Verfahrensgang
Tenor
Das Schlußurteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. März 1990 – 7 U 3/85 –, der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 21. September 1989 – V ZR 261/88 – und das Teilurteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Oktober 1988 – 7 U 3/85 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage auf Zahlung von Pachtzinsen abgewiesen und die dagegen eingelegte Revision nicht angenommen worden ist. In diesem Umfang wird die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Im Verfahren 1 BvR 1461/89 haben das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland dem Beschwerdeführer je ein Drittel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Im Verfahren 1 BvR 421/90 hat das Land Nordrhein-Westfalen dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Kündigung eines Kleingartenpachtverhältnisses und die Pachtzinsbemessung im Kleingartenrecht.
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1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines 15.149 qm großen Grundstücks in Hamm, das als Kleingartengelände an einen Kleingartenverein verpachtet ist. Als Pachtzins war der von der Stadtverwaltung Hamm gemäß § 1 der Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung vom 31. Juli 1919 (RGBl S. 1371) festgesetzte Höchstpreis für Kleingartenpachtzinsen vereinbart. Zuletzt war dieser Pachtzins von der Stadt Hamm im Jahre 1981 auf 0,10 DM/qm festgesetzt worden.
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Das Gelände ist seit 1984 in einem Bebauungsplan als Fläche für Dauerkleingärten festgesetzt.
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Im Ausgangsverfahren machte der Beschwerdeführer aufgrund verschiedener, seit 1980 erklärter Kündigungen einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe des Grundstücks gegen den Kleingartenverein geltend. Ferner begehrte er unter Berufung auf die Verfassungswidrigkeit entgegenstehender Regelungen einen Pachtzins von jährlich 1 DM/qm (unter Anrechnung geleisteter Zahlungen), und zwar zuletzt für die Jahre ab 1982.
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Das Landgericht wies beide Klageanträge ab.
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Im Berufungsverfahren bestätigte das Oberlandesgericht die Abweisung des Räumungs- und Herausgabebegehrens. Hinsichtlich der Pachtzinsforderung ermittelte es den nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Bundeskleingartengesetzes (BKleingG) in der ursprünglichen Fassung vom 28. Februar 1983 (BGBl I S. 210) höchstens zulässigen Pachtzins mit jährlich 12,6 Pfennig/qm und sprach dem Beschwerdeführer unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beträge, die sich danach unter Anrechnung der bereits geleisteten Zahlungen ergaben, für den gesamten Zeitraum der Klageforderung zu.
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Für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes (1. April 1983) berief es sich dabei auf die gesetzliche Regelung. Für die Zeit vorher führte es aus:
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Die Pachtfestsetzung der Stadt auf jährlich 10 Pfennig/qm sei nichtig, weil sie die örtlichen Verhältnisse und den Ertragswert des Grundstücks nicht hinreichend berücksichtigt habe. Danach stehe – wie beim Fehlen einer Preisfestsetzung – dem Beschwerdeführer das Recht zur Bestimmung des Pachtzinses nach billigem Ermessen zu. Die vom Beschwerdeführer getroffene Bestimmung von 1 DM/qm entspreche jedoch nicht der Billigkeit, so daß die Bestimmung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch Urteil zu treffen sei. Das Gericht habe sich dabei an § 1 der Kleingartenordnung als der für den fraglichen Zeitraum gültigen Preisvorschrift zu orientieren. Gegen diese Vorschrift bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie ermögliche im wesentlichen gleiche Pachtpreise wie der neue § 5 BKleingG, der hier für die Jahre ab 1983 zu einem Höchstpachtzins von 12,6 Pfennig/qm geführt habe. § 5 BKleingG sei verfassungsmäßig, wie auch der Bundesgerichtshof bestätigt habe. Es entspreche billigem Ermessen, den Pachtzins auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes nach dieser Vorschrift zu bestimmen.
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Das Oberlandesgericht hat diese Entscheidungen in einem Teil- und in einem Schlußurteil getroffen. Die Revision des Beschwerdeführers gegen das Teilurteil, das die Abweisung des Räumungsanspruchs sowie die Abweisung des Zahlungsanspruchs für die Zeit ab Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes enthielt, ist vom Bundesgerichtshof nicht zur Entscheidung angenommen worden.
