Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung von Personen zum Straßenverkehr
Beteiligte
Rechtsanwälte Dr. Hans-Werner Schrader und Partner |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
I.
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen § 17 Abs. 3 der am 1. Januar 1999 als Art. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214) in Kraft getretenen Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV). Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
Der Bewerber (scil. um eine Fahrerlaubnis) hat die praktische Prüfung am Ort seiner Hauptwohnung oder am Ort seiner schulischen oder beruflichen Ausbildung, seines Studiums oder seiner Arbeitsstelle abzulegen. Sind diese Orte nicht Prüforte, ist die Prüfung nach Bestimmung durch die Fahrerlaubnisbehörde an einem nahegelegenen Prüfort abzulegen. Die Fahrerlaubnisbehörde kann auch zulassen, daß der Bewerber die Prüfung an einem anderen Prüfort ablegt.
Der Fahrerlaubnisbewerber hat gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 FeV für die praktische Prüfung ein der Anlage 7 zur Fahrerlaubnis-Verordnung entsprechendes Prüfungsfahrzeug bereitzustellen. Prüforte sind nach § 17 Abs. 4 Satz 2 FeV geschlossene Ortschaften, die aufgrund des Straßennetzes, der vorhandenen Verkehrszeichen und -einrichtungen sowie der Verkehrsdichte und -struktur die Prüfung der wesentlichen Verkehrsvorgänge ermöglichen. Sie werden von der zuständigen obersten Landesbehörde, der von ihr bestimmten oder der nach Landesrecht zuständigen Stelle festgelegt (§ 17 Abs. 4 Satz 3 FeV).
2. Die Beschwerdeführerin betreibt sogenannte Ferien-Fahrschulen, in denen Fahrschüler während ihres Urlaubs in Intensivkursen auf die Fahrprüfung vorbereitet werden. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht sie geltend, daß § 17 Abs. 3 FeV Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG verletze, weil ihre Fahrschulen im Hinblick auf die angegriffene Bestimmung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr existieren könnten. Ihre Fahrlehrer seien aus zeitlichen und wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage, das Prüffahrzeug an den jeweiligen Wohnorten der Fahrerlaubnisbewerber zur Verfügung zu stellen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist. Ihrer Zulässigkeit steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.
1. Dieser Grundsatz erfordert, daß ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche erst gar nicht eintreten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 22 ≪27≫; 81, 97 ≪102≫). Der Subsidiaritätsgrundsatz ist auch bei Normen, die einen Beschwerdeführer unmittelbar betreffen, zu beachten (vgl. BVerfGE 71, 305 ≪335 f.≫; 74, 69 ≪74≫). Auch bei Verordnungen des Bundes, gegen die unmittelbar kein Rechtsweg eröffnet ist, verlangt er die Anrufung der allgemein zuständigen Gerichte, wenn diese der behaupteten Grundrechtsverletzung abhelfen können (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪325 f.≫; 71, 305 ≪335 f.≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 1998, S. 169 f.). Zumutbar ist dies allerdings nur, wenn die Anrufung dieser Gerichte nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪20≫; 85, 80 ≪86≫).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Beschwerdeführerin gehalten, zunächst Rechtsschutz auf dem Verwaltungsrechtsweg zu suchen.
Hierfür kommt einmal in Betracht, daß Fahrschüler der Beschwerdeführerin bei der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde beantragen, nach § 17 Abs. 3 Satz 3 FeV zur Prüfung an einem anderen Ort als dem in § 17 Abs. 3 Satz 1 FeV bestimmten Prüfort zugelassen werden, und die Beschwerdeführerin nach Ablehnung eines solchen Antrags im Verwaltungsrechtsstreit gemäß § 65 VwGO mit der Möglichkeit beigeladen wird, nach Maßgabe des § 66 VwGO selbständig mit eigenen Angriffsmitteln gegen die auch ihre Interessen berührende Behördenentscheidung vorzugehen. Zum anderen ist auch eine verwaltungsgerichtliche Klage der Beschwerdeführerin selbst nicht offensichtlich aussichtslos.
Die Beschwerdeführerin leitet aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG das Recht ab, Fahrerlaubnisbewerbern generell die Möglichkeit der Abnahme der praktischen Fahrprüfung am Ort ihrer Ferien-Fahrschulen zu eröffnen. Dieses Recht kann nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung in zulässiger Weise vor diesen Gerichten geltend gemacht werden. Es handelt sich dabei, auch wenn der Anspruch aus Grundrechten hergeleitet wird, nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO nicht offenstünde, weil es unmittelbar um die Auslegung und Anwendung des § 17 Abs. 3 FeV, einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift, geht (vgl. BVerwGE 80, 355 ≪357 ff.≫; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. 1998, § 40 Rn. 33-35 m.w.N.).
Der Verwaltungsrechtsweg ist auch dann nicht verschlossen, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm – einschließlich ihrer Verfassungsmäßigkeit – ankommt. Gegebenenfalls können die Verwaltungsgerichte, für deren Anrufung hier je nach Fallgestaltung vor allem eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO in Betracht kommen dürfte (vgl. dazu etwa BVerwGE 38, 346 ≪347≫; 39, 247 ≪248 f.≫; 50, 60 ≪62≫; Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd. I ≪Stand: September 1998≫, § 43 VwGO Rn. 21-25), die Verfassungswidrigkeit einer solchen Rechtsnorm in den Gründen ihrer Entscheidung selbst feststellen (vgl. BVerwGE 80, 355 ≪358 f.≫; stRspr.). Diese Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der sich das Verwerfungsmonopol dieses Gerichts nur auf nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinne, nicht aber auf Rechtsverordnungen bezieht (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪326≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.).
Daß es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar sein könnte, ihre Interessen zunächst vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgen, ist nicht erkennbar. Sie hat selbst vorgetragen, daß bereits nach der bisherigen Rechtslage nicht alle Fahrerlaubnisbewerber die praktische Fahrprüfung an den Orten ihrer Ferien-Fahrschulen absolvieren konnten. Von daher ist nicht ersichtlich, inwieweit sich die rechtliche und wirtschaftliche Situation der Beschwerdeführerin unter der neuen Rechtslage gravierend verschlechtert haben könnte. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde soll im übrigen gerade dazu dienen, daß verfassungsrechtlich relevante Tatsachen- und Rechtsfragen durch die allgemein zuständigen Gerichte hinreichend vorgeklärt werden (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪20≫). Dies ist vorliegend insbesondere deshalb geboten, weil die Beschwerdeführerin eine neue Rechtsvorschrift mit einem Entscheidungsspielraum der Fahrerlaubnisbehörden angreift, deren
konkrete Auswirkungen auf die Ferien-Fahrschulen der Beschwerdeführerin noch weitgehend ungeklärt sind.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 543445 |
NJW 1999, 2031 |
NVwZ 1999, 867 |
DAR 1999, 212 |