Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 09.08.1995; Aktenzeichen (568) 51 Js 2960/94 Ns (84/95)) |
AG Berlin-Tiergarten (Urteil vom 01.06.1995; Aktenzeichen 238 Cs 137/95) |
Tenor
Der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 9. August 1995 – 568) 51 Js 2960/94 Ns (84/95) – und das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. Juni 1995 – 238 Cs 137/95 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und war in einem vor der 26. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin anhängig gewesenen Strafverfahren als Pflichtverteidiger der Angeklagten beteiligt. Die Angeklagte befand sich seit dem 5. November 1993 in Untersuchungshaft. Die Aufrechterhaltung des Haftbefehls war durch Beschlüsse des Kammergerichts im März und Mai 1994 mit Fluchtgefahr aufgrund der Höhe der zu erwartenden Strafe begründet worden. Am 11. Juli 1994 wurde die Angeklagte wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zugleich wurde von der Strafkammer die Haftfortdauer beschlossen, die nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers weder mündlich noch schriftlich begründet wurde. Der Beschwerdeführer legte gegen das Urteil für die Angeklagte Revision ein und beantragte mit Schriftsatz vom 10. November 1994 Termin zur mündlichen Haftprüfung. Den Haftprüfungsantrag begründete er mit dem Fehlen eines Fluchtanreizes angesichts der noch verbleibenden Nettostraferwartung nach dem Urteil des Landgerichts. Er verwies auf fehlende empirische Untersuchungen hinsichtlich eines Zusammenhangs von Straferwartung und Fluchtdisposition. Die im Fall der Angeklagten angelegten Maßstäbe seien im Vergleich zur Behandlung anderer Mitgefangener und im Hinblick auf die bei der Angeklagten vorliegenden besonderen Umstände nahezu willkürlich.
Die Strafkammer des Landgerichts ordnete ohne mündliche Anhörung mit Beschluß vom 18. November 1994 die Fortdauer der Untersuchungshaft an und führte als Begründung aus: “Der seit dem 11. Juli 1994 eingetretene Zeitablauf rechtfertigt keine andere Beurteilung der Fluchtgefahr. Auch unter Berücksichtigung der im Fall der Rechtskraft des Urteils der Kammer vom 11. Juli 1994 möglichen Aussetzung des Strafrestes nach § 57 StGB ist die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht unverhältnismäßig. Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne von § 116 Abs. 1 StPO sind auch im jetzigen Zeitpunkt nicht ausreichend, der Fluchtgefahr zu begegnen.”
Daraufhin legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 25. November 1994 Beschwerde gegen den Haftfortdauerbeschluß ein. Er beanstandete in der Beschwerdeschrift zunächst, daß eine Fluchtgefahr ohne den Versuch einer Begründung lediglich behauptet worden sei und deshalb von der Subsumtion eines festgestellten Sachverhalts unter die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des § 112 StPO nicht einmal in Ansätzen die Rede sein könne. Wörtlich heißt es dann weiter:
Da man davon ausgehen darf, daß auch die Richter der Strafkammer einmal eine juristische Ausbildung gehabt haben, läßt sich nur vermuten, daß sie sich zwischenzeitlich wohl als über dem Gesetz stehend betrachten.
Die aus 3 Sätzen bestehende “Begründung” des angefochtenen Beschlusses kann diese Vermutung nur bestätigen. Denn mehr als Leerformeln, die einem Formschreiben entnommen zu sein scheinen, erhält diese Begründung ebenfalls nicht. Irgendwelche Feststellungen, die nachprüfbar wären, sucht man in dem Beschluß vergebens. Man könnte sich angesichts einer derartigen Begründung, mit der immerhin der Eingriff in die Freiheitsrechte der Betroffenen gerechtfertigt werden soll, sogar an unrühmliche, historische Vorbilder erinnert fühlen.
Nach § 112 Abs. 2 Ziffer 2 StPO setzt die Annahme der Fluchtgefahr voraus, daß “aufgrund bestimmter Tatsachen… bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen werde.”
“Bestimmte Tatsachen” im Sinne dieser Vorschrift wurden von der Kammer zu keiner Zeit festgestellt. Noch weniger hat sie sich irgendwann der Mühe unterzogen, die bei der Angeklagten vorliegenden Umstände des Einzelfalles zu würdigen oder einer Abwägung der für oder gegen eine Fluchtgefahr sprechenden Umstände zu unterziehen.
