Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 2. Juli 1997 – 6 S 2391/97 – und das Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 16. April 1997 – 11 C 1849/96 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Chemnitz zurückverwiesen.
Der Freistaat Sachsen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerdeführerin wehrt sich gegen die Benutzung ihres Grundstücks durch eine Telekommunikationslinie, bestehend aus einem ca. 6 m hohen Fernmeldemast, einem Kabelverzweiger und einem ca. 45 m langen Erdkabel.
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist Miteigentümerin eines Grundstücks am Ortsrand von A.…, einem Ortsteil von Chemnitz. Das Wiesengrundstück ist unbebaut und von der benachbarten Bebauung, einer Gastwirtschaft, durch einen Weg getrennt. Für den Weg ist im Grundbuch ein eigenes Wegegrundstück herausgemessen. Der bestehende Straßenkörper nimmt aber zusätzlich noch einen mehrere Meter breiten Streifen des Grundstücks der Beschwerdeführerin in Anspruch. In diesem tatsächlichen Umfang war der Weg am 1. Dezember 1993 als Ortsstraße in das Straßen- und Bestandsverzeichnis der Stadt Chemnitz eingetragen worden. Auf Widerspruch der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid vom 9. August 1996 der auf ihrem Grundstück liegende Teil des Weges wieder aus dem Straßen- und Bestandsverzeichnis gestrichen. Die Stadt Chemnitz verpflichtete sich in diesem Bescheid, den als Straßenkörper genutzten Teil des Grundstücks wieder zurückzubauen und in den vorherigen Zustand zu bringen, was allerdings bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 2. Juli 1997 noch nicht geschehen war.
2. Im Jahre 1994 hatte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Deutsche Telekom AG, am Rand des damaligen Straßenkörpers, aber auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin ein ca. 45 m langes Erdkabel verlegt und einen Kabelverzweigerkasten sowie einen ca. 6 m hohen Fernmeldemast aufgestellt. Nachdem es zwischen den Parteien zu keiner Einigung gekommen war, klagte die Beschwerdeführerin auf Beseitigung der Anlagen und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. Die Klage wurde vom Amtsgericht mit Urteil vom 16. April 1997 abgewiesen. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Selbst wenn man die Richtigkeit des Vortrags der Beschwerdeführerin unterstelle, daß die Beklagte die Anlagen ohne ihre Genehmigung errichtet habe, sei ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB gemäß § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, weil die Beschwerdeführerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 Telekommunikationsgesetz (TKG) zur Duldung verpflichtet sei, da das Grundstück im vorliegenden Fall durch die Benutzung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt werde. Die Beschwerdeführerin habe jedenfalls nicht vorgetragen, daß die Nutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigt werde. Eine landwirtschaftliche Nutzung finde nicht statt. Sofern man unter dem Begriff der Benutzung auch den Verkauf oder die Übertragung des Grundstücks an andere fasse, liege angesichts der Größe des Grundstücks und der Geringfügigkeit der von der Beklagten eingebrachten Einrichtungen eine wesentliche Beeinträchtigung nicht vor.
