Tenor
- Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 31. Juli 2000 – NotZ 13/00 – verletzt den Beschwerdeführer zu 1) in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes; er wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
- Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 31. Juli 2000 – NotZ 14/00 – verletzt den Beschwerdeführer zu 2) in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes; er wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
- Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf je 10.000 EUR (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die beschwerdeführenden Anwaltsnotare wenden sich gegen die Versagung der Genehmigung von Nebentätigkeiten als Aufsichtsratsmitglieder zweier Banken.
I.
Die Beschwerdeführer sind Rechtsanwälte und Notare. Sie wurden 1999 in den Aufsichtsrat von Volksbanken gewählt, die sich nach ihren Satzungen nicht nur mit der Gewährung von Krediten aller Art und Dienstleistungen wie der Vermittlung oder dem Verkauf von Bausparverträgen, Versicherungen und Immobilien befassen, sondern auch mit dem Erwerb sowie gegebenenfalls der Erschließung, der Belastung und Veräußerung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten sowie der Beteiligung an Unternehmen, die eines der vorgenannten Geschäfte zum Gegenstand haben.
- Die Anträge der Beschwerdeführer auf Genehmigung der Nebentätigkeit im jeweiligen Aufsichtsrat wurden von der Präsidentin des Oberlandesgerichts zurückgewiesen. Das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars werde durch eine solche Nebentätigkeit gefährdet. Insoweit sei maßgeblich auf den Eindruck abzustellen, der durch die organschaftliche Stellung bei der rechtsuchenden Bevölkerung verursacht werde. Ein besonders strenger Maßstab sei anzulegen, wenn der Kernbereich der notariellen Tätigkeit betroffen sei. Dies sei insbesondere der Fall, wenn Grundstücksgeschäfte zur Erreichung des Geschäftszwecks typisch seien. Ein milderes Mittel, insbesondere in Form einer Auflage, sei nicht ersichtlich.
Vor dem Oberlandesgericht hatten die Beschwerdeführer Erfolg. Es hob die Entscheidungen auf, weil die Präsidentin des Oberlandesgerichts ihr Ermessen nicht ausgeübt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet habe, indem sie eine nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 der Bundesnotarordnung (BNotO) grundsätzlich genehmigungsfähige Tätigkeit von vornherein als nicht genehmigungsfähig angesehen habe.
Der Bundesgerichtshof bestätigte hingegen die Entscheidung der Präsidentin des Oberlandesgerichts. Sie habe die unbestimmten Rechtsbegriffe der einschlägigen Norm zutreffend ausgelegt und angewandt. Im Interesse einer geordneten vorsorgenden Rechtspflege gelte es, nicht erst konkreten, sondern bereits möglichen Gefährdungen des Leitbildes der Notare vorzubeugen und schon dem mit einer bestimmten Nebentätigkeit verbundenen Anschein einer Gefährdung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars zu begegnen. Bedenklich sei die Tätigkeit im Aufsichtsrat eines Unternehmens, dessen satzungsmäßiger Geschäftszweck unter anderem die Vermittlung von Grundstücksgeschäften sei, weil dem Notar durch § 14 Abs. 4 BNotO ausdrücklich verboten sei, Grundstücksgeschäfte zu vermitteln. Es solle verhindert werden, dass der Notar am Abschluss oder an einem bestimmten Inhalt von Geschäften interessiert sei, mit denen er amtlich befasst sei oder befasst werden könne. Für eine Gefährdung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars genüge es, dass sich die Volksbanken nach ihrer Satzung mit Grundstücksgeschäften und deren Vermittlung beschäftigen könnten; auf die tatsächliche Tätigkeit der Unternehmer in diesem Bereich komme es nicht an. Die entscheidende Gefährdung liege in dem “bösen Schein”. Soweit das Oberlandesgericht meine, dem mit Auflagen begegnen zu können, fehlten Ausführungen dazu, welche konkreten Auflagen insoweit sinnvoll und erfolgversprechend sein könnten.
Mit ihren jeweils gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs gerichteten Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG.