Allein die völlig unbegründete Behauptung, es bestehe eine Fluchtgefahr bzw. die Fortdauer der Untersuchungshaft sei nicht unverhältnismäßig, wie dies in dem angefochtenen Beschluß geschieht, spricht jeder Rechtsanwendung Hohn und würde allenfalls einem sog. Volksrichter, der im Schnellverfahren ausgebildet wurde, Ehre machen. Rechtsstaatlichen Erfordernissen kann eine solche “Begründung” nicht gerecht werden.
Im weiteren legte der Beschwerdeführer eingehend dar, warum aus seiner Sicht eine Fluchtgefahr bei der Angeklagten zu keiner Zeit bestanden habe.
In dem daraufhin eingeleiteten Strafverfahren erging zunächst ein Strafbefehl gegen den Beschwerdeführer. Nachdem der Beschwerdeführer hiergegen Einspruch eingelegt hatte, verurteilte ihn das Amtsgericht wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 100 DM. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:
Der Beschwerdeführer habe sich einer Beleidigung nach § 185 StGB schuldig gemacht. Die in dem Schriftsatz des Beschwerdeführers enthaltene Formulierung “… der angefochtene Beschluß… würde allenfalls einem sogenannten Volksrichter, der im Schnellverfahren ausgebildet wurde, Ehre machen…” beinhalte einen ungerechtfertigten Angriff auf die Ehre der Richter der 26. Großen Strafkammer. Der Beschwerdeführer rücke hierdurch die Richter der Kammer in die Nähe solcher Richter, die in einem Schnellverfahren ausgebildet worden seien und daher über keine oder zumindest nur über geringe juristische Kenntnisse verfügten. Der Vergleich der Richter mit sogenannten “Volksrichtern” ziele darauf ab, den Eindruck zu erwecken, die Richter würden ihre Entscheidungen ohne fundierte juristische Grundlage treffen. Der Beschwerdeführer habe seine Kritik auch nicht nur auf den Beschluß der Richter beschränkt. Vielmehr habe er durch den von ihm gezogenen Vergleich die Richter unmittelbar in scharfer Form angegriffen. Damit werde den Richtern der soziale Geltungswert abgesprochen. Der Beschwerdeführer bringe zum Ausdruck, daß die Richter nicht die Fähigkeiten besäßen, ihren Beruf ordnungsgemäß auszuüben.
Eine derart herabsetzende Wertung müsse die Strafkammer auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines berechtigten Anliegens des Beschwerdeführers (§ 193 StGB), welches durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) mitbestimmt werde, hinnehmen. Ein Interesse sei berechtigt, wenn seine Verfolgung rechtlich schutzwürdig sei und die Handlung ein angemessenes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks bilde. Zwar diene die Äußerung des Beschwerdeführers der Verteidigung einer Mandantin. Auch müsse es einem Anwalt möglich sein, den Beschluß einer Strafkammer mit gehörigem Nachdruck anzufechten. Vorliegend habe jedoch der Beschwerdeführer mit der Gleichstellung der Richter mit sogenannten “Volksrichtern” den Freiraum, der durch das Recht auf Meinungsäußerung eingeräumt werde, verlassen. Die von dem Beschwerdeführer geübte Kritik an den Richtern ziele auf eine Diffamierung der Person jedes einzelnen Richters der Kammer ab, sie betreffe den Kern ihrer Ehre. Äußerungen, die nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache suchten, sondern bei denen Beschimpfungen, Schmähungen und Diffamierungen der Person im Vordergrund stünden, seien nicht gerechtfertigt. Mithin sei die an den Richtern geübte Schmähkritik kein angemessenes Mittel, die Mandantin des Beschwerdeführers angemessen zu verteidigen.
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Gericht unter anderem zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt, daß er mit seiner damaligen Mandantin eng befreundet war, so daß er von dem Haftfortdauerbeschluß der Strafkammer selbst betroffen gewesen sei.
