Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 24.07.2002; Aktenzeichen 4 W 13/02) |
LG Stuttgart (Urteil vom 19.02.2002; Aktenzeichen 17 O 597/01) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Urheberrecht.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist ein Verein, der sich nach seinem satzungsmäßigen Zweck der Förderung freier Designer verschrieben hat. Seit dem Jahr 1993 führt er jährlich den Wettbewerb „Deutscher Preis für Kommunikationsdesign” durch. Als Signet der Veranstaltung dient die Pinselzeichnung „Laufendes Auge”, die ein menschliches Auge auf zwei Beinen darstellt. Die ausschließlichen, zeitlich und räumlich unbegrenzten Nutzungsrechte an der Zeichnung hatte ihr Schöpfer im Jahre 1993 dem Beschwerdeführer übertragen.
In den Jahren 1999 und 2000 verwendete ein Gewerbeverein für eine Kunstaktion ebenfalls ein Signet, das ein laufendes Auge zeigte und ihm von einem Designer zur Verfügung gestellt worden war. Der Beschwerdeführer sah dadurch seine Rechte an der seiner Meinung nach über § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG urheberrechtlich geschützten Grafik verletzt. Seine auf Unterlassung (gegen den Designer) und Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr für die Verwendung des „Laufenden Auges” sowie Erstattung der vorgerichtlichen Abmahngebühren in Höhe von 657,63 EUR (gegen den Gewerbeverein) gerichtete Klage blieb erfolglos.
Landgericht und Oberlandesgericht verneinten urheberrechtliche Schutzansprüche des Beschwerdeführers. Der Zeichnung fehle es an der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG erforderlichen Schöpfungshöhe. Das „Laufende Auge” erfülle nicht das Kriterium einer deutlich überragenden Gestaltungsleistung, wie es bei Werken der angewandten Kunst für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit Voraussetzung sei. Dass es gelungen, originell, einprägsam und ansprechend sei, reiche hierfür nicht aus. Dem stünden weder die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG noch der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG entgegen. Dem Schöpfer und Nutzer von Gestaltungsleistungen der vorliegenden Art stelle das Gesetz die Möglichkeit zur Verfügung, durch die Eintragung in das Geschmacksmusterregister eine absolute Rechtsposition zu erhalten.
2. Hiergegen hat der Beschwerdeführer fristgerecht Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der er unter anderem die Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG rügt. Er wendet sich nicht gegen die Wertung der Fachgerichte, dass es sich bei dem „Laufenden Auge” um keine deutlich überragende Gestaltungsleistung handele, sondern hält die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für verfassungswidrig. Diese führe praktisch zu einer Enteignung der Designer, weil ihre Gestaltungsleistungen weitgehend vom Urheberrechtsschutz ausgenommen würden. Die ungleiche Behandlung von zweckgebundenen und zweckfreien Werken sei nicht gerechtfertigt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG kommt ihr nicht zu. Die mit dem durch das Grundgesetz vermittelten Schutz des Urheberrechts zusammenhängenden grundlegenden Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 31, 229 ≪238 ff.≫; 49, 382 ≪392≫; 79, 29 ≪40 f.≫). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie keine Erfolgsaussicht hat. Der Beschwerdeführer wird durch die beiden angegriffenen Entscheidungen, insbesondere durch die Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Begriff der angewandten Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG, nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt.
1. Ausgehend von der Definition des urheberrechtlichen Werkes als persönlicher geistiger Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG) verlangt der Bundesgerichtshof für das Vorliegen der Werkeigenschaft in ständiger Rechtsprechung ein gewisses Maß an Gestaltungshöhe (vgl. die Darstellungen von Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl. 1999, § 2 Rn. 32 ff.; Dreyer in: Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht, 2004, § 2 Rn. 53 ff., der von „Schöpfungshöhe” spricht). Für fast alle Werkarten setzt er dabei eine relativ niedrige Grenze an, so dass in der Regel schon Werke mit geringer Gestaltungshöhe (die so genannte Kleine Münze) urheberrechtlichen Schutz genießen. Das gilt unter anderem auch für Werke der bildenden Kunst (vgl. BGH, GRUR 1995, S. 581 ≪582≫ – „Silberdistel”).
