1. Das Kostenverzeichnis (Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG) wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 – KostRÄndG 1994) vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1325, ber. S. 2591 und 3471) neu gefaßt. Neu eingeführt wurde vor allem für Prozeßverfahren erster Instanz in Zivilsachen eine pauschale dreifache Verfahrensgebühr (Nr. 1201 Kostenverzeichnis – KV), durch die das gesamte Verfahren abgegolten werden soll; Entscheidungsgebühren fallen daneben nicht mehr an. Eine Ermäßigung auf eine Gebühr tritt ein, wenn das gesamte Verfahren durch Zurücknahme der Klage, Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil oder durch Vergleich endet (Nr. 1202 KV).
Haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, entscheidet nach § 91a ZPO das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluß. Nr. 1202 KV enthält die ausdrückliche Bestimmung, daß Erledigungserklärungen nach § 91a ZPO der Zurücknahme der Klage nicht gleichstehen.
2. Im Ausgangsverfahren leitete die Klägerin gegen den Beklagten wegen einer Forderung in Höhe von 111,75 DM das Mahnverfahren ein. Der Beklagte legte gegen den antragsgemäß erlassenen Mahnbescheid Widerspruch ein, worauf die Sache zur Durchführung des streitigen Verfahrens an das Amtsgericht Haßfurt abgegeben wurde. Nach Zustellung der Anspruchsbegründung bezahlte der Beklagte den geltend gemachten Betrag an die Klägerin, die daraufhin die Hauptsache für erledigt erklärte. Das Amtsgericht erlegte mit Beschluß vom 12. März 1998 dem Beklagten, der zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte, gemäß § 91a ZPO die Kosten des Rechtsstreits auf.
Die Kostenbeamtin setzte mit Kostenansatz vom 3. April 1998 die Gerichtskosten gemäß Nr. 1201 KV mit 150,00 DM an. Mit Schreiben vom 14. April 1998 bat der Beklagte, “die Kosten für den Rechtsstreit herunterzusetzen”.
3. Mit Beschluß vom 27. Mai 1998 setzte das Amtsgericht Haßfurt das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob Nr. 1202 KV insofern mit dem Grundgesetz vereinbar sei, als darin Erledigungserklärungen nach § 91a ZPO unabhängig vom weiteren gerichtlichen Aufwand nicht zu einer Ermäßigung der Gerichtsgebühren von 3,0 auf 1,0 führen sollen. Zur Begründung führt das Amtsgericht im wesentlichen aus:
Das Schreiben des Beklagten vom 14. April 1998 sei als Erinnerung gegen den Kostenansatz gemäß § 5 GKG aufzufassen; diese sei als solche statthaft und zulässig. Der Richter wolle der Erinnerung stattgeben und den Kostenansatz auf eine Gebühr von 50,00 DM abändern, sehe sich hieran aber durch die ausdrückliche Regelung in Nr. 1202 KV gehindert. Die in der Begründung zum Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 (BTDrucks 12/6962, S. 70) enthaltene Annahme, daß Entscheidungen nach § 91a ZPO in der Regel erheblichen richterlichen Arbeitsaufwand auslösten, sei nicht durch rechtstatsächliche Untersuchungen gestützt. Nach den Beobachtungen des vorlegenden Richters seien Problemfälle im Rahmen des § 91a ZPO nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Nachdem in Nr. 1202 KV eine Ermäßigung auf eine Gebühr bei Erlaß eines Anerkenntnisurteils vorgesehen worden sei, sei nicht einzusehen, weshalb der Beklagte, der auf die Klage hin sofort zahle, hinsichtlich der Gerichtskosten dreimal so stark belastet werden solle wie derjenige, der nur anerkenne. Dies widerspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung BVerfGE 50, 217 ff. Der Gleichheitsgrundsatz gebiete eine derartige Wahl und Staffelung der Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze, daß sie den unterschiedlichen Ausmaßen der erbrachten Leistung des Staates Rechnung trügen, damit die verhältnismäßige Gleichheit unter den Gebührenschuldnern gewahrt bleibe. Der in den typischen Fällen der Entscheidungen nach § 91a ZPO erforderliche Arbeitsaufwand des Gerichts sei nicht höher als für den Erlaß eines Anerkenntnisurteils. Die Anforderung der dreifachen Gerichtsgebühr gegenüber der bei Erlaß eines Anerkenntnisurteils geforderten Gebühr sei verfassungsrechtlich nicht mehr vertretbar, der Kostenansatz sei willkürlich überhöht. Es stelle auch einen Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip dar, daß aufgrund der derzeitigen Regelung der Schuldner, der auf die Klage hin gleich zahle, von der Gerichtskasse stärker “ausgebeutet” werde als derjenige, der nur anerkenne und weiteren Aufwand verursache.
