Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 1. Juli 1998 – 21 U 3506/98 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben, soweit es auch den mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Gegendarstellungsanspruch abgewiesen hat. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zivilgerichtliche Entscheidungen über ein presserechtliches Gegendarstellungsbegehren.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Historiker und wissenschaftlicher Leiter der von dem Hamburger Institut für Sozialforschung veranstalteten Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1944”. Anfang 1998 entfernte er ein Bild, das bis dahin mit der Textzeile „Juden werden exekutiert” zu den Exponaten gehört hatte, aus der Ausstellung, nachdem Zweifel aufgetaucht waren, ob es tatsächlich eine Exekutionsszene zeigte. Bei dem Bild handelt es sich um ein reproduziertes Foto, das bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg (im nachfolgenden: Zentrale Stelle) in einer Lichtbild-Mappe mit insgesamt vier Bildern (Fotos 25, 26, 27, 28) aufbewahrt wird. Zwei Fotos sind hierbei auf die Vorder- und zwei auf die Rückseite eines Kartons geklebt. Das streitgegenständliche Bild (Bild 26) befindet sich auf der Vorderseite unten. Zwischen den Bildern 25 und 26 steht folgender Text:
Nach Aushebung eines Massengrabes durch die Juden müssen diese sich nackt ausziehen und werden in die Grube getrieben. Darunter befinden sich Kinder, erstes Bild rechts. Angehörige der einheimischen Selbstschutzverbände (vermutlich Letten) sind an den Erschießungen beteiligt. Tatort und -Zeit: Vermutlich Lettland, Sommer 1941.
In dem von der Beklagten des Ausgangsverfahrens verlegten Nachrichtenmagazin „Focus” erschien in der Ausgabe Nr. 11/1998 vom 9. März 1998 auf S. 13 ein Artikel mit der Überschrift „Wehrmachtsausstellung – Verfälschtes Bild ausgetauscht”. In dem Artikel heißt es unter anderem:
Doch H., der Kritiker als „Philister und Spießbürger” bezeichnet, lügt und fälscht selbst in der Begründung für den Bilderwechsel. In seiner Errata-Liste behauptet H., die von ihm erfundene Bildzeile ‚Juden werden exekutiert’ sei durch ähnliche Angaben in der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg dokumentiert. Das ist falsch. Das Foto, so hatte Focus bereits im April '97 berichtet, ist dort ohne jeden Hinweis archiviert.
Der Beschwerdeführer nahm die Beklagte im Wege einstweiliger Verfügung auf Abdruck einer Gegendarstellung folgenden Inhalts in Anspruch:
Gegendarstellung
In „Focus” Nr. 11/1998 vom 09.03.1998 wird unter der Überschrift „Wehrmachtsausstellung – Verfälschtes Bild ausgetauscht” berichtet: „In seiner Errata-Liste behauptet H., die von ihm erfundene Bildzeile „Juden werden exekutiert” sei durch ähnliche Angaben in der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg dokumentiert. Das ist falsch. Das Foto, so hatte Focus bereits im April '97 berichtet, ist dort ohne jeden Hinweis archiviert.”
Hierzu stelle ich fest: Das Foto befindet sich in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg in einer Lichtbildmappe des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Über dem Bild befindet sich folgender Hinweis:
„Nach Aushebung eines Massengrabes durch die Juden müssen diese sich nackt ausziehen und werden in die Grube getrieben. Darunter befinden sich Kinder, erstes Bild rechts. Angehörige der einheimischen Selbstschutzverbände (vermutlich Letten) sind an den Erschiessungen beteiligt. Tatort und -Zeit: Vermutlich Lettland, Sommer 1941”.
Hamburg, den 20. März 1998 H. H.
Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil die geforderte Gegendarstellung offensichtlich irreführend sei und deshalb nicht den Anforderungen des Bayerischen Pressegesetzes entspreche. Indem der Beschwerdeführer durch die Wendung „über dem Bild befindet sich folgender Hinweis” den Hinweis ohne weitere Erläuterung ausschließlich dem Bild 26 zuordne, bewirke er eine unzulässige Irreführung des Lesers. Die Frage, welchem Bild oder welchen Bildern der Lichtbildmappe der Hinweistext zugeordnet werde, stelle sich im Ergebnis nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als von vornherein nicht gegendarstellungsfähige Wertung dar. Insofern handele es sich bereits in der Erstmitteilung „ohne jeden Hinweis archiviert”) um eine Meinungsäußerung, die darauf beruhe, daß der Hinweistext nicht auf das Bild 26 bezogen werde.