Es liege eine unzulässige Einschränkung der Berufsfreiheit darin, als Rechtsanwalt vor die Alternative gestellt zu werden, sich beruflich nur entweder als Notar oder im Aufsichtsrat einer Volksbank zu betätigen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs habe zur Folge, dass in Abweichung zur bisherigen Praxis jede Tätigkeit eines Notars im Aufsichtsrat einer Bank, einer Lebensversicherungsgesellschaft oder eines berufsständischen Versorgungswerks nicht mehr genehmigungsfähig sei. § 8 Abs. 3 BNotO setze aber eine konkrete Gefährdung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars voraus, die auch der Bundesgerichtshof nicht aufzeige. Außerdem widerspreche die Auslegung des Bundesgerichtshofs dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Beurkundungsgesetz (BeurkG) entnehmen lasse. Dort werde zwischen den Organen der Genossenschaft unterschieden; anders als für die Vorstandstätigkeit werde für Mitglieder des Aufsichtsrats der Anschein eines Interessenkonflikts nicht vermutet. Schließlich verstoße die Versagung der Nebentätigkeit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Wahrung der Unabhängigkeit des Notars auch durch mildere Maßnahmen, insbesondere Auflagen, erreicht werden könne.
Zu den Verfassungsbeschwerden haben die Niedersächsische Staatskanzlei, die Präsidentin des Oberlandesgerichts, die Bundesnotarkammer, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Notarverein, der Deutsche AnwaltVerein, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken Stellung genommen.
- Die Niedersächsische Staatskanzlei, die Präsidentin des Oberlandesgerichts sowie die Bundesrechtsanwaltskammer halten die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Das Grundstücksgeschäft habe sich zu einem Kerngeschäft der Kreditinstitute entwickelt. Es müsse der Eindruck vermieden werden, bei den Beschwerdeführern handele es sich um den “Hausnotar” einer Bank. Es stehe auch zu befürchten, dass der Notar bei Entscheidungen, die er als Mitglied eines Aufsichtsrates zu treffen habe, von Kenntnissen profitiere und sie für das Kreditinstitut fruchtbar mache, die er im Zusammenhang mit seiner Amtstätigkeit gewonnen habe. Dem könne auch nicht mit der umfassenden Verschwiegenheitspflicht aus § 18 Abs. 1 BNotO begegnet werden.
- Demgegenüber halten die Bundesnotarkammer, der Deutsche Notarverein, der Deutsche AnwaltVerein, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und der Bundesverband Deutscher Volksbanken und Raiffeisenbanken die Verfassungsbeschwerden für begründet.
Die Bundesnotarkammer und der Deutsche Notarverein stützen sich darauf, dass im Einzelfall geprüft werden müsse, ob eine Bank die in der Satzung aufgeführten Unternehmensgegenstände auch in der Praxis betreibe; entsprechende Feststellungen fehlten in den Ausgangsverfahren. Der Deutsche AnwaltVerein vertritt die Auffassung, das Grundrecht der Berufsfreiheit werde nicht mit dem ihm gebührenden Gewicht in die Güterabwägung eingestellt, wenn schon der Anschein einer Gefährdung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ausreiche, um eine Genehmigung zu versagen. § 8 Abs. 3 Satz 2 BNotO sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Genehmigungen nur versagt werden dürften, wenn nicht durch entsprechende Nebenbestimmungen eine derartige Gefährdung ausgeschlossen werden könne. Die Verbände der Banken verweisen auf die Gesetzesmaterialien zur Ergänzung des § 8 BNotO und zu der unterbliebenen Verschärfung des § 3 BeurkG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.
Die Verfassungsbeschwerden werfen keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen Fragen zur Sicherung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Notaren hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Notar einerseits einen freien Beruf ausübt, für den die Gewährleistungen des Art. 12 Abs. 1 GG gelten, dass die Notare andererseits aber Inhaber eines öffentlichen Amtes sind, sodass Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 GG Anwendung finden, die die Wirkungen des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG zurückdrängen können (vgl. BVerfGE 7, 377 ≪398≫; 17, 371 ≪377 ff.≫; 73, 280 ≪292≫). Ebenso ist geklärt, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notaramts im Interesse einer geordneten Rechtspflege liegt und damit dem Gemeinwohl dient (vgl. BVerfGE 54, 237 ≪249≫). Dabei steht es dem Gesetzgeber im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG weitgehend frei, wie er erkennbaren Gefährdungen für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Notare vorbeugt. Ihm obliegt es, diese Gefährdungen einzuschätzen und ihnen durch Berufsausübungsregelungen zu begegnen. Sofern er Gefahren befürchtet und ihnen durch Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit begegnen will, müssen diese Regelungen allerdings der Verfassung entsprechen (vgl. BVerfGE 98, 49 ≪62≫).
Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt. Sie werden in ihrer Berufsausübungsfreiheit als Anwaltsnotare durch die gesetzlich ermöglichte und im konkreten Fall durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts angeordnete Inkompatibilitätsregelung ebenso empfindlich beeinträchtigt, wie Notare durch Sozietätsverbote betroffen werden, ohne dass es darauf ankäme, ob die weitere Tätigkeit selbst schon als Beruf zu bezeichnen ist (vgl. BVerfGE 98, 49 ≪62≫, insoweit über-einstimmend mit BVerfGE 54, 237 ≪245 f.≫). Die Versagung der Genehmigung ist unverhältnismäßig.
- Grundlage der angegriffenen Entscheidungen ist § 8 Abs. 3 BNotO, der durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31. August 1998 (BGBl I S. 2585) neu gefasst wurde. Die Norm macht die Übernahme eines Aufsichtsratsmandats in einer auf Erwerb gerichteten Gesellschaft, Genossenschaft oder einem in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmen von einer Genehmigung abhängig. Die Aufsichtsbehörde hat die Genehmigung zu versagen, wenn die Tätigkeit mit dem öffentlichen Amt des Notars nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in die Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit gefährden kann. Zweck der Regelung ist es, im Interesse einer geordneten Rechtspflege die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Notare sicherzustellen (vgl. BTDrucks 13/4184, S. 19). Die gesetzliche Regelung dient damit dem Allgemeinwohl und ist auch generell der Konfliktlage angemessen. Sie begegnet als solche keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Bestimmungen sind vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 97, 12 ≪27≫). So liegt es hier. Die angegriffenen Entscheidungen werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.
Der Bundesgerichtshof geht davon aus, die Streitfälle beträfen zwingende Rechtsanwendung, soweit der Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 2 BNotO gegeben sei. Eine Ermessensausübung nach Satz 4 komme nur in Betracht, wenn die Nebentätigkeit als solche zulässig sei und lediglich sachlich und zeitlich begrenzt werden soll. Die Mitwirkung eines Notars im Aufsichtsrat eines mit dem Verkauf oder der Vermittlung von Grundstücken befassten Unternehmens sei aber nicht genehmigungsfähig, weil sie geeignet sei, jedenfalls den Anschein möglicher Interessenkonflikte zu erwecken. Diesem Anschein zu begegnen, sei zur Wahrung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars geboten. Der Gefährdung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Notare lasse sich nicht durch Auflagen an den Notar begegnen, wenn Notare in den Aufsichtsrat einer Kreditgenossenschaft einträten, die satzungsmäßig auch Grundstücksgeschäfte betreibe; die entscheidende Gefährdung liege in dem in der Öffentlichkeit möglichen “bösen Schein”.
Diese Argumentation beruht teilweise auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Berufsfreiheit.
- Verfassungsrechtlich unbedenklich ist allerdings die Auffassung des Bundesgerichtshofs, der Aufsichtsbehörde komme kein Ermessen bei Auslegung und Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 BNotO zu, soweit die Pflichtenbindung in § 14 Abs. 3 und 4 BNotO ihre Entsprechung findet.
Die Auslegung der dort verwendeten Begriffe durch den Bundesgerichtshof hält sich jedoch nicht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung einfachen Rechts durch die Fachgerichte. Die Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung unter Hinweis darauf, eine Tätigkeit im Aufsichtsrat einer auch im Grundstücksgeschäft engagierten Volksbank sei generell nicht genehmigungsfähig, greift empfindlich in das Grundrecht der Berufsfreiheit der Notare ein. Die Auffassung des Bundesgerichtshofs verlangt vom Anwalt die Aufgabe seines Notaramtes, sofern er das Mandat im Aufsichtsrat antreten will. Damit hat das Nebentätigkeitsverbot zugleich Rückwirkung auf die Tätigkeit im Aufsichtsrat von Kreditinstituten, die gerade Wert darauf legen, in diesem Gremium auch die Kenntnisse und Fähigkeiten von Notaren fruchtbar zu machen, wie in den Stellungnahmen der Bankenverbände hervorgehoben worden ist. Dieser weitgehende Eingriff ist ein unangemessenes Mittel, um die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Notare zu sichern. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung vernachlässigt die Gewährleistungen der Berufsfreiheit, die auch den Notaren zugute kommt; sie stellt eine unverhältnismäßige Beschränkung dar.