Ob eine Ermäßigung der Gebühr auch bei problematischen Entscheidungen gemäß § 91a ZPO geboten sei, brauche nicht erörtert zu werden. Insoweit müßten verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Erhebung einer dreifachen Gebühr wohl zurücktreten. Diese Fälle stellten aber die Ausnahme dar, und dem Gesetzgeber sei es verwehrt, an die Ausnahmefälle anzuknüpfen.
Es möge sein, daß das Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 als Probelauf gedacht gewesen sei. Die Beurteilung, ob die hier kritisierte Regelung verfassungswidrig sei oder nicht, könne aber nicht davon abhängig sein, ob eine genügend lange Probezeit abgelaufen und ob die Befolgung der Vorschrift noch für eine gewisse Übergangszeit hinnehmbar sei.
Die Vorlage ist unzulässig.
1. Eine Richtervorlage ist nach Art. 100 Abs. 1 GG nur zulässig, wenn der Richter von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt ist und seine Rechtsauffassung begründet. Die Begründung muß nach § 80 Abs. 2 BVerfGG angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängt und mit welchen übergeordneten Rechtsnormen sie unvereinbar ist. Dem genügt eine Richtervorlage nur, wenn das Gericht die für seine Entscheidung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegt und sich dabei mit naheliegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinandersetzt (vgl. BVerfGE 86, 52 ≪57≫; stRspr). Hierbei muß es insbesondere die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 65, 308 ≪316≫; 94, 315 ≪325≫; stRspr), auf einschlägige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eingehen (vgl. BVerfGE 79, 240 ≪243 ff.≫) und sich gegebenenfalls auch mit der Entstehungsgeschichte der Norm auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 92, 277 ≪312≫; stRspr).
2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage nicht.
Das vorlegende Gericht hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm nicht hinreichend begründet. Ohne die Vorschriften des Grundgesetzes, gegen die Nr. 1202 KV verstoßen soll, ausdrücklich zu benennen, stützt es seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Norm in erster Linie auf eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), daneben sieht es das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) als verletzt an. Das Amtsgericht hat jedoch bereits den von ihm zugrunde gelegten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nicht in der erforderlichen Weise dargelegt und sich darüber hinaus mit einer Reihe von naheliegenden Gesichtspunkten, insbesondere der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Motiven des Gesetzgebers, nicht hinreichend auseinandergesetzt.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 92, 365 ≪407≫). Der sich hieraus ergebenden unterschiedlichen Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung (vgl. BVerfGE 88, 87 ≪96 f.≫). Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, daß der Gebührengesetzgeber innerhalb seiner Regelungskompetenz über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsraum verfügt (vgl. BVerfGE 50, 217 ≪226≫; 68, 237 ≪250≫; 80, 103 ≪107≫; 91, 207 ≪223≫). Die Begründung des Vorlagebeschlusses setzt sich hiermit nicht auseinander, der dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Gestaltungsrahmen wird nicht einmal erwähnt. Das Amtsgericht übersieht, daß es nicht Aufgabe der verfassungsrechtlichen Prüfung ist zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die “gerechteste” denkbare Lösung gewählt hat (vgl. BVerfGE 3, 58 ≪135 f.≫; 68, 287 ≪301≫).