Im Berufungsverfahren beantragte der Beschwerdeführer hilfsweise den Abdruck einer Gegendarstellung mit im Vergleich zu seinem Hauptantrag wie folgt abgeändertem Text (Änderungen sind unterstrichen):
„In Focus Nr. 11/1998…
Hierzu stelle ich fest: Das Foto befindet sich in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg in einer eine Vielzahl von Fotos enthaltenden Lichtbildmappe des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Es ist eines von vier Fotos, von denen je zwei auf der Vorder- und auf der Rückseite des Blattes 10 der Lichtbildmappe aufgeklebt sind. Auf der Vorderseite des Blattes 10, unter dem ersten Foto und über dem Foto, über das Focus berichtet, befindet sich folgender Hinweis: „Nach Aushebung eines Massengrabes…”
Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Gegendarstellung wende sich gegen eine Meinungsäußerung. Im Focus-Bericht werde ausgeführt, daß die vom Beschwerdeführer erfundene Bildzeile durch ähnliche Angaben der Zentralen Stelle in Ludwigsburg dokumentiert sei und daß dies falsch sei. Dieser Teil der Ausgangsmitteilung sei Meinungsäußerung, nicht Tatsachenbehauptung. Sie sei allenfalls einem Beweis durch Sachverständige, nicht einem solchen durch Zeugen zugänglich. Die Frage sei, ob sich der Vermerk zwischen den beiden Bildern nur auf das Bild Nr. 25 beziehe oder auch auf das Bild Nr. 26. Hierzu könnten unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Es gehe nicht um die subjektive Einschätzung des Dokumentierers, sondern um den objektiven Bezug des Zwischentextes auf das hier streitige Bild Nr. 26. Auch für den Leser liege der Schwerpunkt der Äußerung bei dieser objektiven Zuordnung des Zwischentextes.
2. Mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des sich aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Er macht im wesentlichen geltend: Das Oberlandesgericht habe die Erstmitteilung zu Unrecht als Werturteil eingestuft und damit den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu eng gesteckt. Der zwischen den Bildern 25 und 26 in der Lichtbildmappe angebrachte Bildhinweis beziehe sich auch auf das hier streitige Bild. Das sei durch Inaugenscheinnahme, Zeugenvernehmung und Sachverständigengutachten beweisbar und daher eine Tatsache. Diese Beweismöglichkeiten habe das Oberlandesgericht nicht ausgeschöpft und sei deshalb zu einem fehlerhaften, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht verletzenden Ergebnis gelangt. Schließlich habe das Gericht nicht erkannt, daß der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts es erfordere, ohne Mitteilung der zugrundeliegenden Einzeltatsachen in den Raum geworfene Schlußfolgerungen als der Gegendarstellung zugängliche Tatsachenbehauptungen anzuerkennen.
3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig, aber unbegründet. Zwar verstoße die fälschliche Qualifizierung einer Tatsachenbehauptung als Meinungsäußerung im Rahmen eines Gegendarstellungsverlangens gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Hier sei die Einordnung der Erstmitteilung als Meinungsäußerung aber nicht zu beanstanden.
Die Beklagte des Ausgangsverfahrens vertritt die Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist allerdings nur zum Teil zulässig.
a) Unzulässig ist sie, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Landgerichts richtet. Der Beschwerdeführer hat sich mit dem landgerichtlichen Urteil nicht befaßt. Seine Angriffe gelten allein der Entscheidung des Oberlandesgerichts.
b) Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichts gerichtet ist, ist sie zulässig. Insbesondere fehlt ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer auch bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde sein Ziel, den Abdruck der Gegendarstellung, wegen Überschreitens der für Gegendarstellungsverlangen geltenden Aktualitätsgrenze nicht mehr erreichen könnte. Indessen ist nicht zu erwarten, daß das Gegendarstellungsverlangen daran scheitert. Der Beschwerdeführer hat alles Erforderliche getan, um sein Ziel zügig zu erreichen. Die Dauer des gerichtlichen Verfahrens kann ihm nicht entgegengehalten werden (vgl. OLG München, AfP 1998, S. 86).