Die Eignung kann dieser Maßnahme allerdings nicht abgesprochen werden. Es ist aber bereits zweifelhaft, ob ein solches generelles Verbot in der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Auslegung und Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 BNotO erforderlich ist. Gefährdungen der Unabhängigkeit beugt der Gesetzgeber mit einer Vielzahl einzelner, ausdrücklich geregelter Ge- und Verbote vor. Sie haben zum Ziel, das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Notare wirkungsvoll zu sichern. Dies gilt insbesondere für die Beurkundungsverbote des § 3 BeurkG, die Verschwiegenheitspflicht des § 18 BNotO, das Vermittlungs- und Beteiligungsverbot des § 14 Abs. 4 und 5 BNotO, der noch weitere Einschränkungen im Zusammenhang mit Darlehen und Bürgschaften enthält. Das spezielle Werbeverbot in § 29 Abs. 2 BNotO stellt sicher, dass der Notar in seiner Amtstätigkeit nicht auf sonstige – erlaubte – Nebentätigkeiten hinweist (vgl. Ziff. VII 2. der Richtlinienempfehlungen der Bundesnotarkammer) und damit einen bösen Schein setzt, selbst wenn er sein Amt einwandfrei wahrnimmt.
Nachdem der Bundesgesetzgeber aber von dem ursprünglichen Vorhaben Abstand genommen hat, in den Katalog der Beurkundungsverbote des § 3 Abs. 1 Nr. 6 BeurkG auch die Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat aufzunehmen, hat er zu erkennen gegeben, dass die primär mit Überwachungsaufgaben verbundene Mitwirkung in einem Aufsichtsorgan nach seiner Einschätzung keine Gefahren für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars begründet, die es angezeigt erscheinen lassen, diesen Notaren die Mitwirkung an Urkundsgeschäften der betreffenden Unternehmen zu untersagen (vgl. BTDrucks 13/11034, S. 24, 40). Der Gesetzgeber hat also schon für konkrete Fälle, in denen sich tatsächlich Berührungspunkte zwischen den Tätigkeiten als Notar und als Aufsichtsratsmitglied ergeben, eine generelle Gefährdung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verneint. Er hat insoweit die Offenlegung der Beziehung als ausreichendes Mittel angesehen, dem bösen Schein zu begegnen, weil die andere Partei berechtigt ist, aus diesem Grund für die Beurkundung einen Notarwechsel zu verlangen. Verneint der Gesetzgeber bei der eigentlichen Beurkundung einen Gefährdungstatbestand, lässt sich aus dem Sachverhalt nicht ein böser Schein im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Amtes ableiten.
Auch wenn der Bundesgerichtshof unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 14 Abs. 3 BNotO darauf abstellt, dass der Notar jedes Verhalten zu vermeiden hat, das den Anschein eines Verstoßes gegen die ihm gesetzlich auferlegten Pflichten erzeugt, geht es doch nicht nur um die Vermeidung eines bösen Scheins. Beachtet man, dass Verbote, die die Berufstätigkeit betreffen, sich vor Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen müssen, lässt eine solche gesetzliche Formulierung nicht zu, den möglichen bösen Schein nur darauf zu stützen, dass die Notare die ihnen auferlegten Pflichten durchweg missachten könnten. Ginge man davon aus, dürfte man sie nicht länger als selbständige Amtsträger walten lassen.
Der Bundesgerichtshof hätte daher die Frage, ob ein böser Schein entstehen könnte, unter Hinzuziehung aller gesetzlichen Ge- und Verbote prüfen, ihre Einhaltung unterstellen und dennoch Gefahren sehen müssen. Dies ist nicht geschehen. Besonders deutlich wird dies an dem Argument, die Aufsichtsratstätigkeit stelle vor allem deshalb eine Gefährdung dar, weil mehr und mehr Grundstücksgeschäfte zum Tätigkeitsbereich der Banken gehören. Diese schätzt der Gesetzgeber im Verhältnis zum Notaramt aber nicht anders ein als das generelle Bankengeschäft überhaupt. Beide Arten von Geschäften sind dem Notar gleichermaßen in § 14 Abs. 4 BNotO verboten; das Darlehensgeschäft wird nicht anders behandelt als das Grundstücksgeschäft. Nach der Argumentation im vorliegenden Fall wäre Notaren jede Aufsichtsratstätigkeit bei Banken schon immer zu versagen gewesen.
