Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einfachen Gesetzesrechts durch Fachgerichte. Auslegungsmethode
Beteiligte
Rechtsanwalt Leonid Nikolenko |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind entschieden (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Sie ist unbegründet.
Die Auslegung der Vorschrift des § 356 Abs. 1 StGB durch die Fachgerichte überschreitet nicht die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis, die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergeben. Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der Methode ist Sache der Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit zu untersuchen. Das Bundesverfassungsgericht hat nur zu gewährleisten, dass dabei die Anforderungen des Grundgesetzes eingehalten werden. Art. 20 Abs. 2 GG verleiht dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck und schließt jedenfalls aus, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen worden sind (vgl. BVerfGE 4, 219 ≪234≫; stRspr). Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Damit wäre es unvereinbar, wenn sich die Gerichte aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, sich mithin objektiv betrachtet der Bindung an Recht und Gesetz entziehen würden (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪280≫ m.w.N.). Diese Verfassungsgrundsätze verbieten es dem Richter zwar nicht, das Recht fortzuentwickeln (vgl. BVerfGE 34, 269 ≪288 f.≫). Der Richter darf sich allerdings nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Die Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich unter Art. 20 GG darauf, ob die Fachgerichte bei der Rechtsfortbildung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert haben und den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt sind.
Diesem Maßstab halten die angegriffenen Entscheidungen stand. Sie fußen auf einer Spruchpraxis der Revisionsgerichte, die erkennbar um eine zutreffende Auslegung des § 356 Abs. 1 StGB bemüht bleibt. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Einwände treffen zum einen den Kern der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht und gehen zum anderen an den Feststellungen der Tatgerichte vorbei.
Die fachgerichtliche Rechtsprechung legt den Begriff des „pflichtwidrigen Dienens” im Sinne von § 356 Abs. 1 StGB dahin aus, dass der Rechtsanwalt einer Partei Rat und Beistand leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben Sache, aber im entgegen gesetzten Sinne bereits Rat und Beistand gewährt hat (vgl. BGHSt 5, 284 ≪287≫; 301 ≪306≫; 7, 17 ≪20≫; 15, 332 ≪334 ff.≫; 18, 192 ≪193 f.≫; BGH NStZ 1982, S. 331 ≪332≫; 1987, S. 73; BayObLG NJW 1959, S. 2223 ≪2224≫; NJW 1989, S. 2903). Gefordert wird mithin ein Interessengegensatz, der sich unabhängig davon bestimmt, ob den Mandanten durch das Verhalten des Rechtsanwalts Schaden entstehen kann oder entstehen soll (vgl. BGHSt 7, 17 ≪21≫). Diese Auslegung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich im Rahmen des Wortlauts der Vorschrift und insbesondere auch ihres Sinns und Zwecks. In Abgrenzung zu § 356 Abs. 2 StGB verlangt Absatz 1 der Vorschrift gerade nicht einen Nachteil einer Partei, tatbestandlich ist nicht einmal die Gefährdung der Interessen der Partei erforderlich. Geschützt wird mithin nicht in erster Linie der nur mittelbar erfasste Auftraggeber, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwalt- und Rechtsbeistandschaft (Cramer in: Schönke/Schröder, StGB, § 356 Rn. 1; Hübner in: Leipziger Kommentar, StGB, § 356 Rn. 9).
Nicht zu beanstanden ist auch die Anwendung der Norm im konkreten Fall. Entgegen den Ausführungen in der Verfassungsbeschwerde haben die Fachgerichte festgestellt, dass der Schuldner die Auszahlung des Geldes nicht erstrebte, um damit vorrangig die vom Beschwerdeführer nach wie vor vertretenen beiden Gläubiger, sondern um gleichrangig alle Gläubiger zu befriedigen. Es geht daher fehl zu behaupten, die Fachgerichte hätten nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt, dass er durchaus für beide Mandate hätte tätig sein können, ohne gegensätzliche Interessen zu vertreten. Denn eine Interessenkollision wäre nur dann ausgeschlossen gewesen, wenn er eine Auszahlung der Restsumme nach Abzug der offenen Forderungen der beiden von ihm vertretenen Gläubiger verlangt oder aber zuvor mit diesen eine vorrangige Befriedigung vereinbart hätte.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 635255 |
NJW 2001, 3180 |
MittRKKöln 2001, 334 |
StraFo 2001, 393 |
Mitt. 2002, 333 |