Der Zulässigkeit steht auch nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Beschwerdeführer kann insbesondere nicht auf die nach dem Bayerischen Gesetz über die Presse (im folgenden LPG Bayern) vom 3. Oktober 1949 (BayBS I S. 310) mögliche Erhebung der Hauptsacheklage verwiesen werden. Einer solchen Hauptsacheklage dürfte nunmehr die Überschreitung der Aktualitätsgrenze entgegenstehen. Unabhängig hiervon hängt die Entscheidung in der Hauptsache jedenfalls gleichermaßen von der Deutung der Erstmitteilung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung ab. Es ist nicht zu erwarten, daß die vom Oberlandesgericht im einstweiligen Verfügungsverfahren vorgenommene Deutung im Hauptsacheverfahren anders ausfällt. Deshalb kann nicht damit gerechnet werden, daß ein Hauptsacheverfahren die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts entbehrlich machen könnte (vgl. BVerfGE 75, 318 ≪325≫).
Dies gilt auch, obwohl im Hauptsacheverfahren die Revision in Betracht kommt. Die Revision würde von einer Zulassung durch das Oberlandesgericht nach § 546 Abs. 1 ZPO abhängen, weil es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit handelt. Es ist hier nicht ersichtlich, daß die Zulassungsvoraussetzungen nach § 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfüllt sein könnten. Angesichts dessen kann dem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden, nicht sofort an Stelle des einstweiligen Verfügungsverfahrens oder parallel hierzu die Hauptsacheklage erhoben zu haben. Auch bei dieser Vorgehensweise wäre nicht damit zu rechnen gewesen, daß die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts hätte vermieden werden können.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das Urteil des Oberlandesgerichts verstößt gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
a) Wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Pflicht des Staates, den Einzelnen wirksam gegen Einwirkungen der Medien auf seine Individualsphäre zu schützen (vgl. BVerfGE 73, 118 ≪201≫). Dazu gehört, daß der von einer Darstellung in den Medien Betroffene die rechtlich gesicherte Möglichkeit hat, ihr mit seiner eigenen Darstellung entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 63, 131 ≪142≫). Dieser Schutz kommt zugleich der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zugute, weil dem Leser neben der Information durch die Medien auch die Sicht des Betroffenen vermittelt wird (vgl. BVerfG, Beschluß vom 14. Januar 1998, AfP 1998, S. 184 ≪186≫).
Dieser Pflicht ist der Gesetzgeber in § 10 LPG Bayern nachgekommen. Auslegung und Anwendung der Vorschrift ist Sache der Zivilgerichte. Sie müssen dabei aber die von ihrer Entscheidung berührten Grundrechte interpretationsleitend beachten, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt wird (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪206 f.≫; stRspr). Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gilt insofern nichts anderes als für die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist verletzt, wenn sein Einfluß auf Auslegung und Anwendung des Presserechts grundlegend verkannt worden ist.
Eine derartige Verkennung liegt ungeachtet des Umstandes, daß die Möglichkeit der Gegendarstellung von Verfassungs wegen gegeben sein muß, nicht schon bei jeder fehlerhaften Auslegung oder Anwendung von § 10 LPG Bayern vor. Da der Gesetzgeber die Gegendarstellung verfassungsrechtlich bedenkenfrei auf Tatsachenbehauptungen eingeschränkt hat (vgl. BVerfG, Beschluß vom 14. Januar 1998, AfP 1998, S. 184 ≪186≫), schneidet jedoch die unzutreffende Einstufung der Erstmitteilung als Meinungsäußerung den Grundrechtsschutz des Persönlichkeitsrechts von vornherein ab. Die unrichtige Einordnung der Erstmitteilung verstößt deswegen jedenfalls dann gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn seine Beeinträchtigung schwer wiegt. Davon ist hier angesichts des Vorwurfs der Lüge und Fälschung gegenüber dem durch die Ausstellung bundesweit bekannt gewordenen Beschwerdeführer auszugehen.
Die Qualifizierung der Äußerung ist vom Bundesverfassungsgericht nachprüfbar. Die Voraussetzungen hierfür sind in der Rechtsprechung geklärt. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität gekennzeichnet, während Werturteile durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt werden (vgl. BVerfGE 33, 1 ≪14≫; 90, 241 ≪247≫). Für letztere ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens charakteristisch (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪8≫), das Tatsachenbehauptungen fehlt. Anders als die subjektiv geprägten Meinungsäußerungen sind Tatsachenbehauptungen folglich als objektive Aussagen dem Beweis zugänglich. Doch hängt die Einordnung einer Aussage als Tatsachenbehauptung nicht von der Erbringung des Beweises ab. Beweisbarkeit und Beweis sind zu unterscheiden.