Mit Urteil vom 2. Juli 1997 wies das Landgericht die Berufung der Beschwerdeführerin zurück. Es folgte dabei den seiner Ansicht nach zutreffenden Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung, auf die es ausdrücklich Bezug nahm. Die Nutzung des Grundstücks der Beschwerdeführerin sei auch nicht dadurch wesentlich beeinträchtigt, daß die baulichen Anlagen nicht an der Grundstücksgrenze stünden, weil weder die Nutzung der Wiese noch die Nutzung des zum Grundstück gehörenden Teils des Straßenkörpers beeinträchtigt sei. Sofern das Telekommunikationsgesetz als gesetzliche Grundlage für die Nutzung des Grundstücks erst nach Errichtung der baulichen Anlagen in Kraft getreten sei und nicht für sogenannte Altfälle gelte, fehle dem Antrag auf Beseitigung der zunächst rechtswidrig auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin belassenen Anlagen ein schutzwürdiges Interesse. Denn damit werde eine Leistung gefordert, die alsbald zurückzugewähren wäre, da die Beklagte nach der Beseitigung der Anlagen aufgrund der nun geltenden Regelung sofort wieder einen Anspruch auf Nutzung des Grundstücks der Beschwerdeführerin in der derzeitigen Art und Weise hätte.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Bereits die gesetzliche Regelung in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Die Vorschrift gestatte zugunsten von Privaten und in der Regel ohne Entschädigung unter anderem die Errichtung baulicher Anlagen auf fremdem Grund und Boden. Dies geschehe ohne weiteres förmliches Verfahren und unabhängig davon, ob die Telekommunikationslinie für die Daseinsvorsorge erforderlich sei oder nicht. Den betroffenen Eigentümern werde zwar formal das Eigentum belassen, tatsächlich jedoch die Nutzungsmöglichkeit für den jeweiligen Teil des Grundstücks vollständig entzogen. Auch sei nicht geregelt, wer bei einer weiteren Nutzung des Grundstücks – etwa zur Bebauung – eine Änderung oder Neuverlegung etwa der Erdkabel zu bezahlen habe. Sollte es möglich sein, § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verfassungskonform auszulegen, verstießen jedenfalls die Urteile der Zivilgerichte gegen Art. 14 Abs. 1 GG, da die Bedeutung der Eigentumsgarantie bei der Anwendung der Vorschrift übersehen worden sei. Insbesondere ließen die Urteile bei der Auslegung von § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG eine Abwägung zwischen dem Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin und den Interessen der Beklagten vermissen. Das landgerichtliche Urteil verstoße auch deshalb gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil es zunächst von der Rechtswidrigkeit der Nutzung des Grundstücks durch die Beklagte nach der alten Rechtslage ausgehe, um dann unter Hinweis auf die Duldungspflicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG den Beseitigungsanspruch der Beschwerdeführerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) auszuschließen.
III.
Das Bundesministerium für Wirtschaft hält namens der Bundesregierung ebenso wie das Sächsische Staatsministerium der Justiz die angegriffene Bestimmung des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG für verfassungsgemäß. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz verteidigt darüber hinaus die angegriffenen Urteile.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, da dies zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Kammer ist zur Entscheidung befugt, weil auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG vorliegen.
1. Allerdings hält § 57 Abs. 1 Nr. 2 des Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 ( BGBl I S. 1120) den Angriffen der Verfassungsbeschwerde stand.
a) Die in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG begründete Duldungspflicht ist verfassungsgemäß. Die angegriffene Regelung stellt eine zulässige Inhaltsbestimmung des Grundeigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Unter Inhaltsbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG versteht das Grundgesetz die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu betrachten sind. Sie ist auf die Normierung objektiv-rechtlicher Vorschriften gerichtet, die den Inhalt des Eigentumsrechts vom Inkrafttreten des Gesetzes an für die Zukunft in allgemeiner Form bestimmen. Demgegenüber zielt die Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Eigentumspositionen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben ( BVerfGE 72, 66 ≪76≫; 79, 174 ≪191 f.≫). Der Gesetzgeber muß bei der Inhaltsbestimmung des Eigentums die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Der Kernbereich der Eigentumsgarantie darf dabei nicht ausgehöhlt werden (BVerfGE 91, 294 ≪308≫).