b) Soweit das Amtsgericht unter Hinweis auf den Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 1979 (BVerfGE 50, 217 ff.) ausführt, der Gleichheitsgrundsatz gebiete, die Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze so zu wählen und zu staffeln, daß sie den unterschiedlichen Ausmaßen in der erbrachten Leistung Rechnung trügen, damit die verhältnismäßige Gleichheit unter den Gebührenschuldnern gewahrt bleibe, übergeht es die ausdrückliche Einschränkung, daß dies nur innerhalb der durch Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit gesetzten Grenzen gilt (BVerfGE 50, 217 ≪227≫). Mit dem Gesichtspunkt der Praktikabilität der Differenzierung hätte sich das vorlegende Gericht schon deshalb näher auseinandersetzen müssen, weil es die Erhebung der dreifachen ebühr nur dann für verfassungswidrig erachtet, wenn die Entscheidung nach § 91a ZPO “unabhängig von weiterem gerichtlichem Aufwand” ergangen ist, nicht aber dann, wenn es sich um eine “problematische” Entscheidung nach § 91a ZPO handelt. Das Amtsgericht geht weder darauf ein, daß der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen einen – freilich nicht unbegrenzten – Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat (vgl. BVerfGE 96, 1 ≪6≫), noch darauf, daß dem Gesetzgeber die Befugnis zusteht, sich bei komplexeren Sachverhalten zunächst mit gröberen Typisierungen zu begnügen, um binnen angemessener Zeit Erfahrungen zu sammeln (vgl. BVerfGE 75, 108 ≪162≫).
c) Das Amtsgericht stellt zur Begründung seiner Auffassung, die durch Nr. 1202 KV normierte unterschiedliche gebührenrechtliche Behandlung von Anerkenntnisurteil einerseits und übereinstimmender Erledigungserklärung andererseits sei verfassungsrechtlich unzulässig, allein darauf ab, daß § 91a ZPO in den “typischen” Fällen keinen höheren richterlichen Arbeitsaufwand auslöse als der Erlaß eines Anerkenntnisurteils. Hierbei befaßt es sich aber zum einen nicht mit dem naheliegenden Gesichtspunkt, daß ein Beschluß nach § 91a ZPO zu begründen ist (vgl. z.B. Thomas-Putzo, ZPO, 21. Aufl. 1998, § 91a Rn. 25), während bei einem Anerkenntnisurteil gemäß § 313b Abs. 1 ZPO grundsätzlich Tatbestand und Entscheidungsgründe entfallen. Zum anderen berücksichtigt das Amtsgericht nicht, daß Art. 3 Abs. 1 GG weder einer Unterdeckung noch einer Überdeckung der Kosten durch die Gebühren von vornherein entgegensteht (vgl. BVerfGE 50, 217 ≪226≫) und daß mit einer Gebührenregelung neben der Kostendeckung auch andere Zwecke, etwa eine begrenzte Verhaltenssteuerung in bestimmten Tätigkeitsbereichen, verfolgt werden dürfen (vgl. BVerfGE 50, 217 ≪226 f.≫; 79, 1 ≪28≫; 85, 337 ≪346≫; 97, 332 ≪345≫). Aus den im Gesetzgebungsverfahren dokumentierten Gründen für die Neuregelung des Gerichtskostenrechts ergibt sich, daß Entscheidungen nach § 91a ZPO auch deshalb gebührenmäßig nicht mehr begünstigt werden sollten, weil der Gesetzgeber auf diesem Wege die Parteien dazu veranlassen wollte, die Kostenverteilung häufiger in einen Vergleich einzubeziehen, statt sie der gerichtlichen Entscheidung zu überlassen (vgl. BTDrucks 12/6962, S. 70). Diesen verhaltenssteuernden Aspekt läßt das Amtsgericht bei der Prüfung, ob sich für die unterschiedliche gebührenmäßige Behandlung von Anerkenntnisurteil und Beschluß nach § 91a ZPO ein sachlicher Grund finden läßt, vollkommen außer Betracht.
d) Soweit das Amtsgericht schließlich – mit einem Satz – einen Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) annimmt, fehlt eine den Anforderungen des § 80 Abs. 2 BVerfGG genügende Begründung bereits im Ansatz.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.