Beruht die Qualifikation der Erstmitteilung als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung auf der Deutung der Äußerung durch die Gerichte, so ist auch diese vom Bundesverfassungsgericht nachprüfbar. Insoweit gelten dieselben Anforderungen, die für die Deutung der Äußerung im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit entwickelt worden sind (vgl. zusammenfassend BVerfGE 93, 266 ≪295 f.≫). Dazu gehört insbesondere das Erfordernis, die Deutung am Verständnis des durchschnittlichen Empfängers der Äußerung auszurichten. Dabei sind auch die Begleitumstände der Äußerung zu berücksichtigen, jedoch nur, soweit diese auch für die Rezipienten erkennbar waren und deswegen ihr Verständnis der Äußerung bestimmen konnten (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪295≫). Darauf wird auch in Judikatur und Literatur allgemein abgestellt (vgl. BGH, NJW 1992, S. 1312 ≪1313≫; BGH, NJW 1988, S. 1589; OLG München, AfP 1987, S. 604 ≪605≫; Seitz/Schmidt/Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch in Presse, Film, Funk und Fernsehen, 2. Aufl. 1990, Rn. 306 f.; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl. 1994, Rn. 4.4.; Sedelmeier, in: Löffler, Presserecht, 4. Aufl. 1997, § 11 LPG Rn. 97).
b) Gemessen daran hält die Einordnung der Erstmitteilung als Meinungsäußerung einer Nachprüfung nicht stand.
In der Zeitschrift Focus ist die ehrenrührige Aussage, daß der Beschwerdeführer sogar in der Begründung für den Bilderwechsel „lügt und fälscht”, auf die Behauptung gestützt worden, das Foto Nr. 26 sei in den Unterlagen der Zentralen Stelle „ohne jeden Hinweis archiviert”, während der Beschwerdeführer auf ähnliche Angaben in der Dokumentation der Zentralen Stelle hingewiesen hatte. Das Oberlandesgericht ist zu der Auffassung, bei der Erstmitteilung handele es sich um eine Meinungsäußerung, wegen der Ungewißheit gelangt, ob der – unstreitig vorhandene – Text sich auf das umstrittene Foto beziehe. Da man darüber verschiedener Auffassung sein könne, liege ein Werturteil vor.
Diese Begründung wird den Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen nicht gerecht. Der unbefangene Focus-Leser, dem in dem Artikel der Zeitschrift die Eigenart der Archivierung der Fotos in der Zentralen Stelle nicht mitgeteilt worden ist, kann die Meldung nur so verstehen, daß es – entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers – an jeder textlichen Erläuterung fehle. Für ihn stellt sich daher die vom Oberlandesgericht für ausschlaggebend erachtete Frage der objektiven Zuordnung des Textes überhaupt nicht. Vielmehr wird er aufgrund der Aussage, es fehle jeder Hinweis, zu der Auffassung gelangen, der Beschwerdeführer habe seine Behauptung aus der Luft gegriffen, und den Vorwurf, er lüge und fälsche, für wohl begründet halten.
Unter diesen Umständen kann für die Einordnung der Erstmitteilung aber nicht darauf abgestellt werden, ob der zwischen den Bildern dokumentierte Text auch dem unteren Bild zugeordnet werden kann. Denn die Frage der Zuordnung des Textes betrifft das Ergebnis einer möglichen Beweisaufnahme, nicht aber die für den Leser vor einer Beweisaufnahme offene Frage, ob es im Zusammenhang mit der Archivierung der Bilder überhaupt einen Texthinweis gibt und dieser einen ähnlichen Inhalt hat wie die in der Ausstellung verwendete Bildzeile. Die Zeitschrift hätte es in der Hand gehabt, durch die Mitteilung der Umstände die Annahme, der Text beziehe sich nicht auf das umstrittene Foto, als ihre Beurteilung erscheinen zu lassen. Ohne diese Mitteilung handelt es sich bei der Äußerung, es fehle jeder Hinweis, jedoch um eine Tatsachenbehauptung, die grundsätzlich gegendarstellungsfähig ist.
Die Ablehnung des Gegendarstellungsverlangens durch das Oberlandesgericht beruht auf der unzutreffenden Qualifizierung der Erstmitteilung als Meinungsäußerung. Es ist daher nicht auszuschließen, daß das Oberlandesgericht bei zutreffender Würdigung der Erstmitteilung zu einem anderen Ergebnis gelangt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Steiner
Fundstellen
Haufe-Index 1261615 |
NJW 1999, 483 |
AfP 1998, 500 |