Das Landgericht hat die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 313 StPO nicht angenommen und als unzulässig verworfen, weil sie offensichtlich unbegründet sei.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer mit der Rüge der Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG gegen den Strafbefehl, das Urteil des Amtsgerichts und den Beschluß des Landgerichts. Er macht im wesentlichen geltend: Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sei verletzt, weil die Strafgerichte der Verurteilung eine Deutung der Äußerung zugrunde gelegt hätten, die sie bei verständiger Würdigung nicht habe. Aus den Äußerungen selbst und dem Gesamtzusammenhang, in dem sie stünden, ergebe sich ohne weiteres, daß hierdurch keineswegs eine qualifizierte juristische Ausbildung der Richter in Frage gestellt worden sei. Vielmehr sei er hiervon ausgegangen und habe deshalb lediglich zum Ausdruck gebracht, daß die unzulängliche Begründung des Haftfortdauerbeschlusses als äußerst kritikwürdig erscheine. Das Amtsgericht habe den beanstandeten Formulierungen zu Unrecht eine Gleichstellung der Richter mit sogenannten “Volksrichtern” und die Behauptung entnommen, diese Richter besäßen nicht die Fähigkeit, ihren Beruf ordnungsgemäß auszuüben. Dieses Verständnis entspreche nicht dem objektiven Sinngehalt der Äußerungen. Nicht die Unzulänglichkeit der Richter sei Gegenstand der geäußerten Kritik, sondern ausschließlich die Unzulänglichkeit des von ihnen gefaßten Beschlusses. Es könne daher nur als abwegig betrachtet werden, wenn das Amtsgericht diese Kritik als eine an den Richtern geübte Schmähkritik bewerte.
Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sei verletzt, weil die Begründung des Amtsgerichts der Berufs- und Meinungsfreiheit des Rechtsanwalts nicht gerecht werde. Er habe ausschließlich zur Verteidigung seiner Mandantin Kritik an dem Haftfortdauerbeschluß des Landgerichts geübt und auf offensichtliche Unzulänglichkeiten des angefochtenen Beschlusses mit dem gebührenden Nachdruck hingewiesen.
3. Die Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin hat von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie sich gegen den Strafbefehl richtet, nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist insoweit unzulässig. Durch den Einspruch des Beschwerdeführers hat der Strafbefehl seinen Charakter als vorläufige Entscheidung über die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Straftat eingebüßt. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nach zulässigem Einspruch ersetzt der Strafbefehlsantrag die Anklage (vgl. BGHSt 23, 280 ≪281≫), und der Strafbefehl übernimmt lediglich die Funktion des Eröffnungsbeschlusses. Damit ist das Rechtsschutzinteresse an einer Aufhebung entfallen (ebenso zum vergleichbaren Fall einer Verfassungsbeschwerde gegen einen Bußgeldbescheid BVerfGE 65, 248 ≪258≫).
2. Dagegen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit der Beschwerdeführer den Beschluß des Landgerichts und das Urteil des Amtsgerichts angreift. Insoweit ist die Annahme zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt (vgl. insbesondere BVerfGE 82, 272 ≪283 f.≫; 85, 1 ≪13 ff.≫; 93, 266 ≪289 ff.≫). Auch ist die Verfassungsbeschwerde begründet, weil der Beschluß des Landgerichts und das Urteil des Amtsgerichts den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen.
a) Die Äußerungen in dem Schriftsatz, derentwegen der Beschwerdeführer verurteilt worden ist, nehmen am Schutz der Meinungsfreiheit teil. Dieser erstreckt sich auf alle Meinungsäußerungen unabhängig davon, ob sie rational oder emotional, begründet oder grundlos sind und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten werden (BVerfGE 85, 1 ≪14 f.≫; 93, 266 ≪289≫). Auch polemische oder verletzende Formulierungen entziehen eine Äußerung nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (BVerfGE 61, 1 ≪7 f.≫; 93, 266 ≪289≫).
b) Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken gemäß Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem in dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehört auch die Vorschrift des § 185 StGB, auf die die Strafgerichte die Verurteilung gestützt haben. Auslegung und Anwendung der Strafgesetze sind grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Geht es um Äußerungen, die vom Schutz der Meinungsfreiheit umfaßt werden, haben sie dabei aber dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208 f.≫; stRspr). Dazu gehört zum einen eine zutreffende Erfassung des Sinns der umstrittenen Äußerung. Insbesondere dürfen die Gerichte ihr keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪295 ff.≫). Zum anderen gehört dazu eine im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der Strafvorschrift vorzunehmende fallbezogene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit auf der einen und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie eingeschränkt ist, auf der anderen Seite (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293 ff.≫).