Anderes gilt nach der Judikatur des Bundesgerichtshofs hingegen im Bereich der angewandten Kunst, also bei Gebrauchsgegenständen mit künstlerischer Formgebung (so Nordemann/Vinck in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 9. Aufl. 1998, § 2 Rn. 21; Loewenheim, aaO Rn. 156) und damit bei Werken, die nicht nur zur Betrachtung bestimmt sind, sondern zugleich einem Gebrauchszweck dienen (vgl. BGH, aaO; so auch Nordemann/Vinck, aaO Rn. 52; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2001 Rn. 202; Loewenheim, aaO Rn. 156). Hier stellt die Rechtsprechung höhere Anforderungen an die Gestaltungshöhe und verlangt für die Werkqualität und damit für den Urheberrechtsschutz ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung (vgl. BGH, aaO, sowie BGHZ 138, 143 ≪147≫ – „Les-Paul-Gitarren”). Begründet wird das mit der Möglichkeit des hier gegebenen Geschmacksmusterschutzes nach dem Geschmacksmustergesetz.
Zwischen Urheber- und Geschmacksmusterrecht sieht der Bundesgerichtshof keinen Wesens-, sondern nur einen graduellen Unterschied (vgl. BGH, GRUR 1995, S. 581 ≪582≫ – „Silberdistel”; so auch Loewenheim, aaO Rn. 157; Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl. 1997, Allgemeines Rn. 19; Nirk/Kurtze, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl. 1997, Einführung Rn. 44 ff.). Da sich aber bereits eine geschmacksmusterfähige Gestaltung von der nicht geschützten Durchschnittsgestaltung, dem rein Handwerksmäßigen und Alltäglichen, abheben müsse, sei für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein noch weiterer Abstand zu fordern. Der Urheberrechtsschutz setze danach einen höheren schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad voraus als nur geschmacksmusterfähige Gegenstände, wobei die Grenze nicht zu niedrig angesetzt werden dürfe (vgl. BGH, aaO). Die Literatur stützt diese Auffassung mit der Überlegung, dass der an sich einheitliche Werkbegriff des § 2 UrhG bei der angewandten Kunst durch den Geschmacksmusterschutz nach Maßgabe des Geschmacksmustergesetzes als lex specialis durchbrochen werde (Nordemann/Vinck, aaO Rn. 21, 52) und die formellen Anforderungen des Geschmacksmustergesetzes – Anmeldung zur Eintragung und Zahlung der Anmeldegebühren – unterlaufen werden könnten, wenn Urheberrechtsschutz auch für die „Kleine Münze” gewährt würde (vgl. Dreyer, aaO Rn. 59). Im Übrigen gehe es bei Werken der angewandten Kunst darum, zu verhindern, dass nahe liegende Gestaltungselemente monopolisiert würden (vgl. Schack, aaO Rn. 207).
2. Die Fachgerichte haben unter Zugrundelegung dieses Verständnisses des Werkbegriffs im Bereich der angewandten Kunst das Vorliegen der Werkeigenschaft der Zeichnung und – mangels Urheberrechtsschutzes – damit auch Nutzungsrechte des Beschwerdeführers verneint, die diesem gemäß § 31 UrhG vom Schöpfer der Zeichnung eingeräumt worden sein könnten. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und verletzt insbesondere nicht eine grundrechtlich geschützte Eigentumsposition des Beschwerdeführers an den vom Urheber abgeleiteten Nutzungsrechten.
a) Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts sind Sache der dafür allein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst erreicht, wenn die Auslegung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Einzelfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪9 f.≫ m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.
b) Eigentum ist privatnützig auszugestalten und soll durch seine Nutzung dem Eigentümer eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung ermöglichen. Deshalb sind dem Urheber die vermögenswerten Ergebnisse seiner schöpferischen Leistung grundsätzlich zuzuordnen und mit der Freiheit zu verbinden, in eigener Verantwortung darüber verfügen zu können (vgl. BVerfGE 79, 29 ≪40≫). Diese sich aus der Eigentumsgarantie ergebende Anforderung verpflichtet nicht nur den Gesetzgeber – dass er dieser Pflicht genügt hat, begegnet mit Blick unter anderem auf die Bestimmungen des Urheber- und des Geschmacksmustergesetzes keinen grundlegenden Zweifeln –, an ihr muss auch die Gesetzesauslegung der Fachgerichte gemessen werden.
c) Diesen Maßstäben wird die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerecht. Sie führt – entgegen der in der Verfassungsbeschwerde vertretenen Auffassung – nicht dazu, dass im Bereich der angewandten Kunst kein den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügender Eigentumsschutz mehr besteht.