b) Nach diesen Grundsätzen stellt sich die Regelung des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG als eine Inhaltsbestimmung des Eigentums dar. Die für eine Inhaltsbestimmung sich aus der Verfassung ergebenden Schranken werden durch § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG eingehalten. Der Gesetzgeber hat, was die Nutzung von Grund und Boden zu Telekommunikationszwecken anbelangt, die schutzwürdigen Interessen der Grundstückseigentümer und die betroffenen Belange des Gemeinwohls abgewogen und dabei auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. Aus Art. 87 f Abs. 1 GG ergibt sich, daß der Telekommunikationssektor im Rahmen der Volkswirtschaft eine herausgehobene Bedeutung hat. Nach dieser Vorschrift gewährleistet der Bund im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen. Soweit für Zwecke der Telekommunikation Grund und Boden benötigt werden, mußte daher im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung des Telekommunikationssektors zwischen dieser in Art. 87 f GG zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung und einschlägigen Rechtspositionen an Grund und Boden abgewogen werden. Im Telekommunikationsgesetz geschieht dies durch eine Reihe von Differenzierungen, die von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden sind. Zunächst wird im Telekommunikationsgesetz unterschieden zwischen Grundstücken, die Verkehrswege im Sinne des § 50 Abs. 1 Satz 2 TKG darstellen, und solchen Grundstücken, die keine Verkehrswege im Sinne dieser Regelung sind. Die einschlägige Regelung für die Benutzung öffentlicher Verkehrswege im geltenden Recht ist § 50 TKG. Als Verkehrswege gelten nach § 50 Abs. 1 Satz 2 TKG die öffentlichen Wege, Plätze und Brücken sowie die öffentlichen Gewässer. An Verkehrswegen besteht nach § 50 Abs. 1 Satz 1 TKG ein unentgeltliches Benutzungsrecht des Bundes, das er an Lizenznehmer nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 TKG im Rahmen der Lizenzerteilung nach § 8 TKG übertragen kann (§ 50 Abs. 2 TKG).
Die für die Beeinträchtigung von Grundstücken, die keine Verkehrswege im Sinne des § 50 Abs. 1 Satz 2 TKG sind, einschlägige Norm ist § 57 TKG. Die in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG geregelte Fallgruppe betrifft Fälle einer fehlenden oder nur unwesentlichen Beschränkung des Eigentums an einem Grundstück durch die Errichtung, den Betrieb und die Erneuerung von Telekommunikationslinien auf diesem Grundstück. Eine derartige Benutzung kann der Eigentümer nicht verbieten. Ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB ist mithin nach § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Die dadurch getroffene Inhaltsbestimmung hält sich im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht, ohne dabei den Kernbereich der Eigentumsgarantie auszuhöhlen.
§ 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG enthält im wesentlichen keine sachliche Neuregelung gegenüber der vor Inkrafttreten des Telekommunikationsgesetzes geltenden Rechtslage. Vorläufer der Regelung war § 10 Abs. 1 Telegrafenwegegesetz (TWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. April 1991 ( BGBl I S. 1053), geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 14. September 1994 ( BGBl I S. 2325, ber. 1996 I S. 103). Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 TWG war die Deutsche TELEKOM befugt, Fernmeldelinien durch den Luftraum über Grundstücke zu führen, die nicht als Verkehrswege im Sinne des Telegrafenwegegesetzes zu qualifizieren waren, soweit dadurch die Benutzung des Grundstücks nach den zur Zeit der Herstellung bestehenden Verhältnissen nicht wesentlich beeinträchtigt wurde. In § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG wird dies nunmehr negativ formuliert, wenn es heißt, daß der Eigentümer eines Grundstücks die Errichtung, den Betrieb und die Erneuerung von Telekommunikationslinien auf seinem Grundstück insoweit nicht verbieten kann, als das Grundstück durch die Benutzung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird. Diese neue Formulierung in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG entspricht der in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB gewählten Formulierung, wo es heißt, daß der Eigentümer von Grundstücken die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten kann, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Ein sachlicher Unterschied zwischen der Einschränkung des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs eines Grundstückseigentümers gemäß § 1004 Abs. 1 BGB in § 10 Abs. 1 Satz 1 TWG einerseits und § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG andererseits besteht nur insoweit, als im Rahmen des § 57 Abs. 1 TKG nunmehr eine Duldungspflicht (erstmals) auch für die Nutzung durch unterirdische Telekommunikationslinien begründet wird. Diese Regelung soll insbesondere Energieversorgungsunternehmen den Einstieg in das Telekommunikationsgeschäft erleichtern (vgl. BTDrucks 13/3609, S. 50). In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich betont, daß es volkswirtschaftlich schädlich wäre, die Möglichkeit einer auch unterirdischen Nutzung von Grundstücken auf gesetzlichem Weg nicht zu eröffnen. Diese geringfügige Erweiterung seiner Duldungspflicht muß daher ein betroffener Grundstückseigentümer vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Anliegens, die Voraussetzungen für das tatsächliche Entstehen von Wettbewerb im Telekommunikationssektor zu schaffen, im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums als Inhaltsbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG hinnehmen.