Das Ergebnis dieser Abwägung ist wegen ihres Fallbezugs verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Doch tritt die Meinungsfreiheit bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪12≫; 82, 43 ≪51≫; 93, 266 ≪294≫). Wegen des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik allerdings eng auszulegen. Eine Schmähung liegt nicht bereits wegen der herabsetzenden Wirkung einer Äußerung für Dritte vor, selbst wenn es sich um eine überzogene oder ausfällige Kritik handelt (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪283 f.≫). Vielmehr nimmt eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪284≫). Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlich für eine Formalbeleidigung oder Schmähung, mit der Folge, daß eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unterbleibt, so liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪281≫; 93, 266 ≪294≫).
c) Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Amtsgerichts werden diesen Maßstäben nur teilweise gerecht.
aa) Allerdings begegnet es keinen Bedenken, daß die Strafgerichte der inkriminierten Äußerung ehrkränkenden Charakter beigemessen haben. Die Deutung der Äußerung als Angriff auf die Ehre der betreffenden Richter ist nicht zu beanstanden. Zwar handelte es sich erkennbar um eine Kritik an dem angefochtenen Haftfortdauerbeschluß. Die Formulierung, daß ein solcher Beschluß allenfalls einem im Schnellverfahren ausgebildeten “Volksrichter” Ehre machen würde, enthält jedoch die Aussage, daß die Richter in diesem Fall nur die juristische Qualifikation eines solchen im Schnellverfahren ausgebildeten “Volksrichters” an den Tag gelegt hätten. Soweit die Strafgerichte hieraus abgeleitet haben, daß der Eindruck erweckt werden sollte, die Richter würden ihre Entscheidungen ohne fundierte juristische Grundlage treffen, ist dieses Verständnis naheliegend und nachvollziehbar. Demgemäß ist auch die Wertung der Strafgerichte, hiermit habe der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht, die Richter besäßen nicht die Fähigkeit, ihren Beruf ordnungsgemäß auszuüben, wodurch ihnen der soziale Geltungsanspruch abgesprochen werde, nicht zu beanstanden.
bb) Dagegen ist die von den Strafgerichten vorgenommene Einordnung der inkriminierten Äußerung als Schmähkritik mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Die Strafgerichte haben die gebotene Berücksichtigung von Anlaß und Kontext der Äußerung unterlassen. Die Äußerung war in einem Schriftsatz eingebettet, der ersichtlich von dem Sachanliegen geprägt war, eine Änderung des Haftfortdauerbeschlusses und die Entlassung der Mandantin des Beschwerdeführers zu erreichen. Allein dieses Ziel stand mit Blick auf den Gesamtinhalt der Beschwerdeschrift im Vordergrund. Der Beschwerdeführer hat mit den mit der sachlichen Kritik an dem angefochtenen Beschluß verbundenen ehrkränkenden Äußerungen sein Sachanliegen zu untermauern versucht und ersichtlich seinem Unverständnis Ausdruck verliehen, daß auf seine im Antragsschreiben vom 10. November 1994 vorgebrachten Argumente gegen eine Fluchtgefahr in der Sache nicht im einzelnen eingegangen worden war. Diese Argumente hat er in der Beschwerdeschrift wiederholt, um zumindest nunmehr eine sachliche Auseinandersetzung mit ihnen in Form einer nachvollziehbaren Begründung zu erreichen. Unter diesen Umständen kann nicht die Rede davon sein, daß sich die auf die Richter bezogene überspitzte Kritik fern jedes sachlichen Anliegens in der Diffamierung von Personen erschöpfte.
d) Der Beschluß des Landgerichts und das Urteil des Amtsgerichts beruhen auf der unzutreffenden Einordnung der Äußerung als Schmähkritik. Dadurch haben sich die Strafgerichte den Weg zur Abwägung zwischen den Belangen der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und denjenigen des Ehrenschutzes auf der anderen Seite von vornherein verstellt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Strafgerichte bei einer anderen Einordnung der Äußerung und der dann verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zu einem Freispruch des Beschwerdeführers gelangen.
3. Auf die Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG kommt es danach nicht mehr an.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 1276154 |
NPA 1999 |