Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Kirchhof, Graßhof
Fundstellen
Haufe-Index 1276456 |
FamRZ 1998, 606 |
ZMR 1998, 268 |
WuM 1998, 206 |
SozSi 1999, 75 |