- Soweit die Aufsichtsbehörden Anhaltspunkte für die Besorgnis haben, Notare könnten ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat zur Akquirierung neuer Mandanten nutzen, ohne dass § 29 Abs. 2 BNotO hiergegen ausreichenden Schutz böte, und sie könnten im Bereich der Beurkundungen trotz der Ge- und Verbote des § 3 BeurkG ebenfalls von ihren Aufsichtsratsmandaten profitieren, kann diesen Gefahren mit milderen Mitteln als mit einer generellen Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung begegnet werden. In Betracht kommen insoweit verschiedene Auflagen im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 4 BNotO, die das Gesetz als weniger einschneidende Mittel ausdrücklich vorsieht.
Zu denken ist dabei insbesondere an das vollständige oder ein weitgehendes Verbot, in Angelegenheiten der Bank zu beurkunden oder sonst tätig zu werden. Selbst wenn die Tätigkeit des Notars im Aufsichtsrat der Öffentlichkeit bekannt wird, wäre dann die Befürchtung auszuschließen, dass hierdurch der Notar in den Ruf kommt, für die Bank parteilich oder abhängig zu arbeiten. Die Stellung eines “Hausnotars”, der von einem Kreditinstitut regelmäßig hinzugezogen wird, kann völlig ohne Mitwirkung in irgendwelchen Organen der Banken und ohne festen rechtlichen Rahmen im Verhältnis zu Bauträgern, Bausparkassen oder Maklern entstehen. Solche regelmäßigen Geschäftsbeziehungen, denen durchaus Gefährdungspotential für das unabhängige und unparteiliche Notariat innewohnt, beruhen vornehmlich auf der wirtschaftlichen Macht des die notarielle Dienstleistung nachfragenden Mandanten (vgl. BVerfGE 98, 49 ≪66 f.≫). Das Gefährdungspotential wird aber trotz der Wahrnehmung eines Aufsichtsratsmandats minimiert, wenn in Bezug auf das Kreditinstitut von eben diesem Notar Urkundsgeschäfte gar nicht oder jedenfalls nicht gehäuft vorgenommen werden.
Die mögliche Gefahr, dass Notare ihr Aufsichtsratsmandat nutzen, um das Gebührenaufkommen ihres Notariats zu erhöhen, wäre mit einer Auflage dieser Art ebenfalls unterbunden. Eine solche Auflage wäre auch effektiv und durch die Aufsichtsbehörden kontrollierbar. Bei der Überprüfung des Notars ließe sich leicht feststellen, ob sich unter den Urkunden Vorgänge befinden, die Angelegenheiten des Kreditinstituts betreffen, in dessen Aufsichtsrat der Notar mit einer Genehmigung unter Auflagen sitzt.
Allerdings hat der Bundesgerichtshof die Möglichkeit der Erteilung einer Genehmigung unter Auflagen ausdrücklich ausgeschlossen, weil Auflagen erst dann in Betracht kämen, wenn die Nebentätigkeit als solche zulässig sei. Hierin liegt indessen eine Verkennung des Bedeutungsgehalts des Art. 12 Abs. 1 GG. Sofern die Ziele, die durch die Versagung einer Genehmigung verfolgt werden sollen, auch durch das mildere Mittel einer Auflage zu erreichen sind, gebietet es der in Art. 12 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, eine Genehmigung unter Auflagen zu erteilen, wenn damit die einschneidendere Maßnahme der Versagung vermieden werden kann.
- Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den dargelegten Verstößen gegen Art. 12 Abs. 1 GG und sind daher aufzuheben.
- Die Entscheidungen über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer beruhen auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 852879 |
ZAP 2002, 1271 |
DNotZ 2003, 65 |
NotBZ 2002, 415 |
BRAK-Mitt. 2002, 278 |