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2. a) Mit seinen beiden fristgerecht nacheinander im Anschluß an den Nichtannahmebeschluß des Bundesgerichtshofs und das Schlußurteil des Oberlandesgerichts erhobenen Verfassungsbeschwerden rügt der Beschwerdeführer im wesentlichen eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und trägt dazu vor:
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Der weitgehende Ausschluß der Kündigungsbefugnis privater Verpächter von Kleingartenland sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Er führe dazu, daß Kleingartenland praktisch weder veräußert noch beliehen werden könne. An dieser verfassungswidrigen Lage habe sich durch die Neuregelung des Kündigungsrechts im Bundeskleingartengesetz nichts geändert. Vielmehr liege in der Einbeziehung ursprünglich befristeter Verträge in die Kündigungsschutzregelung im Rahmen des § 16 Abs. 3 BKleingG ein erneuter Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Davon sei auch sein Pachtverhältnis betroffen.
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Auch die Pachtpreisregelung in § 5 BKleingG (1983) sei verfassungswidrig. Die Höchstpachtzinsen seien in der Regel nicht durch sozialstaatliche Gemeinwohlbelange gerechtfertigt, weil Kleingärten nicht nur an sozial bedürftige Personen verpachtet würden. Schon deshalb sei den Eigentümern eine Höchstpachtpreisregelung nicht zuzumuten. Im übrigen sei es Aufgabe der Allgemeinheit und nicht der privaten Eigentümer von Kleingartenanlagen, für sozial bedürftige Personen Sorge zu tragen. Der Gesetzgeber habe hierbei die Möglichkeit, auf verschiedene Fördersysteme zurückzugreifen, ohne die Eigentümer zu belasten.
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b) Das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat namens der Bundesregierung auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1992 (BVerfGE 87, 114 ff.) und auf die im Anschluß an diese Entscheidung eingeleitete (und mittlerweile in Kraft getretene) Änderung des Bundeskleingartengesetzes hingewiesen (Gesetz zur Änderung des Bundeskleingartengesetzes ≪BKleingÄndG≫ vom 8. April 1994 ≪BGBl I S. 766≫).
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Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerden haben nur hinsichtlich des Pachtzinsanspruchs Erfolg.
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1. Soweit der Klageantrag des Beschwerdeführers auf Räumung und Herausgabe des Kleingartengrundstücks abgewiesen worden ist, ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Diese sind gemäß Art. 8 des Gesetzes vom 2. August 1993 (BGBl I S. 1442) auch auf vorher anhängig gewordene Verfahren anzuwenden.
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a) Die Verfassungsbeschwerde wirft insoweit keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen auf. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Beurteilung der einschlägigen Kündigungsvorschriften des Bundeskleingartengesetzes und der vor dessen Inkrafttreten bestehenden Regelungen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 52, 1 ≪32 ff.≫; 87, 114 ≪135 f., 139 ff.≫).
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b) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist insoweit auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben könnte.
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Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juni 1979 (BVerfGE 52, 1 ff.), in dem die kündigungsbeschränkenden Vorschriften des Kleingartenrechts aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes teilweise für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden sind, hat nicht dazu geführt, daß Pachtverhältnisse durch Kündigungen, denen diese Vorschriften entgegenstanden, beendet wurden. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die in Frage stehenden Vorschriften (mit hier für das Ergebnis unerheblichen Ausnahmen) nicht für nichtig erklärt. Damit war das Kündigungshindernis nicht entfallen. Die Pachtverhältnisse bestanden vielmehr trotz der Verfassungswidrigkeit der genannten Vorschriften zunächst bis zum Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes fort (vgl. BVerfGE 87, 114 ≪135 f.≫). Soweit in der Folgezeit die Regelungen des Bundeskleingartengesetzes dem Wirksamwerden früherer oder neu erklärter Kündigungen entgegenstanden, sind diese Regelungen, insbesondere die Übergangsvorschriften in § 16 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 BKleingG verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfGE 87, 114 ≪135 f., 139 ff.≫).