aa) Bereits die Behauptung des Beschwerdeführers, „wahrscheinlich” nur 2,5 % aller Gestaltungswerke der Designer seien als angewandte Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG schutzfähig, entbehrt einer verlässlichen Grundlage. Noch im Ausgangsverfahren hatte der Beschwerdeführer von 5 – 25 % gesprochen. Das zur Glaubhaftmachung vorgelegte, von seinen Bevollmächtigten erstellte Gutachten basiert bei der Ermittlung der fraglichen Prozentsätze nicht auf empirischen Untersuchungen, sondern auf mathematischen Annahmen, und nennt darüber hinaus alternativ den Wert von 25 %. Im Übrigen verstellen die angegebenen Prozentwerte den Blick darauf, dass es bei den Berechnungen um Designerleistungen in ihrer Gesamtheit geht. Darin enthalten ist auch die Vielzahl schlichter Produktdesigns, für die der Beschwerdeführer selbst die Notwendigkeit einer absoluten urheber- oder geschmacksmusterrechtlich geschützten Position nicht reklamiert.
bb) Mit der Verfassungsbeschwerde wird nicht aufgezeigt, dass die im Bereich der angewandten Kunst für das Eingreifen des Urheberrechtsschutzes erhöhten Anforderungen überhaupt zu einem praktischen Problem führen. Inwieweit tatsächlich – und in erheblichem Umfang – eine vergütungs- und sanktionslose Übernahme von Design-Leistungen (etwa bei zur Auftragsakquise erstellten Schöpfungen) erfolgt, ist weder substantiiert dargelegt noch anderweitig erkennbar.
cc) Die Verengung des urheberrechtlichen Schutzbereichs darf zudem nicht einer isolierten Betrachtung unterzogen werden. Für die handwerkliche und individuelle Formgebung bewirken vielmehr Urheber- und Geschmacksmusterrecht zusammen einen Schutz (vgl. Loewenheim, aaO Rn. 157), der grundsätzlich auch die „Kleine Münze” der angewandten Kunst erfasst. Zwar ist nicht zu verkennen, dass der durch das Geschmacksmustergesetz vermittelte Schutz an die Tatbestandsvoraussetzungen der Neuheit und Eigentümlichkeit gekoppelt sowie mit Kosten, formalen Eintragungsvoraussetzungen und vor allem einer beschränkten Schutzdauer verbunden ist. Dies trifft aber nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken.
Im Übrigen tritt inzwischen die Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl.EG Nr. L 3/1 vom 5. Januar 2002) neben das nationale Urheber- und Geschmacksmusterrecht. Sie hält mit dem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster einen kostenlosen, wenn auch zeitlich auf drei Jahre befristeten Schutz bereit (zu Einzelheiten vgl. Klawitter, EWS 2002, S. 357 ff.).
Demnach ist auch bei der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen höchstrichterlichen Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG – für die es triftige Gründe gibt (vgl. oben II 1) – gewährleistet, dass die Schöpfer von Bedarfs- und Gebrauchsgegenständen mit künstlerischer Formgebung (und diejenigen, die wie der Beschwerdeführer ihre Nutzungsrechte von ihnen ableiten) die Ergebnisse der schöpferischen Tätigkeit in einem Umfang nutzen können, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 14 Abs. 1 GG gerecht wird.
3. Die auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützte Rüge hat ebenfalls keine Erfolgsaussicht.
Eine willkürliche, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Gesetzesauslegung ist nicht erkennbar. Das gilt zum einen für die Differenzierung zwischen zweckgebundenen und zweckfreien Werken. Erstgenannte beruhen in aller Regel auf einem Auftragsverhältnis mit entsprechender Vergütung. Es belastet den Schöpfer des Werkes – beziehungsweise seinen Rechtsnachfolger in den Nutzungsrechten wie vorliegend den Beschwerdeführer – nicht unbillig, bei „Kleiner Münze” um geschmacksmusterrechtlichen Schutz durch Eintragung nachzusuchen, falls er eine absolute Rechtsposition erstrebt und sich durch das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht ausreichend geschützt sieht. Zum anderen ist aufgrund des geschmacksmusterrechtlichen Unterbaus auch die von nahezu allen anderen Werkarten (darunter auch die von der Verfassungsbeschwerde angeführten Computerprogramme) abweichende rechtliche Behandlung der angewandten Kunst gerechtfertigt.
4. Die weiteren mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen sind nicht zulässig. Insoweit wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
NJW-RR 2005, 686 |
ZUM 2005, 387 |
Mitt. 2005, 233 |