2. Auch wenn somit die Vorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, so verletzt ihre Auslegung und Anwendung durch die Gerichte im vorliegenden Fall das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat stets betont, daß die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen sind. Dieses greift nur bei der Verletzung von Verfassungsrecht durch die Gerichte auf Verfassungsbeschwerde hin ein. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muß gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. Die Schwelle eines Verstoßes gegen objektives Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erreicht, wenn die Entscheidung der Zivilgerichte Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 42, 143 ≪148 f.≫; 67, 213 ≪223≫).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben sich die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung eigentumsbeschränkender Vorschriften im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG innerhalb der Grenzen zu halten, die dem Gesetzgeber durch Art. 14 Abs. 1 und 2 GG bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Eigentümerbefugnisse gezogen sind. Danach müssen Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Privateigentums sowie dem Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung gleichermaßen Rechnung tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Sie müssen vom geregelten Sachbereich her geboten sein und dürfen nicht weitergehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. Aufgabe der Gerichte ist es ferner, die im Gesetz auf verfassungsmäßiger Grundlage zum Ausdruck gekommene Interessenabwägung zu beachten und nachzuvollziehen ( BVerfGE 37, 132 ≪145, 148≫; 53, 352 ≪357 f.≫).
b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe verstoßen die angegriffenen Urteile gegen das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Die ihnen zugrunde liegende Rechtsauffassung, die Beschwerdeführerin sei verpflichtet, als unwesentliche Beeinträchtigungen ihres Grundstücks auch die Errichtung eines ca. 6 m hohen Fernmeldemasts und eines Kabelverzweigers zu dulden, stellt eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG dar.
Die Gerichte haben zu bedenken, daß das Eigentum in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet ist ( BVerfGE 79, 292 ≪303≫). In jedem Fall fordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums ( BVerfGE 52, 1 ≪32≫). Die Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis bleiben erhalten, wenn der Eigentümer des Grundstücks nach der Inanspruchnahme des Grundstücks durch eine Telekommunikationslinie dieses weiterhin in der Weise nutzen kann, wie dies vor der Inanspruchnahme des Grundstücks der Fall war. Durch die Errichtung einer Telekommunikationslinie darf die Nutzbarkeit des Grundstücks indes nicht dauerhaft über das vor der Inanspruchnahme bestehende Maß eingeschränkt werden. Eine solche dauerhafte Einschränkung der Nutzbarkeit des Grundstücks liegt aber vor, wenn dem Eigentümer – wie durch die Urteile des Landgerichts und des Amtsgerichts geschehen – zugemutet wird, die Errichtung oberirdischer, weithin sichtbarer und auf Dauer erstellter Anlagen wie eines Fernmeldemasts oder eines Kabelverzweigers hinzunehmen. Maßstab für die verfassungsrechtliche Zumutbarkeit eines Eingriffs ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur, Gestaltung und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit. Nach diesem Maßstab stellt zwar die bloße Kreuzung des Luftraums eines Grundstücks im Regelfall eine zumutbare Beeinträchtigung dar. Dies gilt aber nicht für die Errichtung oberirdischer, weithin sichtbarer und dauerhafter Anlagen.
Ob auch das Eingraben eines Erdkabels nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in jedem Fall unzumutbar ist, braucht nicht abschließend entschieden zu werden. Die Antwort dürfte davon abhängen, wie sehr das Grundstück dadurch dauerhaft in seiner Nutzbarkeit beeinträchtigt wird (vgl. Protokoll der 45. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1996, S. 14 f.).
Da die angegriffenen Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts somit auf einer Verkennung der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG aufgestellten Zumutbarkeitsgrenzen beruhen, sind sie wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG aufzuheben.
3. Die Entscheidung über die Zurückverweisung der Sache beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG; die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 1276128 |
NJW 2000, 798 |
NVwZ 2000, 429 |
ZAP 1999, 1081 |
AgrarR 2001, 56 |
MMR 2000, 87 |
RTkom 1999, 173 |