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Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer gerügten Fehler bei der Rechtsanwendung kann dahingestellt bleiben, ob die Ausführungen in dem für die Beurteilung maßgeblichen Teilurteil des Oberlandesgerichts in allen Punkten verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Denn die Abweisung der Räumungsklage stützt sich auch auf Erwägungen, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind und das Urteil selbständig tragen. Von weiteren Ausführungen hierzu wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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2. Dagegen hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg, soweit sie sich gegen die Abweisung des Pachtzinsanspruchs richtet. Insoweit ist ihre Annahme angezeigt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung der Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
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Die angegriffenen Entscheidungen stützen sich insoweit auf die Pachtzinsbegrenzung durch § 5 Abs. 1 Satz 1 BKleingG in seiner ursprünglichen Fassung. Diese Vorschrift hat das Bundesverfassungsgericht – nach Erlaß der hier angegriffenen Entscheidungen – mit Beschluß vom 23. September 1992 für mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar erklärt, soweit sie Pachtverhältnisse mit privaten Verpächtern betrifft (BVerfGE 87, 114 ≪146 ff.≫). Die Pachtzinsbegrenzung ist dabei in ihrem Ausmaß als für die Eigentümer unzumutbar erachtet worden (BVerfG, a.a.O., S. 148 ff.).
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Daraus folgt ohne weiteres, daß die Abweisung des die Höchstgrenze des § 5 Abs. 1 Satz 1 BKleingG a.F. übersteigenden Pachtzinsanspruchs für die Zeit nach Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes, in der die Vorschrift unmittelbar Grundlage der Entscheidung war, keinen Bestand haben kann. Gleiches gilt aber auch für die Teilabweisung des Pachtzinsanspruchs für die vorhergehende Zeit. Das Oberlandesgericht, auf dessen Begründung es auch insoweit ankommt, hat nicht verkannt, daß § 5 BKleingG für diese Zeit noch nicht unmittelbar anwendbar war. Es ist vielmehr – in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandener Anwendung einfachen Rechts – davon ausgegangen, daß es nach Sachlage den Pachtzins gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB nach billigem Ermessen zu bestimmen habe. Bei dieser Bestimmung hat es sich jedoch maßgeblich an der Pachtzinsbegrenzung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BKleingG a.F. orientiert, deren Verfassungsmäßigkeit es ausdrücklich bejaht hat. Da diese Vorschrift aber, wie dargelegt, mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar ist, verletzt die Entscheidung dieses Grundrecht auch insoweit, als die Pachtzinsforderung teilweise für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes abgewiesen worden ist.
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3. Die Aufhebung der Aussprüche über die (Teil-)Abweisung des Zahlungsbegehrens ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht betragsmäßig einzugrenzen. Die Neuregelung, die der Gesetzgeber inzwischen in Art. 1 Nr. 4 und Art. 3 KleingGÄndG getroffen hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen. Auf die Zeit vor dem Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes wirkt sich diese Regelung von vornherein nicht aus. Sie ändert – auch in den Überleitungsvorschriften des Art. 3 BKleingÄndG – nur die einschlägige frühere Regelung des Bundeskleingartengesetzes ab, um deren verfassungsrechtlichen Makel, zum Teil rückwirkend, zu beseitigen. Von dieser Zielsetzung her kann der zeitliche Anwendungsbereich der Neuregelung, wie in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt ist (vgl. BGH, LM BKleingG Nr. 11, a.E.), jedenfalls nicht weiter zurückreichen als derjenige des Bundeskleingartengesetzes überhaupt. Für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes bleibt die Entscheidung der Frage, in welcher Weise sich die Vorschriften des Änderungsgesetzes auswirken, zunächst der Prüfung durch die Zivilgerichte im weiteren Verfahren vorbehalten, weil die Anwendung dieser Regelung noch nicht Gegenstand der angegriffenen Entscheidungen war.
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4. Das Urteil des Landgerichts läßt die Kammer bestehen, weil dies im Interesse des Beschwerdeführers liegt (vgl. BVerfGE 84, 1 ≪5≫). Die Aufhebung auch dieses Urteils würde die Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz nach sich ziehen, was zu einer Verzögerung des weiteren Verfahrens führen könnte, andererseits aber nach Sachlage keine zusätzliche Klärung bringen würde. Nach Aufhebung der Rechtsmittelentscheidungen ist dem Beschwerdeführer die Berufungsinstanz wiedereröffnet, in der das landgerichtliche Urteil abgeändert werden kann. Die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil bedarf daher nicht der Annahme (vgl. dazu auch Beschluß der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 1996 – 1 BvR 1181/95 –).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
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Grimm, Hömig, Seidl
Fundstellen